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Wann ist "Araber" zum Schimpfwort verkommen?

Warum die Palästinenserin Hanan Ashrawi den ‚Friedenspreis 2003 von Sidney' nicht erhalten darf und wie der verstorbene palästinensische Intellektuelle Edward Said verunglimpft wird.

von Robert Fisk "Palästinenser" - ist das inzwischen nur noch ein obszöner Begriff? Beziehungsweise "Araber"? Fangen wir mit dem verstorbenen Edward Said an - ein brillanter, ein leidenschaftlicher palästinensisch-amerikanischer Intellektueller. Neben vielen andern Büchern verfasste Said eines mit dem Titel 'Orientalismus', ein bahnbrechendes Werk; zum erstenmal wird hier unserer westlich-imperialen Fantasie bezüglich Naher/Mittlerer Osten nachgespürt. Nach seinem Leukämietod im letzten Monat wurde Said in der New York Daily News von Zev Chafets mit den Worten geschmäht: "Als Anglikaner gebühren ihm nicht die üblichen 72 Jungfrauen, aber mich würde es nicht wundern, falls er (stattdessen) mit einigen Doktorandinnen beehrt würde". Für Chafets, der (laut 'Post') 33 Jahre in Jerusalem "in Politik, Regierung und Journalismus" tätig war, "beruht" der Orientalismus "auf einer simplen These: Westler seien von Geburt an außerstande, die arabische Welt gerecht zu beurteilen, ja sogar, sie zu begreifen". Said habe zwar "nicht die Marines im Libanon 1983 in die Luft gejagt... er hat bestimmt kein Flugzeug ins World Trade Center geflogen. Aber was er tat, er setzte das intellektuelle Radar Amerikas außer Gefecht". Als ich diesen giftigen Nachruf las, fiel mir ein, ich hatte den Namen Chafets schon irgendwo gehört. Also wandte ich mich meinen Akten zu - und da sprang er mir entgegen: 1982, Direktor des Pressebüros der israelischen Regierung in Jerusalem. Damals hatte Chafets gerade ein Buch veröffentlicht, in dem er fälschlicherweise behauptete, westliche Journalisten - darunter auch ich - seien in Beirut von Palästinenserbanden "terrorisiert" worden. Chafets verstieg sich zu der Behauptung, mein alter Freund Sean Toolan, ermordet von einem eifersüchtigen Ehemann, mit dessen Frau er eine Affäre hatte, sei von Palästinensern getötet worden - denen eine amerikanische TV-Sendung zum Thema PLO missfallen habe. Ich begriff. Auf einem toten Gelehrten darf man herumtrampeln, falls er Palästinenser ist. Und auf einem toten Journalisten darf man herumtrampeln, falls man behauptet, er sei von Palästinensern ermordet worden. Diese kranken Fantasien haben inzwischen auch Australien erreicht, wo vorgebliche Freunde Israels sich massiv ins Zug legen, um zu verhindern, dass der '2003 Sydney Peace Prize' ausgerechnet an die palästinensische Gelehrte Hanan Ashrawi geht. Die Verleihung soll diese Woche stattfinden. Ein jüdischer Autor aus Sydney verteidigte Ashrawi mutig - nicht zuletzt, weil die Israel-Lobby vor Ort allem Anschein nach absichtlich falsch aus einem Interview Ashrawis, das ich geführt hatte, zitiert hatte. Man drehte ihr das Wort im Mund um, suggerierte, Ashrawi sei eine Befürworterin von Selbstmordanschlägen. Aber Frau Ashrawi ist keineswegs für diese verruchten Anschläge. Furchtlos hat sie sich dagegen ausgesprochen. Inzwischen hat die Universität von Sydney ihr Angebot, die 'Große Halle' für die Verleihung des Friedenspreises zur Verfügung zu stellen, zurückgezogen. Und Sydneys Bürgermeisterin Lucy Turnbull sorgte dafür, dass die Stadt Sydney, immerhin Sponserin des Preises, sich von