Hochgrad-Maurer: "Idealisten sind kaum gefragt"

Herr YM war jahrzehntelang Hochgradfreimaurer. Wie auch Frau FZ gehörte er in den letzten Jahren einer gemischten Loge an. Sie berichten vom Freimaureralltag heute.

Herr YM, was hat Sie bewogen, in die Freimaurerei zu gehen?

YM: Ich war – und bin – ein Mensch, der suchte, sich weiterentwickeln will, nach Vervollkommnung strebt. Ich war in dieser Hinsicht schon aktiv, als ich ein Buch in die Hände bekam, "Die unbekannte Seite der Freimaurerei". Da mich rituelle Formen interessieren, war ich vom Inhalt total begeistert. Zwei Jahre vergingen, bis ich einer Dame gegenüber erwähnte, daß ich so gerne mehr über die Maurerei wissen würde, man sich da ja aber selbst nicht bewerben könne. Sie belehrte mich eines Besseren. Erstens konnte man sich sehr wohl bewerben, zweitens war sie selbst Freimaurer. Innerhalb eines halben Jahres war ich so in einer gemischten Loge, im Ausland.

■ In der Freimaurerei gibt es die sogenannte 'Blaue Loge', welche die drei Grade des Lehrlings, des Gesellen und des Meisters umschließt.

Gibt es vorgeschriebene Zeiten, wie lange man in einem Grad sein muß, um weiterzukommen?

YM: Etwa ein Jahr. Allerdings kann man die Bewußtseinsentwicklung eines Bruders oder einer Schwester schlecht abmessen. Man tut es also gefühlsmäßig: Ist er oder sie bereit, weitere Verantwortung auf sich zu nehmen? Würde ihn dies eher belasten oder fördern?

■ YM spricht von Logen, die ihre Tätigkeit ernst nehmen. Aus Amerika sind uns aber auch maskuline Logen bekannt, wo jeder innerhalb von weniger als einem Jahr den 32. Hochgrad erreichen kann – ohne daß er sich irgend einen Verdienst dafür erworben hätte. Das ganze Logensystem wird damit natürlich völlig zur Farce und zur reinen Befriedigung männlicher Eitelkeit.

Können Sie sagen, welche Anforderungen an einen Gesellen oder Meister gestellt werden puncto Verhalten?

YM: Da gibt es keine fixen Erfordernisse. Es ist ja ein Weiterschreiten im Bewußtsein. Man wird in Schritten an das Ziel herangeführt. So war es auch bei den alten Mysterieneinweihungen. Es ist einfach eine Zeit, in der man wächst und in der Loge tätig ist und sich dem Nächsten gegenüber brüderlich oder schwesterlich verhält und Anteil nimmt an den Aufgaben, die anstehen im sozialen Bereich. Und plötzlich wird man als reif erachtet für den nächsten Grad.

Das Besondere in der Maurerei sind die alten Mysterieneinweihungen, die rituellen Formen, die symbolisch darstellen, was man mit Worten nicht ausdrücken kann. Die Maurerei ist daher ein Erlebnisweg und kann dem 'Profanen' (Ausdruck für einen Nichtfreimaurer, die Red.) nicht mitgeteilt werden. Es gibt kein maurerisches Geheimnis. Es liegt, wenn schon, in dem, was der Einzelne in seiner Erfahrung durch die Einweihungen und vor allem durch den Dienst nach außen erlebbar für sich macht.

Es gibt also keine maurerischen Weisheitsbücher?

YM: Nein! Da wurde viel von der katholischen Kirche dazu getan. Weil sich Maurer und Kirche früher ja nicht grün waren. Es gibt aber wirklich kein maurerisches Geheimnis. Es liegt in jedem Einzelnen, in dem, was er erlebt. Man kann Einzelheiten über rituelle Dialoge verraten, doch wäre es schade, denn wenn einer eingeweiht wird, soll er es so erleben, wie es im Original steht und nicht als einen Widerhall von längst Gehörtem. Bei der Einweihung ist man auch im richtigen meditativen Zustand, um die Inhalte richtig aufzunehmen. Im übrigen habe ich einen Eid geleistet, über diese Dinge zu schweigen, und den halte ich auch.

Haben Sie sich nach einer Einweihung anders gefühlt als zuvor?

YM: Ja. Eine Woche lang hielt das mindestens an; daß man sich in einem veränderten Bewußtsein befand.

