Wie Phönix stieg aus der Asche des Unabhängigkeitskrieges eine Nation auf, in der die Ideen von Freiheit und Brüderlichkeit erstmals gelebt wurden. Eine magisch-mystische Geschichte der Vereinigten Staaten.
"Ideen kontrollieren die Welt."
James Garfield, 20. Präsident der USA
Noch mitten im dunklen Zeitalter, als Europa unter Pest, Inquisition und Kriegen stöhnte, begann die Idee einer besseren Welt in den Sphären der Inspiration Gestalt anzunehmen. Es war die Zeit der Nacht, wo der Samen keimte. Hunderte Jahre sollten noch vergehen, ehe das von den Weisesten erahnte 'Goldene Zeitalter' heraufdämmern würde - doch der Same war da. Die Idee sprießte. Thomas More schrieb sein Utopia; Tommaso Campanella seinen Sonnenstaat (CivitasSolis); Francis Bacon sein New Atlantis. Alle waren sie vom größten Geist der Antike, von Plato beeinflußt. Trajano Boccalini bezahlte seine rosenkreuzerische Vision vom idealen Staat ('Eine generelle Reformation der Welt' in den Ragguagli di Parnaso) mit dem Leben. Noch ein anderer Rosenkreuzer, Johann Valentin Andreae (vermutlicher Verfasser des Buches 'Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz') verfaßte ein Traktat über die ideale Stadt - Christianopolis, die 'Stadt des Christus'. Sie war die christianisierte Version der idealen Stadt des Plotinus, die nicht zufällig den Namen Platonopolis trug.
Was postulierten all jene Denker, die empfänglich gewesen waren für die noch zerbrechliche Idee einer künftigen, idealen Gesellschaft? Ein Volk sollte in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und frei von Armut selbstbestimmt leben können, regiert vom weisesten unter ihnen. Die Gesetze der Natur sollten zum Vorbild genommen werden, jeder Mensch dieselben Rechte haben, jeder Mensch zu dem in seiner Vervollkommnung durch Ausübung rechter Gesinnung, der Künste und der Wissenschaften gefördert werden. Und vor allem müßten die Menschen ein Vorbild und eine Vision haben - denn so wie physischer Hunger den Körper auszehrt, so läßt geistiger Hunger die Seele des Menschen degenerieren.
"Ich kann mir keine gesunde soziale Ordnung oder ein vernünftiges ökonomisches System vorstellen, das seine Wurzeln nicht im religiösen Glauben hätte."
Herbert Hoover, 31. Präsident der USA
Jeder lange genug gehegten Idee folgt ihre Verwirklichung. Die frühen amerikanischen Siedler wurden in der Tat geleitet vom Traum einer besseren Welt. Zweifellos gab es unter ihnen auch Profitjäger und solche, die die Heimaterde verließen, weil sie ihnen aus unrühmlichen Gründen zu heiß geworden war. Und noch bevor der Sklavenhandel Amerikas reine Küsten mit dem Makel der Unmenschlichkeit befleckte, wurden bis zum Jahr 1627 mindestens 1'500 Kinder gewaltsam oder durch Täuschung als billige Arbeitskräfte in die Kolonien gebracht. Dennoch waren die frühen Auswanderer angezogen von der Vision des verheißenen Landes - und vertrieben durch die Verfolgung von Kirche und Staat. Der Hauptbeweggrund für die Besiedelung des neuen Landes, schrieb Joshua Scottow anno 1694 in seiner Narrative of Massachusetts Colony, sei die "Errichtung des Königreiches Gottes" gewesen.
Auch Cotton Mather, ein amerikanischer Puritaner, schrieb 1702, die Kolonisten seien zum amerikanischen Ufer "geflogen", weil sie "mehr Gleichklang" mit der ursprünglichen Lehre Christi anstrebten und mit dem Urchristentum. Dort, in den entfernten Regionen des neuen Kontinents, lebten sie "gleich Fremdlingen in dieser Welt", weit weg von den "Plünderern, Mördern und Banditen" der europäischen Geschichte.
Die reine, ursprüngliche christliche Lehre taucht also gleich zweimal auf in der Geschichte des frühen Amerikas: Erst sind es die albigensischen 'Reinen', die Katharer, welche im Hintergrund die Fäden zur 'Entdeckung' der Neuen Welt ziehen; und dann sind es die Puritaner und die übrigen von der Kirche Europas Verfolgten, welche die gefahrvolle Seereise ins Unbekannte antreten, um ihren reineren Glauben frei von Bedrohung leben zu können.
