Am 5. Dezember 2003 starb Urs Moser mit 58 Jahren an Krebs. Seine Frau zerbrach nicht an der Trauer, denn die beiden hatten zuvor die wahre Liebe gefunden.
Die letzten fünf Monate waren die schönste Zeit, die sie in den 35 Ehejahren mit Urs verbracht hatte. Endlich hatte sie ihren vollkommenen Traummann gefunden. Er lag im Sterben. Im Mai 2003 begannen die ersten Beschwerden. Im Juli wurde Pankreas-Krebs diagnostiziert. "Es traf uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel", erinnert sich Ursula Moser. "Urs war weder Alkoholiker noch Raucher. Er trieb mäßig Sport und lebte ein sehr gesundes Leben." Krebs aber kommt selten ‚einfach so'. Das weiß Ursula Moser als Therapeutin ganz genau. "Die psychische Ursache des Bauchspeicheldrüsenkrebs ist ein unverdauter Brocken, der einem auf dem Magen liegt"; erklärt sie. "Schock-Erlebnisse können ebenfalls Krebs auslösen."
Und Schocks hatte Urs in seinem Leben einige zu verwinden. Viele davon hatten einen gemeinsamen Grundtenor: Du bist nichts wert. Ein Schlüsselerlebnis aus Kindertagen sollte Urs das ganze Leben lang begleiten. Er wuchs als Kind der einzigen protestantischen Familie in einem streng katholischen Dorf auf. Als der kleine Urs einmal den Joseph im weihnachtlichen Krippenspiel hätte darstellen sollen, rief der katholische Pfarrer wütend aus, er werde das Spiel in der Kirche boykottieren, wenn "dieser Reformierte" tatsächlich den Heiligen Joseph spiele. "Erst am Ende seines Lebens", erzählt Ursula, "gestand mir Urs, daß damals sein Lebensmotto geboren wurde: Ich will allen beweisen, daß ich auch jemand bin!"
Fünf Jahrzehnte später ziehen Urs und Ursula Moser in eine wunderschöne Eigentumswohnung in der Zentralschweiz. Da er selbständig arbeitet, muß sich der technische Zeichner einen neuen Kundenkreis aufbauen. Deshalb schreibt er über 50 Bewerbungen und verschickt Prospekte. Doch nicht ein einziger Adressat antwortet. Für Urs fühlt sich dies an, als ob er gar nicht existieren würde. Das zieht ihm fast den Boden unter den Füssen weg, wie er später zugibt. Seiner Frau erzählt er nichts. Im selben Monat aber beginnen die Bauchschmerzen…
Für Ursula ist klar, daß ihr um zwei Jahre älterer Ehemann ‚vor seiner Zeit' starb. "Nach der Diagnose geriet meine Welt ins Wanken. Ich hatte furchtbar Angst, Urs zu verlieren. Als ich eines Tages auf unserem Balkon stand, in den Himmel blickte und Gott fragte, ob es wirklich Sein Wunsch sei, daß Urs gehen müsse, hörte ich tief in mir eine Stimme antworten: Es ist nicht Mein Wunsch; seine Zeit ist noch nicht gekommen, aber es kommt jetzt ganz allein auf ihn an."
Wie die meisten schweren Probleme verdrängte Urs auch seine Krankheit. "Ich werde den Krebs bekämpfen", redete er sich immer wieder ein. Doch eine solche Krankheit kann man nicht bekämpfen, meint Ursula, "man kann sie nur annehmen." Sie brachte ihren Mann dazu, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, zusammen planten sie seine Beerdigungsfeier. Urs wählte die Musik aus, die Karten, den Ort. Allen in einer ähnlichen Situation legt Ursula ans Herz:
"Redet nicht erst über den Tod, wenn es soweit ist. Sprecht offen miteinander, auch über das Begräbnis. Und laßt euch durch Rituale wie beispielsweise das Beten helfen." Die Gespräche halfen Urs, sein Schicksal anzunehmen. Chemotherapie, Bestrahlung oder Operation kam für ihn nicht in Frage. Er wußte, daß seine Überlebenschancen mit natürlichen Heilmitteln größer waren. Trotzdem begann er, seine Frau auf das Leben ohne ihn vorzubereiten.
