Berufung: In Krisenzeiten zum Wesenskern!

Wahre Berufung: Wie man aus persönlichen Krisen gestärkt hervorgeht und sich selbst findet.

Viele Menschen sind wie dieser Frosch: arbeiten, um einen gefüllten Teller zu haben.

Der Wind bläst mit Spitzengeschwindigkeiten von vorne. Das neue Jahrzehnt hat nicht nur mit extremen Witterungsbedingungen begonnen: Griechenland stand vor dem Bankrott und der Euro konnte nur noch durch eine Serie staatlicher Interventionen gerettet werden. Immer mehr kleine und mittlere Unternehmen geraten ins Trudeln und nur das Netz des Kurzarbeitergeldes hält Hunderttausende Deutsche im Augenblick in Beschäftigung. So in etwa beschreiben die Medien seit Monaten die Situation auf dem Berufs- und Arbeitsmarkt. Doch sind die Klänge der Alarmglocken wirklich neu? Ist unsere Lebenszeit nicht de facto eine endlose Aneinanderreihung von Krisensituationen? Und sind die schrillen Szenarien, die uns Politik und Wirtschaft vorzeichnen, nicht auch dazu geeignet, das eigene Leben einmal genauer unter die Lupe zu nehmen? Welchen Ruf können wir darin hören und wie haben die spirituellen Meister anderer Epochen auf ähnliche Fragestellungen geantwortet?

Doch nicht nur die großen populären Krisen sind besorgniserregend: Die schnelle Verjüngung durch leistungswillige Newcomer stempelt den Berufstätigen in den mittleren Jahren immer früher zum „alten Eisen“ ab. Ausgebrannte Menschen empfinden den Zusammenhang zwischen krankmachenden Symptomen und Fesseln der sinnentleerten Arbeit stärker als andere. Tatsächlich führen Experten den zunehmenden Anstieg psychosomatischer Erkrankungen auf die ökonomische Problematik zurück. Für Personalabteilungen ist der Mythos Arbeitsmotivation längst zu einer zentralen Aufgabe geworden. Ihre Maßnahmen wirken jedoch wie Medikamente zur Linderung, ohne die wirkliche Ursache des Leidens zu beseitigen. An einer Zäsur, innerer Klarheit und Bereitschaft zum Abschied führt meist kein Weg vorbei, soll der Weg in die Freiheit und zum wahren Selbst beschritten werden. Das Loslassen von der Vorstellung ewiger Jugend oder eines Rundum-sorglos-Paktes für die Arbeitswelt kann helfen, dem eigenen Wesenskern auf die Spur zu kommen. Wenn aber im Abschied selbst, somit im Loslassen, die Chance für Wachstum und Tiefe liegt, wie kann im Anschluss ein Berufsleben mit Freude und Liebe erschaffen werden? Zunächst kann das dunkle Tal der Tränen genutzt werden, um den bisherigen beruflichen Werdegang ganzheitlich zu bilanzieren.

Erster Schritt:
Duch Tiefschläge zur Tiefe

Frank war als Führungskraft über einen sehr langen Zeitraum erfolgreich tätig, als „der Ruf“ das erste Mal in Form eines Burnouts anklopfte. Er blickte zurück auf ein unterstützendes Elternhaus, eine hervorragende Ausbildung und zahlreiche Verbindungen zu einflussreichen und wohlhabenden Menschen. Doch warum es zum kompletten Zusammenbruch kam, erkannte Frank erst während seiner Zeit in der psychosomatischen Klinik: „Es dauerte viele Wochen, bis ich die befreienden Gefühle zulassen konnte. Meinem Rollenverständnis entsprechend hatte ich die Aufbaujahre über als Führungskraft und Ernährer einer Familie gut funktioniert. Erst in der Kur wurde mir bewusst, dass ich in der Vergangenheit meine Emotionen selbst vor meinen eigenen Kindern verborgen gehalten hatte. Über meine unruhigen Träume habe ich mit kaum jemandem gesprochen und darüber, dass ich schon lange unter Einschlafstörungen litt. Immer häufiger hatte ich zudem Angst, irgendwann einmal nicht mehr vorwärts zu kommen. Auch die Tatsache, dass nach meinem vierzigsten Geburtstag die Anzahl der Anrufe von Personalvermittlern spürbar zurückgegangen war, hatte mich beunruhigt. Da ich sehr abhängig von der Resonanz im Außen gewesen war, nagte es an meinem Selbstwertgefühl, dass die Aufstiegschancen für mich immer geringer geworden waren.“

Der Ruf ereilt den tätigen Menschen meist in Situationen, die der von Frank ähneln. Selbst viele unserer spirituellen Vorbilder hörten den Ruf zur Umkehr, als sie scheinbar komplett in ihren äußeren Umständen stecken geblieben waren. In Wirklichkeit resultiert gerade der persönliche Magnetismus eines spirituellen Meisters oder einer Meisterin aus dem Umstand, daß sie viele Facetten des Menschseins durchlebt und gemeistert haben. So auch vielleicht der berühmteste und anerkannteste Heilige der christlichen Welt, Franz von Assisi. Er war in seinen jungen Jahren erfolgreich, gebildet und gesellig. So wie Frank hatte er alles, was man zu seiner Zeit für eine steile „Businesskarriere“ brauchte. Als Lieblingskind seines Vaters hatte Franziskus viel in die Wiege gelegt bekommen und er dankte es ihm mit ehrgeizigen beruflichen Zielen. Doch die ganze eindrucksvolle Karriere entwickelte sich zum Desaster, als sich Franziskus schlichtweg überforderte. Erst ein Gefängnisaufenthalt und ein Blick in den tiefen Abgrund ließen ihn aufhorchen. Die zentrale Frage im Berufungsprozess wird sich auch Franziskus gestellt haben: „Wer bin ich?“ Und es wird übermittelt, dass das universelle Selbst antwortete: „Richte mein Haus wieder auf!“

