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"Bloss nicht die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe!"

Jene unabhängige Kommission, welche in Amerika die Umstände und Versäumnisse prüfen soll, die zur Tragödie von 9-11 führten, wird mit großer Wahrscheinlichkeit die Verantwortlichen decken. Kritiker befürchten, es komme zu einem zweiten ‚Warren-Report'. Damals hatte eine Kommission die wahren Hintergründe des Kennedy-Mordes ebenso verschleiert statt erhellt. Betrachtet man wenig bekannte Details aus der aktuellen Untersuchung zu 9-11, so lässt dies nichts Gutes erahnen.

Von Benjamin Seiler

Präsident George W. Bush tut sich schwer in der Frage, wie es überhaupt zu den schrecklichen Terroranschlägen vom 11. September 2001 kommen konnte - und weshalb die USA offenbar so völlig unvorbereitet waren.
Niemand hätte eine solche Katastrophe voraussehen können, so der Tenor des Weißen Hauses. Zur Klärung dieser Behauptung wurde eigens eine Untersuchungskommission geschaffen. Während zwei Tagen, am 23. und 24. März 2004, mußten viele hochrangige Politiker und Administrationsbeamte in einer öffentlichen Anhörung vor dieser Kommission aussagen. Darunter befanden sich die Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und William Cohen, die Außenminister Colin Powell und Madeleine Albright, der CIA-Direktor George Tenet, Clintons Nationaler Sicherheitsberater Samuel Berger und Richard Clarke, der ehemalige Antiterrorspezialist von Präsident Bush.
Clarke verursachte einigen Wirbel in der internationalen Presse, weil er in seinem Buch Against all Enemies und in der Öffentlichkeit der Regierung Bush wiederholt vorgeworfen hatte, die Terrorgefahr von Al Kaida zuwenig ernst genommen zu haben. Ausserdem sei Bush nach den Anschlägen allzu zögerlich und langsam gegen Al Kaida vorgegangen, weil er viel zu beschäftigt gewesen sei, Hinweise zu finden, mit welchen man die Anschläge fälschlicherweise dem Irak in die Schuhe schieben könne.
Die Geschichte gibt Clarke Recht. Heute glauben nur noch die Desinformierten an einen gerechten Krieg im Irak und fragen sich, weshalb man trotz enormer Anstrengungen noch immer keine Massenvernichtungswaffen gefunden hat…
Warum also war Bush so versessen darauf, die Macht Saddam Husseins zu brechen? Den eigentlichen Grund dafür sprach Philip Zelikow, geschäftsführender Direktor der 9-11-Untersuchungskommission, schon am 10. September 2002 während einer öffentlichen Diskussion an der Universität von Virginia aus: "Warum sollte der Irak Amerika angreifen oder Nuklearwaffen gegen uns einsetzen? Ich sage Ihnen, was die wirkliche Bedrohung ist und seit 1990 immer schon war: der Irak bedrohte die Sicherheit Israels. Das ist die wahre Gefahr, über die niemand zu sprechen wagt."

Will Präsident Bush lügen?

Zurück zur wichtigen 9-11-Anhörung. Eine Person überschattete die ganzen zwei Tage, weil sie durch Abwesenheit glänzte: Condoleezza Rice, die Nationale Sicherheitsberaterin, versteckte sich hinter einem ‚executive privilege' ihres Chefs. Obwohl schon viele Nationale Sicherheitsberater öffentlich unter Eid aussagten, wollte Bush sich und Rice eine solche Anhörung ersparen. Da fragen sich natürlich nicht bloss die Angehörigen der 9-11-Opfer, ob Bush wohl etwas zu verbergen habe.
Doch der öffentliche Druck war so groß, daß Bush schließlich einlenkte und Condoleezza Rice doch noch öffentlich vernommen werden konnte. Kaum jemand weiss aber, wie es zu diesem Deal kam und was Bush dabei für sich herausschlug:
Als Präsident Bush am 29. April 2004 die leitenden Mitglieder der Untersuchungskommission bei sich im Oval Office empfing, um drei Stunden lang ihre Fragen zu beantworten, da war Bush nicht alleine. Er verlangte nämlich, daß Vizepräsident Dick Cheney, Bush's Hirn, ebenfalls dabei sei. - Hatte der ‚mächtigste Mann der Welt' Angst, daß er sich ohne Cheney verplappern oder in Widersprüche verstricken könnte? Alle anderen Anhörungen der Kommission waren öffentlich, nicht so die Einvernahme von Bush. Der Präsident äußerte sich nicht nur hinter geschlossenen Türen, sondern verbot zudem jegliche technische Aufzeichnungen von seiner Vernehmung; es durften nur handschriftliche Notizen gemacht werden. Doch das Unglaublichste kommt erst noch: Der Präsident der Vereinigten Staaten stand nicht unter Eid, als er zu den Vorgängen um 9-11 befragt wurde! So lief er nicht Gefahr, einen Meineid zu leisten - ganz egal, was er auch gesagt haben mochte. George W. Bush ist nämlich um sein Seelenheil besorgt. Als ‚wiedergeborener Christ' praktiziert er einen fundamentalistischen Glauben und ist davon überzeugt, Gottes wichtigstes Werkzeug im Kampf gegen das Böse in der Welt zu sein. Ein solcher Mensch darf sich aus religiösen Überzeugungen keinen Meineid leisten - also schwört Bush lieber nicht, "die Wahrheit und nichts als die Wahrheit" zu sagen.
Nach dem Geheimtreffen erklärte Bush der Presse, es gebe nichts zu verbergen und er habe alle Fragen beantwortet…

Also doch: Die Behörden waren gewarnt!

