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Verschwiegene Eliten

Die Bilderberger trafen sich dieses Jahr in Versailles, um hinter streng bewachten Türen über die Geschicke der Welt zu diskutieren.

Von Pepe Escobar

Es könnte lehrreich sein zu erfahren, was der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der "Prinz der Dunkelheit", Richard Perle, letztes Wochenende gemacht haben. Vom 15. bis zum 18. Mai 2003 waren sie Gäste des Trianon Palace Hotel, in der Nähe des Schlosses von Versailles bei Paris, um am jährlichen Treffen des Bilderberg Clubs teilzunehmen.

Je nach ideologischer Sichtweise könnte man den Bilderberg Club bezeichnen als eine Ultra-VIP-Gruppe internationaler Lobbyisten der Machtelite Europas und Amerikas, fähig, internationaler Politik hinter geschlossenen Türen zu steuern; als ein harmlose "Diskussionsgruppe" von Politikern, Akademikern und Industriemagnaten; oder als eine geheime kapitalistische Gesellschaft, die nur im eigenen Interesse handelt und die Weltherrschaft anstrebt.

Der Bilderberg Club wird von vielen Mitgliedern der Finanz- und Unternehmereliten als das Oberhaus der Hohepriester des Kapitalismus angesehen. Man kann keine Mitgliedschaft bei so einem Club beantragen. Jedes Jahr erstellt ein mysteriöser "Lenkungsausschuß" eine Einladungsliste mit höchstens 100 Namen. Der Ort ihrer jährlichen Treffen ist nicht direkt geheim: sie haben ein Hauptbüro in Leiden, in den Niederlanden. Aber die Treffen selbst unterliegen der größten Geheimhaltung. Teilnehmer und Gäste enthüllen nur selten, daß sie anwesend sind. Ihre Geheimhaltung wird vom militärischen Geheimdienst sichergestellt. Aber was macht diese geheime Gruppe wirklich? Nun, sie reden. Sie machen Lobbyarbeit. Sie versuchen, ihren bereits riesigen politischen Einfluß noch weiter zu vergrößern, auf beiden Seiten des Atlantiks. Und jeder verpflichtet sich zu absoluter Verschwiegenheit über die Gespräche.

Bilderberg vermischt Bankiers, Verteidigungsexperten, Pressezaren, Minister, Premierminister, Aristokraten, internationale Financiers und politische Führer aus Europa und Amerika. Gäste waren dieses Jahr, neben Rumsfeld und Perle (US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz ist ebenfalls ein Mitglied), der Bankier David Rockefeller wie auch diverse Mitglieder der Rockefeller-Familie, Henry Kissinger, Königin Beatrix der Niederlande, Königin Sofia und König Juan Carlos von Spanien und hohe Beamte mehrerer Regierungen. Bilderberg lädt weder Asiaten, Bewohner des Mittleren Ostens, Lateinamerikaner noch Afrikaner ein oder akzeptiert sie.

Einige der führenden Financiers der Welt als auch außenpolitischer Strategen nehmen an Bilderberg teil, ihrer Ansicht nach, um einen gedachten Konsens aufzupolieren und zu verstärken: eine Illusion, daß Globalisierung, nach ihren Regeln - was gut für Banken und große Unternehmen ist, ist auch gut für alle anderen - definiert, unvermeidlich und das Beste für die Menschheit ist. Wenn sie einen geheimen Plan haben, dann ist es die Tatsache, daß ihre unglaubliche Konzentration von Wohlstand und Macht komplett von ihrer Erklärung für ihre Gäste losgelöst ist, wie Globalisierung 6,2 Milliarden Menschen zugute kommt. Eine der früheren Gäste des Clubs wurden später wichtige Figuren. Bill Clinton wurde 1991 und Tony Blair in 1993 eingeladen und von Bilderberg ordnungsgemäß "genehmigt" bevor sie ihre Ämter antraten.

