Geht uns das Erdöl aus?

Oder sind die Vorräte noch ungeahnt groß? Russische Forscher sagen ja – und finden Erdöl an Orten, an denen es laut den Amerikanern gar keines haben dürfte. Ihre Erkenntnisse haben auch unseren Autor, einen Spezialisten in Ölfragen, bekehrt.

Entstand Erdöl tatsächlich aus den überresten fossiler Lebewesen wie den Dinosauriern?

Beginnen wir mit der guten Nachricht: Die Panik-Szenarios über eine Welt, der in Kürze das Öl ausgeht, sind falsch. Die schlechte Nachricht allerdings ist, daß der Ölpreis weiter steigen wird – und in der absehbaren Zukunft wahrscheinlich bei 100 Dollar oder mehr liegen wird.

Dies nicht etwa, weil wir ein Ölfördermaximum1 erleben könnten, sondern weil die Politik dies so möchte. Alle am Erdöl beteiligten großen Interessengruppen wollen den Ölpreis hochhalten – unter anderem auch der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney und seine Freunde in der US-Regierung.

Seit dem ersten Ölschock in den Siebziger Jahren beschäftige ich mich persönlich mit der Erdölfrage. Im Jahre 2003 wurde ich von der Theorie des sogenannten Ölfördermaximums fasziniert. Dies schien eine Erklärung für die ansonsten unerklärliche Tatsache zu bieten, warum Washington für einen Militärschlag gegen den Irak alles aufs Spiel setzen sollte.

Angeführt vom früheren BP-Geologen Colin Campbell und dem Bankier Matt Simmons aus Texas argumentieren Befürworter des Ölfördermaximums, daß die Welt mit einer neuen Krise konfrontiert sei: dem Ende der billigen Ölvorräte, oder anders ausgedrückt, mit dem absoluten Ölfördermaximum. Es soll spätestens im Jahre 2012, vielleicht jedoch schon 2007, erreicht werden. Angeblich werden jetzt die letzten Tropfen Erdöl gefördert. Als Beweis für die Richtigkeit ihrer Behauptungen weisen sie auf unsere in die Höhe schnellenden Benzin- und Ölpreise sowie auf die sinkenden Fördermengen in der Nordsee, in Alaska und anderswo hin.

Weiter behauptet Campbell, es sei Beweis genug, daß seit der Entdeckung der Nordsee-Erdölfelder Ende der 1960iger Jahre keine neuen Ölfelder von ähnlicher Größe mehr gefunden worden seien. Offenbar konnte er die Internationale Energie-Agentur und die schwedische Regierung davon überzeugen. Das gibt ihm jedoch noch lange nicht Recht.

Intellektuelle Fossile?

Die Lehre des Ölfördermaximums liegt in einer Theorie begründet, die in hergebrachten westlichen Geologie-Lehrbüchern zu finden ist. Die meisten davon stammen hauptsächlich von amerikanischen oder britischen Geologen und erklären, Erdöl sei ein ‚fossiler Brennstoff‘, ein biologischer Rückstand aus versteinerten Dinosaurier-Überresten oder vielleicht aus Algen; deshalb gäbe es nur einen begrenzten Vorrat davon. Der biologische Ursprung ist der Kernpunkt der Ölfördermaximum-Theorie; er soll erklären, weshalb man Erdöl nur an gewissen Stellen der Welt findet, an denen es vor Millionen von Jahren geologisch eingeschlossen wurde. Das heißt: Überreste toter Dinosaurier seien im Verlauf von vielen Millionen Jahren verdichtet, versteinert und in unterirdischen Reservoiren eingeschlossen worden, die sich in etwa 1’300 bis 1’800 Meter Tiefe befinden. In seltenen Fällen wurden laut dieser Theorie riesige Mengen biologischer Substanz in Gesteinsformationen in seichteren Ozeangebieten wie dem Golf von Mexiko, der Nordsee oder dem Golf von Guinea eingeschlossen. Die Geologie sollte sich nur damit beschäftigen, so die Theorie, diese Einschlüsse (genannt Sedimentbecken) in den oberen Schichten der Erde zu finden, in denen die Öl- oder Gasvorräte liegen.

Eine davon völlig abweichende Theorie der Ölbildung existiert seit den frühen 1950iger Jahren in Rußland und ist im Westen fast gänzlich unbekannt. Ihre Vertreter behaupten, die konventionelle amerikanische Theorie eines biologischen Ursprungs sei eine unbeweisbare wissenschaftliche Absurdität und weise auf die Tatsache hin, daß westliche Geologen im vergangenen Jahrhundert immer wieder auf begrenzte Ölreserven hingewiesen hätten – um dann doch mehr und mehr davon zu finden. Diese alternative Erklärung zur Entstehung von Erdöl und Erdgas ist nicht bloß Theorie. Rußland ist (wie zuvor die UdSSR) zum größten Erdöl- und Erdgasproduzenten der Welt aufgestiegen, weil man sie dort praktisch anwendet.

