Auf der Suche nach Schamballah

Gibt es die geheimnisumwitterte Stadt, in welcher der ‘König der Welt’ residiert? Westliche Reisende suchten sie vergeblich, doch alle zentralasiatischen Völker wissen von ihr - und die hohen Lamas Tibets behaupten, den ‘Herrn der Welt’ sehr wohl zu kennen...

Der Tag schien ebenso endlos wie der Horizont. Stunden ritten Ferdinand Ossendowski, ein russischer Revolutionsflüchtling und seine mongolischen Begleiter nun schon durch die große Steppe von Tzag1an, als plötzlich einer der Mongolen vom Kamel sprang, das sich ebenso plötzlich auf den Boden kauerte, ohne daß ihm jemand den Befehl dazu gegeben hätte. Auch die übrigen Mongolen saßen ab und stimmten in ein kraftvolles "Om! Mani Padme Hum!" ein. Ossendowski fragte nach dem Grund ihres Handelns, als sie schließlich ihre Gebete beendet hatten.

Eine Frau kommt aus dem ‘Königreich jenseits der Berge’, um die im Vordergrund sitzende Frau, die das Symbol des Friedens zeigt, auf den Pfad von Schamballah zu führen.

Eine Frau kommt aus dem ‘Königreich jenseits der Berge’, um die im Vordergrund sitzende Frau, die das Symbol des Friedens zeigt, auf den Pfad von Schamballah zu führen.

"Sahen Sie nicht, wie sich die Ohren unserer Kamele angstvoll bewegten?" entgegnete der Mann nach einem Augenblick des Zögerns. "Wie die Pferde der Steppe erwartungsvoll stehen blieben und sich die Herden von Schafen und Rindern auf den Boden warfen? Merkten Sie, daß kein Vogel kreiste, kein Murmeltier umherhuschte, kein Hund bellte? Die Luft zitterte sanft und trug von fern ein Lied heran, das zu den Herzen der Menschen und aller Tiere durchdrang. Erde und Himmel halten den Atem an. Der Wind verharrte, die Sonne blieb stehen. In einem solchen Moment hält selbst der Wolf inne, der sich eben noch hügelaufwärts einer Schafherde genähert hat. Die schreckhaften Antilopen beenden schlagartig ihre Flucht; das Messer des Schäfers, das eben noch die Kehle eines Schafes durchtrennen wollte, fällt ihm aus der Hand; der gierige Hermelin unterbricht seine Pirsch, die dem nichtsahnenden Salga galt. Alle lebenden Wesen halten willenlos inne und beten, um ihr Schicksal zu erwarten. So ist es immer gewesen, wenn der 'König der Welt' in seinem unterirdischen Palast betet und den Schicksalsweg aller Völker auf der Erde entscheidet."

Es war das erste Mal, daß der russische Forscher den Namen 'König der Welt' hörte, doch es sollte nicht das letzte Mal bleiben. Je weiter er auf seiner Reise durch die Mongolei reiste und später nach Tibet eindrang, desto mehr Legenden hörte er über jene geheimnisvolle, mächtige Figur, die von einer unsichtbaren Stadt namens Schamballah aus die Schicksale der Menschheit leiten sollte.

In Urga, einer sehr alten Stadt der Mongolei, fand Ossendowski einen Bibliothekar, der ihm mehr über die geheimnisumwobene Figur sagen konnte: "Er steht in Verbindung mit den Gedanken aller Menschen, die das Los und das Leben der gesamten Menschheit beeinflussen. Mit Königen, Zaren, Khans, Kriegsherren, Hohepriestern, Wissenschaftlern und anderen mächtigen Männern. Er kennt all ihre Gedanken und Pläne. Wenn diese vor Gott Gefallen finden, wird der 'König derWelt'ihnen unsichtbar helfen; wenn sie vor Gott jedoch keine Zustimmung finden, wird der König sie vernichten."

Ossendowski bedrängte den alten Lama nach weiteren Informationen, während sie an den mit Büchern gefüllten Regalen der Bibliothek vorbeigingen. "Hat jemals jemand den 'König der Welt' gesehen?" fragte der den Lama.

