Ein Herz und eine Seele für die Tiere

Tiere finden bei ihr ein neues Zuhause, nachdem sie zuvor in Not und Angst lebten. Bissige Hunde verändern ihr aggressives Verhalten und fühlen sich in ihrer Gegenwart wohl und sicher: Man nennt sie „Hundeflüsterin“ – doch Christiane Rohn ist mehr als das: Mit ihrem Argenhof für Tiere setzt sie ein Mut machendes Zeichen und richtet wie ein Leuchtturm ein starkes Licht gegen Verrohung, Wegschauen und Gleichgültigkeit.

Hunde, Schafe, Katzen, Lamas, Schweine, Ziegen, Esel, Ponys, Gänse und Rinder … Sie alle haben bei Christiane Rohn auf dem Argenhof im deutschen Amtzell im Allgäu ein neues, besseres Leben gefunden. Alle verbindet, dass sie zuvor vernachlässigt, verlassen oder misshandelt wurden.

Christiane Rohn mit ihrem Privathund, Border Collie Neam

Christiane Rohn mit ihrem Privathund, Border Collie Neam

Aus Angst, Verzweiflung und Hilflosigkeit entwickeln solche Tiere oft Verhaltensauffälligkeiten; falsch gehaltene Hunde beispielsweise können aggressiv und damit gefährlich werden. Der Argenhof ist eine Schutz-, Pflege- und Therapieeinrichtung für solche Hunde und andere Tiere aus der Not. Christiane Rohn und ihr neunköpfiges Team sowie viele ehrenamtliche Helfer kümmern sich hier liebevoll um die Bedürfnisse von über hundertsiebzig kleinen und großen Tieren.

Wir wollten wissen, was das Geheimnis der Frau ist, der es gelingt, dass sich ihr Hunde innerhalb kurzer Zeit gerne und freiwillig unterordnen, die sich davor Polizeihundeführer und Hundefachleute mit Fangstangen und Maulkörben vom Leibe halten mussten. Und wie sie es schaffte, schon über sechstausend Tieren das Leben zu retten. Am Morgen eines angenehm warmen Frühsommertags betreten ich und mein Begleiter das Anwesen, ein ehemaliges siebeneinhalb Hektar großes Reemtsma-Gestüt mit zahlreichen Stallungen. Der Hof ist umgeben von sanften Hügeln und Wiesen und eng umschlungen von der Argen, einem Wildwasserfluss von einmaliger Schönheit. Vier Gänse watscheln vor uns her und führen uns zu Schmock, einem Lama, das soeben von einer jungen Tierpflegerin versorgt wird. Neugierig begutachtet uns das Lama. Seinen Kopf streckt es ganz nahe zu uns hin … „Keine Angst, der spuckt nicht“, beruhigt uns die Tierpflegerin, die bemerkt hat, dass wir etwas unsicher geworden sind. Wir erfahren, dass Schmock von Christiane Rohn mit der Flasche aufgezogen wurde, nachdem seine Mutter – die am Verhungern war, weil sie von ihren früheren Besitzern nicht ausreichend versorgt wurde – bei der Geburt starb. Zusammen mit drei Eseln, mehreren Schafen und Ziegen teilt er sich ein Gehege.

Die junge Tierpflegerin führt uns durch den ganzen Hof: „Jedes Tier hier hat einen Namen“, erzählt sie. Und wir sehen selber, mit wie viel Liebe sie jedes einzelne Tier anspricht, ihm einen guten Morgen wünscht. Schließlich treffen wir auf Christiane Rohn, die sich, ausgerüstet mit wetterfester Jacke und robusten Schuhen, selber um das Wohl der vielen Tiere kümmert, ehrenamtlich. Darüber hinaus unterstützt sie den Hof wesentlich mit den Einkünften aus ihren Vorträgen, Seminaren, Beratungen, Buch- und Bildverkäufen.

