Subprime-Krise - Zufällige entgleisung des Casinokapitalismus...

...oder geplante Massenvernichtung und Enteignung realer Werte? Andreas Clauss, Finanzexperte, nimmt die gegenwärtige Schieflage der Wirtschaft lakonisch unter die Lupe.

Marcel Ospel, der abtretende Chef der Schweizer Großbank UBS, schaffte es im Februar 2008 auf den Titel der Schweizer Wochenzeitung „Die Weltwoche“.

Als Finanzdienstleister habe ich mich seit Mitte der Neunziger Jahre mit derivaten Handelsinstrumenten und den verschiedenartigen neuen „Produkten“, genannt „Alternative Investments“ beschäftigt. Leider machte auch ich hier anfangs den Fehler, mich aufs Detail zu stürzen, d. h. in die mathematischen Grundlagen und Berechnungen, galt es doch, sie so anzuwenden, daß man damit Geld machen konnte. „Make Money“ – „mach Geld“, sagen die Amerikaner umgangssprachlich; nicht zufällig spricht keiner mehr vom „Verdienen“! Volkswirtschaftliche Fragen interessierten mich anfänglich weniger, galt es doch, im Spannungsfeld von Gier und Angst Vermögenswerte, ausgedrückt in Papier, zu wahren, zu sichern und zu mehren. Diese Haltung erwies sich dann auch für mich als ein kapitaler Fehler. Daher möchte ich mich in diesem Artikel aufs Essentielle konzentrieren: Warum gibt es diese Instrumente, und wie wirken sie?

Erstens gelingt es den Akteuren mit der Hilfe solcher Instrumente – beispielsweise von Subprimes – immer wieder neue Wertsch(r)öpfungspotentiale zu kreieren. Subprimes, Optionen und Futures sind Spielarten des globalen Casinokapitalismus. Mit ihnen können immer neue Kredit- und Geldvolumina kreiert werden. Ein strategisches Ziel ist die gezielte Umverteilung von Besitz und Vermögen in die Richtung der Hochfinanz. Ein weiteres Ziel liegt darin, alle Akteure solange wie möglich am Roulette-Tisch zu halten und ihnen zu suggerieren, daß das, womit sie operieren, irgendeinen realen Wert hätte. Wenn man es ganz geschickt macht und die Menschen immer weiter mitspielen, muß es nicht einmal wie ein Kartenhaus zusammenstürzen, es sei denn, die Macher wollen es so.

Bei allen diesen Spielarten geht es immer darum, reale Vermögenswerte, die irgendwo herumschwirren oder stehen, zusammenzufassen und in irgendeiner Form handelbar und beleihbar zu machen. Am Ende wird, wie das in der Wertschröpfungskette üblich ist, auf verschiedenen Stationen über Zinsdifferenzen und Provisionen Geld mit Geld gemacht.

Im Grunde sind all diese Instrumente Versuche, Sicherheiten von Sicherheiten auf Sicherheiten zu begründen und in Umlauf zu bringen, d. h. am Ende der Kette neuen Kredit und damit neues Geld zu generieren.

Subprimes steht für Minderkredit-Markt – also für Hypotheken für Kunden minderer Bonität, die sich das zu teure Haus eigentlich gar nicht leisten können. Dabei wurden diese Kredite teilweise unter dem Zinssatz der Zentralbank beschafft.

MBS (Mortgage Backed Securities), ABS (Asset Backed Securities) sind also mit Vermögensgegenständen unterlegte Wertpapiere, die man über eigens gegründete Gesellschaften in den Handel gibt.

Die Subprime-Kurzgeschichte

Es begab sich wie folgt: Mit dem Platzen der Internetblase (Nasdaq, Neuer Markt etc.) und gleichzeitigen Zahlungsunfähigkeit von Argentinien in den Jahren 2000/2001 mußte sofort ein neuer Ballon aufgeblasen werden, um das System zu retten, welches zu jenem Zeitpunkt wieder mal untergangsgefährdet war. Unternehmen und Private waren schon ziemlich überschuldet, als sich ihre Assets (Anlagewerte) an den Börsen auch noch virtualisierten. Nun senkte man, wie 2001 drastisch in sechs Schritten geschehen, die Leitzinsen der Notenbank (in den USA die FED) auf ein Prozent, was die Kreditaufnahme verbilligt. Das sollte für Private und Unternehmen anfänglich aber immer noch nicht reichen. Also mußte als Kreditnehmer nun der Staat einspringen – derjenige mit der besten Bonität. Der „Kampf gegen den Terror“ lieferte erst noch zum richtigen Zeitpunkt genügend Gründe für die zusätzliche Verschuldung der öffentlichen Haushalte.

