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Zwischen Herd und Maulbeerbaum

Realität und Mythos der neuen Familienfrau - lassen Sie mich mit einem Zitat von Virgina Woolf einleiten. Sie umschrieb das Dilemma, in dem sich eine Frau und Mutter von heute befindet folgendermaßen:

"Wir ... finden uns zwischen dem Teufel und dem tiefen Meer. Hinter uns liegt das System des Patriarchats; das private Heim mit seiner Nichtigkeit, seiner Unmoral, seiner Heuchelei, seiner Unterwürfigkeit. Vor uns liegt die öffentliche Welt, die Professionen mit ihren Besitzansprüchen, ihrem Neid, ihrer Streitsucht, ihrer Habgier. Das eine schließt uns ein wie Sklavinnen in einem Harem. Das andere zwingt uns dazu, den Maulbeerbaum zu umrunden, den heiligen Baum des Besitzes..." Welcher Frau gehen nicht bisweilen ähnliche Gedanken durch den Kopf? Einerseits wollen wir Frau sein, Mutter, Gefährtin eines Mannes, dem wir nicht nur todmüde, abends vor dem Fernseher begegnen. Andererseits wissen wir: die moderne Lebensumwelt fordert von uns "Leistung" - Kindererziehung, Haushaltsmanagement und "Partnerschaftspflege" werden aber in "entwickelten Gesellschaften" nicht mehr wirklich als solche gewürdigt. Weder von der Öffentlichkeit, noch von den meisten Frauen selbst. Die übliche Doppel- und Dreifachbelastung samt notwendiger "Fremdbetreuung" des Nachwuchses bereits vom 2. Lebensjahr an - früher nannte man diesen Zustand Hospitalismus, weil er die Kinder eindeutig krank macht -, wird uns als Lebensphilosophie der modernen "Powerfrau" bei jeder Gelegenheit schmackhaft gemacht. Stichwort: Emanzipation. Länger am Herd zu verweilen, gilt geradezu als Schande - mit einem Beigeschmack von Faulheit. (Versuchen Sie einmal einer "Karrierefrau" gegenüber zuzugeben, dass Sie ein Leben "zu Hause" befriedigend finden...) Blenden wir in eine andere Szene, Schulalltag. Immer mehr Lehrer stellen fest, dass viele Schüler der 5. Schulstufe nicht in der Lage sind, die einfachsten Lernaufgaben zu erfüllen. Es fehlt ihnen oft jegliche Motivation, sowie die grundlegendsten sozialen Kompetenzen: partnerschaftliches Denken, Fleiß, Teamfähigkeit. Vielen geht auch schlicht jedes Gefühl für Respekt und Benehmen ab. Ich spreche hier als Mutter, die das täglich beobachten kann. Ich habe unzählige Gespräche mit Eltern und Lehrern über dieses Problem geführt. Natürlich mag sich keiner wirklich die Schuld an der Misere geben, denn was soll man machen? Mütter und Väter müssen heute gleichermaßen "den Maulbeerbaum umrunden" - ohne kräftige Maulbeerernte kein Traumhaus, kein teurer Urlaub, kein Zweitauto, keine Markenklamotten - und die "kids" wollen das doch schließlich. Wollen sie wirklich? Könnte es nicht eher sein, dass sie nur dem Weg folgen, den wir ihnen ganz bewusst ebnen? Materieller Verzicht ist für die meisten Sprösslinge heute ein Fremdwort, aber gilt das nicht ebenso für deren Eltern? Da bleibt kaum Zeit für Gespräche, und meist auch wenig Ruhe für Liebe und Zuwendung. Hier liegt der wahre Verzicht an Lebensqualität. Tragisch ist die Situation natürlich für Alleinerzieher und in Familien, die auf ein Zweiteinkommen angewiesen sind, weil es finanziell hinten und vorne nicht reicht. Was früher vor allem Aufgabe einer Mutter und "Familienfrau" war, übernehmen heute "qualifizierte Betreuungseinrichtungen". Und auch von Lehrern erwartet man ganz selbstverständlich, dass sie Erziehungsarbeit leisten, die längst Sache der Eltern gewesen wäre. Ehen, die "keinen Spaß mehr machen", werden viel zu leichtfertig geschieden und enorme Energien in den Streit um Sorgerechte investiert. An die Gefühle der Hauptbetroffenen, der "Scheidungswaisen" , denkt man zuletzt. Unsere Kinder geraten zu "Lifestyle-Produkten", zeitlich präzise geplant, entsprechend "betreut" und mit 18 Jahren in eine zweifelhafte Selbständigkeit entlassen. In ein Leben, das ihnen oft mehr Angst macht, als sie zugeben, weil sie echte Nestwärme nie erfahren haben. Das bekannte "Nesthockersyndrom" drückt diese Ängste ebenfalls deutlich aus. Wer's nicht glaubt, möge sich die aktuelle Statistik über seelische Erkrankungen junger Menschen anschauen. Zum Dank dafür schieben uns die vielbeschäftigten Nachfahren später in Altenghettos ab, zu deren Finanzierung wir ebenfalls den Maulbeerbaum zu umrunden haben. Denn Hausgemeinschaften mit "Familienfrauen", wo es für alte Menschen noch Aufgabe und Pflege bis zum Tod gab - etwas wovon Kinder enorm profitieren können -, verschwinden. Immerhin hat man an die Einführung einer Sterbekarenz gedacht. Jedoch für