Wer durch die Linsen der Medien in die heutige Welt blickt, sieht oft nur Düsternis. Doch abseits der großen Öffentlichkeit leben auch in unserer Zeit Meisterseelen, die gekommen sind, um der Menschheit in einer schwierigen Stunde ihrer Entwicklung beizustehen. Einer von ihnen war der bulgarische Weise Omraam Mikhael Aivanhov (1900-1986).
Sie schlug Mikhael nie, wenn er etwas angestellt hatte. Sie wandte sich immer an sein inneres Ideal des Edelmutes und an seinen Intellekt. Sie wiederholte ihm dann nur das bulgarische Sprichwort: "Was krumm ist, dauert bis morgen, was gerade ist, bis in die Ewigkeit. Wähle selbst." Mikhael Aivanhov wurde tatsächlich ein besonderes Kind. Seine Liebe galt vor allem diesen vier Dingen: Fäden, hohen Bäumen, Wasser (besonders Quellen) und dem Feuer. Einmal schnitt er in einem unbewachten Augenblick seiner Cousine alle Fäden ihres Webstuhls ab. Seine Mutter brauchte eine ganze Nacht, um alles wieder einzurichten! Für ihn waren auch die Menschen auf spiritueller Ebene mit unsichtbaren "Fäden" verbunden und verstrickt, wie sie auch von ihren eigenen Neigungen, Lastern und Leidenschaften gefesselt waren. Er sagte, er selbst sei mit dem Gedanken geboren worden, Bindungen zu durchtrennen und die Menschen von ihren Fesseln zu befreien, um ihnen zu helfen, den einen Faden, den goldenen - die Verbindung mit dem Göttlichen, der Welt des Lichts und der Glückseligkeit - wieder herzustellen und zu stärken. Er wollte, daß die Menschen zu ihrem verlorenen Glück zurückfinden und wußte, daß dieses nur in den hohen, reinen Regionen zu finden ist. Er kletterte auch gerne auf Pappeln. Er liebte es, hoch oben über allem zu sitzen und einen Überblick über das Leben unter sich zu haben. Diese Vorliebe verwandelte sich später in die Liebe zu den göttlichen Höhen, zu allem, was rein, edel und schön ist und was Überblick und Klarheit gibt. Trotzdem blieben Bäume immer etwas Besonderes für ihn, und er nahm sie in seinen Vorträgen oft als Symbol für den Menschen. Er sagte auch, daß Holz in Wirklichkeit kondensiertes Sonnenlicht sei.
Mit vier oder fünf Jahren entdeckte er unweit des Hauses eine Quelle, die aus dem Boden sprudelte. Er war so entzückt, daß er oft stundenlang davor hockte, fasziniert von der Reinheit und Klarheit dieses Elementes. Später war das Wasser für ihn das Symbol der göttlichen Liebe, des Lebens und des weiblichen Aspektes der Gottheit. Wie oft wiederholte er: "Auch wenn man euch Böses tut, hört niemals auf zu lieben, laßt immer eure Quelle fließen, sonst werdet ihr eine unfruchtbare Wüste."
Aivanhov war auch vom Feuer fasziniert. Eines Tages zündete er als kleiner Junge die Scheune der Familie an. Das Feuer war in seinen Augen etwas außerordentlich Schönes, und er verstand nicht, warum das ganze Dorf rannte, um dieses wunderschöne Feuer zu löschen. Die Leidenschaft für das Feuer - Symbol des männlichen Aspekts der Gottheit - begleitete ihn ebenfalls sein ganzes Leben lang. Aber anstatt Scheunen anzuzünden, entfachte er das heilige Feuer der Gottesliebe: zuerst bei sich selbst und dann bei den anderen.
Aivanhov liebte seit frühester Kindheit die Schönheit, die Poesie, die Harmonie. Er sagte einmal: "Ich liebe Gott, weil Er schön ist. Wäre Er es nicht, so könnte ich Ihn nicht lieben. Aber Er ist schön." Trotzdem blieb er von Disharmonien und Aggressionen nicht verschont. Sein Geburtsland Bulgarien war seit vielen Jahrhunderten in politische Wirren verwickelt. Als Mikhael sieben Jahre alt war, wurde sein Dorf von Griechen ausgeplündert. Er ging, wie so oft, außerhalb des Dorfes spazieren, und entdeckte so als Erster die bewaffneten Truppen. Dabei stieß er einen so schrillen Schreckensschrei aus, daß alle Dorfbewohner ihn hörten und sich retten konnten.
