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Machen Handys ihre Nutzer unfruchtbar?

Angeblich ein Drittel weniger Spermien: Eine ungarische Studie sorgt für Kontroverse beim ESHRE-Kongress in Berlin.

Von Heike Jänz Berlin - Die männliche Fruchtbarkeit nimmt offenbar bei regelmäßigem Mobiltelefonieren ab. Das wollen ungarische Forscher von der Universität Szeged herausgefunden haben, die ihre Ergebnisse heute auf dem Kongress der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) in Berlin vorstellen. Um ein Drittel soll die Anzahl der Spermien zurückgehen, wenn Männer ihre Handys täglich angeschaltet mit sich umhertragen. Die übrig gebliebenen Spermien können sich der Studie zufolge außerdem schlechter fortbewegen, was wiederum die Befruchtung einer Eizelle erschweren. Auf dem Kongress der europäischen Reproduktionsmediziner mit 5500 Teilnehmern bezweifeln jedoch Experten die Ergebnisse: "Die Studie wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet", meint Professor Hans Evers, ehemaliger ESHRE-Präsident. "Vielleicht haben Handybenutzer in Ungarn ein besonders stressiges Leben, oder sie kommen aus einer anderen sozialen Klasse als die Nichttelefonierer." 451 Männer hatten die ungarischen Forscher um Imre Fejes 13 Monate lang untersucht, 221 von diesen nutzten ihr Mobiltelefon täglich. Je länger die Probanden ihre Telefone angeschaltet mit sich herumtrugen, desto stärker verringerte sich die Anzahl der Spermien. Auch die Zeitspanne, die Nutzer tatsächlich telefonierten, hatte einen negativen Einfluss auf die Spermienkonzentration und die Beweglichkeit. In einer schriftlichen Aussage teilte Studienleiter Fejes jetzt mit: "Langer Gebrauch von Mobiltelefonen kann die männliche Fertilität negativ beeinflussen, offensichtlich nimmt sowohl die Konzentration als auch die Beweglichkeit der Samenzellen ab." Ob weitere Faktoren diese Ergebnisse beeinflussen, prüften die Forscher allerdings nicht: So untersuchten sie zwar, wie lange eine Person ihr Handy benutzte, nicht aber ob sie es am Körper trug oder in einer separaten Tasche. Dazu meint der Vorsitzende der ESHRE-Konferenz, Professor Heribert Kentenich: "Das Problem der Strahlung besteht dann, wenn sich eine Verbindung aufbaut. Telefoniert man, so ist das Gerät am Ohr und weit entfernt von den Hoden, wo die Spermien produziert werden." Und mit Ohrsteckern und Lautsprecher ließe sich vermeiden, dass das Handy überhaupt in die Nähe des Körper komme. Trotz zahlreicher Anfragen nahmen die ungarischen Wissenschaftler gestern, am Vortag ihrer Präsentation, zu diesen offenen Fragen nicht Stellung. Laut Kentenich beeinflussen nur vier Faktoren erwiesenermaßen die Spermienproduktion: "Dauerhafter Alkoholkonsum und Rauchen führen zu einer Abnahme der Samenzellen", so der Fortpflanzungsmediziner. "Auch eine Röntgenbestrahlung zur Therapie von Hodenkrebs macht die meisten Männer infertil." Aus diesem Grund lassen die davon Betroffenen Spermien einfrieren, um sie nach überstandener Erkrankung zur künstlichen Befruchtung einzusetzen. Erst kürzlich hatte ein Paar aus Großbritannien Aufsehen erregt, weil es ein gesundes Kind gezeugt hatte - mit Sperma, das 21 Jahre lang eingefroren war. "Mit 40 Jahren geht es bergab mit der Spermienproduktion", sagt Kentenich. Dem Experten zufolge schaffen es in Mitteleuropa sechs Prozent aller Paare trotz Kinderwunsch nicht, Nachwuchs zu zeugen. In 40 Prozent liege die Ursache bei den Männern, zu 40 Prozent bei den Frauen. Beim Rest der Fälle seien beide Partner schuld. Weltweit suchen Wissenschaftler nun auch nach anderen Gründen für die stetig nachlassende Spermienqualität. Schwedische Wissenschaftler fanden kürzlich, dass eine Infektion mit Chlamydien auch bei Männern zu Infertilität führen kann. Die Forscher aus Göteborg und Umea berichteten im April dieses Jahres in der Fachzeitschrift "Human Reproduction", dass es zu einem Drittel weniger Schwangerschaften kam, wenn die Männer Antikörper gegen die Erreger im Blut hatten. Auch gibt es Hinweise, dass Umweltgifte die Fertilität beeinflussen. Einer italienischen Studie zufolge, die ebenfalls in "Human Reproduction" veröffentlicht wurde, beschädigen Substanzen wie Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide, Schwefel und Blei die Samenzellen. Das hatten die Forscher bei 85 Männern festgestellt, die an Autobahnmautstellen arbeiteten. Das internationale Forschungsprojekt EDEN (Endocrine Disrupters) soll nun an 1000 jungen Männern untersuchen, welche Faktoren tatsächlich die Spermienqualität beeinflussen. "In Deutschland werden jährlich rund 60 000 Menschen behandelt, weil ihr Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Weltweit nehmen die Infertilitätsbehandlungen stetig zu", betont Kentenich. "Bislang haben wir aber noch kein einziges Medikament entwickelt, das die Qualität und Anzahl von Spermien tatsächlich verbessert." Auch das Bundesamt für Strahlenschutz hat dieses Jahr in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität und der Ludwig-Maximilian-Universität München eine dreijährige Studie begonnen. Die Forscher wollen herausfinden, ob Handystrahlung tatsächlich gesundheitliche Schäden hervorruft wie zum Beispiel Krebs oder Fruchtbarkeitsstörungen. Quelle: ‚Die Welt' vom 29. Juni 2004 Lesen Sie auch unseren grossen Mobilfunkreport in der Ausgabe Nr.24