Finanzkrise - Die Gier frisst ihre Kinder

Warum krachende Banken zu einer Wirtschaftskrise führen können - es aber nicht unbedingt müssen, wenn der Konsument sich richtig verhält.

Stern Cover

Wir ernten, was die Kleptokraten gesät haben: Die Chefs der gestrauchelten Finanzkonzerne Merrill Lynch, AIG, Lehman Brothers, Morgan Stanley und Bear Stearns (v.l.n.r.).

Überall kann man lesen, wir würden in der „schlimmsten Finanzkrise seit der großen Depression“ stecken. Nationalbanken pumpen Dutzende von Milliarden in die Märkte und Staaten greifen taumelnden Finanzgiganten ebenfalls mit Milliarden unter die Arme. Trotzdem scheint das Debakel nicht aufgehalten werden zu können. Die Dominosteine fallen weiter. Es ist ein Spiel, bei dem sich sogar in der größten Krise noch richtig viel Kohle machen läßt.

Wie beispielsweise am „schwarzen Montag“, den 29. September 2008, als die Börse einbrach. An jenem Tag hatte der US-Kongreß das 700 Milliarden Dollar schwere Notprogramm zur Rettung angeschlagener Finanzinstitute abgeschmettert. Vorerst.

An einem einzigen Tag wurden Vermögenswerte von 1‘200 Milliarden Dollar vernichtet. Lösten sich in Luft auf. – Oder etwa doch nicht? Schon Rothschild hatte einst einem bankrotten Unternehmer gesagt: „Ihr Vermögen ist nicht weg, es hat nun bloß ein anderer.“ Im Zeitalter virtueller Konten mit ihren digitalen Einsen und Nullen kann ein Vermögen blitzschnell den Besitzer wechseln. Die politische Abfuhr an US-Finanzminister Paulson und Fed-Notenbankchef Bernanke kam alles andere als überraschend. Wer also an der Börse darauf wettete, daß die Kurse fallen würden, verdiente am „schwarzen Montag“ ein Vermögen.

Der kanadische Wirtschaftsprofessor und Globalisierungskritiker Michael Chossudovsky schrieb, genau das sei auch eingetreten.1 Und am darauffolgenden Dienstag, als die Märkte wieder nach oben schnellten, hätten Spekulanten mit Insiderwissen erneut ein Vermögen gemacht. „Was ist für Spekulanten lukrativer“, fragt Chossudovsky, „das finanzielle Bankenrettungspaket an sich, oder das Geld, das sie beim Spekulieren machen, ob der US-Kongreß das Gesetz annimmt oder nicht?“

Es sei zur Genüge dokumentiert, so der Wirtschaftswissenschaftler weiter, daß dieses kurzfristige Auf und Ab an den Aktienmärkten das Ziel eines spekulativen Handels mit extrem hohen Gewinnen sei. Für Chossudovsky sind solch starke Börsenschwankungen nicht bloß auf das „Vertrauen“ oder „Mißtrauen“ der „Anleger“ zurückzuführen, wie der von den Medien zur Begründung nachgeschobene Standardsatz jeweils lautet. „Aus ‚Schwarzen Montagen’ läßt sich grundsätzlich viel Kapital schlagen. Finanzinstitute, welche nicht nur Vorabwissen und Insiderinformationen haben, sondern auch über die Möglichkeit verfügen, den Markt zu manipulieren, können enorme Profite machen.“

Das weiß keiner besser als der amerikanische Finanzminister Henry Paulson. Der war nämlich bis zu seiner Berufung zum Schatzmeister der Nation im Jahr 2006 Chef der größten Investmentbank Goldman Sachs – und damit einer der Hauptverantwortlichen jener globalen Finanzkrise, die er heute eindämmen soll. „Hank der Hammer“, wie man den ehemaligen Wall Street-Banker wegen seiner Rücksichtslosigkeit nennt, reagierte schnell und legte in kurzer Zeit ein Notfallpaket vor, das von der Politik bekanntlich abgelehnt wurde. Die konformistischen Massenmedien in der ganzen westlichen Welt schrieen empört auf: Wie kann man nur so verantwortungslos sein!

Dieser Meinung ist auch der international geachtete Finanzexperte und Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini. Doch seine Kritik richtet sich an Finanzminister Paulson. Zusammen mit 400 angesehenen Ökonomen (darunter zwei Nobelpreisträger) sprach er sich vehement gegen das Notfall-Wirtschafts-Stabilisierungsgesetz 2008 aus, das den Staat weit mehr als 700 Milliarden Dollar kosten wird. Diese Vorlage sei „eine Schande“, wetterte Roubini, „ein Rettungspaket für rücksichtslose Banker, Kreditgeber und Investoren, das Kreditnehmern und finanziell unter Druck geratenen Haushalten kaum direkte Entschuldungshilfe bietet und den amerikanischen Steuerzahler sehr teuer kommen wird“.

