Vom heiligen Patrick und den Rettern der Zivilisation

Die Geschichte von einem, der den Barbaren den Christus brachte und damit das Wissen der Antike vor dem Untergang bewahrte.

Die Geschichte ist ein Wellental. Da gibt es Völker und Zeiten, die hoch aufschäumenden Wellenkämmen gleichen – und da gibt es die Täler, die ganz unter der Macht und Pracht der anderen verschwinden. Doch könnte die Welle brillieren, wenn nicht das Tal da wäre, aus dem sie sich erhebt? Und wie könnte man da behaupten, das Wellental als Bindeglied von einer Welle zur anderen sei weniger wichtig als diese?

Dennoch: Die Wellentäler sind die Stiefkinder der Geschichtsschreibung. Ein solches Wellental breitet sich über das frühchristliche Europa, zum Zeitpunkt, da die schäumende Gischt Roms am Verrauschen ist. Die Barbaren ziehen wandernd über den Kontinent und hinterlassen Narben der Verwüstung. Alles drohen sie mit sich in den Untergang zu ziehen – die ganze bedeutende Kultur Griechenlands und Roms und die Reste dessen, was der Brand der Bibliothek von Alexandria (siehe ZS 20) an noch älteren Schriften verschont hat. Und genau zu jener Zeit gibt es ein kleines Land, abseits in den Wassern des Atlantiks gelegen, das in diesen anbrechenden, ‘dunklen' Jahrhunderten zum Bewahrer des alten Lichts des Wissens wird: Erin, die ‘grüne Insel', heute Irland geheißen.

Ein Jüngling wird geraubt

Wie heruntergekommen Rom in seiner dekadenten Endzeit war, mag der Umstand illustrieren, daß reiche Großgrundbesitzer die öffentlichen Gebäude schamlos und ungeniert als ‘Steinbrüche' für ihre eigenen Palazzi benützten. Und Roms Legionen, einst der Stolz und Rückgrat des Imperiums, wurden nun zum Sammelbecken halbromanisierter ‘Barbaren' und Sklaven. Der satte, selbstzufriedene Römer mochte sich nicht das Leben schwer machen lassen, indem er sich der Disziplinierung durch die Armee unterwarf.

Der Sklavenhandel war übrigens keineswegs alleinige Domäne Roms. Besonders gefürchtete Sklavenjäger waren die ‘Barbaren' der irischen Insel. Um das Jahr 401 fingen sie an den Gestaden Britanniens, an der Mündung des Flusses Severn, einen sechzehnjährigen Jüngling ein. Er hieß Patricius und war der Sohn eines römischen Steuereintreibers – und der Enkel eines katholischen Priesters. Er war nur einer von vielen Tausend Männern, den die Piraten raubten, um ihn auf einem Sklavenmarkt in Irland gewinnbringend zu verkaufen. Doch sollte er für die Aufgabe Irlands als Bewahrer der abendländischen Kultur eine bedeutende Rolle spielen.

 „... betete ich ununterbrochen"

Patricks Los mag in jener Zeit nicht besonders schwer gewesen sein – für einen Sklaven. Heute erscheint es uns unmenschlich: Sechs Jahre verbrachte er als Schafhirte, oft monatelang sich selbst überlassen, ohne Kleidung und ohne Nahrung im launischen, bissigen irischen Klima. Das bißchen Nahrung, das er finden konnte, bewahrte seinen Körper vor dem Verhungern. Daß sein Geist ob dieses elenden, aussichtslosen Schicksals nicht verzweifelte, das lag am Gebet. Zuvor, in Britannien, hatte er sich nie viel aus dem christlichen Gott gemacht. Doch nun, in seiner ärgsten Bedrängnis und Not, wandte er sich an Gott: „Das Hüten der Schafe war meine tägliche Aufgabe, und während der hellen Stunden des Tages betete ich für gewöhnlich ununterbrochen", hielt er in seinen ‘Erinnerungen'(Confession) fest. „Die Liebe zu Gott und die Furcht vor Ihm umgaben mich mehr und mehr. Der Glaube wuchs und der Geist erwachte, so daß ich an einem Tag über hundert Gebete sprach und nach Einbruch der Dunkelheit beinahe nochmals so viel, sogar wenn ich im Wald war oder auf einem Berg. Ich erwachte und betete noch vor dem Morgengrauen – durch Schnee, Frost und Regen. In mir war keine Trägheit, denn der Geist brannte in mir."

Sechs Jahre überlebt der Jüngling so, in der Stille bei seinen Schafen, und trotzte den Regengüssen, dem kalten, beißenden Wind, dem Schnee und Frost. Er hatte sich in den wärmenden Mantel des Glaubens gehüllt, und ab und zu schickt ihm die Sonne ein Zeichen, gleich einer Antwort auf seine Gebete. Und eines Tages vernimmt er deutlich eine Stimme, die zu ihm sagt:„ Schau, dein Schiff steht bereit." In völligem Gehorsam tut er gleich, was Gott ihn heißt. Das Land, das er durchwandert, ist ihm zwar fremd, und auch die Richtung kennt er nicht – er geht einfach so, wie Gott ihn lenkt und erreicht eines Tages die Küste. Und siehe: Ein Schiff liegt vor Anker, das nach Frankreich fährt. Kein Platz, weist man zuerst den seltsamen Landstreicher ab. Patrick betet inbrünstig zu Gott. Die Seeleute ändern ihre Meinung.

Gottes Festmenü

Das Gallien (Frankreich), das sie nach drei Tagen Überfahrt erwartet, erweist sich als wenig gastfreundlich. Die Germanen, die über den Rhein eingedrungen sind, haben eine Spur der Verwüstung und der Plünderung hinterlassen. Zwei Wochen lang begegnen Patrick und die irischen Seeleute keiner Menschenseele – geschweige denn etwas Eßbarem. Schließlich liegen sie alle „zusammengebrochen und halbtot" am Wegesrand (Patrick in seinen ‘Erinnerungen').

Die dem Hungertod nahen irischen Seeleute fordern Patrick und seinen Gott heraus: „Wenn dein Gott tatsächlich allmächtig ist, dann soll Er uns jetzt alle erretten." Patrick ermahnt sie, unbedingtes Vertrauen zu haben und spricht ein inniges Gebet. Und siehe da: Kurz darauf hören die Männer Getrampel, das immer näherkommt. Eine ganze Herde Schweine rast auf sie zu! Gott speist sie also nicht mit irgendetwas ab, sondern serviert ihnen ein Festessen.