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Die Ermordung der Solidarität

Die Internationale Solidaritätsbewegung, deren Mitglieder die Verbrechen der israelischen Armee an den Palästinensern dokumentieren, soll mit Gewalt aus Israel vertrieben werden. Einige ihrer Mitglieder - ausländische Zivilisten - wurden bereits gezielt liquidiert. Denn: Wo es keine Zeugen mehr gibt, gibt es auch keine Verbrechen.

Von Justin Podur Man stelle sich dies vor: 20 Militärfahrzeuge, auch ein bewaffneter Truppentransporter, umstellen am helllichten Tag ein Büro. Dutzende SoldatInnen und PolizistInnen beginnen das Büro zu stürmen und zu plündern, Equipment zu zerstören, Computer zu stehlen und Arbeiterinnen aus dem Büro zu kidnappen - drei unbewaffnete Frauen, von denen eine seither wieder freigelassen worden ist. Aber das waren die israelische Armee und Polizei, welche diese Aktion am Büro der Internationalen Solidaritätsbewegung durchführten (ISM, siehe www.palsolidarity.org), also stehen die Chancen gut, dass dies in den kommerziellen Medien überhaupt nicht berichtet werden wird, oder wenn es berichtet wird, es auf die eine oder andere Art reingewaschen wird, so dass jene, welche die Verbrechen verübten, als Opfer dargestellt werden. Tatsächlich könnte dieses Ereignis "verschwunden werden", zusammen mit vielen anderen täglichen Demütigungen, Überfällen und Ermordungen, unter welchen die PalästinenserInnen leiden. Reinwaschung und Vertuschung war das Muster in den Medien, gegen die verzweifelten Versuche von ISM sich politisch gegen Israels zunehmend mörderischen Angriff auf sich und unabhängige Beobachter und Zeugen in den [besetzten] Territorien zu verteidigen. Rachel Corrie, die 20 Jahre alte amerikansiche Bürgerin, welche am 16. März von einem Bulldozer ermordet worden ist, als sie versuchte die Niederreißung eines Hauses zu verhindern, war das erste Opfer der derzeitigen Kampagne. Die Medien reagierten mit der Wiedergabe der Behauptungen der Israelischen Armee, dass Israel nicht verantwortlich war, und dass das ISM verantwortungslos ist. Darauf folgte am 7. April in Jenin ein Schuss in das Gesicht des US Bürgers Brian Avery, und die Beschießung vom Bürger Großbritanniens Tom Hurndall, 21 Jahre alt, welcher jetzt gehirntot ist, und dessen Eltern kürzlich die Ehre hatten selbst beschossen zu werden, als sie die Stelle der Ermordung ihres Kindes besuchen kamen. Die Freiwilligen des ISM sind nicht die einzigen Zeugen welche in den vergangenen Wochen getötet worden sind. Der britische Kameramann James Miller wurde vor einigen Tagen in Gaza ermordet, während er eine weiße Flagge schwang und zusammen mit anderen schrie, dass er ein Journalist ist. Anstatt sich für diese mörderischen Angriffe auf JournalistInnen und nicht-gewaltanwendende AktivistInnen zu entschuldigen, hat es Israel, bemerkenswerterweise, geschafft diese zu ihrem politischen Vorteil zu nutzen, und die ISM als ganzes zu verbannen. Zitiert aus einer Pressemitteilung des ISM: "Am 16. April hat der Generalstabschef, Lt. General Moshe Yaalon verkündet, dass er den Befehl erteilt hat ‚das ISM herauszubefördern', und behauptet, dass wir ‚[die] Handlungsfreiheit [seiner Truppen] einschränken'. Die israelische militärische ‚ Handlungsfreiheit' schließt militärische Invasionen und Belagerungen von zivilen palästinensischen Gebieten mit ein, und auch eklatante Verletzungen von elementaren Rechten und humanitärem Recht. Sie schließt das wiederholte Feuern auf unschuldige palästinensische Männer, Frauen und Kinder mit ein, und die Geiselnahme einer ganzen zivilen Bevölkerung durch militärischen Terror." Nach der