26.06.2004
von Winston Smith - 03.06.2004
In einem Gerichtsverfahren, das auf Anordngung der Regierungsbehörden über Wochen komplett geheim gehalten werden musste, gelang es der US-Bürgerrechtsorganisation "American Civil Liberties Union" ACLU jetzt erstmals genauer darzulegen, wie das FBI auf private Daten, die bei amerikanischen Providern gespeichert sind zugreift. Erschreckend dabei ist, dass die Geheimdienste dank des " Patriot Act" (vom Okt. 2001) dabei keinerlei demokratischer Kontrolle mehr unterliegen. Da die betroffenen Provider über Abhörmaßnahmen keinerlei Auskunft geben dürfen, ist Umfang der Überwachung durch niemand außerhalb der Geheimdienste abzuschätzen. Was aber immer klarer wird, ist das die Behörden ihre Zugriffsmöglichkeiten nicht, wie im "Patriot Act" vorgesehen, exklusiv für die Jagd nach Terroristen einsetzen, sondern zusätzlich systematisch Daten von regierungskritischen Gruppen und Einzelpersonen ausspähen. Der Vorgang ist so banal wie beängstigend. Wenn die US-Regierungsbehörden Zugriff auf die privaten Daten eines Menschen haben wollen, schicken sie demjenigen, der diese Daten verwaltet einen so genannten National Security Letter (NSL). Ein Internet-Provider muss daraufhin umgehend Nutzerdaten und Passwörter der entsprechenden Person offenlegen und die Behörde erhält vollen Zugriff auf alle gespeicherten Daten. Das gleiche Verfahren wird übrigens auch bei Büchereien und Krankenhäusern angewandt um die Lesegewohnheiten und Krankengeschichte von Verdächtigten in Erfahrung zu bringen. Ein richterlicher Beschluss oder die Bestätigung durch ein prüfendes Gremium sind dazu nicht mehr notwendig. Gleichzeitig mit dem NSL erhält die Firma oder Organisation, die zur Preisgabe der privaten Kundendaten gezwungen wird, eine umfassende Geheimhaltungsauflage. Auf Englisch sehr passend "gag-order" (Kebel-Befehl) genannt. Sie darf weder den betroffenen Kunden noch sonst irgendjemand über die Überwachungsmaßnahmen informieren. Betroffene erfahren nur dann von der Überwachung, wenn gegen sie Anklage erhoben wird, oder sie als Zeuge benötigt werden. Da die betroffenen Firmen selbst auf direkte Nachfrage keinerlei angaben darüber machen dürfen, ob und in welchem Umfang sie zur Datenweitergabe verpflichtet wurden, und weil die US-Behörden mit Verweis auf die nationale Sicherheit jegliche Angaben zu Art und Umfang durchgeführter Überwachungsmaßnahmen verweigert, ist nicht einmal abzuschätzen, wie viele Menschen von der stattlichen Schnüffelei betroffen sind. Möglicherweise nur eine Handvoll "potentieller Terroristen". Der Fall eines lokalen Internet-Providers, den die ACLU jetzt bei seiner Klage gegen die US-Behörden vor einem New Yorker Gericht unterstützt, lässt aber den Verdacht aufkommen, dass das FBI eine erheblich größere Gruppe ins Visier genommen hat. Obwohl die US-Regierung alles versucht hat, den Fall komplett geheim zu halten, hat die ACLU vor einem Bundesrichter durchgesetzt, dass sie zumindest einige Details des Verfahrens offenlegen darf. Aus den Dokumenten, die nur nach umfangreichen Schwärzungen wichtiger Passagen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten, geht hervor, dass der Kläger Betreiber eines Internet-Dienstleisters ist, der u.a. von politisch aktiven US-Bürgern genutzt wird. Er beklagt, dass er durch die Geheimhaltungsauflagen das Vertrauensverhältnis zu seinen Kunden gestört wird, weil er auf deren direkte Frage, ob sie von Abhörmaßnahemn betroffen sind, lügen und mit "Nein" antworten muss. Auch die ACLU ist im Rahmen dieses Verfahrens Opfer diverser "gag-orders" (Kebel-Befehle) geworden, die ihr öffentliche Stellungnahmen unmöglich machen. Das ist besonders ärgerlich, weil der "Patriot Act" demnächst zur Verlängerung ansteht und Präsident Bush so, während er öffentlich für mehr "nationale Sicherheit" Werbung macht, einige seiner schärfsten Kritiker in der Sache mundtot gemacht hat. Neben den konkreten Gefahren durch den fahrlässigen oder gezielten Missbrauch der eingesammelten privaten Daten, hat dieses Praxis des unkontrollierten staatlichen Zugriffs auf alle Daten der Bürgerinnen und Bürger auch verheerende Auswirkung auf die demokratische Entwicklung in einer Gesellschaft. Wenn jeder, der den Staat öffentlich kritisiert, damit rechnen muss, als "Gefahr für die Nationale Sicherheit" ins Fadenkreuz der Geheimdienste zu geraten, erstickt der kritische Diskurs, der eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt ist, in einem Klima von Verunsicherung und dem Gefühl der Staatsmacht schutzlos ausgeliefert zu sein. Solche repressiven Gesellschaftssysteme verlieren damit wichtige Korrekturmechanismen. Demokratie bleibt dann nur noch als leere Formel auf dem Papier zurück. Auch in Europa bleiben beim "Kampf gegen den Terror" immer mehr Grundrecht auf der Strecke. Dass die Maßnahmen für immer mehr "innere Sicherheit" langsam zur Gefahr für die Demokratie selbst werden, merkt subjektiv jeder, der in Tageszeitungen oder auf Internet-Seiten über immer ausgeklügeltere technische Überwachungsmöglichkeiten und immer weiter reichendere Befugnisse der Überwacher liest. Leider thematisieren bisher noch wenige politisch aktive diese Bedrohung.
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