Interview: Harald Neuber * Joseph Berman ist Mitarbeiter des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD). Neben seiner Ausbildung zum Rabbiner organisiert Berman auch Touren entlang der israelischen Grenzanlagen, um die Auswirkungen auf die palästinensische Bevölkerung zu erläutern
F: In den vergangenen Wochen war viel über den Abzug israelischer Truppen aus dem Gazastreifen zu lesen. Ebenso über die Proteste radikaler Siedler, die sich gegen den Rückbau der Außenposten Israels wehren. Ist es nicht ein Sieg der Friedens- und Menschenrechtsbewegung, daß der Abzug gegen diese Gruppen durchgesetzt wird? Ja, das ist schon ein Sieg, aber nur ein kleiner. Der israelische Rückzug aus dem Gazastreifen ist auf der einen Seite Ariel Scharons Antwort auf den internationalen Druck, die israelische Besatzungspolitik zu ändern. Scharon und die israelische Rechte reagieren auch auf die Forderung, die Entstehung eines eigenständigen palästinensischen Staates nicht weiter zu verhindern. So ist der Abzug aus dem Gazastreifen zu erklären. Die erhofften positiven Folgen werden aber ausbleiben, weil die nun freien militärischen Ressourcen auf der anderen Seite die israelische Besatzung im Westjordanland und im besetzten Osten Jerusalems verstärken werden. Es handelt sich also nicht um einen Ab- oder Rückzug, sondern eher um eine Neuformierung der Kräfte.
F: Ein Kollege aus dem US-Büro Ihrer Organisation hat den Abzug aus Gaza als "Deckmantel" bezeichnet, "um das Geschehen im Westjordanland zu verschleiern". Was ist dort geplant? Es ist tatsächlich so, denn während die Kameras der internationalen Presse auf das Geschehen in der Siedlung Gush Kativ gerichtet sind, ist kaum etwas über die Pläne für das Jordan-Tal zu erfahren. Nach offiziellen Regierungsplänen soll die Zahl der Siedler dort um 15000 verdoppelt werden, vor allem in der größten Siedlung Ma'aleh Adumim. Ebensowenig wird über den Plan der israelischen Regierung berichtet, die "Ummantelung" Jerusalems bis zum 1. September abzuschließen. Die multinationale und multireligiöse Stadt wird dann von Ramallah im Norden und Bethlehem im Süden abgeschnitten sein. Für die Palästinenser, die Jerusalem wirtschaftlich, kulturell, sozial und religiös eng verbunden sind, kommt das einer nationalen Tragödie gleich. Scharon kümmert das wenig. Ihm geht es darum, die Herrschaft über das Westjordanland zu konsolidieren. Daß er damit zugleich die Chancen auf einen eigenständigen palästinensischen Staat zunichte macht, geht in der derzeitigen medialen Inszenierung tatsächlich unter.
F: Es hat aber doch massive Kritik am Bau der Mauer im Westjordanland gegeben, die Anlage ist daraufhin teilweise wieder abgebaut worden. Sehen Sie die Entwicklung nicht zu negativ? Auch der Oberste Gerichtshof Israels hat im vergangenen Sommer entschieden, daß der Verlauf der Grenzanlagen verändert werden muß. Die Mauer wurde daraufhin näher an die "grüne Linie" verlegt, der Grenze zwischen israelischem und palästinensischem Gebiet. Zur gleichen Zeit aber wurden die drei großen Siedlungen im Westjordanland - Givat Ze'ev im Norden, Ma'aleh Adumim im Osten und Gush Etzion im Süden - als Teil Israels mit solchen Grenzanlagen abgeschirmt. Zahlreiche palästinensische Dörfer wie Bil'in, das an die israelische Siedlung Modi'in angrenzt, wurden dadurch von ihrem Agrarland abgeschnitten, dem Herz ihrer Wirtschaft.
F: Welche Reaktionen gab es darauf? Es gibt in Bil'in fast wöchentlich gewaltlose Proteste der Bewohner, oft gemeinsam mit israelischen Friedensaktivisten. Dabei geht es vor allem um den Diebstahl ihrer alten Olivenhaine, die mitunter seit Generationen bestehen und bewirtschaftet werden. Diese Proteste wurden von der israelischen Armee in den vergangenen Monaten wiederholt gewaltsam unterdrückt. Sie werden aber weitergeführt, auch mit unserer Unterstützung.
Quelle: junge Welt vom 05.08.2005 Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer
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