Er zwang sie, sich mit allen finanziellen Aspekten und Fragen des Alltags auseinanderzusetzen - vieles davon Dinge, die sie bis anhin aus Bequemlichkeit ihm überlassen hatte. "Oh, er war ein sehr strenger Lehrer", seufzt Ursula. "All die Jahre wollte ich ihn immer verändern; in diesen fünf Monaten aber lehrte er mich, was ich ihm beizubringen trachtete."
Der Lebensrhythmus verlangsamte sich immer mehr. Die morgendliche Toilette dauerte Stunden - und Ursula lernte die Geduld. "Ich mußte immer bei ihm im Bad sein, damit ihm nichts passiert. Doch ich durfte nicht sprechen, mußte still dasitzen. Er lehrte mich, ruhig zu werden. Ich erkannte die Kraft, die in der Langsamkeit liegt. Die Alltagssorgen waren nicht mehr wichtig. Und heute kann ich gelassen bleiben, den richtigen Zeitpunkt abwarten, selbst wenn es um mich herum kracht und rumpelt."
In ihr Tagebuch schrieb Ursula den Satz: "Ich lerne, ihn über mich zu setzen." Genau davor hatte sie immer Angst gehabt, weil sie meinte, daß sich verliert, wer sich völlig hingibt. "Das stimmt überhaupt nicht. In dieser Hingabe ist nichts, was dich herunterzieht. Diese Hingabe ist groß und sie erhöht dich. Durch sie habe ich mich erst selbst gefunden und bin gewachsen, wie niemals zuvor." Im übertragenen Sinn wurde Ursula vor ihrem Mann in die Knie gezwungen, wie sie es selber ausdrückt. Doch ihr Wesen reagierte nicht mit Auflehnung, wie sie es erwartet hatte, sondern fand darin tiefe Erfüllung. Wenn sich Partner gegenseitig dienen, dann heben sie den anderen zu immer größeren Höhen empor. Das durften Ursula und Urs in den letzten Wochen ihrer gemeinsamen Zeit erfahren.
Der einst stattliche und unerschütterliche Urs welkte zusehends dahin. Je zerbrechlicher sein Körper wurde, desto klarer schien nun sein Geist hervor. Er, der seine Unsicherheit und Sorgen gerne hinter einem Späßchen versteckt hatte, wurde ernsthaft und echt, machte niemandem mehr etwas vor. "Die verschiedenen Masken lösten sich einfach auf." Oft saß er einfach nur still mit geschlossenen Augen da und dachte - nichts. "Zum ersten Mal in seinem Leben ging er ganz in sich hinein." Die Späße wurden seltener, kamen dafür von einer ganz anderen Ebene. Urs begann, andere Musik zu hören und zu erfühlen, wer in den nächsten Momenten anrufen würde.
Ursula lernte einen völlig neuen Mann kennen. Den Mann ihrer Träume nämlich, den sie sich immer gewünscht hatte. 35 Jahre hatten die beiden das geführt, was man als eine gute Ehe mit ihren Höhen und Tiefen bezeichnet - und doch hatten sie sich nicht erkannt. "Ein Leben lang konnten wir nicht wirklich miteinander über jene Dinge reden, die uns im Innersten beschäftigten, weil wir uns vor Verletzungen fürchteten", gesteht Ursula. Und so lebte sie mit ihrem Traummann zusammen, ohne es zu wissen und fühlte sich selbst unerkannt. Eine Tragik, der so viele Paare entrinnen könnten, wenn sie früh den Mut zur vollkommenen Ehrlichkeit aufbringen würden. Unter Tränen sagt Ursula: "Ich habe meinen Traummann in den letzten fünf Monaten unseres Zusammenlebens gefunden. Deshalb war diese Zeit für mich trotz allem die schönste, intensivste und reinste unserer 35jährigen Ehe."
Ihre Beziehung fand zu einem nie gekannten Ausmaß an gegenseitigem Respekt, der durchdrungen war "von der Essenz der reinsten Liebe - Liebe auf einer höchsten Ebene, die nichts mehr mit dem Körperlichen gemein hat." Etwas, das die beiden nicht gekannt hatten? "Überhaupt nicht! Wir waren ein ‚ganz normales' Ehepaar, aber diese Liebe war uns völlig neu."