Bald darauf zog die Familie Aivanhovs in die Stadt Varna am Schwarzen Meer. Schon kurz nach seinem neunten Geburtstag starb sein Vater. Die ersten Schuljahre waren hart für Mikhael. Seine Mutter konnte ihm keine Schulbücher kaufen. Oft ging er mit leerem Magen und ohne Schuhe zur Schule und lernte seine Aufgaben beim raschen Lesen aus den Büchern der Kameraden. Seine Mutter wurde aus Sorge um die Zukunft schwer krank. In dieser Zeit pflegte Mikhael sie, kochte und versorgte auch seinen drei Monate alten Bruder. Schließlich heiratete seine Mutter wieder, vor allem, um die Existenz der Familie zu sichern, zu der noch drei weitere Kinder hinzukommen sollten. Dennoch lebte die Familie immer am Rande der Armut.
Aivanhov schreibt später, daß diese Zeit der Entbehrung und des Elends ihm halfen, die wesentlichen Tugenden zu entwickeln, seinen Charakter und seinen Willen zu stärken und ihn- um dem materiellen Elend zu entfliehen - motivierten, sich in höhere Ebenen aufzuschwingen. Dies tat er dann auch schon sehr früh. Als er mit sieben Jahren seinen Vater in den Wald begleiten durfte, um Bäume zu fällen, hatte er ein Johannesevangelium bei sich, das ihm ein Freund des Vaters zur Lektüre empfohlen hatte.
Das Gelesene erschütterte ihn; er weinte über seine Fehler, fühlte sich neben Jesus wie ein Sünder und nahm sich vor, von nun an gut, gerecht und fromm zu sein. Doch im Alter von sieben Jahren sind solche Vorsätze nicht von langer Dauer - Mikhael wurde wieder wie alle Kinder. Die Schule empfand er als beengend, und so nutzte er jene Jahre, um sein Innenleben zu entwickeln. Einmal führte er mutig eine Schar von Freunden zur türkischen Gesandtschaft, um dort die bulgarische Flagge anstatt der türkischen zu hissen. Die Buben wurden von der Polizei ertappt. Alle flohen außer ihm, er hielt die bulgarische Fahne fest in Händen. Es geschah ihm nichts. In Wirklichkeit freuten sich die Polizisten über den tapferen Knaben. Aber er handelte keinesfalls aus Patriotismus, sondern aus einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn heraus, denn seine Landsleute litten schon lange unter der türkischen Oberherrschaft.
Mit 16 Jahren beschäftigte er sich ausgiebig mit Farben. Er malte die Scheiben seines Zimmers nacheinander mit den sieben Spektralfarben an, um die verschiedenen Wirkungen zu erfahren. Er meditierte bei jeder Farbe einige Tage und beobachtete ihre Wirkung. Bei Lila gelang es ihm mühelos, aus seinem Körper herauszutreten. Er entdeckte auch, daß er besondere psychische Fähigkeiten besaß; Gedanken lesen und Hypnotisieren konnte. Einmal stieg er mit einer Gruppe von Freunden auf den 2925 Meter hohen Berg Mussala. Das Tal lag in dichtem Nebel. Er fragte seine Freunde, welchen der Seen sie im Tal sehen wollten, hob dann seine Hand, und zum Staunen aller zeigte sich klar der gewünschte See. Dann senkte er die Hand - der See verschwand wieder im Nebel. Diesen Spielchen setzte eine innere Vision ein Ende: Er sah eines Tages zwei Wesen. Das eine hatte eine eindrucksvolle Gestalt, es verkörperte Kraft und Macht, aber sein Gesicht war hart, sein Blick finster und schrecklich. Das andere war strahlend, sehr schön und sein Blick drückte endlose, göttliche Liebe aus. Er fühlte, daß er sich entscheiden mußte und wählte das Wesen mit dem Antlitz Christi, auf dem sich Sanftmut, Güte und Opferbereitschaft spiegelten.