Ermordung vom Journalisten James Miller gaben die israelischen SprecherInnen die selbe Position wieder, die das US Militär vor einigen Wochen nach seiner eigenen Ermordung des Journalisten Tariq Ayoub in Baghdad aussprach, dass dies gefährliche Gebiete sind, und hier keine Leute sein sollten. Die Mainstream Medien machten, anstatt ihre eigenen Journalisten zu beschützen bei dieser Auslegung mit. Der Reporter Doug Sounders von Kanadas "Globe and Mail" ging sogar soweit, eine ganze Geschichte über Treffen von ISM AktivistInnen mit SelbstmordattentäterInnen zu erfinden (siehe http://www.zmag.de/article/article.php?id=626 für eine vollständige Widerlegung dieser bösartigen Lüge). Unter dieser Art von nicht-existenter Überprüfung der Medien ist es kein Wunder, dass die israelische Antwort auf die derzeitige Situation dazu genutzt worden ist, die Ermordungen die es selbst durchführte als Vorwand zu verwenden, nicht-gewaltanwendende AktivistInnen von Gaza zu verbannen. Ab dem 8. Mai ließ Israel alle ausländischen BürgerInnen, welche nach Gaza kommen, eine Erklärung unterschreiben, welche besagt: "Ich… erkläre, dass ich keine Verbindung mit der Organisation welche als ISM (International Solidarity Movement) bekannt ist habe, oder mit irgendeiner Organisation, deren Ziel es ist Operationen der IDF zu sabotieren". Für einen Staat, welcher illegal ein Gebiet besetzt, eine ethnische Säuberung dieser Bevölkerung unternimmt und systematisch ZeugInnen dieser ethnischen Säuberung, und Reporter, ermordet, ist eine solche Erklärung eine starke Erklärung von Unverschämtheit. Die Arbeit von internationalem Beistand hat immer auf der Ansicht basiert, dass die Ermordung oder Verfolgung von AusländerInnen ein größerer Skandal ist, als die Ermordung oder Verfolgung von hiesigen Leuten, was es InternationalistInnen ermöglicht ihre Anwesenheit zum Schutz von anderen zu nutzen. Indem Israel die Angriffe auf InternationalistInnen und JournalistInnen ausweitet, stellt es die AktivistInnen auf die Probe. Bis jetzt ist der erhoffte Skandal nicht aufgetreten. Anstelle dessen haben die Medien, welche ihre eigenen Journalisten unterstützen hätten können, es vorgezogen Komplizen zu sein. Die Staaten, welche ihre BürgerInnen unterstützen hätten können, indem sie die Tatsache ihrer Ermordung auf der diplomatischen Ebene mit Israel behandeln, haben dies nicht getan. Und so floriert die Unverschämtheit. Wenn alle ZeugInnen umgebracht oder vertrieben worden sind, was wird dann in den besetzten Gebieten geschehen? Wie kann jemand wissen, ob es schlimmer geworden ist als lediglich Checkpoints, Hauszerstörungen, Massaker, Erntevernichtungen, Landdiebstal, Enthaltung von Lebensmitteln, Wasser, Medizin und Ermordungen? Wie kann jemand wissen, ob vermehrt Ermordungen, Aushungerungen von Massen, oder Enthaltung von medizinischer Versorgung für Massen stattfinden? Was wird dann mit den PalästinenserInnen geschehen? Werden die NordamerikanerInnen und Israelis wirklich glauben, dass dies eine anti-terroristische Strategie ist? Im Dezember 2002, bevor das ISM verbannt worden ist, sagte eines ihrer Gründungsmitglieder, Neta Golan, folgendes: "Ich bin häufig im Flüchtligslager in Balata, und ich würde gerne glauben, dass Israel denkt, dass seine Aktionen zur Beendigung des Widerstandes führen, aber sie müssen wissen, dass sie die Situation so unzumutbar bachen, dass kein Widerstand, keine Option ist. Es gab bis Mai dieses Jahres keine Selbstmordattentäter aus Balata. Im Mai fanden Ermordungen von zwei jungen Männern statt, welche palästinensische Kämpfer waren, Mitglieder des bewaffneten Widerstandes. Für die