Die Kongreßabgeordneten wurden von wütenden E-Mails ihrer Wähler überflutet, wobei Gerüchten zufolge auf jedes Votum für das Rettungspaket dreihundert Stimmen kamen, die sich dagegen aussprachen. Doch Wall Street gehört nicht umsonst zu den wichtigsten Geldgebern von Wahlkampfspenden, weshalb die Politiker Paulsons leicht abgeänderten Vorschlag am 3. Oktober 2008 dann doch noch guthießen.

Das Absurde an diesem Gesetz ist, daß der Finanzminister absolute Vollmacht erhält, die 700 Milliarden Dollar nach eigenem Gutdünken zu verteilen. Er ist niemandem Rechenschaft schuldig und kann darüber hinaus zusätzliche Gelder der öffentlichen Hand für notleidende Banken ausgeben. Die Limite ist nach oben offen. Ebenso wie die Staatsschulden, die dadurch angehäuft und vom Steuerzahler verzinst werden müssen.

Noch nie verfügte ein Finanzminister in einer Demokratie über solch weitreichende Vollmachten. Henry Paulson hat damit kein Problem. Schon davor entschied er ohne Rücksprache, das traditionsreiche Bankhaus Lehman Brothers, das in seiner 150jährigen Geschichte bereits die Russische Revolution mitfinanziert hatte, Konkurs gehen zu lassen. Einen Tag später rettete er jedoch mit 85 Milliarden Dollar Staatsgeldern den Versicherungsriesen AIG. Warum? Weil Goldman Sachs bei einem Konkurs von AIG über 20 Milliarden Dollar verloren hätte und selbst auch bankrott gegangen wäre. Damit wären auch die angeblich 700 Millionen Dollar an Aktienoptionen futsch, die sich Henry Paulson in seinen 32 Dienstjahren bei Goldman Sachs angehäuft hat.

„Gier ist guuuut!“ schreit Gordon Gekko (alias Michael Douglas) in Oliver Stones Film Wall Street. Darin verkörpert er den legendären jüdischen Wall Street-Betrüger Ivan Boesky, der 1986 an der Berkeley Universität von Kalifornien einen hymnischen Vortrag über Gier hielt. Im Sommer 2007 stolperten die Wall Street-Zocker schließlich über diese menschliche Schwäche.

Alles begann im Februar 2005, als Vertreter der fünf größten Investmentbanken im Büro der Deutschen Bank an der Wall Street zusammentrafen. In ihrer skrupellosen Gier entwickelten sie eine Strategie, wie Wall Street an Hypotheken ebensoviel verdienen könnte wie durch den gesamten Markt für Unternehmenskredite. Das hat auch funktioniert. Eine Zeitlang. Nach dem Absahnen stand dann die Subprimekrise vor der Tür.2 Nur, daß diesmal keine Unternehmen bankrott gingen, sondern Hunderttausende amerikanische Familien. Allein im August 2008 verloren in den USA 91‘000 Hausbesitzer ihr Zuhause. Seit dem Beginn der Hypothekenkrise wurden dort über 770‘000 Häuser versteigert. Und in diesem Jahr werden über eine Million Amerikaner Privatkonkurs anmelden müssen. Das Ausmaß der persönlichen Tragödien läßt sich nicht ermessen. Die Verantwortlichen haben dies bewußt in Kauf genommen. Heute bangen manche von ihnen selbst um ihre Jobs oder haben sie bereits verloren – obwohl sie kaum von der Sozialhilfe werden leben müssen.

Am 6. Oktober 2008 titelte der Spiegel: „Die Angst vor der Angst – die gefährliche Psychologie der Finanzkrise“. Angst, diese uralte menschliche Emotion, ist das Benzin in der Welt des Mammons. Sie ist die Mutter aller schlechten Eigenschaften. Genauso, wie Liebe allem Guten zugrunde liegt. Wer die Liebe kennt, ist vertrauensvoll und offen. Wer hingegen von diffusen oder konkreten Ängsten gebeutelt wird, liegt in Fesseln geknechtet.

Daß Ängste uns krank machen und sogar umbringen können, ist medizinisch bewiesen. Darüber hat der Zellbiologie Bruce Lipton ein faszinierendes Buch geschrieben.3 Zellen kennen nur zwei Seinszustände. Gesunde Zellen sind energetisch offen und kommunizieren miteinander. Sie lassen sich auf ihre Umwelt ein. Es ist ein Geben und Nehmen. Kranke Zellen kapseln sich jedoch ein und brechen den Kontakt zu anderen Zellen ab. Es gibt weder Kommunikation noch energetischen Austausch.

Wenn uns in den Worten des Volksmunds „das Herz aufgeht“, öffnen sich auch unsere Zellen. Verkrampft sich vor lauter Angst aber unser Bauch, igeln sich auch unsere Zellen energetisch ein. Bleibt dieser Zustand chronisch, wird unser Körper krank. Meist nennt man das dann Krebs.

