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Von Thomas Hillenbrand,, New York
Fast eine Woche lang hatte James Wolfensohn hartnäckig geschwiegen. Erst am vergangenen Mittwoch trat der Weltbank-Präsident, von Reportern auf einer Pressekonferenz in Shanghai arg bedrängt, die Flucht nach vorne an. Dass seine Organisation seit ihrer Gründung 1946 einen dreistelligen Milliardenbetrag in den Sand gesetzt haben soll, sei eine "unverständliche Annahme".
Die Weltbank habe mehr Programme zur Korruptionsbekämpfung als alle anderen Entwicklungshilfeorganisationen zusammen. "Folglich ist die Behauptung, wir seien von Korruption befallen, unseriös." Und weiter: "Diese Geschichte hat weder Hand noch Fuß."
Nicht alle sind sich so sicher wie der Weltbank-Chef. Vergangene Woche hatte der Senatsausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des US-Kongresses zahlreiche Experten zu dem Thema geladen. Der Ausschussvorsitzende, Senator Richard Lugar, sagte im Rahmen der Anhörung, dass nach seinen Informationen zwischen 5 und 25 Prozent der durch die Weltbank seit 1946 vergebenen Darlehen in Höhe von insgesamt 525 Milliarden Dollar veruntreut, gestohlen oder falsch verwendet worden seien. Ferner zitierte der Republikaner den US-Professor Jeffrey Winters, der den Korruptionsschaden seit Gründung der Weltbank auf 100 Milliarden Dollar schätzt.
Hauptprobleme sind nach Ansicht von Kritikern wie Lugar so genannte Darlehensfonds, über welche die Weltbank einen Großteil ihrer Mittel vergibt. Statt in aufwändiger Kleinarbeit Einzelkredite direkt an Unternehmen oder Einzelpersonen zu vergeben, stellt die Entwicklungshilfeorganisation das Geld den örtlichen Regierungen zur Verfügung. Die Verteilung der Darlehen wird dann von den dortigen Behörden übernommen.
Zwar gibt es für die Vergabe genaue Richtlinien - deren Einhaltung zu kontrollieren ist in der Praxis allerdings ein schwieriges Unterfangen. Der Löwenanteil der fraglichen Riesensumme soll zunächst von der Weltbank in Darlehensfonds überwiesen worden sein, um dann auf dem weiteren Wege zu versickern.
Die Weltbank verwahrte sich zunächst gegen Lugars Äußerungen: Dafür gebe es "keine Grundlage", ließ ein Sprecher vergangene Woche verlauten. "Wir weisen die Zahl vollständig zurück." Dass Korruption für die Bank ein Problem ist, bestreitet das Institut nicht. Über die Höhe des möglichen Schadens für die Weltbank will sich die Washingtoner Bank allerdings nicht äußern.
Eine interne Schätzung über das das Ausmaß des Schadens liege leider nicht vor, sagte ein Sprecher. Wolfensohn räumte am Mittwoch allerdings ein, dass seine Mitarbeiter bereits 150 verdächtige Unternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt hätten und in mehreren Fällen die Behörden wegen mutmaßlicher Korruptionsfälle benachrichtig worden seien.
Weltbank-Experte Winters von der Northwestern University in Chicago ist erstaunt, dass Wolfensohn die Zahlen des US-Senators als blanken Unsinn abtut. "Die Schätzung ist das Ergebnis einer 15-jährigen Recherche", erklärte der Professor auf Anfrage per E-Mail gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Winters und eine Reihe seiner Kollegen haben nach Angaben des Professors in langwieriger Detailarbeit alle verfügbaren Informationen über die weltweiten Operationen der Weltbank sowie anderer multilateraler Entwicklungsbanken gesammelt, um quantifizierbare Aussagen über den Missbrauch von Entwicklungshilfekrediten machen zu können.
"Die Verluste in den verschiedenen Ländern variieren stark, zwischen 10 Prozent und 90 Prozent" in einigen afrikanischen Ländern, so der Forscher. Winters, der seine Ergebnisse demnächst in einem Buch veröffentlichen wird, schätzt, dass im Schnitt ein Drittel aller Weltbank-Mittel auf Grund von Korruption verloren geht.
Außerdem, so Winters, habe er im Rahmen der Senatsanhörung am vergangenen Donnerstag mit einer äußerst konservativen Schätzung gearbeitet. Aufgrund des ihm vorliegenden Datenmaterials sei eher von einem Korruptionsschaden in Höhe von 175 Milliarden Dollar auszugehen.
Auch Wolfensohns Aussage, die Weltbank sei "die Nummer eins im Kampf gegen Korruption", hält Winters für kritikwürdig. "Die Anti-Korruptions-Maßnahmen der Weltbank sind fast durchweg rhetorischer Natur oder gehen in die falsche Richtung."
Dass sich die Weltbank gegen die von ihm errechneten Zahlen zur Wehr setzt, überrascht den Experten nicht: "Es handelt sich um ein Schwindel erregendes Niveau von Korruption, und die Schulden müssen jene schultern, die am wenigsten in der Lage sind, sie zurückzuzahlen - die armen Bevölkerungen in den Entwicklungsländern. Denn auch wenn wegen Korruption von jedem Dollar in den Kreditfonds nur 70 Cents übrig bleiben, müssen die Schuldner 100 Prozent plus Zinsen zurückzahlen."
Quelle: manager-magazin.de, 21.05.2004
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