Das System brauchte, nimmersatt, jedoch noch weitere Wertschröpfungspotentiale. Es mußte also irgend etwas von Wert her, das sich weiter aufblasen lies. Die Menschen müssen nämlich daran glauben, sonst funktioniert es nicht. Und wieder rein zufällig bot sich der Immobilienmarkt an.

Etwa ein Fünftel aller Hypotheken in den USA (insgesamt für rund 800 Milliarden Dollar) wurde an Kunden vergeben, die eigentlich gar nicht in der Lage sind, eine Hypothek aufzunehmen. Sie haben nämlich weder genügend Einkommen noch Vermögen, um die Hypothekarzinsen zu bezahlen. Man nennt sie „Ninja“: „No income, no job or assets“ (kein Einkommen, keine Stelle und kein Vermögen). Der Hypothekenmarkt lockte diese Art von Kundschaft mit anfänglich sehr geringen Zinssätzen, die nach einer gewissen Zeit durch variable Marktsätze ersetzt wurden. Es wurden Kredite mit günstigen Zinsen vergeben, bei denen aber die Kreditsumme, die zurückgezahlt werden mußte, laufend zunahm. Dabei funktionierte der Subprime-Markt nach dem klassischen Prinzip einer Finanzmarktblase: Solange die Preise für Immobilien in den USA stiegen, konnte nichts schiefgehen: Falls ein Kunde zahlungsunfähig wurde, brachte die Zwangsversteigerung immer mehr ein, als nötig war, um die Hypothek zurückzuzahlen. Clevere Kunden konnten mit den Hypotheken sogar ihren Lebensunterhalt bezahlen, indem sie das Haus, das sie mit geliehenem Geld gekauft hatten, zu einem höheren Preis weiterverkauften.

Die Blase im US-Hypothekenmarkt platzte, als die Hauspreise stagnierten, bzw. fielen. Die Anhebung der Zinssätze durch die amerikanische Zentralbank führte auch bei den variablen Hypotheken zu höheren Zinssätzen. Anfang 2007 konnten dadurch 14 Prozent der Subprime-Kreditnehmer ihre Hypothekarschulden nicht mehr begleichen. Jetzt war der Punkt erreicht, an dem die Zwangsverkäufe nicht mehr genug einbrachten – und damit war der Anfang vom Ende der Blase gekommen. Die Blase, die hier aufgepumpt worden war, überstieg den Wert von 20 Billionen Dollar. Der Durchschnittspreis der Häuser sank im vergangenen Jahr um acht bis zehn Prozent, soviel wie seit der „Großen Depression“ in den Dreißiger Jahren nicht mehr. Nach den Hypothekenbanken gehen nun viele Eigenheimbauer in den Bankrott, die Arbeitsplätze im Bausektor sanken bereits um über hunderttausend. Und gab es im letzten Jahr über eine halbe Million Zwangsversteigerungen, rechnet man für 2008 mit über zwei Millionen, und dies allein in den USA!

Zuvor hatte man viele dieser wackeligen Kredite über die MBS (Mortgage Backed Securities – hypothekengedeckte Sicherheiten) gebündelt und in Paketen an Investoren verkauft, die bei den niedrigen Zinsen natürlich etwas mehr verdienen wollten. „Gier frißt Hirn“, heißt es. Doch nicht das Hirn der Akteure der „Hochfinanz“, die sich dieses intelligente Szenario ausgedacht hatten. Am Ergebnis wird man es erkennen.

