Ein Bauer erzählt aus seinem Leben und seiner Arbeit, wo Engel ebenso ihren Platz haben wie Magerwiesen und Wildvögel.
Ich glaube fest daran, daß Reichtum und Natur zusammengehören. Eine gesunde Natur ist gleichbedeutend mit Überfluß. Wir legen beispielsweise eine Kartoffel in die Erde und können zwanzig ernten. Trotzdem ist Bauer zu sein längst kein begeisternder Beruf mehr. Du mußt jeden Tag von früh bis spät schuften und hast kaum einen Tag frei, geschweige denn ein oder zwei Wochen Ferien im Jahr. Du bist den Launen des Wetters hilflos aufgeliefert und kämpfst ständig gegen die Natur an, die mit Schädlingen, Viren und allen möglichen Arten von Krankheiten deine Ernte bedroht. Sorgen drücken dich nieder, weil dein Bauernhof eigentlich zu klein ist, um rentabel bewirtschaftet werden zu können. Den Nachbarbetrieb kriegst du auch nicht, obwohl es keinen Hofnachfolger gibt - zehn andere Bauern, die ebenfalls ums Überleben kämpfen, wetteifern bereits um dessen Land und Vieh. Die Preise für Milch, Fleisch, Getreide etc. sind so gering, daß du kaum davon leben kannst. Neue Gesetze und Vorschriften im Tier-, Gewässer- und Landschaftsschutz schränken dein unternehmerisches Denken und Handeln noch zusätzlich ein. Und zu guter Letzt mußt du als Mann noch großes Glück haben, wenn du überhaupt eine Frau findest, welche dieses mühselige Leben mit dir teilen will.
Solche Gedanken trieben mich um, als ich in den achtziger Jahren die landwirtschaftliche Schule als ausgebildeter Landwirt verließ, mit einem Diplom in der Hand. Damals war ich top motiviert, nicht in die Landwirtschaft einzusteigen und ging erst mal für ein paar Jahre einer anderen Beschäftigung nach. Ich sah für mich und den Bauernhof, den ich irgendwann von meinem Vater übernehmen sollte, keine Zukunft. In der landwirtschaftlichen Schule hatte man mir zwar ein fundiertes Fachwissen über das Bauern beigebracht. Ich kannte all die wichtigen Krankheiten unserer Nutztiere und wie man dagegen vorgehen mußte. Die Absetzfristen bei Antibiotika waren mir ebenso geläufig wie das Futter, welches die Leistung der Tiere steigert. Im Pflanzenbau lernte ich viele Schädlinge, Viren, Pilze und Unkräuter kennen, deren Namen ich vorher noch nie gehört hatte; man brachte mir bei, wie sie bekämpft werden und welche chemischen Mittel hierfür notwendig sind. Außerdem besaß ich exakte Düngungspläne, um maximale Erträge aus den Pflanzen herauszuholen.
Aber was nur wenig oder gar nicht gelehrt wurde, war das Warum. Warum haben wir Krankheiten und Schädlinge? Wo liegen die Ursachen für ihr Auftreten? Weshalb wird heute eine Milchkuh kaum noch zehn Jahre alt, wenn sie doch gut und gerne zwanzig Jahre alt werden könnte? Warum haben wir Kartoffelsorten, die ohne chemischen Kupfereinsatz gar nicht überlebensfähig sind? Warum bekommen immer mehr Menschen von unseren landwirtschaftlichen Produkten Allergien (Milch- und Weizenallergie)?
Fragen, die unbeantwortet bleiben, solange wir unsere Aufmerksamkeit nur auf die Symptome - die Krankheiten - richten und nicht nach deren Ursache suchen. Man betrachtet die Natur von einem rein wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus als wäre sie eine Maschine, die zu leisten hat, was wir von ihr erwarten. Aber die Natur ist alles andere als eine Maschine. Sie ist viel mehr, doch dies wurde mir erst später bewußt.
1989 übernahm ich dann doch den Hof von meinem Vater, weil er altershalber etwas kürzer treten wollte. Anfangs versuchte ich den Hof so zu führen, wie ich es in der Schule gelernt hatte. Doch nach drei Jahren wollte ich etwas Neues ausprobieren und stellte auf biologischen Landbau um. Ich gehörte zu den ersten Biobauern in unserer Gemeinde und erntete von meinen Berufskollegen nicht nur begeisterte Zustimmung.
Die ersten zwei Jahre wirtschaftete ich streng nach den Richtlinien des biologischen Landbaus. Wie der konventionelle Landwirt kämpft auch der Biobauer gegen Krankheiten und Schädlinge. Statt der chemischen Keule kommen einfach natürliche Mittel zum Einsatz. Doch dahinter steht das gleiche Denken und Handeln gegen die Natur. Mit Symptombekämpfung kann man die Probleme in der Natur nicht lösen, man verlagert sie nur von einem Jahr zum nächsten.
Nach zwei Jahren gab ich diesen aussichtslosen Kampf auf und entschloß mich, gänzlich neue Wege der Zusammenarbeit mit der Natur auszuprobieren. Damit begann für mich ein großes Abenteuer, welches bis zum heutigen Tag andauert.
Die ersten Jahre ohne Bekämpfung waren wirklich hart. Wir ernteten auf unserem Hof praktisch keine Kirschen mehr, weil die Bäume durch Läuse derart geschädigt waren, daß die Früchte gar nicht mehr ausreifen konnten. Die Natur zeigte schonungslos, wie sehr sie aus dem Gleichgewicht geraten war. Ich suchte nach den Ursachen für dieses Ungleichgewicht, insbesondere bei den Kirschbäumen.
