Vom wilden Expressionisten zum 'kitschigen' Engelmaler

Hans Georg Leiendecker ist einer der bedeutendsten spirituellen Künstler der Gegenwart. Hier beschreibt er seinen Weg vom 'Saulus' zum 'Paulus', und warum er es unverantwortlich fände, seinen 'Seelenmüll' auf Leinwände zu bannen und zu verkaufen. Denn: Das Gemälde trägt die Schwingung, mit der es gemalt wurde!

ZeitenSchrift: Was war bei Ihnen zuerst da, der Wunsch malen zu wollen oder der Drang, höheren Dingen durch die Malerei Ausdruck zu verleihen?

Leiendecker: Ich wollte gar keine höheren Dinge ausdrücken (lacht). Ich war voll in der Kunstszene drin und hab’ so gemalt, wie alle malen. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass das für mich in eine Sackgasse mündet…

Haben Sie abstrakt gemalt?

Expressionistisch. Es gab damals in Köln während der 80er Jahre die ‘Neuen Wilden’, die wohnten ganz in der Nähe. Der Dozent, den ich an der Uni hatte, unterstützte diese Art der Malerei sehr. Je finsterer es war, um so besser, je kaputter, je ekelhafter, desto besser.

Ich war damals Atheist. Irgendwann erlebte ich auf geistigem Weg eine Heilung. Das war für mich der Wendepunkt. Nun wollte ich das tun, was Gott wollte. Das war alles, was ich wusste. Und plötzlich hörte ich etwas wie eine innere Stimme, die sagte: „Male Engel.“ Erst dachte ich – ‘oh, Sch... !’ Denn in der Kölner Kunstszene mit Engeln aufzukreuzen, war so etwas von absurd. Ich wusste ganz genau, was dann passieren würde, ich kannte ja die Szene… So malte ich zuerst nur für mich, im geheimen, Engel. Die ersten Engel waren ganz anders als heute, viel verfremdeter und abstrahierter, ohne Gesichter.

War es eine beglückende Erfahrung?

Es war total schön, aber ich habe mich nicht getraut, es zu zeigen,weil ich wusste, dass man mich auslachen würde. Doch ich musste mir einfach treu bleiben und weiter solche Dinge malen. Sollten sie mich doch auslachen! Mit der Zeit bekam ich dann immer meh rMut.

Hat irgend jemand Ihre Bilder ausstellen wollen?

Nee, die einzige Galerie,die wirklich meine Bilder ausgestellt hat, ist hier in Zürich. Ich habe eine Ausstellung an der Uni gemacht, die der Lacher war. Ich blamierte mich bis auf die Knochen und mein Professor sagte persönlich zu mir: ‘Das ist doch Scheiße, was du da machst, aber man sieht, es ist ehrlich, und deswegen unterstütze ich dich.’

Hans Georg Leiendecker vor einem seiner Christus-Bilder, die ihn in der spirituellen Kunstszene berühmt machten.

Es ging damals darum, ob ich weiter studieren konnte. Vor der Kommission der Zwischenprüfung konnte ich nur meine Engel präsentieren – ich hatte nichts anderes gemalt. Alle diese Professoren guckten sich meine Bilder an und fingen an zu grinsen.

Da schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel: ‘Lieber Gott, du hast mir das hier eingebrockt, jetzt hilf mir auch ’raus!’ – Gleich darauf schoss so eine Energie durch meinen Körper, und ich fing an zu reden und zu erklären – und auf einmal nickten alle von der Kommission – und ich hatte bestanden. Alles ging ganz schnell!

Dann erlebte ich verschiedentlich, dass Leute Heilungen durch meine Bilder erfuhren, und das machte mir Mut. Eine Heilpraktikerin zum Beispiel stand vor einem meiner Bilder und hatte das Gefühl, dass sie praktisch in das Bild hinein gesogen wurde. Es fühlte sich an, als ob jemand im Bild drin war,der ihr ihre Lebensaufgabe zeigte. Sie war einige Minuten wie abwesend, bevor sie wieder zurück in ihren Körper kam. Als sie nach Hause ging, stellte sie erstaunt fest, dass sie keine Rückenschmerzen mehr hatte. Daraufhin gab sie ihren Patienten Karten von meinen Bildern und Affirmationen dazu. Die eindrücklichsten Dinge geschahen: Neurodermitis verschwand, ebenso Migräne und andere Beschwerden in allen möglichen Bereichen. Solches geschieht bei vielen meiner Malerkollegen, nicht nur bei mir.

Bilder sind wie Tore. Ein Bild kann nicht heilen. Aber ein Bild kann einen Menschen öffnen. Ich erlebe sehr oft, dass Menschen vor einem Bild stehen, und plötzlich löst sich etwas in ihnen, und sie fangen an zu weinen oder haben totale Glücksgefühle. Am schönsten für mich ist, wenn dies Menschen passiert,die mit Spiritualität gar nichts am Hut haben. Verantwortlich dafür ist diese Kraft, die durch ein Bild wirkt.

Das, was offensichtlich zu sehen ist, halten viele für Kitsch. Ich hätte meine Bilder früher ebenso bezeichnet. Ich kann jeden verstehen, der das einfach nur schrecklich findet. Aber das, was durch die Bilder wirkt, ist etwas anderes, und das empfinden die Leute schon sehr deutlich.

Sie scheinen jetzt auch kommerziell erfolgreich zu sein. Wie haben Sie das bewerkstelligt?

Gar nicht. Ich habe einfach nur gemalt und gemalt. Ich bin gelegentlich mal auf einer Esoterikmesse gewesen. Die Zeitschrift Die andere Realität hatte öfters Bilder von mir veröffentlicht und dabei meine Adresse angegeben. Ausgestellt habe ich bei mir im Atelier, aber ich habe nie Werbung gemacht. Das liegt mir nicht.

In der Zürcher Galerie Gilliet wurde sehr viel verkauft. Als ich dort erstmalig Christusbilder ausstellte, kamen Hunderte von Leuten. Es war unglaublich, was sich abspielte. Als ich Christus malte, dachte ich, das interessiert keinen Menschen. Aber es wurden immer mehr, die kamen, und zwar aus allen möglichenR eligionen. Sie alle hatten verstanden, dass es nicht darum geht, allen Menschen nun diesen Christus aufs Auge zu drücken, sondern es geht ums Prinzip, um diese Liebe, diese bedingungslose Hingabe. Darum geht es. Niemand muss seinen Glauben aufgeben. Ich empfinde Christus als viel übergeordneter. Er ist dieses Verbindende.

Welche Gedanken und Gefühle regen sich in Ihnen, wenn Sie heute die normale Kunstszene betrachten?

Ich schaue mir immer mal wieder Ausstellungen an und kann dem ‘normalen Kunstbetrieb’ ganz neutral gegenüberstehen. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass man als Künstler eine Verantwortung hat. Die Leute kaufen sich die Bilder, hängen sie auf, und den ganzen Seelenmüll – den ich früher auch produziert habe – den haben sie dann am Hals. Ich habe entschieden, dass ich nicht länger möchte, dass jemand anderer meinen Seelenmüll zu Hause hängen hat und womöglich dadurch krank wird, denn das kann tatsächlich geschehen.