Ein Bankenkrach

Was war konkret geschehen? Einer der größten Immobilienfinanzierer (2,85 Milliarden Euro Eigenkapital) hatte total 115 Milliarden Euro (!) in Hypothekarkrediten vergeben und zwar jeweils bis zu 135 Prozent des Schätzwertes einer Immobilie. Die Eigenkapital/Fremdkapitalrelation betrug ganze 2,5 Prozent. Für Rückstellungen bei Kreditausfall waren stolze 0,04 Prozent der Kreditsumme vorgesehen. Nun stiegen plötzlich die Zinsen und die Immobilienpreise fielen. Solange die Leute ihre Raten bezahlten, schien die Welt noch in Ordnung. Doch sobald sie dies nicht mehr konnten (Kunden geringerer Bonität), und als Folge gezwungen waren, ihr Haus in die Zwangsversteigerung zu geben, sah die Situation übel aus. Bei den Zahlen der Northern Rock ist man schneller pleite, als der Computer das ausrechnen kann. Dabei hatte die Bank noch im Januar 2007 die Auszeichnung „Best Financial Borrower“ (bester finanzieller Ausleiher) erhalten!

Daraufhin kam es zum ersten „Bank Run“ in Großbritannien seit dem Jahre 1866. Vor den Filialen der Bank bildeten sich lange Schlangen verängstigter Menschen, die ihre Sparguthaben abheben wollten.

Innerhalb von zwei Tagen wurden zwei Milliarden Pfund abgehoben. Am 14. September 2007 beschloß die Bank of England, eine Liquiditätsspritze von ca. 6,25 Milliarden Euro in das System zu pumpen. Der Ansturm endete jedoch erst, als die britische Regierung die Rückzahlung der Kontoeinlagen garantierte. Inzwischen mußte sie Northern Rock sogar verstaatlichen, da sich kein Käufer fand, der die Bank übernehmen wollte.

Um der Liquiditätskrise entgegenzuwirken, stellten die Zentralbanken der USA, des Euro-Raumes, Großbritanniens und der Schweiz den Banken günstig Geld zur Verfügung. Am 11. März 2008 pumpten sie erneut 200 Milliarden Dollar in den Markt. Die Vertrauenskrise können die Zentralbanken damit aber nicht aus der Welt schaffen.

In einem Artikel des Schweizer Tagesanzeigers vom 29. Februar 2008 können wir lesen, daß sich nach Ansicht von Experten der UBS (Union Bank of Switzerland, die gerade 20 Milliarden Franken aufgrund der Finanzkrise abschreiben mußte1 der gesamte Abschreibungsbedarf der Finanzbranche aus der aktuellen Kreditkrise auf mindestens 600 Milliarden Dollar belaufen kann. Dafür benötigen die Banken natürlich weiteres Kapital.

In dem Moment, als die Banken sich mit diesen ABS, MBS und wie die angekauften Forderungen alle heißen, nicht mehr am Geldmarkt refinanzieren konnten, entstand bei ihnen auf einmal eine plötzliche Illiquidität – der Beginn der sogenannten Subprime-Krise. So geschehen im August 2007.2

Die Liste dieser Banken liest sich wie das „Who is Who“ der Bankenwelt – die Deutsche Industriebank IKB, Sachsen Landesbank (LB), WestLB, UBS, BayernLB und so weiter. In den USA sind mittlerweile an die hundert Banken Pleite gegangen. Allein „Goldman Sachs befürchtet Zwei-Billionen-Dollar-Schock“ heißt es in der Welt vom 17. November 2007. Weiter steht dort: „Die Hypothekenkrise könnte nach Ansicht der Investmentbank Goldman Sachs weitaus gravierendere Folgen für die US-Wirtschaft haben als zunächst angenommen. So könnten Banken und Hedgefonds, die sich größtenteils über Fremdkapital refinanzierten, wegen der Krise ihre eigene Kreditvergabe um bis zu zwei Billionen Dollar zurückfahren, erklärte der US-Chefvolkswirt von Goldman, Jan Hatzius. ‚Die volkswirtschaftlichen Konsequenzen können ziemlich dramatisch sein’, so Hatzius.“

Gut – solange die Einäugigen die Blinden kaufen (Fusionen), rettet es das System. Sollten sich, wie im August 2007 geschehen, die Banken untereinander nicht mehr trauen, springt einfach die Notenbank ein und druckt neue Geldscheine, beschafft neue Kredite. Mittlerweile sollen bis heute dadurch 445 Milliarden Euro ohne volkswirtschaftliche Deckung in den Markt gekommen sein.
Wahrscheinlich ist es sogar sehr viel mehr.

