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Was wir Kinderärzte nicht wissen!

Leserbrief eines Kinderarztes zum Thema "Impfen", Süddeutsche Zeitung vom 2./3. Oktober 2004.

Wenn es mit den Impfungen doch nur so einfach wäre, wie es auf dem SZ-Forum schien... und wenn wir auf die Fragen kritischer Eltern wirklich immer sichere und eindeutige und dann auch noch beruhigende Antworten zu geben wüssten.

Wie ist das denn mit der Sicherheit und der Verträglichkeit der Impfstoffe? Wir wissen es nicht wirklich, erfassen wir doch in Deutschland unerwünschte Nebenwirkungen von Impfungen erst seit gut 3 (!) Jahren systematisch (und die erhobenen Zahlen sind nicht veröffentlicht...).

Wie ist das mit den Todesfällen nach der 6-fach-Impfung? Wir wissen es nicht - denn die Zulassungsstudien zur Verträglichkeit dieser Impfstoffe sind nicht vollständig veröffentlicht und die angesichts der 5 Todesfälle innerhalb von 24 Stunden nach der Impfung initiierten Nachuntersuchungen der Europäischen Arzneimittelbehörden sind bislang leider auch "streng vertraulich"....

Wie ist das mit Impfungen und Allergien? Wir wissen es nicht, denn die Studienergebnisse sind hier widersprüchlich (und es gibt sehr wohl wissenschaftliche Untersuchungen, die einen Zusammenhang herstellen!).

Sind denn die Windpocken wirklich so gefährlich, wie man jetzt überall liest? Wir wissen es nicht, wurde doch die der aktuellen Impfempfehlung zu Grunde liegende Untersuchung vom Impfstoffhersteller selbst(!) finanziert und erfüllt in keiner Weise die heute üblichen wissenschaftlichen Anforderungen an Studien - ältere, weitgehend pharmaindustrie-unabhängige Untersuchungen der deutschen Kinderärzte von 1997 kommen zu wesentlich weniger dramatischen Ergebnissen...

Schützt denn die Grippeimpfung sicher vor Grippe? Wir wissen es nicht, denn niemand kann vorhersagen, ob der diesjährige Grippevirus wirklich so aussehen wird, wie wir vermuten (und darauf hin den Impfstoff zusammenstellen) - im letzten Jahr war der dann für die Grippewelle verantwortliche Virus im entsprechenden Impfstoff schlicht nicht enthalten.

Wie sicher schützen Impfungen denn überhaupt vor Erkrankungen? Wir wissen es in vielen Fällen nicht genau, haben wir doch lernen müssen, dass wir mit Impfungen zwar einzelne Erreger zurückdrängen können (z. B. HiB), dass die Häufigkeit der eigentlichen Erkrankung (Hirnhautentzündung) durch diese Erfolge jedoch kaum zurückgegangen ist - lediglich sehen wir hier jetzt häufiger andere Bakterien oder Viren als Schuldige...

Sind denn geimpfte Kinder wirklich die gesünderen? Auch das wissen wir leider nicht - Untersuchungen über die gesundheitlichen Langzeitfolgen von Impfungen und Impfprogrammen fehlen bis heute fast vollständig und die wenigen Daten, die es hierzu gibt kommen zu eher beunruhigenden Ergebnissen (wie die des Dänen Aaby im Jahr 2001).

Diese Reihe drängender und berechtigter Fragen ließe sich genauso fortsetzen, wie die der differenzierten und ob des Einräumens fehlender Sicherheit oft wenig befriedigenden Antworten. Es wird deutlich, dass das Ausmaß dessen, was wir zu diesem heiklen Thema nicht wissen, unsere begrenzte Erkenntnis bei weitem übersteigt. Vorbeugende Maßnahmen wie Impfungen bedürfen in der Medizin jedoch immer einer besonders kritischen Betrachtung, da sie - anders als solche zur Behandlung eines kranken Menschen - ja am Gesunden durchgeführt werden, also ohne die Rechtfertigung durch bestehendes Leiden. Dies gilt im Besonderen für Schutzimpfungen, da bei diesen auch schwerwiegende Nebenwirkungen immer wieder beschrieben sind.

In dieser Situation muss jede Impfentscheidung vor dem Hintergrund umfassender Information kritisch, differenziert und individuell getroffen werden. Eine in der Praxis zunehmend zu beobachtende Interpretation der STIKO-Empfehlung als "Pflicht-Impfprogramm" scheint kaum zu rechtfertigen zu sein.

Dr. med. Steffen Rabe
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, München