höchstens sechs Monate, dann sollte man plangemäß gestorben sein. Viel mehr ist uns die Familie - die hochgerühmte "Keimzelle des Staates" nicht mehr wert. Die Leistungsgesellschaft braucht uns Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Nicht weil eine soziale Grundsicherung bzw. "Hausfrauenpension" für reiche Staaten der ersten Welt nicht leistbar wäre, oder wir Frauen uns alle um die außerhäusliche "Selbstverwirklichung" reißen würden, sondern als unabdingbare Forderung des konsumorientierten Wirtschaftswachstums, das ohne "Frauenmaterial" in Zukunft nicht denkbar ist. Man muss ordentlich naiv sein, um das zu leugnen. Und was die möglichst frühe "Wiedereingliederung von Müttern in den Arbeitsprozess" betrifft, möge man mir diese Meinung bitte gestatten: Für mich ist jemand, der es wünschenswert und richtig findet, ein Kind unter sechs Jahren "als Opfer des Maulbeerbaumes" bis zu acht Stunden und länger von seiner Mutter zu trennen, entweder geistig beeinträchtigt oder selbst ein Produkt dieser Praxis und daher nicht imstande, ihre Folgen zu begreifen. Warum wohl erkennen schon Babys ihre Mütter am Geruch? Selbstverständlich sind auch die Väter als Bezugspersonen stärker gefordert, das steht außer Frage. Ich spreche hier vor allem von Wahlfreiheit. Keine Mutter sollte gezwungen werden, von wem oder was auch immer, ihr Kind länger "abzugeben" als beiden Seiten gut tut. Die Mutter ist für jedes Kind das unersetzliche "Original". Wie krank muss eine Gesellschaft sein, die ihrem Nachwuchs dieses Original nicht mehr gönnt, sondern ihn in den prägendsten Lebensjahren mit Substituten abspeisen möchte ? Wie gerissen jemand, der Studien darüber anfertigt, dass "zuviel Mutter" einem Kind ohnehin nur schadet und Frauen, die nicht schon sechs Monate nach der Geburt - stillen darf man gerade noch - wieder zwischen "Werktätigkeit", Küche und Kind navigieren, von gestern sind. - Und wie bedauernswert Frauen, die ihr innerstes Wertebarometer dieser fadenscheinigen Gehirnwäsche opfern. Um jedes Missverständnis auszuräumen: Ich vertrete keine "Rückkehr der Frauen an den Herd". Ich bin selbst akademisch gebildet, Buchautorin, aber auch Ehefrau Mutter, "Familienfrau" - und das mit Stolz. Ohne Letzteres wäre, zumindest für mich, auch das andere nur eine halbe Sache. Auch ich will alles: Ehe, Kinder und meinen Traumberuf. Gänzlich froh werde ich mit dieser Lösung aber nicht, da sie für mich und meine Familie ständigen finanziellen Verlust bedeutet. Aber ich bin überaus glücklich mit dem, was ich tue, und ich ziehe es jedem wuchernden Maulbeerbaum vor. (...) Ich wünsche mir, gerade auch für alle Mädchen, die bestmögliche Ausbildung. Dadurch werden sie als Frauen und Mütter in der Lage sein, ihr Leben selbst zu gestalten, ihre Kinder zu starken Persönlichkeiten zu erziehen und in der Partnerschaft den gesunden Ausgleich zwischen Geben und Nehmen zu finden. Gebildete, selbstbewusste Frauen lassen sich vor allem nicht dominieren, d.h. niemand wird ihnen einreden können, es sei eine Schande, Freude an einem - wenigstens zeitweiligen -Leben als hauptberufliche "Familienfrau" zu empfinden, wenn das wirklich ihr Wunsch ist. (...) Westliche Frauen sind versklavter, als ihnen lieb ist. Schon deshalb haben wir auch keinen Grund, vorschnell auf unsere Schwestern in anderen Kulturkreisen herabzublicken und sie als naiv oder rückständig zu bezeichnen. Freiheit bedeutet vor allem - so formulierte es Jean-Jacques Rousseau sehr treffend - die Freiheit, nicht tun zu müssen, was man nicht will...Können wir das von uns sagen ? Es gibt eine wunderschöne Welt abseits des Maulbeerbaums, soviel steht fest, und Familienfrauen hüten ein wichtiges Stück davon. Das sollte unsere Gesellschaft mehr Respekt und (finanzielle) Anerkennung wert sein. Quelle: Auszug aus "HERA NEWS" Ausgabe 26, HERA Landeszweigverein Steiermark, Schmiedgasse 21, A-8010 Graz, Tel/Fax: ++43/316/ 82 90 34, hera.hfugraz@telering.atZur Autorin: Dr. Gabriele Feyerer, geb. 1960 in Graz ist Juristin, Sachbuchautorin und überzeugte "Familienfrau". Ihr erstes Buch "Auf den Spuren der Angst" (Orlanda-Verlag Berlin) behandelt das Thema Panikattacken und Phobien aus ganzheitlicher Sicht. In Padma 28 und andere tibetische Kräutermittel" (Windpferd-Verlag, Aitrang) beschreibt sie eine der effektivsten und am besten erforschten Kräuterarzneien unserer Zeit. Ihr drittes Buch über Apitherapie (Bienenheilkunde) bei Frauenleiden ist im Entstehen. Lesen Sie weiter Hintergrundinformationen zum Nahostkonflikt auf unserer News-Seite.