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GAMEBOY - du machst mir Angst!

Wenn Militär und Spielindustrie zusammen spannen, sollten wir genau hinsehen, welche Spiele unsere Kinder künftig spielen werden.

Der Autor Olaf Arndt ist Künstler und lebt in Berlin. Er arbeitet als "Beobachter der Bediener von Maschinen" an dem Projekt Troia, einer Ausstellung über die "Technologien politischer Kontrolle". In seinem - von uns leicht gekürzten - Artikel, beschreibt er aktuelle Trends der Kooperation zwischen Unterhaltungsindustrie und Militär.
 
"Wenn Barry Friedman von den FOG Studios Las Vegas über sein jüngstes Vorhaben spricht, klingt das so: "Wir reden hier von der coolsten aller coolen Militärtechnologien und von den angsteinflößendsten Gefahren, die überhaupt denkbar sind". Die FOG Studios sind eine Lizensierungsagentur für interaktive Spielekonsolen, ein ökonomisches Gelenk zwischen spannenden Stoffen und einem Produkt, das wie kein zweites den Spielzeugmarkt dominiert: dem Gameboy.
 
Friedmans Projekt ist ein Joint Venture zwischen den Platinum Studios Hollywood, die auf Comic-Charaktere spezialisiert sind, und den Gameboy-Firmen "Handheld" und "Blueshift". Der Clou der Liaison jedoch besteht darin, dass sie Ende Juni den US-Militärberater John B. Alexander unter Vertrag genommen hat, der derzeit für die US Special Operations Command (Socom) tätig ist. Das Ziel der ungewöhnlichen Verbindung könnte weitreichender nicht sein: Es geht um den Versuch, die neuesten Technologien für den Kampf gegen Terroristen und gewaltbereite Zivilisten, so genannte nicht-letale Waffen, über Filme, Fernsehen und Spiele ins Bewusstsein der Bevölkerung zu heben. Und der Gameboy ist dafür das am besten geeignete Medium.
 
John B. Alexander, der Mann, dessen Wissen hinter dem wohl größten Gemeinschaftprojekt von Militär und Entertainment steht, ist der Leitstern einer neuen militärischen Kultur. Seine Interessen klingen wie ein Alptraum jedes Bürgerrechtlers: Der 66-jährige ehemalige Hilfssheriff aus Dade County, Florida, und Oberst im Ruhestand ist der Botschafter einer Hightech-Ausrüstung für Polizei und Bodentruppen, die Aufrührer durch Schlaf, Schmerz, Blindheit, Lähmung, Erbrechen oder spontane Defäkation außer Gefecht setzt. Zudem träumt er von der politischen Durchsetzung der "Psychotronik", einer "Gehirnkontrolle" zur Überwachung und Manipulation von Gedanken. Dieser Mann wird künftig Szenarien für die Entwicklung "nicht-tödlicher Waffen" liefern, die als Plot für Comics, Filme und die Entwicklung von Spielhandlungen in tragbaren Konsolen und Mobiltelefonen genutzt werden können.
 
Scott Mitchell Rosenberg von Platinum beschreibt die künftigen Vergnügen so: "Wir reden von elektromagnetischen Impulsen, mit denen wir ein Land verkrüppeln können, indem wir seine gesamte Elektronik ausradieren. Oder von Insekten, die wir mit Pheromonen fernlenken, um ganze Städte unbewohnbar zu machen." Die Grenze zwischen Realität und Fiktion, so Platinum, wird sich auflösen. Das Lernziel ist eine Art Bewusstsein weltweiter Bedrohung, in dem schon Kinder als Sonderermittler auftreten. Der Ex-Sheriff gilt als Spezialist für die Erlangung von Informationen auf "extra-sensuellen Wegen", eine Art Telepathie, die laut Alexander auch dazu befähigt, kinetische Kräfte durch den Luftraum zu übertragen.
 
Wie zur Illustration der schlimmsten Befürchtungen erzählt Alexander gern von einem Experiment, bei dem eine Frau zu medizinischen Zwecken komplett dehydriert, von Blut und Wasser trockengelegt und mit einer komplizierten Maschinerie tagelang im Zustand eines künstlichen Komas gehalten wurde. Ihre Gehirnaktivität wurde minutiös aufgezeichnet, sie selbst hinterher befragt. Angeblich konnte sie detaillierte Angaben über ihren "Weg" machen. Jetzt fehle es nur noch an der Dechiffrierung, schließt Alexander verschmitzt, dann wäre jeder Gedanke, der unser Gehirn kreuzt, technisch rekonstruierbar. Vielleicht sollten wir lernen, Hollywood-Produktionen wie die "Matrix"-Triologie nicht nur als schauerliche, aber unwahrscheinliche Utopie zu sehen. Wenn es erst einmal Kindern gelingt, uns mit dem Gameboy lahm zu legen, bleibt uns kaum noch Zeit zu begreifen, welches Programm sie geladen haben."
 
 
Lesen Sie hierzu auch unseren grossen Report über die Gefahren von Videospielen in unserem Artikel Spiel mir das Spiel vom Tod

Quellenangaben

Olaf Arndt " Der unheimliche Berater" in Süddeutsche Zeitung vom 29. Juli 2003