Helena Petrowna Blavatsky: Eine Russin bereitet den Weg für das Neue Zeitalter

Alle großen Ereignisse finden abseits der Weltöffentlichkeit und unbeachtet von den lärmenden Medien statt. Kein Augenzeuge hätte der Begegnung der jungen Russin mit einem indischen Meister, die im Sommer 1851 im Londoner Hyde Park stattfand, irgendeine Bedeutung beigemessen. In Wahrheit jedoch war sie der Beginn all dessen, was heute als ‚New Age‘ bekannt ist. Lesen Sie die Lebensgeschichte der Botschafterin jener ‚Älteren Brüder‘, die seitdem daran arbeiten, die Ideale wahrer Brüderlichkeit unter den Menschen aller Nationen zu verwirklichen.

„Wer ihre Bekanntschaft machte, erlangte sowohl geistige Ruhe als auch moralische Ausgeglichenheit. Sie gab mir Hoffnung für die Zukunft“, erinnert sich der spanische Aristokrat José Xifre an Madame Blavatsky.

Jedes Zeitalter hat sein Rätsel. Helena Petrowna Blavatsky war das Rätsel des neunzehnten Jahrhunderts", schrieb der Philosoph Manly Palmer Hall in den 30er Jahren über die ‚russische Sphinx‘. Dr. Paul Weinzweig, eine führende Persönlichkeit der Vereinten Nationen, charakterisierte sie in seinem Artikel (Zeitschrift ‚Rikka‘, 1978): „Sie war eine hochkultivierte Frau im Sinne des Renaissance-Ideals... Wissenschaftlerin, Dichterin, Pianistin, Malerin, Schriftstellerin, Pädagogin, und vor allem eine unermüdliche Kämpferin um Licht... Ihre Wahrheitssuche und ihr Bemühen um Weltverbrüderung brachten H.P. Blavatsky viel Ablehnung und damit auch viele Feinde ein. Kein anderer Mensch hat die Gemüter im 19. Jahrhundert, einer Ära voll religiöser Vorurteile, spiritistischer Scharlatanerie und intellektueller Großmannssucht, so erhitzt wie sie. Es war daher nur natürlich, daß ihre Verleumder ihr gerade jene Eigenschaften vorwarfen, die sie fast ohne fremde Unterstützung mit gargantuesker Kraft, Gelassenheit und respektlosem Humor bekämpfte."

Charles Johnston, Professor für Sanskrit an der New Yorker Columbia Universität, schrieb im Jahre 1891 in einem Nachruf über Madame Blavatsky, die am 8. Mai jenes Jahres knapp 60jährig verstorben war: „Mein erster Eindruck von Madame Blavatsky beruhte auf der Macht und Größe ihrer Persönlichkeit, als hätte ich eine Urkraft der Natur vor mir... Dieser Eindruck des Besonderen entsprach nicht dem, was man sonst einer starken Persönlichkeit gegenüber empfindet, die andere neben ihr unbedeutend erscheinen läßt und die sich tyrannisch über deren Selbstbehauptungswillen hinwegsetzt. Viel stärker empfand ich eine andere, tief wurzelnde Eigenschaft: die unerschöpfliche Widerstandskraft eines aus den Tiefen der Natur zehrenden Geistes, der auf die urzeitliche ewige Wahrheit zurückgeht. Allmählich zeichnete sich jenseits dieses übermächtigen Eindrucks von Kraft die subtilere Erkenntnis ihrer grossen Sanftmut und Güte ab, ihre unerschütterliche Bereitschaft, sich selbst zu vergessen, um sich völlig dem Leben anderer zu widmen."

Wer hätte gedacht, daß die ‚Vorsehung‘ ausgerechnet eine Frau aus Rußland zur Wegbereiterin der Wiedervergeistigung der Menschheit machen würde? Als nichts geringeres ist HPB nämlich zu betrachten – obwohl wir ihr in diesem Artikel gewiß keinen Heiligenschein zimmern wollen, und ihr selbst jede Art von Guru– Verehrung suspekt, ja, verhaßt war. Weshalb jener Lebensstrom, der buchstäblich der erste Meilenstein auf der Straße sein sollte, welche die Menschheit zurück ins Licht führt – warum dieser Lebensstrom weiblich war, können wir nicht beantworten. Auch die Tatsache, daß das vor uns liegende Zeitalter ebenfalls ein Weibliches sein wird, gibt keine wirkliche Erklärung. Vielleicht besaß nur eine Frau die unbedingte Hingabe und die im Herzen wurzelnde emotionale Willenskraft, gegen alle Widerstände an dem festzuhalten, was sie als wahr erkannt hatte – und jenen gehorsam zu dienen, die sie als ihre ‚Meister‘ betrachtete?