Die „Hundeflüsterin“

Bekannt wurde Christiane Rohn vor einigen Jahren mit ihrem Buch „Man nennt mich Hundeflüsterin – Die Geheimnisse der Verständigung mit dem Tier“. Hunde haben es ihr besonders angetan; mit fünftausend hat sie gearbeitet und dabei kostbares Wissen erworben – unter anderem darüber, wie man auch sogenannte „Kampfhunde“ wieder in die Gesellschaft zu integrieren vermag. Auch gibt sie uns einen Einblick in die erfolgreiche Tierkommunikation. Zum Beispiel, wenn sie von ihrem Umgang mit dem Kangalrüden Omun berichtet. Man konnte ihn im Tierheim nicht mehr versorgen, weil er das Pflegepersonal nicht einmal mehr in seinen Zwinger ließ. Durch „passive Kommunikation“ gelang es ihr innerhalb weniger Minuten, Omun zu streicheln: „Ich habe, als ich im Tierheim war, darum gebeten, den Gang vor Omuns Zwinger freizumachen und die Türen zu schließen. Ich wollte dem Hund die Möglichkeit bieten, sich frei und ohne räumliche Einschränkung zu bewegen. Deshalb öffnete ich vorsichtig die Zwingertür.“ Wichtig war nun, dem Hund das Gefühl zu geben, ihn nicht fangen oder bedrängen zu wollen. Dies tat sie, indem sie sich dem Hund nicht weiter näherte, sich ihm nicht zuwendete und auch keinen Blickkontakt herstellte. „Gleichzeitig war es aber wichtig, dass ich auf ihn nicht teilnahmslos wirkte. Deshalb habe ich mich ihm gegenüber durch die Beschäftigung mit einer Plastiktüte, die ich im Gang gesehen hatte, interessant gemacht. Jegliches Neugierdeverhalten Omuns habe ich sofort stimmlich durch positive Bestätigung erwidert.“ Langsam kam der Hund auf Christiane Rohn zu. „Der Kangal hatte den tiefen Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit und suchte sie nun bei mir. Dadurch, dass ich dem Hund Orientierung geben konnte, hat er innerhalb weniger Minuten Vertrauen zu mir gefasst. Ich konnte ihn nun ohne Probleme streicheln.“

Geht die „Hundeflüsterin“ also nach einer bestimmten Methode, einer bestimmten Technik vor? Oberflächlich betrachtet, ja, doch dazu gehört mehr. Einmal hat eine Mitarbeiterin eines Tierheims Christiane Rohn dabei beobachtet, wie sie das Vertrauen eines als gefährlich geltenden Hundes gewann, und versuchte einige Tage später, das zu wiederholen, was sie von außen bei ihr gesehen hatte. Die Sache ging gründlich schief: Der Hund fiel die Frau an und verletzte sie schwer. Christiane Rohn macht deutlich: „Im Umgang mit einem gefährlichen Hund darf man niemals jemanden imitieren! Nicht das von außen sichtbare Verhalten ist maßgebend, sondern ein umfassendes Bewusstsein der Vorgänge zwischen Mensch und Hund. Es genügt nicht, allein die vom Hund ausgehenden Signale zu beachten, sondern man muss zugleich die eigenen Gefühle und damit auch Schwächen sowie den eigenen Körperausdruck wahrnehmen und dem Tier ehrlich gegenübertreten.“ Es ist also erforderlich, nicht nur die Probleme eines Hundes sofort zweifelsfrei zu erkennen, sondern zugleich die eigenen Schwächen und Stärken richtig einzuschätzen, sich und anderen nichts beweisen zu wollen und zu jeder Sekunde Ruhe und Selbstbeherrschung auszustrahlen; nur dann könne sich der Mensch auf Anhieb richtig verhalten. Alles andere sei lebensgefährlich!

Das Beispiel von Omun zeigt, dass sich hinter der Aggression eines Tieres meist tiefere Gefühle verstecken. Aggression kann nicht nur aufgrund zu harter Behandlung entstehen, sondern auch aufgrund falscher Erziehung, Beschäftigungs- und Spielmangel, aufgrund territorialer Bedürfnisse oder schlicht aus Angst. Bei einem Kind etwa, das zusammengekauert in einer Ecke sitzt, schreit und uns abwehrt, wäre uns schnell klar, dass es enorme Angst hat und „aus Notwehr“ bzw. Hilflosigkeit reagiert. Ein Hund mit dem gleichen Verhalten wird von uns hingegen als bösartig und gefährlich empfunden.