Es gibt unzählige dunkle, immer noch ungeklärte Verbindungen zwischen dem frühen Bilderberg Club und den Nazis, via Prinz Bernhard der Niederlande, dem Vater von Königin Beatrix, der den Club 1954 gegründet hat (der Name stammt von einem holländischem Hotel), um "das Verständnis zwischen Europa und Amerika zu verbessern". Bernhard war Mitglied von Adolf Hitlers SS. Eines der Gründungsmitglieder Bilderbergs ist Otto Wolff von Amerongen, der aktiv die Geschäftsbeziehungen Deutschlands mit dem Sowjetblock verbessert hat und in 26 Vorständen, darunter der Deutschen Bank, gearbeitet hat. Wenige Menschen kennen ihn, und das vielleicht aus gutem Grund: er wird mit dem Raub der Nazis von jüdischen Gesellschaften vor und während des 2. Weltkriegs in Verbindung gebracht.

Rumsfeld ist ein aktiver Bilderberger. Ebenso wie General Peter Sutherland aus Irland, ein früherer Kommissar der Europäischen Union und Vorstandsmitglied von Goldman Sachs und BP. Rumsfeld und Sachs arbeiteten im Jahr 2000 zusammen im Vorstand des Schweizer Energieunternehmens ABB. Und ABB hat zufällig zwei Leichtwasserreaktoren an Nordkorea verkauft. Zu der Zeit, natürlich, war Nordkorea nicht aktives Mitglied der "Achse des Bösen".

Dieses Jahr ging das Treffen in Versailles am 19. Mai angenehm in das G8-Treffen der Finanzminister in Paris, eine 20-minütige Autofahrt von Versailles aus, über. Der Prozedur hat Tradition: was bei Bilderberg passiert ist üblicherweise eine Vorschau auf das, was später beim vollen G8-Treffen, das dieses Jahr vom 1. bis zum 3. Juni in Evian-les-Bains in den französischen Alpen abgehalten wird, besprochen wird.

Am ersten Tag des Treffens gab der französische Präsident Jacques Chirac eine Willkommensrede, in der er versuchte, die starken Spannungen zwischen den Gästen wegen des Irakkriegs zu mildern, indem er betonte, daß die USA und Westeuropa seit langer Zeit Alliierte sind. Aber Chiracs Ansprache war vermutlich nicht ausreichend, um die Falken in der US-Regierung, die wegen des "pazifistischen" Frankreichs immer noch verstimmt sind, zu beruhigen.

Ein einflußreicher europäischer Bankier enthüllte, daß die herrschende Elite in Europa ihren Lakaien jetzt sagt, daß der Westen am Rande der finanziellen Kernschmelze steht; der einzige Weg, ihre kostbaren Investitionen zu sichern ist also, auf die neue globale Krise im Mittleren Osten zu setzen, die der Nachfolger der Krise des Kalten Kriegs ist.

Einer Quelle in einer Londoner Bank, die eine Verbindung mit Versaille hat, zufolge konnten die amerikanischen und die europäischen Bilderberger ihren Bruch über die amerikanische Invasion und die Besetzung des Irak, wie auch über den harten Kurs des israelischen Premierministers Ariel Sharon gegenüber den Palästinensern nicht heilen. Während die Bilderberger diskutierten lehnte Sharon Bushs Fahrplan für den Mittleren Osten, der von den anderen Mitgliedern des so genannten Quartetts, den USA, der EU und Rußland, schon gutgeheißen worden war, rundweg ab. Dieser Fahrplan ist offensichtlich abgelaufen; selbst die Anwesenheit von US-Außenminister Colin Powell - der einen Zwischenstop in Versailles machte um die Bilderberger zu informieren - reichte nicht aus, um Sharon davon zu überzeugen, den Abbau israelischer Siedlungen auf palästinensischem Gebiet auch nur zu diskutieren.

