Modeschauen: Der Kaiser ist nackt

Ein Essay über die höllisch häßliche Welt des schönen Scheins: Das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern war noch nie so aktuell wie heute.

Anfang der achtziger Jahre verschlug es mich als Journalistin einige Male an die Pariser Haute Couture- und Prêt-à-Porter-Modeschauen. Mittlerweile haben die Supermodels und die Karl Lagerfelds, Jean-Paul Gaultiers und John Gallianos dieser Welt den Rang von Übermenschen, bzw. Halbgöttinnen erhalten. Keine Zeitschrift mehr, die auf sich hält und nicht von den Schauen berichten würde; die prominentesten Fotomodelle werden monatlich in einer eigenen Zeitschrift namens ‚Topmodel‘ wie herausragende Künstlerinnen gefeiert; CNN und andere Private haben ihre regelmäßigen Fashion-Sendungen mit immer denselben Beauties in denselben exklusiven „Lumpen“. Merke, Outsider: Geringschätzung ist eine der Säulen des Mode-Businesses. Weshalb denn jeder, der ‚in‘ sein will in dieser Welt des schönen Scheins, von den sündhaft teuren Kleidern nur als von „Lumpen“ reden darf.

Also, Sie und ich, die wir vermutlich Kleider und keine Designer-Lumpen tragen – wir verpassen absolut gar nichts, dem nachzutrauern sich lohnte. Die Moderedakteurinnen aus der ganzen Welt gehen vor den Eingängen der Zelte, in denen die Modeschauen stattfinden, wie Hyänen aufeinander los, mit Schirmen und Riesentaschen wild um sich schlagend, um rechtzeitig Einlaß zu bekommen. Denn reservierte Plätze haben nur wenige. Im Zelt dann darf man froh sein, wenn die Show mit nur einer Stunde Verspätung beginnt und nicht mit zwei. Kaum ist die Braut über den Laufsteg getrippelt, der ganze Pulk sich wieder stoßend und kneifend aus dem Zelt drängt, denn die nächste Modeschau hat (offiziell) vor einer halben Stunde angefangen und findet einen Kilometer weit entfernt statt, worauf die Pariser einen langen schwarzen Lindwurm von windzerzausten Modeleuten durch die Straßen zum nächsten ‚Défilée‘ hecheln sehen – dann und wann unterbrochen von ärgerlichem Fluchen. Paris ist die Stadt mit der größten Hundedichte der Welt – und damit jene mit den meisten Hundehaufen. Gnadenlos wird übrigens auch das ‚Outfit‘ eines jeden taxiert – und wehe, man versteht die Eingeweihten-Sprache nicht, nach der man gerade nur jene Schuhmarke und jenes Taschenlabel spazieren führen darf – dann ist man hoffnungslos von gestern. Farblich wenigstens ist es leicht, dazu zu gehören: Die Mode-Geier tragen fast ausnahmslos Schwarz. Nach einem Tag fühlt sich jede normal gewachsene Frau klein und fett – angesichts der bleistiftdünnen, giraffenlangen Mannequins. Bei Yves Saint-Laurent sehe ich die Mädels in der Ankleidekabine: Ich bin buchstäblich erschrocken, diese monströs langdünnen Körper vor mir zu sehen. Ich verstehe nun, warum jemand von Topmodel Naomi Campbell sagte, ihre ‚Schönheit‘ gehe haarscharf an der Monstrosität vorbei. Dennoch gilt in Paris wie nirgendwo sonst das Credo der verstorbenen Herzogin von Windsor (alias Wallis Simpson): Eine Frau kann niemals zu reich oder zu dünn sein.

