Wasserprivatisierung: Der Krieg ums Wasser

Weltweit sollen Privatisierungen öffentlicher Güter Milliarden in die Kassen der Konzerne spülen. Doch beim Lebensquell Wasser sind die Folgen mit Preiserhöhungen und Qualitätsverlust besonders drastisch. Dementsprechend groß – und erfolgreich – ist der Widerstand.

Das Wasser gehört allen

Etwas Teuflisches geschieht auf der Welt: Wasser, eine Gabe des Schöpfers an die Menschen, wird von privaten Konzernen an sich gerissen – mit dramatischen Folgen für uns.

„Das Wasser gehört uns!“, skandierten Tausende und Zehntausende in Boliviens viertgrößter Stadt Cochabamba. Sie hatten keine Angst, obwohl wegen ihrer Proteste das Kriegsrecht verhängt worden war, viele Aktivisten eingesperrt, Tausende verletzt und bereits mehrere Bürger von Polizei oder Militär getötet worden waren.

Vor laufender Kamera ging eine ältere Frau auf einen volljustierten Polizisten zu und erklärte mit Heldenmut: „Ich bin unbewaffnet, aber wenn Du kämpfen willst, lass uns kämpfen.“ Wenig später schafften es die aufgebrachten Menschen, Polizei und Militär zu vertreiben. Die Uniformierten mussten sich in ihre Kasernen zurückziehen. Der private Wasseranbieter Aguas del Tunari, hinter dem unter anderem der US-Konzern Bechtel stand, verließ fluchtartig das Land. Nach einem halben Jahr hatte die Bevölkerung im April 2000 den „Wasserkrieg“ gewonnen. Sie hatte die 40-jährige Überlassung des Wassers an den Konzern verhindert, der die Preise gleich zu Beginn um 30 bis 300 Prozent erhöht hatte. „Schließlich legte ein Gesetz subtil zwischen den Zeilen fest, dass es illegal sein sollte, Regenwasser zu sammeln“, erzählt Oscar Oliveira, einer der führenden Köpfe des Widerstandes. Und die Frau, die sich so mutig den Polizisten entgegenstellte, resümiert: „Ich war bereit, für unser Wasser zu sterben.“

In Griechenland und Portugal steht eine ähnliche Katastrophe wie in Bolivien unmittelbar bevor: Die Troika, bestehend aus der Europäischen Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) – allesamt nicht demokratisch legitimierte Organisationen, die heftig kritisiert werden – verlangt einen rigiden Sparkurs des bankrotten Landes. Auf der Liste der Privatisierungen stehen die Wasserwerke von Athen und Thessaloniki sowie die staatliche portugiesische Wassergesellschaft Aguas de Portugal. Hunderttausende demonstrierten bereits mehrmals z.B. in Portugals Straßen gegen den rigiden Sparkurs und die geplanten Privatisierungen, ohne dass die Medien in Mitteleuropa viel Notiz nahmen. In der nordportugiesischen Kleinstadt Pacos de Ferreira wurde bereits vor mehreren Jahren die Wasserversorgung der öffentlichen Hand entrissen. Die Bürger sind verzweifelt, wie ein Bericht des WDR verdeutlicht: Die Preise sind um 400 Prozent gestiegen, sogar das Trinken des Wassers aus Brunnen sei verboten, obwohl dies früher üblich war.

EU: Wasser in Gefahr

Noch vor Kurzem war es undenkbar, dass Länder zur Privatisierung des Wassers mehr oder weniger gezwungen werden könnten. Doch unter dem Deckmantel der Krise scheint alles möglich. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die EU-Kommission ausgerechnet jetzt die sogenannte Konzessionsrichtlinie durchboxen will. Sie sieht unter bestimmten Bedingungen die EU-weite Ausschreibung von öffentlichen Dienstleistungen vor – auch beim Wasser. Sie bedeutet zwar keinen direkten Zwang zur Privatisierung, jedoch bekommen die Konzerne leichter den Fuß in die Tür. „Um in Zeiten der Krise den Binnenmarkt zu optimieren“, sollten mehr private Unternehmen auf öffentlich finanzierter Infrastruktur Gewinne einfahren können, argumentierte die EU-Kommission. Die Richtlinie soll „einen verbesserten Marktzugang für EU-Unternehmen“ gewährleisten.

Selbst für die sonst allzeit EU-freundliche Wiener Finanzstadträtin Renate Brauner handle es sich um „eine Hintertüre, um wichtige gemeinwohlorientierte Dienstleistungen zu privatisieren“. Schnell regte sich EU-weiter Protest, der in erster Linie in der Initiierung eines EU-Bürgerbegehrens mündete. Doch dieses Bürgerbegehren kann nur die schlimmsten Auswirkungen lindern, nicht jedoch die Entwicklung der EU in Richtung Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen wie auch Wasser. Daher haben Staaten nur mit einem Austritt aus der EU die Möglichkeit, über ihr „öffentliches Eigentum = Bürgereigentum“ komplett selbst zu entscheiden.