Seit Anfang 2007 veröffentlicht die Federal Reserve Bank (FED) auch die Zahlen der Geldmenge M3 nicht mehr. Warum?

Die Geldmenge M3 umfaßt den gesamten Bargeldumlauf, alle Sichteinlagen bei Banken sowie alle inländischen kurzfristigen Termineinlagen bei Banken. Diese Geldmenge M3 ist nun Maßstab dafür, wieviel Geld einer Volkswirtschaft effektiv zum Kauf von Gütern zur Verfügung steht.

Nimmt man diese Zahl und zieht davon die Zahl der Summe der in Preisen ausgedrückten Güter ab, so erhält man eine Zahl für die Inflation. Richtig berechnet, läge diese mittlerweile im zweistelligen Bereich und widerspreche der öffentlichen Statistik über die Inflation. Was soll’s. Wen interessiert es schon, wieviel Geld überhaupt im Umlauf ist, denn immerhin haben wir ja die Möglichkeit, genauso schnell physische Waren herzustellen, wie Papier zu bedrucken.

Oder etwa doch nicht?

Der Finanzminister zahlt, der Steuerzahler haftet. Die IKB war schon einmal mit rund 3 Milliarden Euro an der Börse bewertet. Das Rettungspaket erfordert schon jetzt mehr als 6 Milliarden Euro. Bis fast 2 Milliarden wird wohl der Steuerzahler dafür bluten müssen. Das wurde durch den Finanzminister Steinbrück schon einmal abgesegnet. Nun müssen die Zinsen auch unten bleiben, trotz hoher Inflation, sonst gibt es nicht zu verkraftende Zahlungsausfälle. Ich bin gespannt, wie viele Milliarden an Steuergeldern zur Rettung von Banken noch gezahlt werden müssen. Man wird es nicht groß bemerken, denn zur Ablenkung wird immer ein neues Schwein durchs Dorf getrieben.

Das IKB-Ablenkungsschwein heißt Zumwinkel und die Steuersünder in Liechtenstein. 4,2 Mio. Steuergelder für Hehlerware! Man spricht von ca. 100 Millionen Euro hinterzogener Steuern, die eventuell dem Fiskus durch diese Daten in die Kassen gespült werden könnten. Der Betrag mag hoch erscheinen, im Vergleich zu den Milliarden der Steuerverschwender, die in der Verantwortung auch ganz konkrete Namen tragen, sind es Peanuts.Herr Zumwinkel war als Vorstand der Deutschen Post gleichzeitig auch Vorstand einer Bank, nämlich der Postbank. Als Vorstände von Dax-Unternehmen gehören beide zum Establishment. Dort hackt bekanntlich die eine Krähe der anderen kein Auge aus. Warum also diese öffentliche Vorführung von Zumwinkel? Kann es sein, daß das auch etwas mit den Subprimes zu tun hat? Kann es sein, daß Herr Zumwinkel einfach betriebswirtschaftlich ein guter Vorstand sein wollte und nicht massenhaft diese Ramschanleihen kaufte wie die anderen? Wollte er die Post nicht so einfach den Heuschrecken vorwerfen und ausschlachten, wie es Ron Sommer mit der Telekom tat oder Hartmut Mehdorn mit der Bahn noch vorhat? Die Beantwortung dieser Fragen ist für die Öffentlichkeit und unsere Steuergelder jedenfalls hundertfach interessanter als der Skandal um die Liechtensteingelder.

Quellenangaben

  • 1 April 08: UBS muß gesamthaft 40 Milliarden abschreiben.
  • 2 Unter bankimplode.com können Sie die Liste der Banken und die Summen einsehen, die von dieser Problematik bis jetzt berührt sind und um die es geht.