"Oh ja!" antwortete der Lama. "Während der ernsthaften Feiertage des alten Buddhismus in Siam und Indien erschien der 'König der Welt' gleich fünf Mal. Er fuhr eine herrliche Kutsche, die von weißen Elefanten gezogen wurde und verziert war mit Gold, Edelsteinen und feinsten Stoffen. Er war in ein weißes Gewand gehüllt und trug eine rote Krone, von der diamantenbesetzte Schnüre herabhingen und sein Antlitz verdeckten. Er segnete die Menschen mit einem goldenen Stab, der von der Figur eines Lammes gekrönt war. Die Blinden wurden sehend, die Stummen redeten, die Tauben hörten, die Krüppel liefen umher und die Toten wurden lebendig, wenn das Auge des 'Königs der Welt' auf ihnen ruhte. Er erschien auch vor fünfhundert und vierzig Jahren in Erdeni Dzu; er war im alten Mönchskloster Sakkai und im Narabanchi Kure." "Einer von unseren Lebenden Buddhas und einer der Tashi Lamas erhielt eine Mitteilung von ihm", fuhr der Lama fort, "die mit unbekannten Lettern auf goldenen Plaketten geschrieben war. Niemand konnte diese Zeichen lesen. Der Tashi Lama betrat den Tempel, setzte die goldene Plakette auf seinen Kopf und begann zu beten. Dadurch sein Gehirn, und er verstand die Mitteilung des Königs, ohne die Zeichen lesen zu können."

Der Bibliothekar enthüllte ihm noch etwas: "Einige Male schickten die Fürsten von Lhasa und Urga Abgesandte zum 'König der Welt'. Doch konnten diese ihn nicht finden. Ein tibetanischer Führer fand nach einer Schlacht mit den Oleten eine Höhle mit der Inschrift: 'Dies ist das Tor zu Agarthi' (dessen Hauptstadt Schamballah sein soll, die Red.). Aus dieser Höhle trat ein Mann feinen Aussehens, überreichte ihm eine Plakette aus Gold mit mysteriösen Zeichen darauf und sagte: 'Der König der Welt wird vor allen Menschen erscheinen, wenn die Zeit für ihn gekommen sein wird, um alle guten Menschen der Welt gegen alles Schlechte zu führen.' Aber diese Zeit ist noch nicht gekommen. Die bösesten unter den Menschen sind noch nicht geboren worden."

Wem dies nun allzu märchenhaft erscheint, der möge erfahren, daß das Wissen um Schamballah und den 'König' oder 'Herrn der Welt' in ganz Innerasien weit verbreitet ist.

Die Hindus nennen Schamballah Aryavarsha (das Land, von dem die Veden kamen) oder auch Chang Schamballah ('nördliches Schamballah', weil der sagenhafte Ort jenseits des Himalajas liegensoll), die Chinesen Hsi Tien, das westliche Paradies von Hsi Wang Mu ('die königliche Mutter des Westen'), die russische Sekte der 'Alten Gläubigen' kennen es als Belovodje und die Khirgisen als Janaidar. Am besten bekannt ist der Ort jedoch auch in Asien unter seinem Sanskrit- Namen Schamballah, was 'der Ort des Friedens und der Stille' bedeutet.

Jedes dieser Völker kennt die Überlieferung, nach welcher Schamballah die Quelle seiner eigenen Religionist. Hinduismus, Schamanismus, Buddhismus, Taoismus, sogar die Bon-Religion des alten Tibet kennt das 'geheime Königreich', welches letztere Olmolungring oder Dejong nennen. Auf alten Karten aus der Zeit der Bon- Religion ist neben Reichen wie Bhaktrien, Persien, Ägypten, Judäa auch ein Land namens Schamballah eingezeichnet!

Der heiligste tibetische Text, der Kalachakra, erwähnt Schamballah ebenfalls. Die buddhistische Überlieferung erzählt, daß der Kalachakra- Text ursprünglich vom König der Welt Buddha Gautama gegeben worden sei, und daß er in Schamballah über Jahrhunderte aufbewahrt wurde, bis er schließlich nach Indien zurückkehrte.

Es gibt auch Erzählungen, die besagen, daß es zu Zeiten des griechischen Philosophen Philostratus ein irdisches Paradies im Herzen Asiens gegeben habe, das Philostratus zusammen mit dem mystischen Apollonius von Tyana in der transhimalajschen Wildnis Tibets besucht habe- das sogenannte 'Verbotene Land der Götter'.

Victoria Le Page sagt in ihrem Buch 'Shambhala' dazu:" Heute ebenso lebendig wie vor Tausenden von Jahren, wird es von den am stärksten esoterischen Traditionen der Welt als das wahre Zentrum des Planeten betrachtet, als das geistige Kraftwerk der Welt und das Kernland einer Bruderschaft von Adepten jeder Rasse und jeden Landes, welche jede der wichtigen Religionen, jeden wissenschaftlichen Fortschritt und jede soziale Bewegung der Geschichte beeinflußt haben."