Heldin zwischen Stacheldraht und Steinen

Sie ist Israelin, Jüdin und Anwältin, und sie kämpfe über zwanzig Jahre lang vor israelischen Gerichten für die unterdrückten Palästinenser. Felicia Langer lebt vor, was eine Frau vermag, die ihrem Herzen und ihren Idalen treu bleibt.

Mit Liebe, Mut und Beharrlichkeit dem Unrecht getrotzt: Felicia Langer, Trägerin des ‘Alternativen Nobelpreises’.

Mit Liebe, Mut und Beharrlichkeit dem Unrecht getrotzt: Felicia Langer, Trägerin des ‘Alternativen Nobelpreises’.

Stellen Sie sich vor, Sie leben in einem Dorf, und wenn Sie Wasser wollen, müssen Sie es mit dem Esel holen. Es gibt nur einen Brunnen, und im Sommer gibt er fast nichts her. Das Wasser des Brunnens ist miserabel. Man wird krank davon, und saubere Wäsche kann man damit auch nicht waschen. Die Universität sagt, Ihr ganzes Dorf sterbe aus Wassermangel einen langsamen Verdurstungstod. Eigentlich gäbe es schon Wasser, aber der feindliche Staat, der alles überwacht, weigert sich, die Wasserrohre, die ins Dorf führen, zu reparieren. Sie leben unten in der Ebene. Oben, auf dem Berg, gibt es Menschen, die bewohnen wunderschöne Häuser, mit grünen Gärten. Jene Leute kennen keine Wassernot. Im Sommer öffnen sich die Tore des Schwimmbads ihres Dorfes, und die Kinder planschen vergnügt, während Ihre eigenen Kinder in der Hitze zum verschlammten Brunnen laufen, der kaum mehr einen Tropfen hergibt. Das Land auf dem Berg hat einmal Ihnen gehört. Es wurde Ihnen weggenommen und anderen Menschen gegeben, die nun täglich eine Dusche nehmen können. Die Menschen in jenem Dorf sagen, Sie, die dort unten leben, und denen einst der ganze Boden gehörte, hätten keinerlei Recht auf irgendwelches Wasser, und im übrigen seien sie allesamt Lügner.

Die beiden Dörfer gibt es: In der Ebene das palästinensische Marda, auf dem Hügel, auf enteignetem palästinensischem Land die jüdische Siedlung Ariel. Alle Angaben sind Realität.

Israel übt die Herrschaft über 83 Prozent der Wasserquellen aus. 95 Prozent der Westbank sind ohne Bewässerung unfruchtbar, doch die Israelis beanspruchen 85 Prozent des palästinensischen Wassers auf den rund 7’000 Quadratkilometern Westbank und Gazastreifen für sich. Auch alle Tiefbrunnen sind in israelischer Hand. In den besetzten Gebieten leben rund 12’000 jüdische Siedlerfamilien. Laut der israelischen Zeitung Ha’arez bewirtschaften sie kapitalintensiv und mit modernster Agrotechnik knapp zwei Drittel des nutzbaren Bodens. Für die ca. 250’000 palästinensischen Bauern bleibt der steinige, ausgetrocknete, karge Rest.

All dies hat sich auch nach dem Oslo II-Abkommen nicht geändert. Die Palästinenser haben kein Recht auf das Regenwasser, das auf ihre Berghänge fällt und in drei große, natürliche, unterirdische Becken versickert. Israel steht ihnen nur 20 Prozent des Wassers zu, das vom Himmel auf ihr eigenes Land fällt. Ein Palästinenser muß laut Universitäts-Untersuchungen mit einem Fünftel des Wassers auskommen, das ein Israeli jährlich verbraucht. Den Palästinensern ist es verboten, ihre Feldfrüchte zu bewässern, und sie erhalten auch kein Wasser für ihre Industrie oder Landwirtschaft. Ohne dies können sie aber keine funktionierende Wirtschaft aufbauen.