Bald war der Osten Amerikas von einem bunten Teppich verschiedenster versprengter Glaubensgrüppchen bedeckt: Die Puritaner, die vor der anglikanischen Kirche geflohen waren, siedelten in Massachusetts, Maine, New Hampshire und Vermont; die später unter Cromwell vertriebenen Anglikaner in den südlichen Kolonien; die Baptisten in Rhode Island, South Carolina und verstreut in Neuengland. Quäker, Lutheraner und Mährische Brüder ließen sich vornehmlich in Pennsylvania nieder, Holländisch-Reformierte in der Provinz New York, Katholiken in Maryland, deutsche Mennoniten rund um Philadelphia, schottisch-irische Presbyterianer in Virginia, Pennsylvania und den 'Frontier'-Gebieten (den neuen, noch keinem Staat zugeordneten Siedlungsräumen gen Westen), während die Juden, die bereits ab 1621 ins Land gekommen waren, sich die Städte Newport, New York, Philadelphia und Charleston als Heimat aussuchten.
Wie beherrschend der Glaube im frühen Amerika war, zeigt sich daran, daß praktisch alle Schulen von den Religionsgemeinschaften initiiert wurden; daß jeder Geistliche den (damals hohen) Betrag von zehn Pfund für die Gründung einer religiösen Bibliothek erhielt, und das 1640 gedruckte Bay Psalm Book (Bucht-Psalmbuch) der erste Bestseller der Kolonien war. Schon de Tocqueville hatte konstatiert, daß er kein Land kenne, in welchem "der christliche Glaube einen größeren Einfluß auf das Seelenleben der Menschen hat als in Amerika."
"Ich glaube, Gott sah einen göttlichen Sinn darin, dieses Land zwischen zwei große Ozeane zu plazieren, damit es nur von jenen gefunden würde, die über eine besondere Liebe zur Freiheit und über Mut verfügten."
Ronald Reagan, 40. Präsident der USA
Am Samstag, dem 9. November 1620, wird bei Cape Cod ein Schiff an Land getrieben, das eigentlich viel südlicher, in Virginia hatte landen wollen: Die Mayflower. Auch ein zweiter Versuch, südwärts zu segeln, zerschellt an den stürmischen Winden. Von den 149 Passagieren und Besatzungsmitgliedern sind auf der Fahrt vier gestorben, und die Hälfte von ihnen wird den ersten, harten Winter im Neuen Land nicht überleben. Dennoch scheint Gott eine schützende Hand über die neuen Siedler gehalten zu haben. Denn im Gebiet von Plymouth/Massachusetts, wo sie sich niederlassen, lebte noch bis drei Jahre vor ihrer Ankunft der grimmigste Indianerstamm der ganzen Gegend, die Patuxet. Eine Seuche hatte den Stamm 1617 vollständig ausgerottet - bis auf einen Mann, der auch nur überlebte, weil er sich in der Fremde befand: Squanto. Squantos Geschichte ist einzigartig und wirkt sehr schicksalshaft. 1605wird er vom britischen Kapitän Weymouth gekidnappt und nach England gebracht, wo er die englische Sprache lernt. 1614 kehrt er auf einem Schiff des berühmten John Smith zurück nach Neuengland. Obwohl Smith Squanto eigentlich seinem Stamm zurückgeben will, scheint dies nicht der 'Vorsehung' zu entsprechen. Squanto wird gleich wieder gekidnappt, diesmal von Kapitän Thomas Hunt. Zusammen mit 24 weiteren Indianern will der Engländer ihn in Spanien als Sklaven verkaufen. Die Historie verschweigt, wie alles genau verlief - auf jeden Fall aber landet Squanto nicht in spanischer Sklaverei, sondern wiederum in England und in den Diensten eines Kaufmanns. 1618 nimmt ihn ein Kapitän wiederum mit auf eine Expedition nach Neuengland. Vermutlich will er ihn als Übersetzer benutzen, doch als sein Schiff in die Nähe von Plymouth kommt, springt Squanto ins Wasser und rettet sich ans Ufer, wo er seinen Stamm vermutet.
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