Bergsteiger: Geistlos zum Gipfel?!

Der Westen lebt gegenwärtig im Zeitalter des kindischen Menschen. Berge benutzt er, um sich mit deren Besteigung brüsten zu können. Dabei bringt er sich um eine Erfahrung, die ihn nicht nur physisch, sondern auch spirituell über sich hinauswachsen ließe. Doch dazu wäre Demut notwendig und ein Interesse für die Dinge hinter den Dingen – für die mächtigen Natur-Devas, welche die hohen Berge beseelen. Und die Erkenntnis, dass auch wir erst einmal geistige Wesen auf einer physischen Erdenreise sind!

Ein Gemälde von einem mächtigen Berg-Deva.

Der englische Theosoph Geoffrey Hodson (1886–1983) vermochte die feinstofflichen Geister der Natur zu sehen. Hier abgebildet ist das Gemälde von einem mächtigen Berg-Deva, wie Hodson ihn über den Drakens-Bergen in Südafrika wahrnahm.

Für einen wie ihn war es ein beinahe läppischer Tod. Da hatte der ‘erfolgreichste Alleinbergsteiger der Schweiz’ (wie er sich auf seiner Homepage selber charakterisierte) Rekord um Rekord gejagt und auch verwirklicht – und dann stürzte Ueli Steck am 30. April 2017 beim Akklimatisationstraining am Nuptse, einem Nachbarberg des Mount Everest, tausend Meter in die Tiefe. Die Ursache wird immer ein Rätsel bleiben; Steck war ja allein unterwegs. Er hatte vor, nicht nur den Mount Everest zu erklimmen, sondern gleich noch den benachbarten Lhotse dranzuhängen – also zwei Achttausender in einem Durchgang: Wieder einmal ein Rekord.

Einfach einen Gipfel zu erklimmen war ihm längst nicht mehr genug gewesen. Ihm ging es darum, Geschichte zu schreiben. Und weil heutzutage keine spektakulären Gipfel mehr übrig sind, deren Erstbesteigung Schlagzeilen machen würde, suchte er sie im Immer-Mehr und im Immer-Schneller: Ueli Steck gewöhnte sich an, Berge nicht mehr zu ersteigen, sondern auf sie rauf- und wieder runterzurennen: 2015 stellte Steck den Eigernordwand Geschwindigkeits-Rekord auf: zwei Stunden, 22 Minuten. Das Matterhorn hatte er 2008 in nur einer Stunde, 56 Minuten geschafft. 2015 bestieg er als Erster und bislang Einziger alle 82 Viertausender der Alpen in sechzig Tagen; am Monte Rosa-Massiv waren es achtzehn Gipfel an einem einzigen Tag! 2012 bestieg auch er den Mount Everest ohne Sauerstoff – nett, aber nichts Neues. 2014 dann sprach die Kletterwelt von einem weiteren Rekord Ueli Stecks: der Solo-Erstdurchsteigung der Annapurna-Südwand, in gerade mal 28 Stunden. „Diesen Rekord konnte er aber nicht belegen, es gab keine Fotos oder sonstigen Beweise. Deshalb begegneten ihm andere Bergsteiger nicht nur mit Begeisterung, sondern auch mit Skepsis. Steck war im Nachhinein auch selbst nicht zufrieden mit seinen Handlungen, er nannte seine Solo-Durchsteigung ‘verantwortungslos’“, kommentierte die Neue Zürcher Zeitung. Den Beweis, tatsächlich auf dem Annapurna-Gipfel gewesen zu sein, konnte Steck nicht erbringen; er hatte unterwegs seine Kamera verloren.

Aufsehen erregt hatte auch die Schlägerei, in die Steck Ende April 2013 im Himalaja geraten war: Sherpas, die am Mount Everest Fixseile montierten, hatten ihm und seinen Kollegen vorgeworfen, einen Eisschlag ausgelöst zu haben, der einen der Sherpas verletzte. „Das ist Quatsch“, sagte Steck danach dem Nachrichtenmagazin Spiegel, „wir haben keinen Zentimeter Eis losgetreten.“ Sein Kletterkollege Simone Moro hatte daraufhin den Chef der Sherpas einen ‘Motherfucker’ geschimpft. Zurück im Basislager, übten die Sherpas Vergeltung: „Als ich aus dem Zelt trat, kamen ungefähr hundert Sherpas auf mich zu. Einige hatten ihr Gesicht mit Schals vermummt, andere trugen Steine in den Händen“, erzählte Steck damals dem Spiegel. „Angeführt wurden sie von dem Sherpa, mit dem wir uns oben gestritten hatten. Bevor ich etwas sagen konnte, landete seine Faust mit voller Wucht auf meiner Nase. Ich ging zu Boden, dann bekam ich einen Stein ins Gesicht. Sie wollten mich töten, jedenfalls riefen sie das immer wieder.“ Der Spiegel schrieb dazu weiter: „Steck führt die Gewalt am Everest auf einen Machtkampf zwischen Einheimischen und Profikletterern zurück. ‘Viele Sherpas sehen in uns Parasiten, die an ihrem Berg sind, ohne den Profit zu steigern. Es wird in Zukunft noch mehr Bergsteiger geben, die eine Abreibung bekommen.’

In den vergangenen Jahren sei eine ‘neue, junge Generation von Sherpas’ an den Everest gekommen: ‘Die Jungs sind etwa 20 Jahre alt, sie verdienen in zwei Monaten rund 7'000 Dollar. Das ist in Nepal sehr viel Geld. Die Sherpas fühlen sich als Helden und wollen das Management am Everest übernehmen, das Business vorantreiben. Die Prügelei war auch eine Art Machtdemonstration.’