Durch die Trümmer seines äußeren Selbstes hindurch erspähte der junge Mann das, was seine Berufung war, das, wonach sein Herz verlangte – auch wenn er die Worte, die vom Kreuz in San Damiano herunterschallten, noch als ein physisches Wiederaufbauen der zerfallenen Kirchen im Umkreis von Assisi verstand und nicht in ihrer wahren Bedeutung, dass er nämlich das geistige Haus Gottes, die katholische Kirche, wieder neu aufbauen, mit wirklichem christlichen Geist erfüllen solle.

Ein Auftrag, der ihn, wie wir wissen, zum Heiligen machen sollte. Kann man so einen Ruf mit der heutigen Situation der Menschen vergleichen? Wo es meist nur profan darum geht, einen Beruf zu wählen, der einen „angemessenen Lebensstandard“ verheißt, sprich, der einem erlaubt, beim nie enden wollenden Vergleichskampf der Gutsituierten in den vordersten Reihen mitzuhalten? Doch ist nicht gerade das die Crux des Arbeitsmenschen von heute? Daß er seine Seele einem reinen Geld-Job verkauft und nie nachgefragt hat, worin sie wirklich ihre Erfüllung finden würde?

Die Frage „Wer bist Du?“ bzw. „Wer bin ich?“ ist die Frage nach dem ureigenen Sinn des Lebens und Seins. Wir haben die Wahl, auf den Ruf zu antworten. Sich der Berufung mit einem aufrichtigen Herzen zu stellen, bedeutet meist auch, mit dem Gefühl der Angst zurechtkommen zu müssen. So mag sich die Berufung zuerst als Krise manifestieren, die wir annehmen, indem wir hin- statt wegschauen.

Zweiter Schritt:
Bewusstsein für die Wahl

Während Sie noch gerührt von der wachsenden Selbsterkenntnis sind, weiß das laute Ego von der schwachen Seite der Herzensberufung. So viel Angriffsfläche und Verletzlichkeit haben Sie ihm wahrscheinlich noch nie geboten. Das Ego erfindet in dieser Phase ständig neue Bedenken. “Ich habe erst 30 Prozent des Immobilienkredits abgetragen“, wollen Sie vielleicht einwenden. „In meinem Alter, mit meinen Verpflichtungen und der vorhandenen Qualifikation wirkt ein beruflicher Neuanfang wie die reine Utopie!“ Es gibt immer einen Grund, sich dem Ruf des eigenen Herzens zu verschließen. Dabei folgt die Opferstory meist einem Denkmuster des Entweder-Oder: „Entweder setze ich alles auf eine Karte, verlasse Haus und Hof und orientiere mich gewissenlos an meinen eigenen Bedürfnissen. Oder ich bin ein Spielball unterschiedlicher Gruppierungen und erfülle pflichtbewusst die Erwartungen der Gesellschaft!“ Die tiefe Wahrheit liegt jedoch im Sowohl-als-auch!

Die Entwicklung von Verantwortlichkeit ist der zweite Schritt auf dem Weg zur Berufung. Hierin liegt der Ruf Ihrer Seele. Sind Sie bereit, Ihrer Seele zu antworten? Sofern Sie mit einem klaren „Ja“ antworten, haben Sie beim Universum angefragt und Ihren Berufungsprozess in Gang gesetzt. Bei der Berufung geht es um die Frage, ob Sie die Existenz Ihrer Seele bejahen, die sich durch das liebevolle Tun freudvoll ausdrücken will. Denn irgendwann kommen viele Menschen zu den wesentlichen Fragen, die die Tiefe der Seele berühren: Wünschen Sie sich noch ein Kind? Möchten Sie eine Familie gründen? Wollen Sie den Job finden, der Sie wirklich erfüllt? Sowohl typische Fragen der Berufswahl als auch Fragen zu den Lebensumständen gehören zum Berufungsprozess. Denn das Universum kennt nur Freude und sieht keine Grenzen zwischen Berufs- und Privatwelt.

Franz von Assisi hörte den Ruf Gottes und verband diesen Ruf mit der bedingungslosen universellen Liebe. Als er sich dem Gesetz der Liebe zuwandte, hörte er seinen Auftrag. Er spürte, dass die innere Stimme ihn vor die Wahl stellte und ihm das Angebot des Wiederaufbaus der Gemeinschaft von Assisi unterbreitete. Ebenso durchflutete auch Frank ein warmes Gefühl der Hoffnung, als er ein klares „Ja“ zu seinem Ruf äußerte. Sein Wunsch war die Verschmelzung eines Gedankens mit einem Gefühl glücklichen Seufzens: „Ja – ich wünsche mir die berufliche Tätigkeit, die Freude und Sinn verspricht. In diesem Tun für und mit Menschen möchte ich die Liebe selbst manchmal spüren können. Wenn es für mich eine Perspektive gibt, so bin ich bereit für eine heilige Anstrengung!“

Die Entwicklung des Bewusstseins für die eigene Berufung ist kein Akt von Selbstsucht oder gar Selbstaufgabe. Durch den Zugang zu unserem Wesenskern wird es erst möglich, Einstellungen und Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die für andere von nachhaltigem Wert sind.