Was hat das mit Nationalökonomie zu tun? Mehr als wir meinen, denn auch eine Volkswirtschaft verhält sich ganz ähnlich wie unser Organismus. Darin spielt Angst eine „beängstigende“ Rolle. Um so mehr, da wir uns von einer Investitionsgesellschaft zu einer Konsumgesellschaft entwickelt haben. Der größte Anteil am realen Geldstrom (die virtuellen Spekulationen der Hochfinanz lassen wir außen vor) wird nicht mehr von Wirtschaftskonzernen bestimmt, sondern durch unendlich viele Kleinbeträge, die wir alle in unserem täglichen Konsumverhalten ausgeben. Wenn wir uns also durch die negativen Schlagzeilen in der Presse beeinflussen lassen und aus Angst nicht mehr kaufen, was wir eigentlich brauchen, kommt die Wirtschaft knirschend zum Stillstand. Dann ist die echte Krise da. Gerade deshalb müssen wir uns eine vertrauensvolle Haltung dem Leben gegenüber bewahren. Je mehr Menschen dies tun, desto mehr Sicherheit gibt es für alle. Trotzdem reden wir hier nicht dem hemmungslosen Konsumverhalten das Wort. Die Zäsur der Finanzkrise kann nämlich heilsam sein, weil sie die Menschen zwingt, in ihrem sinnlosen, oft aus Langeweile geborenen Kaufrausch innezuhalten und sich klar zu werden, was sie wirklich brauchen.

Auch der Strukturwandel in der Bankenwelt wird Arbeitsplätze kosten. Wir brauchen nicht so viele Banker. Früher waren die Finanzinstitute noch in erster Linie eine Dienstleistung für die Industrie. So hatte man beispielsweise die Schweizer Großbank Credit Suisse gegründet, um den Bau des Gotthard-Eisenbahntunnels finanziell sicherzustellen. Heute ist der Finanzsektor jedoch längst zu einem unkontrolliert aufgeblähten Selbstläufer geworden, der zehnmal stärker angewachsen ist als der ganze industrielle Wirtschaftssektor zusammen. Nicht etwa, weil wir Bürger deutlich mehr sparen oder die Wirtschaft überdurchschnittlich viel Kapital benötigen würde. Die Banken haben einfach das virtuelle Spekulationskasino entdeckt. Dort machen sie aus Geld mehr Geld, ohne daß dabei auch nur irgend etwas von realem Wert erschaffen würde.

Sagen wir es deutlich: Wir brauchen die Banken nicht – jedenfalls viele von ihnen. Wenn sie untergehen, muß die Volkswirtschaft nicht zwingend mitgerissen werden. Die wichtigste Aufgabe einer Bank besteht nämlich darin, Kredit zu vergeben. Und genau das wagen sie deutlich weniger. Banken vertrauen sich nicht einmal mehr gegenseitig. Deshalb stürzten reine Investmentbanken, die sich zu schade für normale Spareinlagen waren, sehr schnell in Liquiditätsengpässe, da sie keine Gelder mehr von anderen Finanzinstituten für ihr Monopolyspiel vorgestreckt erhielten. So drehte die Bankenwelt den Gierigsten unter ihrer Zunft aus Angst vor noch mehr „faulen Krediten“ den Geldhahn zu. Wie sagte doch eine Fernsehkommentatorin ganz zu Beginn der Krise: „Nach der Gier kommt die Angst.“

Und so gebärdet sich stattdessen der Staat als Bank und schießt horrende Milliardenbeträge ein. Doch mit diesem Geld unterstützen die Politiker nicht etwa in erster Linie direkt die KMUs und die Industrie, was eigentlich naheliegend wäre. Nein, man wirft das Geld jenen Banken nach, die sich in ihrer Gier am meisten verzockt haben: Der Staat kauft nämlich deren faule Kredite auf und bügelt damit die Fehler der millionenschweren Bankmanager aus, statt produktive Unternehmen direkt mit Kreditvergaben zu stärken.

Diese Finanzpolitik macht die wahren Schuldigen zu Opfern, deren Zeche das Volk bezahlen soll. Das ist nicht nur gegen das Verursacherprinzip, sondern auch äußerst risikoreich. Daß es auch anders geht, machte Schweden in der Finanzkrise der frühen 1990er Jahre vor. Damals verstaatlichte man die in Bedrängnis geratenen Banken, übernahm also deren Management und Sachwerte. Dann schoß die Regierung öffentliches Kapital ein, damit die Banken weiterhin Kredite an Normalkunden verleihen konnten. Als sich die Wirtschaftslage nach einigen Jahren erholt hatte, privatisierte der Staat die Banken wieder, wobei die Käufer einen vernünftigen Preis bezahlten. Unter dem Strich blieben praktisch keine Kosten am schwedischen Steuerzahler hängen.

In den USA haben Finanzminister Paulson und seine Wall Street-Komplizen eine ebenso vernünftige Finanzpolitik nun erfolgreich verhindert. Und die Welt klatschte ihnen sogar noch Beifall.

Quellenangaben