Urs entglitt der materiellen Welt Stück für Stück. Es begann nach einem epileptischen Anfall zwei Monate vor seinem Tod. Ursula hatte ihn ins Schlafzimmer geschleppt, wo er plötzlich die Augen zusammenkniff und murmelte: "Woher kommt dieses gleißende, orange Licht? Was ist das für ein Kopf darin?" Und dann wurde er ganz steif. Als er wieder zu sich kam, erzählte er beglückt von himmlischen Boten, die ihn bald heimholen würden: "Jetzt freue ich mich aufs Sterben!"
Engel konnte Urs immer häufiger sehen. Einmal schickte er Freunde, die zu Besuch gekommen waren, plötzlich nach Hause, "weil die ganze Wohnung voller Engel ist und wir keinen Platz mehr haben".
Die letzten Tage verbrachte Urs in der Klinik. Das Zeitgefühl verließ ihn zusehends und Ursula wußte, daß es langsam zu Ende ging. "Es gab Tage, da sagte er mir morgens, ‚Heute wird es ein ruhiger Tag, ich mag nicht sprechen'. Dann lag er die ganze Zeit mit geschlossenen Augen da. Wenn ich sagte, du kannst doch nicht einfach den ganzen Tag gar nichts denken, antwortete er, ‚Ich denke nichts mehr, ich bin einfach leer'."
Einmal sah er sie an und murmelte: "Jetzt gehe ich bald heim." Dann blickten seine Augen nach oben und Ursula fragte, ob Engel da wären. "Ja, ganz viele. Sie möchten mich mitnehmen, aber ich will noch nicht." Da salbte ihn Ursula mit heiligem Öl, das sie von einem Priester erhalten hatte, und plötzlich war der ganze Raum von intensivem Lilienduft erfüllt.
Als Ursula ihren Mann zum letzten Mal sah, sagte er ihr, daß er kämpfen, kämpfen wolle. "Warum willst du denn kämpfen?" - "Ich will noch nicht gehen." - Aber du darfst gehen." - "Ja, muß ich denn nicht auf dich warten?" - "Nein… du darfst jetzt gehen."
Seine Augen wanderten über Ursulas Kopf hinweg und fixierten einen Punkt an der Decke. Und dann begann Urs lautlos zu sprechen. Und zu lauschen. Und zu sprechen. Sicher eine Viertelstunde lang, mit unverwandtem Blick. Schließlich schloß er die Augen und war still. "Ich muß gestehen, ich habe Urs erst bei unserem letzten Zusammensein gesagt, daß ich ihn freigebe. Vorher klammerte ich mich immer noch an ihm fest, wollte ihn unter keinen Umständen gehen lassen. Das hat er genau gewußt."
Als Urs in den frühen Morgenstunden sanft entschlief, schreckte Ursula in ihrem Bett hoch und verspürte einen schweren Druck auf ihrem Herzen. Sie rief die reinigende Kraft des Violetten Feuers an und war kaum fertig, da klingelte auch schon das Telefon.
Die sterblichen Überreste von Urs sind längst in alle Winde verstreut. Doch die Liebe bleibt bestehen. "Kurz nach seinem Übergang spürte ich eines Nachts im Halbschlaf, wie mich jemand ganz fest von hinten im Arm hält. Ich wußte einfach, daß Urs gekommen war, um sich zu verabschieden", erinnert sich Ursula. "Dann ist er zu höheren Reichen weitergegangen. Doch mein Herz erreicht ihn noch immer und ich spüre seine Liebe. Das tröstet mich, denn diese Herzensbrücke besteht mit dem aus der Krankheit geborenen, neuen Urs - der alte Urs ist nicht mehr."
Eine letzte, und die wohl schwierigste Frage soll Ursula Moser noch beantworten: Wenn sie die Wahl hätte zwischen einem langen, gemeinsamen Lebensabend mit dem ‚alten' Urs und den fünf Leidensmonaten, welche den ‚neuen' Urs offenbarten - wofür würde sie sich entscheiden? "Mit dem Kopf antwortend möchte ich Urs natürlich weiterhin um mich haben.
Wenn ich aber auf mein Herz höre, so weiß ich, daß ich so nie die Möglichkeit gehabt hätte, ihn wirklich kennenzulernen und diese Liebe zu erfahren." Ursula beginnt zu weinen. - Was aber ist ihr nun wichtiger? "Das Herz, gar keine Frage!" Und jetzt lächelt sie.
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