der Verleihung distanziert. Nur um zu beweisen, was hinter all dem steckt - abgesehen davon, dass Turnbulls Mann Malcolm einen Sitz im Parlament begehrt -, bitte ich Sie, sich folgenden Dialog zwischen Kathryn Greiner, ehemalige Vorsitzende der Sydneyer Friedensstiftung und Stiftungsleiter Prof. Stuart Rees anzusehen: K.G.: Ich muss logisch reden: Entweder Hanan Ashrawi oder die Friedensstiftung. Das ist unsere Wahl, Stuart. Mein dezidierter Eindruck, sollten Sie weiter darauf beharren, sie hier zu haben, werden die (!) Sie zerstören. Rob Thomas von 'City Group' ist in Schwierigkeiten, weil er uns unterstützt. Und Sie kennen Danny Gilbert (australischer Anwalt), er wurde bereits gewarnt. S.R.: Sie machen Witze. Wir haben doch schon hundertmal darüber gesprochen. Wir haben uns umfassend beraten lassen. Wir waren uns doch einig, die vor über einem Jahr getroffene Jury-Entscheidung sei nicht nur einhellig sondern wir würden sie auch mittragen, gemeinsam. K.G.: Aber Sie verschließen sich der Logik. Die Commonwealth Bank... massive Kritik. Wir könnten sie nicht um finanzielle Hilfe für den 'Friedenspreis der Schulen' angehen. Wir würden von ihnen keine Unterstützung erhalten. Die Geschäftswelt wird sich geschlossen zeigen. Sie sagen, wir seien einseitig eingestellt, wir hätten nur Palästina unterstützt. Und so weiter. Bislang bleibt Prof. Rees standhaft - bislang, ebenso der australische Journalist Antony Loewenstein in ‚Zmag Magazin'. Ashrawi, so Loewenstein, "musste fast zeitlebens Hasskampagnen, die auf Verleumdung und Lügen basierten, über sich ergehen lassen - von jenen, die die palästinensische Geschichte zum verstummen bringen wollen..." Wie lange soll das noch so weitergehen? Mark Steyn, habe ich gesehen, bezeichnet Ashrawi als eine "alternde(!), ausgewiesene Terrorverteidigerin" - und das ausgerechnet in 'The Irish Times'. Aber es kommt noch schlimmer. In einer Aussage vor dem US-Kongress denunziert Dr. Stanley Kurz Edward Saids Werk. Dr. Kurz behauptet, die "Theorie eines Postkolonialismus", in Kreisen der Akademiker, habe Professoren hervorgebracht, die sich weigern, Studenten, die sich für einen Eintritt ins Außenministerium oder in einen der US-Geheimdienste interessieren, darin zu bestärken und entsprechend auszubilden. Als Folge schlägt der Kongress nun vor, ein "Aufsichtsgremium" einzurichten - dem ausgewählte Mitglieder der Homeland Security, des Verteidigungsministeriums und der US-NSA (Nationale Sicherheitsbehörde) angehören. Sie sollen die Finanzmittel der Universitäten im Fachbereich 'Studien des Nahen/Mittleren Ostens' davon abhängig machen, dass die "Studenten für Karrieren in Behörden der nationalen Sicherheit, der Verteidigung und des Geheimdiensts ausgebildet werden..." Prof. Michael Bednar vom Fachbereich 'Geschichte' der University of Texas in Austin: "Die Möglichkeit, dass jemand von der Homeland Security College-Professoren instruiert... über angemessene, patriotische und 'amerikafreundliche' Lehrbücher im Unterricht, jagt mir Angst ein und macht mich ausgesprochen wütend". Heißt das, adieu, Lebenswerk Edward Said? Adieu, Friedenspreise für Hanan Ashrawi? Im Grunde, adieu, Palästinenser? In dem Fall wäre unser Radar wirklich außer Gefecht gesetzt. Buchautor Robert Fisk ist als Reporter für die britische Zeitung ‚The Independent' tätig. Quelle: ZNet 06.11.2003 Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer News-Seite