Von da an wandte er sich in übertriebener Weise - wie es eben junge, unerfahrene Idealisten tun - spirituellen Übungen zu. Er selbst äußerte sich dazu: "…ich hatte mich Hals über Kopf in verschiedene Atem- und Konzentrationsübungen aus dem Yoga gestürzt, und man kann sagen, daß ich dadurch meine fünf Sinne nicht mehr ganz beisammen hatte. Die Tage und Nächte waren angefüllt mit Studien, Fasten, Meditationen, Atem- und Konzentrationsübungen und darüber war ich mager geworden, bleich und sehr geschwächt. Meine Mutter war der Verzweiflung nahe…". Er wurde ernsthaft krank und war dem Tode nahe. In seinem Delirium verlangte er nur nach Büchern über Philosophie, Religion und Wissenschaft, die ihm seine armen Eltern dann auch brachten. Und wie durch ein Wunder genas er. Aber trotzdem hatte er in dieser Zeit, mit 16 Jahren, schon wunderbare, mystische Erlebnisse. Er erzählte später: "Ich fühlte … ein Feuer in mir brennen und weinte vor Entzücken, war in Ekstase. Da ich aber in den Büchern nichts darüber gelesen hatte, verstand ich nicht, was es war. Nach einer Reihe beharrlicher Übungen und geistiger Arbeiten war das Feuer entfacht und loderte in mir."
In einem Vortrag aus dem Jahre 1968 erzählte er: "Ich begriff nicht, was vorging. Aber von da an ereigneten sich seltsame, unglaubliche Dinge. Damals geschah es, daß ich die Sphärenmusik vernahm… Erst viel später wurde mir klar, daß jenes Feuer ein Lichtfunke des Äthers, ein Hauch des Pranas, des komischen Geistes war."
In einem weiteren Vortrag, den er 1970 hielt, ging er noch näher darauf ein: "Ich wurde aus meinem Körper herausgehoben und bekam die Sphärenmusik zu hören. Niemals sonst habe ich derartige Empfindungen erlebt, von einer solchen Fülle, einer solchen Intensität. Es gibt nichts Vergleichbares. Das war so unbeschreiblich, beinahe unerträglich, so überwältigend war dieses Gefühl von Erweiterung, von Ausdehnung im Raum. So schön, so göttlich, daß ich es mit der Angst zu tun bekam. Ja, ich bekam Angst vor dieser Pracht, denn ich fühlte, daß mein ganzes Sein derart weit wurde, daß ich Gefahr lief, mich aufzulösen und im unendlichen Raum aufzugehen. Da habe ich den Zustand dieser Ekstase abgebrochen und bin zur Erde zurückgekehrt. Jetzt bedauere ich das. Doch habe ich immerhin einige Augenblicke lang erlebt, gesehen und gehört, wie das gesamte Universum schwingt… Die Sphärenharmonie, die ich gehört habe, war für mich die Krönung all meiner Forschungen, all meiner Arbeit und all meiner außerkörperlichen Erfahrungen. Und seither gilt für mich dies als ein Maßstab, ein Muster, ein Modell, als Anhaltspunkt zum rechten Verstehen und Einordnen aller Dinge." In einem weiteren Vortrag beschreibt Aivanhov sein geistiges Erwachen als Erfahrung mit der "Kundalini"-Kraft. Er sagt: "Es war ein schreckliches Gefühl, so als würde mein Gehirn verbrennen, und ich hatte große Angst. Dann setzte ich meine ganze Kraft ein, um sie wieder einzuschläfern…".
Mit 17 Jahren endlich traf er seinen spirituellen Meister Peter Deunov, und seine gefährlichen geistigen Übungen wurden in gesunde Bahnen gelenkt. Peter Deunov war ein äußerst begabter Mensch mit großem Charisma. Er war Mystiker, Philosoph, Theologe, Heiler, Hellseher und ein wunderbarer Musiker. Er wollte das esoterische Christentum wieder beleben. Aivanhov war überglücklich, ihn gefunden zu haben: "Wenn ich euch beschreibe, welche Freude, welches Glücksgefühl mich erfüllte, als ich meinem Meister zum ersten Mal begegnete, dann würdet ihr mir nicht glauben. Und dieser Zustand dauert immer noch an… Als ich meinen Meister traf, hatte ich den Eindruck, daß mein Kopf und mein Herz randvoll waren mit den Schätzen des Universums. Ich fühlte mich reich, unermeßlich reich!" Aivanhov war zwanzig Jahre lang dessen aufmerksamer und begnadeter Schüler, obwohl er zur selben Zeit auch noch an der Universität Vorlesungen in Psychologie, Pädagogik, Philosophie, Physik, Mathematik, Chemie, Astronomie und Medizin besuchte. In jedem Fach arbeitete er gerade nur so viel, daß er sein erforderliches Zertifikat erhielt, denn sein Hauptanliegen war seine innere Entwicklung, die von Meister Peter Deunov gefördert und überwacht wurde.
