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Tibetkrise, Teil 5

Hinter der Einkreisungsstrategie gegen China
In diesem Zusammenhang lohnt es sich, eine aufschlussreiche Analyse von Zbigniew Brzezinsky zu zitieren, die im September/Oktober 1997 in Foreign Affairs, der Zeitschrift des New Yorker Council on Foreign Relations, veröffentlicht wurde. Brzezinski, Protégé David Rockefellers und Anhänger Sir Halford Mackinders, des Begründers der britischen Geopolitik, ist heute außenpolitischer Berater des Demokratischen Präsidentschaftsbewerbers Barack Obama. 1997 schrieb er: »In Eurasien liegen die politisch bedeutendsten und dynamischsten Staaten der Welt. Wer auch immer in der Geschichte die Weltmacht anstrebte, kam aus Eurasien. Die bevölkerungsreichen Länder, die heute nach regionaler Hegemonie streben, nämlich China und Indien, liegen in Eurasien, ebenso wie alle potenziellen politischen oder wirtschaftlichen Herausforderer der Vormachtstellung Amerikas. Die nach den USA sechs größten Volkswirtschaften und Militärmächte liegen in Eurasien; ebenso - bis auf eine - alle offenen Atommächte sowie - bis auf eine - alle verdeckten Atommächte. In Eurasien leben 75 Prozent der Weltbevölkerung, werden 60 Prozent des Bruttoweltprodukts erwirtschaftet und liegen 75 Prozent der Weltenergiereserven. Insgesamt gesehen stellt die potenzielle Macht Eurasiens sogar die Macht Amerikas in den Schatten.« Und weiter: »Eurasien ist der Achsen-Superkontinent der Welt. Eine Macht, die Eurasien kontrolliert, hätte entscheidenden Einfluss auf zwei der drei wichtigsten Produktivregionen der Welt, nämlich Westeuropa und Ostasien. Ein Blick auf die Karte macht auch deutlich, dass ein Land, das in Eurasien dominiert, fast automatisch auch den Nahen Osten und Afrika kontrollieren würde. Wenn Europa also heute zum entscheidenden geopolitischen Schachbrett wird, dann reicht es nicht mehr, eine Politik für Europa zu gestalten und eine andere für Asien. Die zukünftige Machtverteilung auf der eurasischen Landmasse wird über die Bedeutung der globalen Vorherrschaft Amerikas entscheiden.« Diese Erklärung, die lange vor der von Amerika angeführten Bombardierung des ehemaligen Jugoslawiens und der Be set zung Afghanistans und des Iraks durch US Militärs, oder die Unterstützung für die Baku-Tblisi-Pipeline geschrieben wurde, stellt die Äußerungen Washingtons über »die Befreiung der Welt von Tyrannei« und die Ausbreitung der Demokratie in einen etwas anderen Zusammenhang, als den, den man von Bush und anderen Politikern gewöhnlich hört. Es geht um globale Hegemonie, nicht um Demokratie. Es überrascht wohl kaum, dass Mächte wie China nicht davon überzeugt sind, es wäre in chinesischem Interesse, wenn Washington eine solch überwältigende Macht bekäme; und Russland hält es wohl genauso wenig für einen Schritt zum Frieden, wenn die Nato die Ukraine und Georgien schluckt und amerikanische Raketen an der Schwelle zu Russland stationiert, »um sich gegen die Bedrohung Amerikas durch iranische Nuklearraketen zu schützen«. Die von Amerika angeführte Destabilisierung Tibets ist Teil einer höchst bedeutsamen strategischen Veränderung. Sie findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem sich die amerikanische Wirtschaft und der US-Dollar - immer noch die Weltreservewährung - in der schlimmsten Krise seit den 1930er-Jahren befinden. Es ist sehr bedeutsam, dass Washington den Wall-Street-Banker und ehemaligen Vorsitzenden von Goldman Sachs, Henry Paulson, nach China schickt, während man gleichzeitig Peking in Tibet in Verlegenheit bringt. Washington spielt buchstäblich mit dem Feuer. Seit Langem hat China Japan als das Land mit den größten Devisenreserven abgelöst; diese bewegen sich jetzt in der Größenordnung von 1,5 Billionen $, die zumeist in amerikanischen Schatzpapieren angelegt sind. US-Finanzminister Paulson weiß genau: Wenn Peking es wollte, könnte China durchaus den Dollar in die Knie zwingen, wenn es nur einen kleinen Teil der amerikanischen Schatzpapiere auf dem Markt verkaufte.

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