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Verharmlosung von Gewaltspielen muss aufhören!

Komplizenschaft der Hochschulen mit der Medienindustrie

von Prof. Dr. Maria Mies, Köln

Computer SpieleMaria Mies ist emeritierte Professorin für Soziologie an der Fachhochschule Köln mit den Forschungsschwerpunkten Methoden der Frauenforschung, Landfrauen in der Ersten und dritten Welt, Kapitalismus und Subsistenz, Kritik der Gentechnik und Alternativen zur globalisierten Wirtschaft. Sie ist auch Autorin mehrerer international einflussreicher Bücher. In einem ihrer letzten, «Krieg ohne Grenzen – Die neue Kolonisierung der Welt» (3-89438-286-4), arbeitet sie den Zusammenhang zwischen Globalisierung und Krieg heraus und begründet, warum der globale freie Markt und das neoliberale Modell ohne weltweite Gewalt und militärische Macht nicht auskommen. Und sie zeigt, dass dem Krieg nach aussen ein Krieg nach innen entspricht – in Form der Zerstörung von Sozialstaat und Demokratie und von wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit und Repression.     
In ihrem letzten – vierteljährlich erscheinenden – «Infobrief gegen Konzernherrschaft und neoliberale Politik» mit dem Titel «Wie kommt der Krieg in die Köpfe? und in die Herzen?» vom Dezember 2007 schreibt Maria Mies, dass sie in letzter Zeit besonders die zunehmende Gewalt und steigende Brutalisierung in unserer Gesellschaft aufrege – nicht zuletzt durch verrohende «Spiele» für Kinder und Jugendliche. Dieser «Krieg in den Köpfen» werde ihrer Meinung nach von der Politik und den Universitäten nicht nur zugelassen, sondern sogar gefördert, weil er «Wachstum» verspreche. Durch solche Spiele würden die Herrschenden dafür sorgen, dass junge Menschen nicht eigenständig denken und handeln. Und dieser Krieg habe inzwischen alle Bereiche von Wirtschaft und Politik durchdrungen. Selbst die wichtigsten Institutionen der «Zivil»-Gesellschaft, Schulen, Hochschulen, Wissenschaft und Forschung, Gewerkschaften, Medien, ja selbst die Kirchen würden keine andere Logik mehr als die des globalen Kriegssystems kennen.
Einer meiner Kollegen – Jürgen Fritz – hatte schon in den achtziger Jahren seinen Schwerpunkt «Spielpädagogik» genutzt, die Studentinnen und Studenten in den Gebrauch von Computern einzuführen. Computerspiele sollten die Studierenden mit dieser Technologie vertraut machen. Die Firmen Apple und Nixdorf hatten der Fachhochschule (FH) kostenlos Computer zur Verfügung gestellt. Einige kritische Studenten gründeten damals eine Gruppe Nixdoof. Sie sagten: «Wir studieren nicht Sozialpädagogik, um der Sozialhilfeempfängerin vorrechnen zu können, ob sie ihr monatlich zugebilligtes Kotelett schon bekommen hat oder nicht.»
Inzwischen ist der Schwerpunkt Computerspiele nicht nur zum wichtigsten Forschungsbereich der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften (früher Fachbereich Sozialpädagogik) und zu einem eigenen «Institut für Medienpädagogik» aufgestiegen, sondern dieses wird heute sogar von einem der weltweit grössten Anbieter solcher ­«Games», dem amerikanischen Konzern Electronic Arts, unterstützt. Dieser Konzern hat 2006 einen grossen internationalen Kongress an der FH Köln ausgerichtet und plant einen weiteren für das Jahr 2008. Vor diesem Hintergrund der heutigen neoliberalen Bildungspolitik, die ja das Ziel hat, die Hochschulen zu privatisieren, haben bei Bewerbungen die Kandidatinnen eine bessere Chance, die mit Konzernen wie Electronic Arts zusammenarbeiten. In einer Presseveröffentlichung der FH Köln heisst es: «Aktuell arbeitet die Forschungsgruppe Tanja Witting und Andre Czaudema eng mit den Firmen Electronic Arts und Nintendo zusammen, um den Bedarf an Elterninformation mit Blick auf digitale Spiele zu untersuchen.»
Das heisst doch nichts anderes, als dass hier die Verantwortung für das, was Electronic Arts mit ihren Spielen in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen anrichtet, auf die Eltern abgeschoben wird. Sie sollen also diejenigen sein, die das, was der «Krieg in den Köpfen» ihrer Kinder anrichtet, wieder «heil machen». Besonders die oft selbst gestress­ten Mütter sollen wieder mal die Trümmerfrauen sein.