Frau FZ: Natürlich hinterläßt jede Zeremonie, jede Einweihung ein Gefühl, ein Erlebnis, das bereichert und an dem man wächst. Das spürt man schon. Man verändert sich auch, obwohl man dies meist nur im Rückblick erkennt. Im Augenblick, wo es geschieht, merkt man bloß, daß sich etwas Neues ergab, ist aber nicht in der Lage zu erkennen, was sich wo verändert. Früher haben uns viele Dinge noch viel emotionaler berührt als heute. Das haben wir in all den Jahrzehnten gelernt.

Hatten Sie bei solchen Einweihungen ein Gefühl der Heiligkeit?

YM: Nein. Schön wär's. Das ist auch der Grund, warum ich der Maurerei wieder den Rücken gekehrt habe. Ihre Werte und Qualitäten und hehren Ziele sind unumstößlich da, doch die Art und Weise, wie maurerisches Leben heute stattfindet, ist enttäuschend. Man könnte es eine Veräußerlichung nennen. Das Organisatorische, die rituellen Regalien sind viel zu wichtig geworden, und man ist viel zu viel mit sich selbst beschäftigt. 90 Prozent sind nur Mitglieder, kreisen um sich selbst, tun nichts nach außen und wollen gern etwas Besonderem angehören. Einige kommen nur wegen dem Nimbus des Geheimnisvollen.

Welche Rolle spielen Liebe und Brüderlichkeit in der Freimaurerei?

YM: Brüderlichkeit, Toleranz und Nächstenliebe spielen die überragende Rolle. Es geht darum, den Humanitätsgedanken in die Welt hinauszutragen. Geübt werden die Tugenden zuerst im Bruder-Schwester-Kreis, doch das Ziel ist klar die 'profane' Welt. Obwohl 'profan' im Grunde ein schlimmes Wort ist.

Das nicht so recht zur Brüderlichkeit passen will!

YM: Es wird schon ziemlich genau definiert, was man darunter zu verstehen hat. Doch gehört es halt zum alten maurerischen Wortschatz. Es zeigt auch ein Versäumnis der Großloge von England auf: Die Lehren der Zeit anzupassen. Sie sind in der Vergangenheit steckengeblieben und betrachten sich immer noch als die ausschließliche, weltüberragende Loge, nach der sich alles zu richten hat.

Es besteht weitherum die Ansicht, daß die Freimaurer ‚Brüderlichkeit' vor allem so verstehen, einander geschäftliche Vorteile zuzuschanzen.

YM: Ich kenne diese Ansichten natürlich. Man muß den geschichtlichen Hintergrund davon kennen. Früher war der Katholizismus so stark, daß jemand, der nicht katholisch war, vielerorts keine Arbeitsstelle bekam. Als mehr und mehr Logen sich bildeten, kam es zu einer Art Kontra-Reaktion auf dieses Verhalten.

Uns passierte sogar, daß unwissende Arbeitslose sich bei uns meldeten in der Meinung, wir würden Arbeitsplätze vergeben. Doch ist dem Maurer schon aufgetragen, Brüderlichkeit ohne Unterschied in der äusseren Welt zu leben.

Was passiert mit einem Freimaurer, der sich auf irgendeiner Stufe als völlig untauglich entpuppt?

YM: Er wird vermutlich die Loge selbst verlassen, weil er sich nicht mehr wohl fühlen wird.

Das Problem liegt meiner Meinung darin, daß die maurerischen Anforderungen so abgeflacht wurden, daß keiner mehr richtig gefordert wird.

Jeder ist völlig frei, kann machen was er will, und wird kaum richtig auf seine Qualitäten geprüft. Und wenn keiner ein geschärftes Bewußtsein hat – wer soll dann wem noch Rechenschaft ablegen.

Sieht man, ein Bruder bemüht sich redlich, hat aber geschäftliche oder familiäre Probleme, so hilft man, wo man kann. Da gibt es ja auch den Bürgen, den jeder in den ersten zwei Graden hat, und da gibt es die Schwestern und Brüder, mit denen er sich austauschen kann.

Die Loge kann also niemanden ausschließen?

YM: Doch, doch. Das wurde auch schon gemacht. In allen Graden. Da wird dann einer vor den Beamtenrat oder vor das Ehrengericht gebracht, die maurerische Gerichtsbarkeit.

Leserstimmen zum Artikel

Mit großem Interesse habe ich in der letzten Ausgabe Ihrer ZeitenSchrift-Druckausgabe Nr. 12 die Artikel über die Freimaurer gelesen. Da ich mich seit über einem Jahr mit dieser Thematik mehr oder weniger stark beschäftige, und ich leider bisher keinen kompetenten Ansprechpartner gefunden habe, bin ich sehr froh, in Ihrer ansprechenden Zeitschrift diese ausführlichen Ausführungen vorgefunden zu haben.

M. I., DE-Hohenbrunn