Aivanhov sagt rückblickend: "Ich kann euch hier nicht im Einzelnen von den Wanderungen erzählen, die wir frühmorgens bei Sonnenaufgang auf die Hügel von Varna machten. Unbeschreiblich schön waren die Farben des Morgenhimmels und die Pracht der über dem Schwarzen Meer aufgehenden Sonne. Wie oft verweilten wir, der Meister und ich, unter den liebkosenden Sonnenstrahlen! Wir traten aus unserem Körper heraus, und der Meister nahm mich mit in die jenseitige Welt, damit ich deren Wirklichkeit erfahre."
Peter Deunov prüfte seinen jungen Schüler auf vielerlei Weise. Einmal gab er ihm eine besonders schwierige Prüfung: Er sollte in einer mondlosen Nacht auf den Gipfel des Mussala steigen. Aivanhov mußte dabei einen finsteren Wald durchqueren. Die Dunkelheit war so intensiv, daß er kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Auch wußte er, daß es im Wald von Bären, Wölfen und Wildschweinen nur so wimmelte. Später erzählte er darüber: "Ich versichere euch, in derartigen Augenblicken betet man mit besonderer Inbrunst. Ich fühlte, daß ich nie zuvor so gebetet hatte. Kurz nach diesem innigen Gebet leuchtete ein Licht auf, das den Weg auf etwa zwei Meter erhellte. Von da an marschierte ich voller Freude im Schein des Lichts. Ich begann zu singen und fühlte eine Regung in mir, als würde ich von neuen Strömen durchflutet."
Aber seine Prüfung war noch nicht vorüber. Er hörte das Bellen zweier Hunde: "Es begann schon zu tagen, und nun waren die Hunde so nahe, daß sie mich sehen konnten. Mit entsetzlichem Gebell stürzten sie auf mich zu … Groß wie Kälber waren sie, der eine weiß, der andere grau. Nun verlief alles sehr schnell, in Worten kaum zu fassen. Bedrohlich, mit weit geöffneten Rachen wollten sie sich gerade auf mich stürzen, aber da ich voller Licht und Gottvertrauen war, schleuderte ich mit unbeschreiblicher Wucht meine rechte Hand in ihre Richtung. Es war ein entscheidender Augenblick. Ich spürte die Anwesenheit unsichtbarer Wesen und die des Meisters. Auch wenn ich noch nie andere Beweise erhalten hätte, dieses Erlebnis allein hätte genügt, um mich von der Existenz der göttlichen Welt zu überzeugen. Als ich meine Hand vorwärts schleuderte, ertönte ein herzzerreißendes Geheul. Die Hunde wurden von unsichtbarer Macht emporgehoben und einige Meter von mir weg auf den Boden geworfen. Dort blieben sie, vor Angst erstarrt, unbeweglich und stumm mit abgewendetem Blick liegen." Er erreichte den Gipfel bei Sonnenaufgang voller Freude und Dankbarkeit. Aivanhov arbeitete ständig weiter an sich, war sich selbst gegenüber streng und duldete keine Schwäche in sich. Durch Selbsterkenntnis und Beharrlichkeit erklomm er immer höhere Stufen. Als er einmal im Rilagebirge meditierte, hatte er ein wunderbares Erlebnis. "Plötzlich dachte ich, ich müsse wohl Halluzinationen haben, denn alles um mich her schien lebendig zu werden; die Steine, das Gras und die Bäume begannen plötzlich zu schwingen und zu leuchten wie durch Zauberhand. Das Phänomen dauerte längere Zeit an, und meine Begeisterung und mein Erstaunen waren so groß, daß ich mich von dem Schauspiel nicht losreißen konnte. In dem Augenblick wurde mir klar, wie schrecklich unwissend wir sind, was das wirkliche Wesen der Natur betrifft. Hinter ihrer sichtbaren Fassade verbirgt die Natur eine Wirklichkeit, von der die Menschen noch nicht einmal träumen."
Aivanhov war nun für die schwierige Aufgabe, die vor ihm lag, gerüstet. Sein Meister hatte prophetisch die Zeichen der Zeit erkannt und das Schicksal, das Bulgarien ereilen würde und schickte seinen Schüler 1937, zwei Jahre vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, nach Frankreich, um dort die Lehre zu verbreiten. Aivanhov war nicht sonderlich überrascht. Er hatte sich schon oft vorgestellt, über die Champs-Elysées zu gehen. In Bulgarien ließ er seine Familie, Freunde und Schüler zurück - er war Direktor einer Schule gewesen. Bei seiner Abfahrt kamen alle Schüler an den Bahnhof und weinten, als der Zug abfuhr.
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