Eine Kollegin hat gegen diese Art der Kooperation zwischen der FH Köln und einem der weltweit grössten Anbieter von digitalen Gewaltspielen, Electronic Arts, protestiert. In einem Protestbrief an den Rektor und die Kollegen schreibt sie:
«Electronic Arts ist ein weltweit operierender Konzern und einer der grössten Hersteller von extrem gewaltorientierten Computerspielen, unter anderem Spiele, in denen Menschen vergast werden und bei denen die Spieler für gezielte Tötungen mit Erfolg belohnt werden. Seinen gigantischen wirtschaftlichen Erfolg erzielt Electronic Arts durch Produkte, die überwiegend inhumane und menschenrechtswidrige Strategien zur Unterhaltung anbieten. Von Electronic Arts hat bereits am 23. März 2006 hier im Hause eine grosse Werbeveranstaltung stattgefunden.
Eine Allianz zwischen einem Konzern, der seinen Erfolg aus Menschenverachtung zieht, und einer Fakultät für soziale Arbeit verbietet sich eigentlich von selbst. Diese Tatsachen fügen dem Ansehen und hier wirkenden Personen erheblichen Schaden zu. Dringend notwendig ist für unsere Fakultät ein offener, kritischer Dialog über die Inhalte, Ziele und Methoden des Instituts für Medienpädagogik.»
Diese Vorgänge an der FH Köln sind Ausdruck der neoliberalen Strategie, alle Hochschulen nach dem amerikanischen Modell total umzustrukturieren. Das erinnert mich an Aussagen von Studenten der Comell-University, USA, die mich 1999 eingeladen hatten, einen Vortrag über die Globalisierung zu halten. Sie sagten damals: «Unsere Universität ist eine Firma, die von grossen transnationalen Konzernen finanziert wird. Diese bestimmen Inhalte und Methoden der verschiedenen Fakultäten. Kritische Bücher findest du in unserer Bibliothek nicht mehr.»
Im Zusammenhang mit der Internationalen Games-Messe in Leipzig wurde am 22. August 2007 im Zweiten Deutschen Fernsehen ZDF (Frontal 21) eine Reportage über die Folgen der modernen Computerspiele ausgestrahlt. Als ein Journalist den Kollegen Fritz von der Fachhochschule Köln fragte, ob er nicht fürchte, dass die Gewalt, die durch diese Kriegsspiele gezeigt und verherrlicht wird, sich auch auf das reale Verhalten von Kindern und Jugendlichen auswirken und Jugendgewalt enorm verstärken würde, wie viele Studien belegen, antwortete Herr Fritz, es sei wissenschaftlich nicht nachgewiesen, dass ein solcher Zusammenhang bestehe. Diese Spiele seien nur so etwas wie eine Art «Gehirnjogging». In einem Interview sagte der renommierte Kriminologe, Prof. Pfeiffer, jetzt habe die Fachhochschule Köln ja wohl ihre Glaubwürdigkeit verloren, wissenschaftlich könne sie ja nun niemand mehr ernst nehmen.
Doch diese Art von «Gehirnjogging», diese Kriegsspiele in den Köpfen von Kindern und meist männlichen Jugendlichen lohnt sich für Electronic Arts und ähnliche Konzerne, zum Beispiel Microsoft, aber auch für die Fachhochschule Köln. Je gewaltförmiger die Spiele, desto schneller wächst der Umsatz von Electronic Arts, desto prominenter werden die Professoren, die solche Computerspiele propagieren und verharmlosen, indem sie ganz wertneutral und objektiv «wissenschaftlich» über die «Wirkungsweise solcher virtuellen Welten auf die Jugendlichen» forschen oder forschen lassen.
