80 Prozent aller Erwachsenen leiden an Beschwerden des Bewegungsapparats. Wir hinken, schlurfen, schleppen uns durchs Leben – dabei sollte Gehen doch ganz einfach gehen. Die weitverbreitete Abstinenz vom Gehen ist für unsere Körper viel verheerender, als wir meinen, und Grund für manch eine Krankheit.
Friedrich Nietzsche war jeder Gedanke, der nicht im Gehen entstanden war, verdächtig. Er habe nicht nur mit den Händen, sondern auch mit den Füßen geschrieben, meinte er und drückte damit aus, wie sehr Denken und Gehen miteinander verknüpft sind. Mit dieser Überzeugung befand er sich in prominenter Gesellschaft. Aristoteles trug seine Lehren gewöhnlich vor, währenddessen er mit seinen Schülern durch die Wandelhalle, den Peripatos, spazierte. Auch Johann Wolfgang von Goethe, der Philosoph Arthur Schopenhauer und Hermann Hesse fanden im Spazieren und Wandern Inspiration für ihre weltberühmten Werke.
Dies ist nicht zufällig, denn durch das Gehen nimmt die Sauerstoffsättigung im Blut zu, wovon alle Organe, insbesondere aber das Gehirn, profitieren. Man hat festgestellt, dass nach einem Spaziergang von 40 Minuten die Durchblutung verschiedener Gehirnregionen um einen Drittel ansteigt und die Konzentrations- und Gedächtnisleistung so um bis zu 60 Prozent angehoben werden kann. An der Universität Bremen fand man heraus, dass Versuchsteilnehmer, die drei Mal pro Woche einen etwas längeren Spaziergang machten, schon nach einigen Wochen ein besseres Resultat bei Intelligenztests erzielten. Beim entspannten Gehen setzt das zentrale Nervensystem Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, frei, welche die Denkleistung, Kreativität, das Kurzzeitgedächtnis und die Problemlösungsfähigkeit verbessern. Besonders stark ist die Wirkung auf Gehirne, die sich noch in der Entwicklung befinden, also bei Kindern und Jugendlichen. Eine Studie der Universität von Illinois, USA, konnte zeigen, dass bewegungsfreudige Schüler einen besseren Notendurchschnitt aufwiesen als die „Couch Potatoes“ und Stubenhocker in der Klasse. Wer regelmäßig geht, tut außerdem etwas zur Prävention von Alterskrankheiten wie Parkinson, Alzheimer und Demenz, und es können dadurch sogar neue Nervenzellen wachsen – etwas, das man bis vor Kurzem für unmöglich hielt!
Erinnern Sie sich an den pinkfarbenen Duracell-Hasen? Wenn Sie Kinder haben, wird es Ihnen wohl öfter so vorkommen, als wohnte dieser bei Ihnen zu Hause, denn wenn Sie schon längst in den Seilen hängen, ist Ihr Kind meist immer noch voller Energie – und läuft und läuft und läuft. Kinder sind „Bewegungstierchen“, wobei der Begriff „Tierchen“ gar nicht so weit hergeholt ist, stammen unsere Körper doch aus dem Naturreich (das Körperelemental – der „Geist des Fleisches“, der als individualisiertes Wesen die Funktionen unseres physischen Körpers kontrolliert1 – hatte seine Evolution einst im Tierreich durchlaufen). Und die Natur ist immer in Bewegung; was sich nicht bewegt, ist tot. Dies gilt letztlich auch für den Menschen. Unser Erwachsenendasein als „Sitzling“ ist Ursache für eine Vielzahl von Erkrankungen und Beschwerden. Biologisch und physiologisch gesehen ist der Mensch ein „Lauftier“ und nicht für die Untätigkeit geschaffen. Bewegung hat eine weit größere Bedeutung als die, uns wieder in Kleidergröße 36 passen zu lassen. Gemäß den amerikanischen Evolutionsmedizinern Randolph Nesse und George Williams ist Bewegung „die Voraussetzung für das normale Funktionieren des Menschen“. Oder anders gesagt: Wenn wir uns nicht bewegen, werden wir krank.
Inaktiven Menschen wird häufiger als dem Rest der Bevölkerung die Gallenblase entfernt und sie haben ein um 50 Prozent erhöhtes Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, denn da die Verdauung träger vonstattengeht, sind die Organe länger krebsauslösenden Stoffen aus der Nahrung ausgesetzt. 67 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen leiden unter Fettsucht, sieben Millionen Deutsche haben Osteoporose, und ein Herz-Kreislauf-Problem ist bei jedem Zweiten die Todesursache. Und damit noch nicht genug: 82 Prozent der Bevölkerung haben chronische Probleme mit dem Bewegungsapparat. Tatsächlich schaffen es 65 Prozent der 50- bis 59-jährigen Frauen und 60 Prozent der gleichaltrigen Männer in Deutschland kaum noch, eine Treppe drei Stockwerke hochzugehen! Das hat auch finanzielle Folgen, allein in Deutschland entstehen dadurch jährliche Kosten von über 25 Milliarden Euro; die Hälfte der Frührenten wird aufgrund von Wirbelsäulenproblemen genehmigt.
Man hört diesen Ausspruch immer wieder: „Es ist halt einfach so, ab einem gewissen Alter kommen auch die Zipperlein.“ Doch wir altern nicht chronologisch, sondern biologisch. Was als normaler Alterungsvorgang verstanden wird, ist in den meisten Fällen die Folge von Inaktivität. Nichtbelastung ist wohl die größte Sünde an unserem Bewegungsapparat, und insbesondere bei Stoffwechselproblemen und Gelenkverschleiß ist Schonung die schlechteste Medizin. Nicht umsonst verfügt der menschliche Körper über seine zwei ganz eigenen Anti-Aging-Ärzte, nämlich sein rechtes und sein linkes Bein. „Gehen ist Therapie, Medikament und Vorbeugemaßnahme. Wer regelmäßig geht, wird schneller gesund oder gar nicht erst krank“, so Professor Klaus Schüle, Sportwissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule Köln. Ein täglicher halbstündiger Spaziergang lässt im Körper die Konzentration von Interleukin-6, welches das Immunsystem reguliert und unter anderem in der Krebstherapie eingesetzt wird, um das Hundertfache ansteigen. Gleichzeitig sinkt das Herzinfarkt-Risiko um 40 Prozent. Regelmäßiges Gehen hält die Herzkranzgefäße besser offen als Stents, das zeigt eine Studie der Universität Leipzig. Und das Gehen senkt die Rückfallgefahr nach Krebserkrankungen und erhöht die Überlebenschancen. Die Liste der positiven Auswirkungen auf den Körper ist schier unendlich, hier eine Auswahl:
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