Die Anhörung vom März zeigte eines deutlich: Die Bush-Administration erhielt vor 9-11 viele Hinweise auf mögliche größere Terroranschläge in Amerika - und tat nichts. Dies unterstrich auch die Aussage der ehemaligen FBI-Angestellten Sibel Edmonds. Sie informierte die Öffentlichkeit darüber, daß die Bundespolizei schon Monate vor dem 11. September 2001 über Terroristenpläne informiert gewesen war, die USA mit Flugzeugen zu attackieren. Folglich mußte Condoleezza Rice lügen, als sie am 17. Mai 2002 sagte: "Ich glaube nicht, irgend jemand hätte voraussehen können, daß diese Menschen ein Flugzeug kapern und damit in das World Trade Center fliegen - daß sie ein entführtes Flugzeug als Geschoß mißbrauchen könnten."
Dabei gab Abdul Hakim Murad, einer der Attentäter des ersten Bombenanschlags auf das World Trade Center im Jahre 1993, in einem Verhör 1995 zu Protokoll, daß terroristische Pläne existierten, gekaperte Passagierflugzeuge auf prominente Ziele in den USA stürzen zu lassen.
Ebenfalls 1993 gab das Pentagon 150'000 Dollar für eine Studie aus, welche sich mit der möglichen Gefahr auseinandersetzte, daß Flugzeuge als Bomben mißbraucht werden könnten. Diese Studie zirkulierte nicht nur im Pentagon, sondern auch im Justizdepartement und in der Nationalen Notstandsbehörde FEMA.
Dieser Pentagonbericht wurde 1999 mit einem an die Geheimdienste gerichteten Report untermauert, der den Titel Die Soziologie und Psychologie des Terrorismus trägt. Darin steht: "Selbstmord-Attentäter des Märtyrer-Battalions von Al-Kaida könnten mit Sprengstoff vollgepackte Flugzeuge ins Pentagon, das Weiße Haus oder das Hauptquartier der CIA fliegen." Schon 1994 entführten Terroristen der Armed Islamic Group einen Flug der Air France mit dem Ziel, damit in den Eiffelturm zu fliegen. Und da will die Bush-Regierung nicht in der Lage gewesen sein, sich einen möglichen Terrorangriff wie 9-11 vorzustellen oder gar Vorkehrungen dagegen zu treffen? Nicht nur die FBI-Angestellte Sibel Edmonds kann das nicht glauben, hat sie doch konkrete Warnungen dieser Art mit eigenen Augen gesehen. Leicht glauben kann man hingegen, daß Edmonds wegen ihres unloyalen Verhaltens dem FBI gegenüber von der Bundespolizei auf die Strasse gesetzt wurde.

Den Bock zum Gärtner gemacht?

Leider wagte es auch die 9-11-Kommission nicht, während den Anhörungen die wirklich brennenden Fragen zu stellen. Das ist nicht weiter erstaunlich, wenn man die leitenden Köpfe dieser Kommission näher betrachtet, wie es die Zeitung American Free Press tat: Eigentlich wollte Präsident Bush ja den als Kriegsverbrecher beschuldigten Henry Kissinger als Chef der Kommission haben, doch Kissinger mußte auf Druck der Öffentlichkeit zurücktreten und wurde durch Thomas Kean ersetzt.
Kean gilt als unabhängiger Saubermann, obwohl er - was kaum jemand weiss -Geschäftsbeziehungen zu den saudischen Familien bin Mahfouz und Al-Amoudi unterhält. Finanzier Khalid bin Mahfouz ist der Schwager von Osama bin Laden und soll Millionen von Dollars in das Al Kaida-Netzwerk gepumpt haben.
Der geschäftsführende Kommissionsdirektor Philip Zelikow ist ein langjähriger Weggefährte und ehemaliger Mitarbeiter von Condoleezza Rice. Ausserdem bekleidete er einen wichtigen Posten in der damals neuen Bush-Cheney-Regierung. Folglich könnte auch ihm angelastet werden, die Terrorwarnungen nicht ernst genug genommen zu haben. Aus diesem Grund fordern Bürgerorganisationen das sofortige Ausscheiden Zelikows aus der Untersuchungskommission. Kyle Hence von 9-11 Citizens Watch: "Es ist offensichtlich, daß Zelikow niemals hätte als Kommissionsmitglied berufen werden dürfen. Schliesslich hat die Kommission ja die Aufgabe, herauszufinden, wo die Ursachen für das Versagen der Behörden zu finden sind. Jetzt ist natürlich klar, weshalb die Kommission sich in persönlicher Schuldzuweisung so auffallend zurückhaltend erweist - weil die Spur unter anderem direkt zum geschäftsführenden Direktor der Kommission führt."
Befürchtungen, die ganze Kommissionsarbeit diene im Grunde nur dazu, das Weiße Haus weißzuwaschen, sind nicht aus der Luft gegriffen. So haben Anwälte und Experten des Weißen Hauses das Recht, den abschließenden Kommissionsbericht vor seiner Veröffentlichung einzusehen, umzuschreiben und gar zu zensurieren - alles im Rahmen der nationalen Sicherheit.

Eigentlich sollten die Arbeit der Kommission am 26. Juli 2004 abgeschlossen sein und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen veröffentlicht werden. Doch daraus scheint nichts zu werden. Wahrscheinlich - so Kommissionspräsident Kean - wird man den Bericht erst nach den Präsidentschaftswahlen im November publizieren können…


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