Dünnsein bis über die Grenze des Ausgemergelten hinaus ist denn auch das am härtesten errungene Statussymbol der ganz, ganz reichen Damen dieser Welt. Lynn Wyatt, Öl-Milliardärsgattin aus Texas zum Beispiel, mit Barbie-Mähne, verräterisch faltigem Hals und Handgelenken, die jeden Augenblick zu brechen drohen – und jenem gierigen, fiebrigen Blick, der verrät, daß die Dame in jeder Hinsicht stets hungrig ist. Die Dame von Welt trägt natürlich bei Ungaro Ungaro, bei Chanel Chanel und bei Dior Dior – um dann vom Designer ein müdes Lächeln zu ernten. Denn nichts finden Modeschöpfer langweiliger als ‚Fashion Victims‘–Frauen, die ebenso sklavisch wie einfallslos die Mode jeder neuen Saison tragen – egal, ob sie aus ihnen eine Schönheit oder eine Lächerlichkeit macht.

Paris zur Zeit der Modeschau ist das Zentrum der Blasiertheit dieser Welt. Die Kälte, der Neid und die Gier sind physisch spürbar. Meist spazierte ich mit Bauchklemmen durch die Gegend – damals wußte ich noch nicht, wie man sich vor solchen Emotionen schützen kann. Keiner ist wirklich freundlich zu dir. Jeder hat eine genaue Hackordnung im Kopf, die ihm sagt, bei wem er besser dienern sollte, wo ein (falsches) Lächeln angebracht ist, und wo blasiertes Ignorieren des andern (das kommt am häufigsten vor). Schon früh am Morgen wird vor der Balmain-Schau oder bei Ungaro Champagner gereicht, um die Stimmung wenigstens über den Gefrierpunkt zu heben. Das Gespenst der totalen Veräußerlichung des Menschen vampirisiert jeden, der hier ist. Weit und breit keiner, der ‚in seiner Mitte‘ wäre–oder auch nur wüßte, was das bedeutet. Jeder statt dessen auf sein Aussehen reduziert, das in krankhafter Konkurrenz zu all den anderen Schicken und Schönen steht. Keiner würde sich am Anblick der Mannequins oder Kleider (und gerade beiden Haute Couture- Schauen gibt es traumhaft schöne Roben) erfreuen. Sie sind eine Bedrohung. Das Spieglein an-der-Wand, das dir nur ins Gesicht schreit, wie armselig du selbst bist. Neben all den langbeinigen Gazellen, neben Caroline von Monaco und Paloma Picasso, deren Blick schwärzer nicht sein könnte.

Nach meiner ersten Saint-Laurent-Show fanden alle, seine Kollektion sei enttäuschend. Ich als Neuling auch. Phantasielos, leer, müde. (Der Modeschöpfer selbst ein mit Drogen vollgepumptes Wrack, der von mehreren Leuten auf dem Laufsteg gestützt werden mußte). Dann war ich die einzige, die in naiver Wahrheitsliebe das auch schrieb. Alle anderen lobten die Kollektion, über die sie gelästert hatten, in ihren Zeitungen devot. Welch ein Aufschrei über mein Geschreibsel! Wie kann man nur! Wie wagt sie es! Welche Blasphemie!

Wie gesagt, ich war zu naiv gewesen, um zu erkennen, daß nur geschicktes Lügen diese Scheinwelt am Leben erhalten kann – und der, der schreit – ‚Der Kaiser ist nackt!‘ – das Reich der Eitelkeit zum Wanken bringt.

Bedenken wir es also, wenn wir das nächste Mal die Shows im Fernsehen oder in den Magazinen bestaunen: Es mag ja nett anzusehen sein. Doch starrt hinter dem ganzen schönen Schein die Morbidität seelenloser Veräußerlichung. Es ist nicht schön, dabei zu sein! Es ist wie der Ritt durch eine Hölle aus Gier, Neid und Mißgunst. Nur ein Masochist lebt dafür, zu jener Szene gehören zu können. Doch das ist ja vielleicht gerade das Problem: Daß manch einer sich gern zum Sklaven von Geld und Mode und Schönheit macht, weil er nicht weiß, was das Leben ihm sonst zu bieten hätte.

Das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern war noch nie so aktuell wie heute. Da paßt es ja, daß Karl Lagerfeld es kürzlich illustrierte.