Erst seit 2010 ist das Recht auf Wasser ein offizielles UNO-Menschenrecht. Jedoch ist Wasser auch ein knappes Gut, das jeder Mensch braucht und mit dem Konzerne und reiche Privatleute beste Geschäfte machen können – und viel Macht ausüben können. Maßgeblich Licht ins Dunkel brachte Jean-Luc Touly. Der Franzose arbeitete 30 Jahre für den weltgrößten Wasserkonzern Veolia, unter anderem in der Unternehmensleitung und als Gewerkschaftsfunktionär. Nach eigenen Angaben wollte der Konzern ihn mit einer Million Euro „Schweigegeld“ bestechen, was er jedoch ablehnte – die Kündigung folgte auf dem Fuß. 2010 kam der Film Water Makes Money (Wasser bringt Geld) heraus, für den Touly der wichtigste Informant war. Veolia versuchte die Ausstrahlung zu verhindern, worauf der Film europaweit in über hundert Städten gleichzeitig uraufgeführt wurde.

Privatisierung: hohe Preise, schlechte Qualität

Bei fast allen Wasserprivatisierungen schraubten die begünstigten Konzerne die Preise drastisch in die Höhe und gleichzeitig die Instandhaltungsmaßnahmen zurück. Oft sank auch die Wasserqualität. So wird in Frankreich mit hauptsächlich privaten Wasserbetreibern das kostbare Nass fast durchgehend gechlort, in Deutschland hingegen, mit überwiegend kommunalen Wasserbetreibern, ist dies kaum der Fall. Laut einer Studie der französischen Stiftung Warentest ist der Wasserpreis in französischen Städten mit privaten Wasserversorgern um dreißig bis vierzig Prozent überhöht. Der durchschnittliche Wasserverlust in französischen Trinkwasserleitungen liegt bei 26,4 Prozent, in Deutschland bei 7,3 Prozent. Geheime Verträge und Korruption standen bzw. stehen an der Tagesordnung.

Zwei Beispiele missglückter Privatisierungen aus dem Film Water Makes Money:

  • In der französischen Alpenstadt Grenoble war das Wassernetz in gutem Zustand, bevor es der zweite große französische Wasserkonzern Suez 1989 übernahm. Als Dank habe der Bürgermeister Bestechungsgeld in Millionenhöhe in Form von Reisen, Kreuzfahrten, Wohnungen oder für die Finanzierung seiner Wahlkampagne erhalten. Der Wasserpreis wurde stark angehoben, jedoch nahmen die Wartungsarbeiten ab. Rund zehn Jahre später übernahm die öffentliche Hand wieder die Wasserversorgung, verdreifachte die Wartungsarbeiten und hielt dennoch den Wasserpreis seither weitgehend konstant. Der korrupte Bürgermeister Alain Carignon stieg zunächst noch zum französischen Kommunikationsminister unter der Regierung Balladur auf, landete dann aber im Gefängnis. Unbehelligt blieb hingegen der damalige Suez-Generaldirektor Jérôme Monod. Er wurde ab 2000 engster Berater des französischen Präsidenten Jacques Chirac.

  • Immer wieder köderten Veolia, Suez & Co. Bürgermeister mit dem Versprechen eines „Eintrittsgeldes“ für das Wasser: Die Stadt behält das Eigentum an den Anlagen, der Konzern ist der Betreiber und zahlt dafür eine ansehnliche Summe. So sieht das Konzept des „Privat-Public-Partnership“ (PPP) aus, das den Privatisierungsgegnern den Wind aus den Segeln nehmen sollte. In der Realität stellte sich oft heraus, dass es sich dabei meist um einen versteckten Kredit handelte, den die Wasserkunden mit Zinsen mehrfach zurückzahlten. In Braunschweig etwa zahlte Veolia beim Abwasser nichts für das Benutzungsrecht der Kanäle, sondern wurde kostenlos bedient. Der aufgenommene Kredit wurde mittels eines Strohmannes (= der Abwasserverband Braunschweig) besorgt. Die Schulden der Stadt wurden auf andere Gesellschaften ausgelagert und müssen trotz Verkaufs des „öffentlichen Tafelsilbers“ erst recht von den Bürgern bezahlt werden. Die Verträge waren – wie in anderen Städten und Kommunen auch – geheim und wurden Gegnern der Privatisierung aus der Verwaltung zugespielt.

Ähnliche Probleme haben Städte in aller Welt – von Berlin, Toulouse, Klagenfurt über Budapest, Odessa und Casablanca bis hin zum chinesischen Haikou. Doch der Widerstand vor Ort trägt Früchte: Ausgerechnet in Paris, im Zentrum der Macht der Wasserkonzerne Veolia und Suez,gelang es der Stadtverwaltung, das Wasser wieder in Bürgerhand zu bringen. Gefeiert wurde überschwänglich – mit Wasser. Einige französische Kommunen und Städte folgten bereits dem Beispiel.