Der mystische Berg Olymp war im alten Griechenland der Sitz der Götter.

Der mystische Berg Olymp war im alten Griechenland der Sitz der Götter. Auf ihm sollen Göttervater Zeus sowie Poseidon, Hera, Demeter, Apollon, Artemis, Athene, Ares, Aphrodite, Hermes, Hephaistos und Hestia ihren Wohnsitz gehabt haben.

Steck erzählt auch, dass manche westliche Bergsteiger die Sherpas würdelos behandeln und für Sklaven halten. ‘So nach dem Motto: Du bist Träger, ich bin Chef.’ Es gebe Bergsteiger, denen es egal sei, ob die Sherpas sterben, solange sie den Gipfel erreichen. Solche Skrupellosigkeit gebe es nur am Everest als höchstem Berg der Welt und am einfachsten zu besteigenden Achttausender.“

Nepals Mount Everest wandelt sich zum höchsten Rummelplatz der Welt. 600 Personen haben in diesem Jahr trotz starken Winden, schlechtem Wetter und extremer Kälte den Mount Everest bestiegen. Die meisten Nachrichten von den Bergflanken in der Todeszone gleichen Berichten aus einem Vergnügungszentrum, in dem sich leichtsinnige Abenteurer ebenso tummeln wie gerissene Geschäftemacher, gewissenlose Kletterer, professionelle Bergsteiger – und Sauerstoffdiebe.

Futter fürs Ego

Bereits im vergangenen Jahr gab es Berichte, wonach mehrere der rund 500 US-Dollar teuren Flaschen mit lebenswichtiger Atemluft für erschöpfte Everest-Bezwinger auf mysteriöse Weise verschwanden. Während der vergangenen Wochen mussten gleich mehrere Gruppen beim Abstieg vom Mount Everest zu ihrem Schrecken feststellen, dass Unbekannte ihre Zelte geöffnet und für den Heimweg aufbewahrte Sauerstoffvorräte gestohlen hatten. In zumindest einem Fall überlebte ein westlicher Bergsteiger den Abstieg nur, weil sein Führer ihm seine eigene Flasche mit den letzten Resten Luft überließ.

„Der Diebstahl kann fatale Folgen haben“, warnte der britische Bergführer Tim Mosedale, der mit einem Preis von rund 45'000 US-Dollar zu den teuersten Unternehmern am Everest zählt, „viele unserer Kunden sind so erschöpft vom Aufstieg, dass sie ohne diese Vorräte dem Untergang geweiht sind“. Laut einigen Bergsteigerberichten soll mittlerweile ein schwunghafter Handel mit Sauerstoff im Basislager am Mount Everest existieren, weil verschwundene Vorräte dringend aufgefüllt werden müssen. Angesichts einer Vielzahl von Firmen, die mit einem Ausflug in die Todeszone des Berggiganten Geschäfte machen, sind Experten wenig erstaunt. In Indien ist ein Trip auf den Mount Everest für ganze 18'000 Dollar zu haben. Westliche Firmen verlangen mit 40'000 bis 45'000 Dollar mittlerweile knapp die Hälfte des Preises, der vor Jahren üblich war. „Manche Expeditionsunternehmen sind völlig unzureichend ausgerüstet“, bemängelt ein Sherpa in Kathmandu.1

Moral und Sitten verrohen immer mehr am höchsten Berg der Welt, dessen Besteigung längst zum Big Business verkommen ist. Es gibt nur zwei Routen zum Gipfel und beide sind fest in der Hand kommerzieller Expeditionen, die All-inclusive-Pakete an reiche westliche Interessenten anbieten. Die Schweizer Bergsteigerin Natascha Knecht listete in der Schweizer Illustrierten auf, wie sich das Besteigerpublikum 2017 zusammensetzte: „… darunter ein 80-Jähriger, einer mit Beinprothese und etliche, die vorher noch nie mit Steigeisen und Eispickel am Berg waren. Denn berühmt ist der Everest auch für die Rekorde, die auf seinem Rücken ausgetragen werden: der Älteste, der es je bis oben geschafft hat, der Jüngste, der erste Blinde, der Erste ohne Arme, der Erste mit HIV-Infektion, die ersten Zwillinge, der erste Hells Angel, das erste ‘Playboy’-Covergirl. Einer zog sich auf dem Gipfel bei minus 10 Grad nackt aus. Einer wollte nur in Unterhosen hoch. Einer rühmt sich, in der Todeszone Sex gehabt zu haben.

Wir Daheimgebliebenen staunen: Ist das der Wahnwitz? Oder ist der Everest womöglich gar nicht so schwierig zu besteigen? Fakt ist: Wer heute auf den höchsten Berg will, kann die Expedition buchen wie Ferien auf den Malediven. Die Teilnahme kostet ab 70'000 Franken. Dafür gibt es professionell organisierte Betreuung rund um die Uhr – inklusive Sauerstoffflaschen, wenn die Luft dünn wird.

Sherpas, Köche, Träger und westliche Ärzte sorgen für das Wohlergehen der zahlenden Bergsteiger. Lokale Spezialisten, die ‘ice doctors’, präparieren ihnen eine ‘Piste’ mit Leitern und Seilen bis auf den Gipfel – Klettererfahrung ist nicht mehr nötig. Und auf dem Weg geben die gut ausgebildeten einheimischen Bergführer alles, damit ihre Schützlinge lebend zurückkehren.“ Das Schwierigste am Abstieg ist manchmal, wie es auch Ueli Steck berichtete, „wie ich auf dem Rückweg an den aufsteigenden Menschenmassen vorbeikomme.“

Quellenangaben

  • 1 Bericht in der Online-Ausgabe des General-Anzeiger Bonn, 29. Mai 2017