Für Rußland gibt es einfachere Erklärungen. Ist doch die geheime Aufgabe dieses Landes, ‚zwei Wege zu verbinden‘ – den östlichen mit dem westlichen – und genau dies sollte eine der großen Herausforderungen Helena Petrowna Blavatskys werden: Der Brückenschlag zwischen den Religionen des Ostens und des Westens.

Kindheit zwischen Orient und Okzident

Die Biographie einer so wichtigen geschichtlichen Figur wie Helena Blavatsky überläßt nichts dem Zufall. Schon in ihrer Kindheit machte sie Bekanntschaft mit im russischen ‚Orient‘ lebenden buddhistischen Kalmücken; und daß sie selbst, eine Tochter halb deutscher, halb südrussischer Abstammung, selbst das Gesicht eines Kalmücken hatte – großflächig, breite, platte Nase und leicht schräggestellte Augen – sollte es ihr später wesentlich erleichtern, sich in den Ländern des Ostens, und speziell in Tibet als Ausländerin unerkannt zu bewegen.

Um ihre frühe Kindheit ranken sich Legenden. Um 01.42 Uhr örtlicher Zeit des 31. Juli 1831 russischer Zeitrechnung (12. August nach unserer) wurde sie im südrussischen Jekaterinoslaw (später Dnepropetrowsk) geboren. Ihr Vater war der deutschstämmige Oberst Peter Alexejevich von Hahn, ein Abkömmling der mecklenburgischen Grafen Rottenstern–Hahn; ihre Mutter stammte aus einem der ältesten Adelshäuser des Zarenreichs, dem der Dolgorouki, die ihre Abstammung auf den Begründer des russischen Reiches im neunten Jahrhundert, den Fürsten Rurik zurückführen konnten. Ihre Mama, Helena Andrejevna, geb. Fadejevwar eine bekannte Schriftstellerin, die starb, als Töchterchen Helena erst elf Jahre alt war.

Die adelige Abstammung war in jenen Jahren, da es in Rußland noch die Leibeigenschaft gab, unerläßliche Voraussetzung für den Erwerb einer gewissen Bildung – besonders bei einer Frau. Helena Blavatsky gab später nie etwas auf ihre adelige Herkunft und mochte es nicht, wenn man sie als ‚die Gräfin‘ titulierte. Wahrer Adel kam für sie aus dem Herzen; sie verabscheute jeden Standesdünkel und verletzte mit ihrer offenen Art bei jeder Gelegenheit unbekümmert die steifen ‚Höflichkeitsregeln‘ ihrer viktorianischen Zeit, die im Prinzip lediglich gekonntes Lügen bedeuteten – etwas, was sie zeit ihres Lebens verabscheute.

Als kleines Kind zog die Familie im Schlepptau des Vaters von Ort zu Ort– immer dorthin, wo sein Artilleriebataillon gerade stationiert war. Für seine Frau, eine kaum zwanzigjährige und doch schon äußerst belesene und gebildete Schriftstellerin war dies eine Qual. Erleichterung versprach nur ein längerer Aufenthalt in St. Petersburg. Als Peter von Hahn von dort wieder in ein Nest in der Ukraine versetzt werden sollte, beschloß die Gattin, sich zeitweilig von ihm zu trennen und zog mit Tochter Helena und deren dreieinhalb Jahre jüngeren Schwester Vera zu ihren Eltern, gerade als ihr Vater zum Sachwalter der buddhistischen Kalmücken in Astrachan berufen worden war.

