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Vor dem Dammbruch?

Genmanipulation bedroht Europas konventionelle Landwirtschaft. Noch hält das britische Moratorium.

Von Klaus Schramm Am 25. März lehnte der Umweltminister von Wales, Carwyn Jones, einen Antrag auf Zulassung der genmanipulierten Maissorte "Chardon LL" ab. Da Wales ein Vetorecht bei der Genehmigung neuer Sorten besitzt, wird dadurch der Anbau von Genmais in ganz Großbritannien blockiert. Und damit bleibt - vorläufig - das Genmoratorium in Großbritannien bestehen. Seit Premierminister Antony Blair im Oktober 2003 das britische Genmoratorium vergeblich zu kippen versuchte, gab es einiges Hin und Her: Nach den spektakulären Ergebnissen einer von der britischen Regierung an die Royal Society vergebenen Studie, die immerhin 8,6 Millionen Euro teuer war, wurde das Genmoratorium im Vereinigten Königreich zunächst auf unbestimmte Zeit verlängert. Der Koordinator der Studie, Les Firbank, hatte gegenüber BBC erklärte, daß angesichts der gewonnene Erkenntnisse aus der Untersuchung das Genmoratorium erhalten bleiben solle. Da jedoch die Ergebnisse der Studie im Fall von genmanipuliertem Mais nicht so eindeutig negativ wie bei Genraps und gentechnisch veränderten Zuckerrüben ausgefallen waren, versuchte Blair, das gesamte Moratorium durch die einseitige Zulassung von gentechnisch verändertem Mais zu sprengen. "Chardon LL", eine Genmaissorte des deutschen Bayer-Konzerns, sollte auf britischen Feldern sprießen dürfen. Dies verhinderte zunächst Anfang März der Umweltausschuß des britischen Parlaments. Doch nur vorübergehend: Blairs Kabinett setzte sich darüber hinweg und erteilte die Genehmigung. Diesmal jedoch hatte Blair die Rechnung ohne Wales gemacht, das nunmehr die Notbremse zog. Der Ausgang dieser für die gesamte Natur Europas entscheidenden Auseinandersetzung bleibt also weiterhin offen. Britanniens Regierungschef ist bekannt für seine Zähigkeit, die er im Falle der Kelly-Affäre und bei der Aufdeckung der Irak-Kriegslügen beeindruckend unter Beweis gestellt hat. "Nach und nach werden immer mehr Risiken von ›Chardon LL‹ bekannt", berichtet Brian John von der Waliser Umweltorganisation GM Free Cymru. "Die Wissenschaftler, die die Zulassung von ›Chardon LL‹ vorangetrieben haben, kann man nur als korrumpiert bezeichnen." Nach Angaben der Organisation folgt allerdings aus dem Veto der Waliser, daß der Anbau von Genmais mindestens bis zum Oktober 2006 verboten bleibt. Die Entscheidung wird von Beobachtern als Schuß vor den Bug der Regierung gewertet. Blairs Kabinett sei uneingeschränkt den Wünschen der Gentechlobby gefolgt, als es die Zulassung von "Chardon LL" gegen das Votum des Umweltausschusses erteilte, kritisierten Gegner der Gentechnik. Bereits im Februar lehnte die belgische Regierung die Zulassung von genmanipuliertem Raps von Bayer ab. Die Entscheidungen in Wales und Belgien setzen auch die deutsche "grüne" Ministerin Renate Künast unter Zugzwang. Ihr liegen mehrere Anträge von Bayer auf Anbau genmanipulierter Pflanzen vor. Nach Ansicht von Umweltverbänden schützt der vorliegende deutsche Gesetzentwurf von Künast die Produkte der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft nicht ausreichend vor Verunreinigungen durch Genpflanzen. Tritt aber das deutsche Gentechnikgesetz, das zur Zeit im Bundesrat behandelt und von den Ländervertetern weiter verwässert wird, in Kraft, werden die vorliegenden Anträge von Künast positiv beschieden. "Koexistenz" wird dann nur auf dem Papier existieren, da längst bewiesen ist, daß ein Nebeneinander zwischen gentechnischer Landwirtschaft und konventionellen Anbaumethoden weder in den USA noch in Kanada möglich war. Gerade im Falle der kleinräumigen europäischen Landwirtschaft ist Koexistenz nicht realisierbar. Pollenflug und Auskreuzungen lassen sich auch mit noch so strengen gesetzlichen Auflagen nicht verhindern. Über Entschädigungen wegen Kontamination durch gentechnisch veränderte Pflanzensorten wird erfahrungsgemäß jahrelang vor den Gerichten gestritten werden, denn die Konzerne verfügen über Heerscharen von Hausjuristen. Bevor die ersten Gelder fließen würden, hätten konventionelle und Biolandwirte längst ihre finanziellen Reserven aufgebraucht. Entscheidend dafür, ob es zum gentechnischen GAU in Europa kommt, wird also auch sein, ob in Deutschland eine breiten Front für den Erhalt des Genmoratoriums aufgebaut werden kann. Voraussetzung wäre allerdings, daß die großen deutschen Umweltverbände ihre Illusionen in Hinblick auf ein sicheres Gentechnik-Gesetz endlich über Bord werfen. Quelle: www.jungewelt.de. 6.4. 2004 Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer News-Seite