Amerikanische imperiale Abenteuer werden üblicherweise auf Bilderbergtreffen geprobt. Europas Elite stand einer amerikanischen Invasion des Irak seit des Bilderberg Treffens 2002 in Chantilly, Virginia, ablehnend gegenüber. Rumsfeld selbst hatte ihnen versprochen, daß es nicht passieren würde. Letzte Woche schlugen alle auf Rumsfeld ein und fragten nach den verrufenen "Massenvernichtungswaffen". Die meisten der europäischen Elite glauben dem amerikanischen Versprechen nicht, daß das irakische Öl "dem irakischen Volk zugute kommen" wird. Sie wissen, daß Erträge aus dem irakischen Öl verwendet werden, um wiederaufzubauen, was Amerika zerbombte. Und die Diskussion dauert an, welche Art Verträge, die Bechtel und Halliburton belohnten, Westeurope "zugute" kommen wird.

Europas Elite ist, laut denen, die Bilderberg nahestehen, mißtrauisch, daß die USA keine stabile rechtmäßige Zentralregierung im Irak brauchen oder sogar wollen. Wenn das passiert wird es keinen Grund mehr für die USA geben, in dem Land zu bleiben. Europas Elite sieht, wie die USA "am Boden Fakten schaffen": Einrichtung einer langfristigen Militärpräsenz und Wiederankurbelung der Ölproduktion unter amerikanischer Kontrolle. Das könnte jahrelang so weitergehen, so lange, wie die Amerikaner ausreichend wichtige Dienste bereitstellen können, um die Iraker davon abzuhalten, sich in einen nationalen Befreiungskampf zu stürzen.

Es war auch extrem schwierig auf dem Treffen einen Konsens über die Notwendigkeit einer von der NATO unabhängigen europäischen Armee zu finden. Das amerikanische Establishment ist natürliche gegen eine Armee der EU. Aber das sind auch einige Europäer, beginnend mit dem Armeegegner Lord Robertson, dem Generalsekretär der NATO. Europas Elite hält die US-Dominierung der NATO nicht länger aus. Einige Europäer schlagen eine eigene Truppe, aber unter Kontrolle der NATO, vor. Amerikaner argumentieren, daß eine eigene EU-Truppe die Rolle der NATO als die Armee der UN schwächen würde. Und die Amerikaner bestehen darauf, daß die NATO nicht mehr nur an die Verteidigung Europas gebunden ist; die Truppen können jetzt überall auf der Welt eingesetzt werden, mit oder ohne Auftrag des UN-Sicherheitsrats. Der tote Punkt bleibt.

Alle diese entscheidenden Entwicklungen wurden hinter geschlossenen Türen besprochen. Das Trianon Palace Hotel in Versailles war für die Öffentlichkeit geschlossen und alle Nicht-Bilderberg-Gäste mußten auschecken. Aushilfskräfte wurden nach Hause geschickt. Denjenigen, die blieben, wurde gesagt, daß sie gefeuert würden wenn sie dabei erwischt würden, irgendetwas über das Treffen zu verraten. Sie durften mit keinem Bilderberger sprechen bevor dieser sie nicht ansprach. Sie durften niemand in die Augen sehen. Bewaffnete Wachen riegelten das Hotel komplett ab. Einige Mitglieder der amerikanischen Presse waren anwesend - aber die Öffentlichkeit wird nie davon erfahren: Bilderberg-Nachrichten werden nicht gedruckt oder gesendet. Keine Journalisten von durch multinationalen Bilderberg-Tycoons wie Rupert Murdoch kontrollierten Medien waren oder werden je darüber berichten dürfen. Selbst wenn sie es irgendwie schaffen sollten, in die Party hineinzuplatzen. There's no business like (private) elite business.

Lesen Sie weitere Informationen über die Bilderberger in unserer 
ZeitenSchrift-Druckausgabe Nr. 14.