Die halborientalische Stadt liegt unweit der Mündung der Wolga ins Kaspische Meer. Die Kalmücken waren ursprünglich im 17. Jahrhundert aus China nach Rußland gekommen. Helenas Familie stattete auch dem Fürsten der Kalmücken, Tumen, einen Besuch ab. Er lebte in einem märchenhaften Palast auf einer Insel im Wolga-Delta und verbrachte seine Tage im Gebet in einem buddhistischen Tempel. Zu einer Zeit also, da die meisten westlichen Menschen keine Religion als das Christentum kannten, und alles andere als wildes ‚Heidentum‘ abtaten, erspähte klein Helena einen ersten Blick in eine ihr noch fremde und doch vertraute Welt, in die sie im späteren Leben tiefer eindringen sollte, als es einem anderen physisch verkörperten westlichen Menschen ihres Jahrhunderts vergönnt sein sollte.

Die ersten Schnipsel über die kleine Helena Petrowna von Hahn erhalten wir von A.P. Sinnett, einem späteren Mitglied der Theosophischen Gesellschaft (die HPB mitbegründete). Er hatte die Informationen über den Charakter der kleinen Helena von Tante Nadja, die nur drei Jahre älter als sie war, erhalten:

„Schon in ihrer Kindheit wandte Helena all ihre Sympathie und Zuneigung Menschen der unteren Klassen zu. Schon immer hatte sie es vorgezogen, mit den Kindern der Dienerschaft zu spielen anstatt mit ihresgleichen... Ständig mußte man auf sie aufpassen, um zu verhindern, daß sie von zu Hause weglief, um mit zerlumpten Straßenjungen Freundschaft zu schließen. So fühlte sie sich auch später im Leben angezogen von jenen, die in bescheideneren Lebensverhältnissen lebten als sie selbst. Dagegen zeigte sie sich dem ‚Adel‘ gegenüber, dem sie selbst von Geburt angehörte, betont gleichgültig.

Sie war ein seltsames Mädchen von deutlich zwiespältiger Natur. Einerseits mutwillig und zu Streichen aufgelegt, andererseits mystisch veranlagt, mit metaphysischen Neigungen... Kein Schuljunge wäre schwerer zu bändigen gewesen... Aber gleichzeitig hätte sich kein Gelehrter beharrlicher seinen Studien widmen können als sie, wenn der Drang, Unfug zu stiften, wie ein Anfall verflogen war. Dann war sie nicht zu bewegen, von ihren Büchern zu lassen, die sie Tag und Nacht zu verschlingen pflegte, solange dieser Impuls anhielt. Die riesige Bibliothek ihrer Großeltern schien damals kaum groß genug, um ihren Wissensdurst zu stillen...".

Nach dem Tod der geliebten Mutter (sie starb mit nur 29 Jahren) zogen die Kinder zu ihren Großeltern und lebten von da an in Saratov, wo ihr Großvater, Geheimrat Andrej Mihailovich Fadejev, Zivilgouverneur war.

Kindliche Visionen

Helena liebte es, durch die Felder und Wiesen zu streifen, und mit ihren lebhaften Visionen von dem, was sich in früheren Zeiten auf jenen Flecken Erde abgespielt hatte, zog sie ihre Spielgefährten oft stundenlang in Bann. Von frühester Kindheit an sah Helena mehr als andere; es schien, als konnte sie damals schon die ätherischen Aufzeichnungen erspähen, die mit jedem Ort verflochten sind. Sie schien auch psychometrische Fähigkeiten gehabt zu haben; so erzählte sie eines Abends den anderen Kindern von den früheren Leben all der ausgestopften Tiere, die das Haus ihrer Großmutter bevölkerten. Wiedergeburt war ohnehin etwas ganz natürliches schon in ihrem kindlichen Denken. Ihre Schwester Vera berichtet: „Für Helena war die ganze Natur von einem geheimnisvollen Eigenleben beseelt. Jeder Gegenstand und jede Form, ob organisch oder anorganisch, hatte für sie eine Stimme. Sie behauptete, Bewußtsein und Leben erfülle nicht nur irgendwelche geheimnisvollen, nur ihr allein sichtbaren und hörbaren Kräfte in einem für alle anderen leeren Raum, sondern sie seien auch in sichtbaren, doch unbelebten Dingen wie Kieselsteinen, Abdrücken im Gestein und in Stücken sich zersetzenden phosphoreszierenden Holzes vorhanden."