Flüchtling

Protokolliert hat dies eine bemerkenswerte Frau: Felicia Langer (70), Anwältin, Jüdin. Von 1950 bis 1990 lebte sie mit Mann und Sohn in Israel. Seit sie Mitte der sechziger Jahre eine eigene Anwaltspraxis in Tel Aviv eröffnet hatte, verteidigte sie die Unterprivilegierten. Was sie nach dem Sechstagekrieg von 1967 erlebte, ließ sie erst recht Partei für die Entrechteten ergreifen: Die Palästinenser, die nun unter israelischer Besetzung im Westjordanland und im Gazastreifen ihr Leben fristeten. „Ich begriff“, äußerte Felicia Langer in einem Interview mit dem Zeit-Magazin (22. Februar 1991), „daß die, die Siegeslieder sangen und die Ruinen eines besiegten Volkes fotografierten, die Lehre der Geschichte nicht verstanden haben.“

Anders Felicia Langer. „Das Flüchtling- Sein brannte sich tief in mein Bewußtsein ein, und als ich zum ersten Mal palästinensische Flüchtlinge traf, fühlte ich ihren Schmerz. Das Leid einer Flüchtlingsexistenz vergißt man nicht“, schreibt sie in ihrem autobiographischen Buch Zorn und Hoffnung.

Felicia wird am 9.Dezember1930 als Tochter jüdischer Intellektueller im polnischen Tarnowin gutbügerliche Verhältnisse hineingeboren. Die jähe Vertreibung aus der Kindheit findet statt im September 1939, da Hitler in Polen einbricht und die Familie erst nach Rußland, und anläßlich von Hitlers Rußlandfeldzug nach Kasachstan flieht.

„Der schreckliche Schmerz über die Trennung von Zuhause in Polen, von dem Leben, dessen Annehmlichkeiten ich erst in der Fremde ganz schätzen lernte, begleitete mich überall hin. Noch wußte ich nicht, daß wir zu einem einzigen riesigen Grab unserer ganzen Familie zurückkehren würden“, notiert sie in ihrer Autobiographie.

Ihre erste Erfahrung mit einem Gefängnis macht sie, als ihr Vater in Rußland eingesperrt wird, weil er sich weigert, ein Bürger der Sowjetunion zu werden. Sie erlebt, wie ihr über alles geliebter Vater in der Haft zunehmend schwächer wird. Dann, eines Tages, die Hiobsbotschaft: Der Staat verschickt alle möglichen Leute zum Arbeitsdienst; in Güterzügen werden sie an ihre Bestimmungsorte transportiert. Ihr Vater ist auch darunter, „bleich und bekümmert“ steht er auf dem Bahnhof in der Menschenmenge, als Felicia und ihre Mutter ihn finden. Alle dreiwissen, daß er in seinem geschwächten Zustand nicht lebend zurückkommen wird. „Er sah mich mit seinen traurigen Augen an und sagte ganz schlicht: ‘Nur du kannst mich retten.’ Die Leute hörten seine Worte und lächelten zweifelnd; was konnte so ein kleines Mädchen schon ausrichten, wenn der Zug gleich abfuhr.“ Doch Felicia läßt sich nicht beirren, rennt zum Büro der Kommandantur. Erst will der Diensthabende nicht mit sich reden lassen. „Er wird sterben, glauben Sie mir, er wird sterben. Sie sind der einzige, der ihm helfen kann. Ohne ihn habe ich nichts, wofür es sich zu leben lohnt, Sie sind doch sicher auch Vater“, beschwört sie ihn, bevor ihr die Tränen aus den Augen stürzen. Und tatsächlich: Sie hat das Herz des Mannes berührt. „Geh und hole ihren Vater heraus“, heißt er einen Offizier. „Du bist mein Sonnenstrahl“, sagt ihr Vater, und dabei sieht er aus „wie ein Mensch, der von einem Ort zurückkehrt, von dem es keine Wiederkehr gibt.“

Lebensrettering

Menschenleben zu retten – das sollte zum großen Thema im Leben der Felicia Langer werden. Doch davon ahnt das Kind natürlich noch nichts. Die Jahre in Rußland sind entbehrungsreich und hart. Flüchtlingsschicksal, zigtausendfach erlitten. Und ihr gesundheitlich schwer angeschlagener, innig geliebter Vater wird die Kriegszeit nicht überleben.

In ihren Jahren in Israel hat Felicia Langer mehr Elend und Ungerechtigkeit, mehr Pein und Folter gesehen, als es die Kraft eines Menschen erlaubt, so müßte man meinen. „Jahrzehnte sind vergangen“, schreibt sie in ihrer Autobiographie, „und wieder nehmen mir die Gefängnisse die Lebensfreude, und unter fröhlichen Menschen fühle ich mich einsam in meiner Traurigkeit. Manchmal kann ich deshalb ihre Freuden nicht teilen, und dann werde ich der Askese beschuldigt. Aber es ist viel einfacher – etwas in mir ist ausgetrocknet.“Daß sie dennoch niemals zur Zynikerin wurde, daß sie am tausendfach miterlebten Elend nicht zerbrach oder zur Menschenfeindin mutierte, mag daran liegen, daß sie „in einer Atmosphäre der Liebe meiner Eltern untereinander und mir gegenüber“ aufwuchs.