Menschen in diesen Lagern waren diese Menschen Helden, welche ihre Leute verteidigten. Es war 4 Tage nach diesen Ermordungen, als eine Welle von 7 Selbstmordattentätern aus Balata kam. Der älteste dieser Attentäter war achtzehn. Die Operationen waren schlecht organisiert. Viele von ihnen sprengten sich auf dem Weg in die Luft, und konnten ihre Missionen nicht durchführen. Dies waren offensichtlich Akte aus reiner Verzweiflung. Die israelische Armee weiß, warum sie Angriffe wie diese nicht stoppen können. Arafat kann sie sicherlich nicht stoppen. Aber es gibt eine Sache, die sie aufhalten kann. Hoffnung. In der ersten Intifada gingen zehntausende PalästinserInnen für ein Ende der Besatzung auf die Straße. Es gab einige Attentate, aber die PalästinenserInnen hörten mit ihnen auf. Als Premierminister Barak Wahlen in einer ruhigen Atmosphäre haben wollte, bekam er seine Ruhe, durch die Aufhebung von Belagerungen und die Öffnung von einigen Straßensperren. Dies war alles, was nötig war. Es gab keine Attentate, denn es gab Hoffnung. Dadurch, dass du bei uns mitmachst, kannst du ihnen die Hoffnung zurückbringen." Es scheint so, dass Israel und die Vereinigten Staaten ihnen die Hoffnung wegnehmen, mit allem was dazugehört. Können sie das durchziehen? In einem hervorragenden Artikel verglich Joel Kovel Israel mit Südafrika, und erinnerte seine Leser, dass die Apartheid in Südafrika niedergeschlagen werden konnte, und sie könnte auch in Israel niedergeschlagen werden: "Es gibt natürlich wichtige Unterschiede zwischen der Apartheid Israels, und jener Süd Afrikas. Letztere war nur ein sekundärer (aber trotzdem nicht unwichtiger) Klient der Vereinigten Staaten, und ihm fehlten starke inländische Unterstützerkreise in Amerika, und was wichtiger ist, es war kein entscheidender Faktor für die Kontrolle eines strategisch dermaßen wichtigen Gebiets wie dem Nahen Osten. Da Südafrika reich und ein sich zum größten Teil selbst aufrechterhaltendes Machthaus ist, und Israel ohne die Unterstützung seines Patrons wie ein Kartenhaus zusammenfallen würde, würde eine Organisierung zum Kampf gegen den Zionismus in den Vereinigten Staaten eine viel größere Rolle spielen, als der Kampf gegen die Apartheid. Und gleichzeitig macht die Tiefe der amerikanisch-isralischen Verbindung die Organisierung viel mühsamer, sogar wenn der derzeitige Kriegszustand und die drohende Vertreibung des palästinensischen Volkes (ethnische Säuberung war für Südafrika nicht entscheidend) eine gerade jetzt akut sind." Weder Regierungen noch die Medien haben etwas von dem gemacht, was sie machen hätten können, um die ethnische Säuberung der PalästinenserInnen aufzuhalten. BürgerInnen begannen nach Palästina zu reisen, um den PalästinenserInnen beizustehen, als es klar wurde, dass die "Internationale Gemeinschaft" (in der Form von Regierungen) nicht helfen würde. Aber ausländische Büergerinnen bieten keine zusätzliche Abschreckung wenn die Gefahr eines politischen Skandals nach einer Gräueltat eine leere Drohung bleibt. Bis jetzt gibt es sehr viele Gräueltaten, aber noch nicht genug Skandal. Am 5. Juni 2003 wird es einen internationalen Aktionstag für Gerechtigkeit in Palästina geben (http://www.peacejusticestudies.org/palestine.php). Dies ist die Chance für die Welt um den PalästinenserInnen zu sagen, dass sie nicht alleine sind. Die Hoffnung wird nicht so einfach umgebracht werden. Das ISM plant nicht sich aufzulösen, und sie könnten Hilfe benötigen. Quelle: ZNet 10.05.2003, Übersetzt von: Matthias. Orginalartikel: "Murdering Solidarity" . Lesen Sie weiterführende Informationen im 2. Teil "Von Solidarität keine Spur"