Am 23. August 2007 erschien in der «Süddeutschen Zeitung» (SZ) ein Interview mit dem Chef von Electronic Arts, Herrn Riccitiello. Dieser sagte, die bisherigen Computerspiele seien inzwischen für die Kunden zu langweilig. Der Konzern hat seinen kometenhaften Aufstieg vor allem solchen Spielen zu verdanken, in denen die Spieler nicht nur passive Zuschauer sind, sondern selbst mit der Maus ballern können, Spiele, in denen sie selbst ihre «Opfer» quälen, foltern, demütigen und vergasen können. Es sind Spiele, in denen möglichst viel Blut fliesst und wo die «Spieler» selbst ungeschoren bleiben. Der «Sieger» in solchen «Shooting Games» ist der Brutalste und Roheste. Der Umsatz von Electronic Arts hat in dem Masse zugenommen, in dem extrem gewaltförmige Kriegsspiele eingeführt worden sind. Inzwischen habe ich erfahren, dass die Software für solche «Shooting Games» aus dem amerikanischen Verteidigungsministerium stammt. Diese Zusammenarbeit zwischen Electronic Arts und dem Pentagon wird in der oben angeführten Pressemitteilung der FH zwar erwähnt, aber ohne einen Hauch von Kritik – Herr Riccitiello schwärmte in dem Interview in der SZ: «Heute stehen wir an einem Wendepunkt, und der Massenmarkt liegt vor uns. Einige unserer Titel werden künftig 15 Millionen Menschen oder mehr in verschiedenen Ländern auf verschiedenen Spielgeräten wie einer Spielkonsole, einem Handy oder einem Computer erreichen.»
Electronic Arts hat inzwischen einen Jahresumsatz von etwa 3 Milliarden Dollar (SZ). Ein Leserbrief an die SZ, in dem ich meine Kritik an diesen Kriegsspielen ausgedrückt habe, wurde nicht veröffentlicht.
Die FH Köln, vor allem das «Institut für Medienpädagogik», will offensichtlich an diesem sagenhaften Boom teilnehmen. Electronic Arts hat inzwischen seinen Hauptsitz in Deutschland nach Köln verlegt. Das Institut für Medienpädagogik der FH, besonders der Forschungsbereich «Spielraum», kann als Forschungsarm dieses Weltkonzerns angesehen werden. Unter Leitung der Professoren Jürgen Fritz und Winfried Kaminski wird an diesem Institut nicht nur die «Medienkompetenz» der Studentinnen und Studenten geschult, sondern auch, wie es sich für «ordentliche» Wissenschaftler gehört, das Pro und Contra untersucht sowie die «Wirkungsweise solcher Spiele und virtueller Welten auf Kinder und Jugendliche». In dem von diesem Institut für Medienpädagogik herausgegebenen Infoblatt vom 30. Juli 2007 ist zu lesen, dass auch die Marketingstrategien der Hersteller sogenannter Shooter-Spiele, vor allem der Ego-Shooter, im Mittelpunkt der Forschungen stehen. Hierbei wird offen gesagt, dass es ein «Zusammenwirken von Spielproduzenten, Computerspielzeitschriften und interessierten Kreisen des US-amerikanischen Militärs» gibt.

