Sie sollte eine neue Brüderlichkeit unter die Menschen bringen und die Basis künftiger Religionen werden: Die Theosophische Gesellschaft. Statt dessen wurde sie zum Club der Debattierer und Philosophen.
Was am 7. September 1875 mit einer Notiz auf einem kleinen Zettel begann, den Colonel Henry Steel Olcott Helena Petrowna Blavatsky zusteckte, und am 17. November desselben Jahres offiziell als ‚Theosophische Gesellschaft‘ gegründet wurde, hätte ein Potential gehabt, wie es der menschliche Verstand nicht zu ermessen vermag. Wie hatten die Statuten jener Gesellschaft doch gelautet, in denen sie ihre Ziele formuliert?
1. den Kern einer universalen Bruderschaft der Menschheit zu bilden, ohne Unterschied von Herkunft, Glaube, Geschlecht oder Hautfarbe;
2. zum Studium der vergleichenden Religionswissenschaft, Philosophie und Naturwissenschaften anzuregen;
3. ungeklärte Naturgesetze und die im Menschen verborgenen Kräfte zu erforschen.
Am Abend des Gründungsbeschlusses hatte sich ein illustres Völkchen in Madame Blavatskys Salon eingefunden, wie man anderntags in einer New Yorker Zeitung nachlesen konnte: Die Chefredakteure zweier religiöser Zeitungen; die Mitherausgeber zweier literarischer Zeitschriften; ein Jurist aus Oxford; ein ehrwürdiger jüdischer Gelehrter und Weltreisender (John Storer Cobb, Herausgeber der New Era, des Organs Reformierter Juden); ein Leitartikel-Schreiber eines New Yorker Morgenblatts (William Livingston Alden von der New York Times); der Präsident der New Yorker ‚Society of Spiritualists‘; Mr. C.C. Massey, ein englischer Rechtsanwalt; Mrs. Emma Hardinge Britten und Dr. Britten; zwei New Yorker Anwälte, ferner der Teilhaber eines Verlags in Philadelphia; der bekannte Arzt Dr. Seth Pancoast. Sie alle waren gekommen, um dem Vortrag von Mr. George Henry Felt über die Entdeckung der geometrischen Figuren in der ägyptischen Kabbala zu lauschen. Noch am gleichen Abend wählte man Oberst Olcott als Präsidenten und den irischen Anwalt William Quan Judge als Sekretär. Madame Blavatsky willigte ein, als ‚Corresponding Secretary‘ zu fungieren. Noch wußte man nicht, wie man die Gesellschaft nennen sollte, doch als der ebenfalls anwesende Charles Sotheran, Wissenschaftsredakteur des ‚American Bibliopolist‘ im Lexikon blätterte, stieß er auf das Wort ‚Theosophie‘ – was so viel wie ‚göttliche Weisheit‘ bedeutet, und dieser Vorschlag fand allgemeine Zustimmung.
1888 erklärte Madame Blavatsky in einem Schreiben zur Jahrestagung der amerikanischen Theosophen, was sie darunter verstand:
„Viele, die noch nie von unserer Gesellschaft gehört haben, sind Theosophen, ohne es zu wissen. Denn der Wesenskern der Theosophie ist die vollendete Harmonisierung der göttlichen und menschlichen Eigenschaften im Menschen, d.h. die Integration seiner gottähnlichen Qualitäten in seine Bestrebungen und Absichten, und damit deren Einflußnahme auf seine erdverbundenen oder tierischen Empfindungen. Freundlichkeit, das Fehlen jeglichen Übelwollens oder jeder Selbstsucht, Barmherzigkeit und Wohlwollen allen Lebewesen gegenüber, sowie Gerechtigkeit anderen gegenüber wie gegenüber sich selbst, sind die Hauptanliegen der Theosophie. Wer Theosophie lehrt, predigt das Evangelium des guten Willens, und auch umgekehrt trifft das zu: Wer das Evangelium des guten Willens predigt, lehrt Theosophie."
Diese Ziele zu verwirklichen, fiel den Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft schwerer, als sie geahnt hatten – vorausgesetzt, es war ihnen wirklich ernst damit gewesen (was man bestimmt von einigen, aber nicht von allen behaupten konnte). Im Gegenteil, es scheint, daß die ‚erdverbundenen und tierischen Empfindungen‘ der Mitglieder, die sie mit ihren gottähnlichen Qualitäten positiv hätten beeinflussen sollen, nun erst recht aufbegehrten. Dafür gab es im Wesentlichen zwei Gründe:
Erstens der gesellschaftliche Widerstand, der der T.G. bald einmal entgegengebracht wurde, gepaart mit übelsten Verleumdungsskandalen, war mehr, als viele Mitglieder ertragen konnten. Madame Blavatsky hatte dies nicht überrascht, wie sie einmal schrieb: „Die Theosophische Gesellschaft hatte ... ein hohes Vollkommenheitsideal, das mit den festgefahrenen Interessen der Gesellschaft kollidierte, weshalb deren Widerstand gegen dieses Ideal nicht ausbleiben konnte."
Zum Zweiten waren es unsichtbare Kräfte, die sich über den Mitgliedern dieses hoffnungsvollen Unternehmens entluden. Jeder ernsthafte Schüler auf dem Pfad weiß, daß die Kräfte der Dunkelheit, des Widergeistes oder wie immer man sie nennen möchte, sich sofort gegen jede wirkungsvolle Bemühung um mehr Erleuchtung der Menschheit stellen. Dazu gehören Skandale, Lügen, raffinierte Intrigen, in denen sich die wohlmeinenden Opfer manchmal so verstricken, daß keiner mehr glauben mag, sie seien wirklich voll des guten Willens und im wahrsten Sinne des Wortes unschuldig; dazu gehören Hindernisse wie Geldmangel (unter dem auch die Theosophische Gesellschaft notorisch litt), Verlust gesellschaftlichen Ansehens und was der menschlichen Werte mehr sind. Dies alles aufrecht durchzustehen, hätte mehr innere Kraft erfordert, als es die meisten Mitglieder damals hatten. Hinzu kam noch, daß immer, wenn der Mensch sich auf den Weg begibt, er mit seinen eigenen Schatten konfrontiert wird. Seine übelsten Eigenschaften trumpfen plötzlich auf wie nie zuvor, und es ist seine Aufgabe, diese zu besiegen, zu transformieren in ihr Gegenteil, in Eigenschaften der Göttlichkeit. Das Ego, sein niederes Selbst, erklärt dem höheren Selbst den Krieg, und manch einer ist ihm in dieser persönlichen Schlacht unterlegen.
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