„Ihre emotionale Wärme formte meinen Charakter“, schreibt sie, „und meine Erwartungen an die Zukunft, zum Guten wie zum Schlechten. Heute noch fällt es mir schwer, in einem System kühler und distanzierter Beziehungen eine Funktion zu erfüllen, sowohl bei der Arbeit als auch bei meinen öffentlichen Aktivitäten, und noch mehr innerhalb meiner Familie. Oft, wenn die Erwartungen sich nicht erfüllen und die Enttäuschung schwer und bitter ist, versuche ich mich mit aller Gewalt irgendwie mit einem Schutzpanzer zu umgeben, aber im allgemeinen vergebens. In den Jahren meines Kampfes, als ich, ohne etwas Unrechtes getan zu haben, zum ‘Staatsfeind Nr. 1’ ausgerufen wurde, selbstverständlich nicht offiziell, fragten mich viele Interviewer, wie ich, umgeben von solchem Haß, das Leben aushalten könne. Ich behauptete nicht, daß es mir leicht fällt, aber ich gab vor ihnen nicht zu, wie sehr mich dieser Haß trifft. Und wie es mir wehtut, wenn feindselige Blicke sich in meine Haut brennen und auf den Gesichtern vieler, denen ich begegne, das Lächeln erlischt. Trotz allem schaffe ich es, damit zu leben.“

Geliebte

Eines Menschen Liebe konnte sich Felicia Langer immer sicher sein: Jener ihres Gatten Mosche, den sie liebevoll Mieciu nennt. 17 Jahre alt war sie und gerade liiert mit einemanderen jungen Mann, als Mieciu sich in ihr Leben drängte. „Er war nur dreieinhalb Jahre älter als ich, aber die Schrecken, die er durchgemacht hatte und die Tatsache, daß er in jungen Jahren schon für sich selbstverantwortlich war, hatten ihn ernster und erwachsener als die meisten seines Alters gemacht. Fürsorglich bemühte er sich um mich, ohne dafür etwas zu erwarten, so daß ich mich manchmal an meinen Vater erinnert fühlte, wie er sich um mich gesorgt hatte.“ Erst mal wollte die junge Felicia aber nichts vom beharrlichen Verehrer wissen. Der gab nicht auf. „Eines Tages wandte sich Mieciu an mich und bat mich um ein Gespräch. Ich erinnere mich, daß wir uns in eine Ecke des großen Zimmers stellten. Er sah mir direkt in die Augen und sagte ganz einfach, ohne seine Aufregung zu verbergen: ‘Ich liebe dich sehr und werde dich immer lieben. Ich möchte, daß du mich heiratest.’ “Sie erstarrt erst, gibt dann zu, daß auch sie große Zuneigung zu ihm fühle, mehr aber nicht, und daß sie erst leben wolle. Im übrigen, erinnert sie ihn daran, habe sie einen Freund. Er sagt nur: „Dein Freund ist noch sehr jung, er denkt an seine Zukunft und an seine Schule, das ist keine dauerhafte Verbindung. Bei mir ist das etwas fürs ganze Leben.“

Und so sollte es sein. Mittlerweile ist Felicia seit über fünfzig Jahren mit Mosche ‘Mieciu’ Langer verheiratet. Ihr einziger Sohn Michael arbeitet seit längerem in Deutschland als Regisseur.

Nach Israel emigrierten die 20jährige Felicia und Mosche eigentlich nur Felicias Mutter zuliebe, die mit ihrem zweiten Mann dorthin ausgewandert war und immer wieder Briefe voll der Verzweiflung schickte. Die Ankunft im ‘Gelobten Land’ ist für die jungen Eheleute ernüchternd, bedeutet harte Fabrikarbeit, Hitze, Mangel an Essen, das Fehlen jeglicher, in Polen geliebter Kultur, Fremdheit angesichts einer unverständlichen Sprachemit einer ebenso unverständlichen Schrift. „Was ging in mir vor? Ich mußte den Problemen auf den Grund gehen. In der neuen Heimat registrierte ich die Diskriminierung der Sephardim durch die Aschkenasim, die Diskriminierung von Arabern durch die Juden, Materialismus und Verachtung des Mitmenschen. All das stand im Gegensatz zu den Werten, an die ich glaubte. Ich wollte, daß eine Veränderung eintrat, und ich glaubte, daß auch dieses Land sein Gesicht ändern könnte.“