Sachverhalt durch «Wirkungsforschung» verschleiert

Am 23. August 2007 gab die Pressestelle der FH Köln die Information heraus, dass der Kompetenzbereich Computerspiele das «Cologne Game Lab (CGL)» aus der Taufe gehoben habe. Das CGL sollte im Herbst 2007 seine Arbeit aufnehmen. Das CGL bietet einen Master-Studiengang für den Erwerb von «Computerkompetenz» und die Entwicklung der Software für Computerspiele an. Professorinnen und Professoren verschiedener Fakultäten werden ihr Expertenwissen in diesen Studiengang einbringen. «In Kooperation mit Unternehmen und Organisationen soll ein intensiver Austausch mit der Industrie stattfinden», heisst es in dieser Information. Der Oberbürgermeister der Stadt Köln, Fritz Schramma, begrüsste die Gründung des CGL mit den Worten: «Mit dieser Initiative schliesst die Fachhochschule Köln eine Lücke in der Ausbildung einer Wachstumsbranche in Köln. Dies ist ein weiteres Signal für das Engagement Kölns gegenüber der Games-Branche.»
Die Forschungsinitiativen der FH Köln werden unter anderem vom Wissenschaftsministerium NRW und der Bundeszentrale für Politische Bildung unterstützt.
An der Fachhochschule Köln haben meine Studentinnen und ich 1976 das erste Autonome Frauenhaus in Deutschland gegründet. Dabei war unser Ziel nicht nur die Abschaffung der Gewalt gegen Frauen und Kinder, sondern der gesellschaftlichen Gewalt insgesamt. An dieser Fachhochschule wird nun unter «Medienpädagogik» und «Computerkompetenz» auch die Ausbildung für den «Krieg in den Köpfen» von Kindern und Jugendlichen verstanden, selbst wenn dieser Sachverhalt durch den Begriff «Wirkungsforschung» verschleiert wird. In der heutigen Situation allgemeiner Jugendarbeitslosigkeit ist leider zu erwarten, dass der neue Master-Studiengang CGL an der FH Köln eine grosse Zahl von Studierenden anziehen wird. Die Fachhochschule Köln hat nicht nur «ihren guten Ruf verloren» (Prof. Pfeiffer), sie hat vielmehr die Ziele und Aufgaben einer kritischen Aufklärung, wie sie im Grundsatzpapier der Fachhochschulen einmal stand, an globale Konzerne wie Electronic Arts verkauft, die von diesem Krieg in den Köpfen profitieren.

Elend der Universitäten?

Ich denke, die FH Köln ist kein Einzelfall in der universitären Landschaft. Inzwischen stehen die Hochschulen an der Spitze, die die meisten und die reichsten Global player als Sponsoren aufweisen können. Offensichtlich geht es längst nicht mehr um «Freiheit von Forschung und Lehre» und um humane Werte und kritisches Denken, sondern nur noch um die Komplizenschaft mit dem Kapital. Für diese Allianz werden ganze Generationen junger Menschen per Mausklick für die modernen Kriege, die virtuellen wie die realen, zugerichtet. Vor dem Hintergrund, dass solche Spiele nicht nur in Deutschland, sondern global gekauft werden, halte ich es für reinen Zynismus, wenn statt der allein am Profit orientierten Hersteller dieser Kriegsspiele Eltern oder/und Schulen aufgefordert werden, sich darum zu kümmern, dass ihre Kinder durch diesen «Krieg in den Köpfen» nicht real zu schiesswütigen Amokläufern werden.

Wie soll der Krieg aus den Köpfen wieder herauskommen?

Nach Durchsicht einiger einschlägiger Publikationen zu dem Thema Jugend und Gewalt habe ich als Soziologin festgestellt, dass die zunehmende Gewaltbereitschaft von meist männlichen Jugendlichen hauptsächlich als psychologisches, genetisches oder medizinisches Problem angesehen wird. Oder es wird der mangelhaften frühkindlichen Sozialisation, sprich: den Müttern, in die Schuhe geschoben. Es gibt kaum Forschungen über die allgemeinen politökonomischen und gesellschaftlichen Ursachen dieser Gewalt, zum Beispiel über die zunehmende Brutalisierung unserer Gesellschaften. Cynthia Enloe (USA) hat diese Brutalisierung «Ramboisierung» genannt. Ohne diese Ramboisierung, die vor allem durch die modernen Medien gefördert wurde, wäre es nach dem Vietnam-Krieg in den USA kaum möglich gewesen, junge Männer wieder für die «neuen Kriege» zu begeistern, die uns inzwischen schon als «normal» verkauft werden, besonders nach dem 11. September 2001.
Wer etwas gegen diesen Krieg in den Köpfen, gegen diese Verwahrlosung von männlichen Jugendlichen und Kindern tun will, muss zunächst diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die lediglich ein eindeutig ökonomisches Interesse am «Wachstum» (Riccitiello) dieser Branche haben. Das ist die Kriegsindustrie genauso wie die «Games-Industrie.»
 Es ist höchste Zeit, dass vor allem die Verharmlosung dieser Gewaltspiele durch die Wissenschaft aufhört. Diese Kriegsspiele müssen verboten werden, für Erwachsene wie für Jugendliche.

Dieser hier im Auszug wiedergegebene Text wird in überarbeiteter Form im Frühjahr 2008 in dem Sammelband «Das Elend der Universitäten» (Hrsg. Volker Eick u.a.) erscheinen.