Unter den Autobahnen liegen die Strände der Welt

„Davon gibt es so viel wie Sand am Meer“, sagen wir und meinen damit, dass es von etwas unendlich viel gibt. Denn dass der Sand auf diesem Planeten je zur Neige gehen könnte, glauben wir nicht. Aber da täuschen wir uns gewaltig.

Bei Sand denken die meisten Menschen an Sonne, Meer und Urlaub. Weniger romantisch veranlagte Gemüter denken dabei vor allem an Geld, viel Geld. Denn Sand ist eine der wertvollsten Ressourcen der Welt. Kein anderes Material – abgesehen von Wasser – wird in solch riesigen Mengen verbraucht: Weltweit sind es jährlich rund fünfzehn Milliarden Tonnen. Wer hier mitmischt, kann sich eine goldene Nase verdienen. Siebzig Milliarden Dollar pro Jahr beträgt das offizielle Handelsvolumen von Sand. Und die Geschäfte laufen prächtig, denn Sand wird langsam knapp.

Unter den Autobahnen liegen die Strände der Welt!

Auf Sand gebaut

Wie bitte? Sand wird knapp? Wo geht der denn hin? Sicher, beim Sandkastenspielen geht auch immer eine Menge daneben, aber daran kann es wohl nicht liegen, oder? – Natürlich nicht. Doch die Dimensionen des globalen Sandkastenspiels sind bedeutend größer, als wir vielleicht ahnen. Denn Sand ist ein elementarer Stoff, der zu den wichtigsten Grundlagen der zivilisatorischen Entwicklung gehört. Sand ist ein ‚Alleskönner’-Rohstoff, ohne den heutzutage nichts gehen würde. Er befindet sich nämlich in Putzmitteln und Kosmetika, in Mobiltelefonen und Kreditkarten. Kein Computer würde funktionieren ohne Sand, kein Flugzeug fliegen: Der Sand steckt in den Kunststoffteilen der Kabine, im Leichtmetallrumpf, in den Reifen und in den Triebwerken. Vor allem aber findet sich Sand in Straßen und Gebäuden. Denn Sand ist quasi gleichbedeutend mit Beton: Zwei Drittel aller Bauwerke auf dem Planeten sind aus Stahlbeton, und dieser wiederum besteht zu zwei Dritteln aus Sand. Der Bausektor ist denn auch der größte Sandschlucker. Für ein mittelgroßes Haus werden zweihundert Tonnen Sand verbaut. Für ein größeres Gebäude wie ein Krankenhaus werden bereits dreitausend Tonnen Sand benötigt. Jeder Kilometer Autobahn braucht dreißigtausend Tonnen Sand und in einem Atomkraftwerk verschwinden gar zwölf Millionen Tonnen. Dies sind riesige Mengen, aber weil Sand so unscheinbar und scheinbar unerschöpflich ist, macht sich kaum jemand Gedanken darüber.

 Doch Sand ist keine nachhaltige Ressource! Und langsam stellen wir fest, dass jedes Sandkorn auf dieser Erde seinen Sinn und Zweck hat. Alle leicht und kostengünstig abbaubaren Sandreserven sind bereits ausgeschöpft. Zuerst hat man Tagebau in Sandgruben betrieben, doch dieser hat die Landschaft verschandelt. Dann begann man, die Flüsse auszubaggern, doch als Folge kämpfte man verstärkt mit Hochwasser. Nun hat man sich der letzten Sandquelle zugewendet: dem Meeresgrund. Dort sieht man die gebuddelten Löcher nicht und eben, Sand im Meer gibt es wie Sand am Meer. Mittel zum Zweck sind sogenannte dredger, Schwimmbagger. Das sind riesige Schiffe, die den Sand vom Meeresboden an die Oberfläche pumpen, je nach Leistung und Standort des Schiffes respektive Baggers zwischen vier und vierhunderttausend Kubikmeter Sand pro Tag. Zurzeit sind auf den Weltmeeren mehrere Tausend solcher Ungetüme unterwegs.

Hunger nach Sand

Die Nachfrage nach Sand ist ungebrochen. Spanien hält den zweifelhaften Rekord als größter Sandkonsument Europas. Es herrscht Wohnungsmangel, obwohl dreißig Prozent der Wohnungen leer stehen. Ganze Flughäfen wurden gebaut, die nie genutzt wurden und nun zur Ruine zerfallen. In China, dessen Bauwirtschaft rund ein Viertel des weltweit abgebauten Sandes beansprucht, gibt es fünfundsechzig Millionen unbewohnte Wohnungen. In Mumbai sind fünfzig Prozent aller Bauobjekte verwaist und auch in Dubai wird munter gebaut, obwohl allein schon der Burj Khalifa, das höchste Gebäude der Welt, zu neunzig Prozent leer steht. In den meisten Fällen werden die Objekte von Spekulanten zurückgehalten, um den Preis in die Höhe zu treiben. Und überall steckt Sand drin, jede Menge, der, wie wir später sehen werden, an anderer Stelle dringend benötigt würde.

Neben den vielen Bauprojekten werden auch Unmengen Sand zur Landgewinnung verbraucht. Prominentestes Beispiel ist wiederum Dubai. Das exorbitante Aufschüttungsprojekt The Palm, künstlich angelegte Inseln für die Reichen und Mächtigen, verschlang über hundertfünfzig Millionen Tonnen Sand. Für das fünfzehn Milliarden Dollar teure Folgeprojekt The World mit dreihundert künstlichen Inseln ist sogar dreimal mehr Sand nötig. Doch wurde The World durch die Finanzkrise 2008 stillgelegt und versinkt langsam aber sicher wieder im Meer.

Nun sollte man meinen, die Scheichs hätten Sand genug, um ihre Riesenprojekte zu realisieren. Weit gefehlt, Dubais Sandreserven sind längst erschöpft. Dies scheint geradezu lachhaft, denn wenn es dort an etwas nicht mangelt, dann ist es Sand. Doch ist Sand eben nicht gleich Sand: Wüstensand ist für Bauprojekte gänzlich ungeeignet. Der Wüstensand wird durch Winde bewegt, wodurch die Sandkörner rund und glatt geschliffen werden. Deshalb haften sie nicht aneinander, jegliches Bauwerk würde zerkrümeln wie die Kekse von Sesamstraßens Krümelmonster. Nur der rauere und kantigere, durch Wasser geformte (Meeres-)Sand kann zum Bauen verwendet werden. Das bedeutet, Dubai baut mit ‚fremdem’ Sand, vor allem aus-tralischem. Rund dreieinhalbtausend aus-tralische Unternehmen exportieren Sand auf die arabische Halbinsel. Ein gutes Geschäft: Die Gewinne daraus haben sich in den letzten zwanzig Jahren verdreifacht. Australien verdient mit Sand, den es ja, abgesehen von den Kosten zur Sandgewinnung, gratis erhält, um die fünf Milliarden Dollar pro Jahr.

Ein weiteres Beispiel ist Singapur. Singapurs Existenz hängt gänzlich vom Sandimport ab, da es jetzt schon hoffnungslos über­­­bevölkert ist. Durch Landaufschüttungen hat Singapur bereits hundertdreißig Quadratkilometer Fläche hinzugewonnen, bis 2030 sollen weitere hundert Quadratkilometer dazukommen. Der Sand stammt zum größten Teil aus Indonesien. Und dieses bekommt die Folgen des Sandexports hart zu spüren.