„In gewisser Weise verhält sich ein Hund sein ganzes Leben lang wie ein Kind, dem man immer Orientierung und Sicherheit geben muss. Ein Hund wird zwar erwachsen, aber im Unterschied zum menschlichen Kind nie wirklich selbstständig. Wir tragen also die Verantwortung dafür, ihn feinfühlig und fürsorglich durchs Leben zu geleiten“, schreibt Rohn. Jede Anwendung von Gewalt im Umgang mit Tieren verurteilt sie scharf. Sie und ihr Team arbeiten ausschließlich über positive Bestätigung, Förderung der Eigenmotivation und mit vielen Streicheleinheiten. Dies fördert Vertrauen, Auffassungsgabe, Wahrnehmungsfähigkeit und Konzentrationsvermögen der Tiere. Sie werden selbstbewusster und innerlich ausgeglichener.

Häufige Fehler im Umgang mit Hunden

Bleiben wir noch ein bisschen bei den Hunden: Allein in Deutschland werden jährlich mehr als zehntausend Menschen gebissen, Tausende von Hunden ausgesetzt und rund hunderttausend Hunde eingeschläfert. Die Dunkelziffern jedoch liegen vermutlich weit höher. Was also läuft schief in der Kommunikation zwischen Mensch und Hund? Probleme können zum Beispiel dann entstehen, wenn der Mensch den Hund nicht richtig führt. Der Hund meint dann, er müsse die Führung übernehmen, und will seinen Menschen fortan pflichtbewusst beschützen. Daraus ergibt sich oft eine Verkettung von Missverständnissen zwischen Mensch und Tier, die bis zu Beißvorfällen – harmlosen wie sehr gefährlichen – führen können. Oft entstehen Probleme auch, weil der Mensch viel zu langsam reagiert, sodass zwangsläufig der Hund entscheidet.

Oder den Menschen fehlen schlicht jegliche Fachkenntnisse, die sie überhaupt erst in die Lage versetzen würden, verantwortungsbewusst mit ihren Hunden umzugehen. In ihrem Buch schreibt Rohn, dass die Verständigung zwischen Mensch und Tier sich weitgehend über die Körpersprache, das heißt über kleinste optische, akustische und taktile Signale und Bewegungen vollzieht, auf die der Hund ganz unwillkürlich achtet und reagiert, weil es ihm angeboren ist. Weil aber die Aufmerksamkeit des heutigen Menschen vor allem auf den verbalen Ausdruck fixiert sei, habe er zumeist verlernt, auf seine eigene Körpersprache und die anderer Lebewesen zu achten. Nur wenn er sie wieder beachte und richtig interpretieren lerne, könne er sich dem Hund wirklich verständlich machen und ihm dabei helfen zu erfassen, was er, der Mensch, von ihm erwartet.

Die Körpersprache umfasst die äußere Erscheinung eines Menschen, seine Haltung, seine Art zu gehen, seine Gestik und seine Mimik. Daneben sind auch die Gefühle und der Ausdruck der Stimme von Bedeutung, das heißt Betonung, Lautstärke, Tonlage und Sprechgeschwindigkeit. So strahlt eine klare, feste Stimme Selbstvertrauen, Sicherheit und Kraft aus, eine allzu laute oder schrille erweckt Furcht oder Antipathie, während eine sanfte, leise Stimme Vertrauenswürdigkeit und Verständnis vermittelt, eine allzu leise, zaghafte jedoch Unsicherheit und Ziellosigkeit signalisiert – je nachdem, welche Gefühle in der Stimme mitschwingen. Damit der Hund den Menschen als Leitfigur anerkennt, braucht er das Gefühl, beim Menschen Schutz zu finden. Er muss sich beim Menschen zutiefst sicher und geborgen fühlen können. Dies kann sich beim Hund aber nur dann einstellen, wenn man tatsächlich große Sicherheit und Ruhe ausstrahlt und sie durch den gesamten Körperausdruck für den Hund auch wahrnehmbar macht. Dazu braucht es absolute Ehrlichkeit mit sich selbst. Nur dann könne man dem Hund Orientierung geben, sagt Rohn.

Begleitet von Katze Mary spazieren wir nun hin zum Bürogebäude des Argenhofs.