Die daraus entstehenden geopolitischen Konsequenzen haben überwältigende Ausmaße. Wenn Wladimir Putins Geologen aus Rußland in der Tat die wahren Ursprünge von Kohlenwasserstoffen ergründet haben und wissen, wie man sie in den entferntesten Regionen durch Tiefenbohrungen in bestimmten geologischen Formationen findet, dann hält Rußland einen riesigen Energietrumpf im atomaren Schachspiel zwischen Washington und Rußland in den Händen.2So erstaunt es nicht, daß sich russische Wissenschaftler in den letzten Jahren angeblich einer offenen Diskussion über ihre Erkenntnisse mit westlichen Geologen entzogen haben sollen. Es geht um die nationale Sicherheit Rußlands. Vielleicht rettet dieser Umstand nicht nur Rußland, sondern verhindert auch den 3. Weltkrieg, weil damit Rußland, China und energiehungrige Wirtschaftsnationen wie Deutschland oder Italien eine wirtschaftliche und politische Partnerschaft eingehen können. So verhindert man, daß Amerika im Namen des Krieges gegen den Terror ein globales Imperium aufbauen kann.

Not macht erfinderisch

In den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts sah sich die Sowjetunion durch den ‚Eisernen Vorhang‘ vom Westen isoliert. Der Kalte Krieg war in vollem Gang und Rußland hatte kaum genügend Erdöl für seine Wirtschaft. Auf eigenem Boden genügend Erdöl zu finden, wurde zu einer der wichtigsten Angelegenheiten der nationalen Sicherheit.

Ende der 1940iger Jahre begann am Geophysikalischen Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften sowie am Institut für Geologie an der Akademie der Wissenschaften der Ukraine die Forschung nach der Herkunft des Öls.

Im Jahre 1956 gab Professor Wladimir Porfirjew die Erkenntnisse der Forschung bekannt: „Rohöl und natürliches Erdgas haben keine eigentliche Verbindung mit in der Nähe der Erdoberfläche vorkommenden biologischen Substanzen. Es handelt sich um Urstoffe, die aus großen Tiefen hervorbrechen.“ Die sowjetischen Geologen stellten damit die westlich-orthodoxe Geologie auf den Kopf. Sie nannten ihre Theorie zum Ursprung des Öls die ‚abiotische‘ (also nicht biologische) Theorie, in Abgrenzung zur biologischen Ursprungstheorie des Westens.

Wenn sie recht haben, wäre der Ölvorrat der Erde nur durch die Menge an organischen Kohlenwasserstoff-Verbindungen begrenzt, die zur Zeit der Erdbildung existierten. Die Ölverfügbarkeit hinge deshalb nur davon ab, ultra-tiefe Bohrlöcher zu bohren und die inneren Zonen der Erde erkunden zu können. Man erkannte auch, daß Ölfelder zur erneuten Förderung wiederbelebt werden konnten – sogenannte sich selbstauffrischende Ölfelder. Die Russen vertraten die Ansicht, daß das Öl tief im Inneren der Erde gebildet wird, unter sehr hohen Temperatur- und Druckbedingungen, wie sie bei der Entstehung von Diamanten erforderlich sind. „Öl ist eine in großen Tiefen entstehende Ursubstanz, die unter hohem Druck durch ‚kalte‘ Eruptionen in die Erdkruste transportiert wird“, erklärte Porfirjew. Sein Team wies die Vorstellung ab, Öl sei ein biologischer Rückstand aus fossilen pflanzlichen und tierischen Überresten. Bei dieser Theorie handle es sich vielmehr um eine Falschmeldung der großen amerikanischen und britischen Erdölkonzerne, damit der Mythos eines begrenzten Ölvorrates aufrechterhalten werden könne.

Durch diese radikal abweichende Einstellung der russischen und ukrainischen Wissenschaftler wurde es der UdSSR möglich, riesige Gas- und Ölfelder in Gegenden zu finden, die zuvor anhand westlicher Geologietheorien verworfen wurden. Auch lange nach der Auflösung der UdSSR bohrte man während der Neunziger Jahre in einem Gebiet nach Öl und Gas, das über 45 Jahre lang als geologisches Ödland galt: das Dnjepr-Donez-Becken in der russisch-ukrainischen Grenzregion.Gemäß der abiotischen (oder nichtfossilen) Theorie über die Tiefenherkunft des Erdöls begannen russische und ukrainische Geophysiker und Chemiker mit einer detaillierten Studie der tektonischen Geschichte und der geologischen Struktur des kristallinen Untergrundes im Dnjepr-Donez-Becken. Nach einer tektonischen und tiefenstrukturellen Analyse des Gebietes wurden weitere geophysikalische und geochemische Untersuchungen vorgenommen. Von insgesamt 61 Bohrlöchern waren 37 kommerziell erfolgreich – eine extrem beeindrukkende Erfolgsquote von fast 60 Prozent. Die Größe des entdeckten Feldes läßt sich mit der North Slope in Alaska vergleichen. Amerikanische Erstbohrungen in bisher unerschlossenem Gebiet betrachtet man im Gegensatz dazu schon bei einer Trefferquote von 10 Prozent als erfolgreich. Hier sind neun von zehn Bohrlöchern „trocken“.

Quellenangaben

  • 1 Unter Ölfördermaximum (auch als Ölspitze oder Ölfördergipfel bezeichnet, engl. ‚Peak Oil‘) versteht man den Zeitpunkt, an dem die weltweite Gesamtförderquote aller Ölfelder aufgrund der abnehmenden Ölverfügbarkeit stagniert und dann zu sinken beginnt.
  • 2 Vgl. ZS 55, Seite 58: Die Geopolitik des neuen Kalten Krieges
  • 3 Autor des Buches Mit der Ölwaffe zur Weltmacht. Der Weg zur neuen Weltordnung. Er ist erreichbar unter engdahl.oilgeopolitics.net.