Es war entstanden, weil man die Natur ausschließlich vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet: Alles, was von offensichtlichem Nutzen ist, wird gefördert. Was scheinbar keinen Nutzen hat, wird jedoch entfernt. Zum Beispiel Hecken, Feuchtstandorte, alte Hochstammbäume etc.
In der Natur gibt es aber nichts ‚Nutzloses', weil sie solches schon längst eliminiert hätte. Also begann ich Hecken anzupflanzen, die Lebensraum für viele Vogelarten, Igel und andere Kleintiere sind. Dank extensiver Bewirtschaftung wandelten sich gewisse Flächen in Magerwiesen um, die viele seltene Pflanzen beherbergen. In unmittelbarer Nähe der Hecken und Magerwiesen setzte ich Hochstamm-Obstbäume, um die verschiedenen Elemente miteinander zu verbinden. Es ist erstaunlich, wie schnell die Natur auf diese Veränderungen reagierte. Innerhalb von wenigen Jahren ging der Läusebefall an meinen Kirschbäumen auf ein Maß zurück, das für die Bäume kein Problem mehr darstellt. Heute können wir schöne Kirschen ernten, ohne irgendwelche Bekämpfungsmaßnahmen durchführen zu müssen.
Diese Erfahrung gab mir Mut und ich dachte: "Wenn es bei den Kirschen funktioniert, dann klappt es auch bei den Kartoffeln, beim Gemüse oder bei den Tieren!" Langsam erkannte ich, daß es in meinem Beruf als Bauer nicht um die Bekämpfung der Natur geht, sondern vielmehr um die Zusammenarbeit mit allem, was in der Natur lebt und gedeiht. So sind die Vögel zu meinen wichtigsten Mitarbeitern geworden. Weil Insekten ihre Nahrungsquelle sind, halten sie deren Zahl im Gleichgewicht, damit sie nicht plötzlich zu Kulturschädlingen werden.
Und die Vögel sind längst nicht die einzigen Mitarbeiter, die dazu beitragen, das natürliche Gleichgewicht zu erhalten. Es ist faszinierend, welche Auswirkungen diese Zusammenarbeit auf meinem Hof zeigt: Vogelarten, die man nur noch selten gesehen hatte, werden plötzlich wieder heimisch, Rehe weiden in unmittelbarer Nähe des Hauses und in den Magerwiesen steht und summt eine unglaubliche Vielfalt an Pflanzen und Insekten. Diese Vielfalt ist natürlich und birgt die Schönheit und den wahren Reichtum dieser Erde. Unser Planet wurde nicht erschaffen, damit das Leben ums nackte Überleben kämpfen muß, sondern damit es sich entwickeln kann. Dies gilt für den Menschen ebenso wie für die Natur. Der Überlebenskampf der Natur wurde ihr durch das ausbeuterische Verhalten von uns Menschen aufgezwungen - und deshalb sind auch wir in einen Kampf ums Überleben geraten.
Ich habe dreißig legefreudige Hühner, und seit längerer Zeit trug ich mich mit dem Gedanken, meiner Hühnerschar einen Gockel zu schenken. Ich dachte, sie würden sich sicher darüber freuen, wenn sich ein Mann in ihre Reihen gesellt. Als sich mir die Gelegenheit bot, von guten Freunden aus der Toskana einen wunderschönen Hahn namens 'Rossini' zu erwerben, sagte ich sofort zu.
Zuhause angekommen, war ich gespannt, wie meine Hühner auf den hübschen Italiener reagieren würden. Am ersten Tag passierte noch nicht allzuviel. Da und dort gab es zwar einige Kämpfe mit ranghöheren Hühnern, aber ansonsten schien es, als ob Rossini noch keinen allzu starken Eindruck auf das Weibervolk gemacht hatte. Am zweiten Tag bemerkte ich jedoch, daß Rossini Mühe hatte, aufrecht zu gehen. Seine Beine waren ganz blutig und ich sah, wie einzelne Hühner ihn ständig an den Beinen pickten. Schließlich verkroch er sich in eine Ecke des Hühnerauslaufs und begrub die Beine unter sich, um sie vor weiteren Angriffen zu schützen.
Meine Frau rief daraufhin eine bekannte Hühner-Fachfrau an und schilderte ihr den Vorfall. Diese sagte: "Oh, das ist schwierig. Die ranghöheren Hühner akzeptieren den Gockel nicht und wollen ihn aus der Herde vertreiben. Solange er an den Beinen blutet, werden sie immer weiter picken. Das würde wahrscheinlich über kurz oder lang seinen Tod bedeuten. Am besten nehmt ihr ihn aus der Schar heraus, bis seine Beine wieder verheilt sind. Vielleicht kann man es später nochmals versuchen, aber es wird nicht einfach sein." Das darf doch nicht wahr sein! Jetzt hatte ich endlich einen Gockel für meine fleißigen Hühner - und nun wollten die ihn nicht einmal in ihre Schar aufnehmen! – Ich mußte etwas unternehmen.
Also wartete ich, bis es Abend war und die Hühner es sich auf den Sitzstangen für die Nachtruhe gemütlich gemacht hatten. Schön hierarchisch geordnet saßen sie da, die ranghöchsten auf der obersten Sitzstange. Rossini kauerte immer noch in der Ecke und rührte sich nicht vom Fleck. Ich packte ihn vorsichtig und setzte ihn zu den Hühnern in die zweite Reihe. Eigentlich wollte ich nun eine Stunde lang mit den Hühnern darüber meditieren, was wir an dieser unerfreulichen Situation ändern könnten, um dann zu einem für alle Beteiligten tragbaren Kompromiß zu gelangen. Doch meine Geduld reichte nicht aus und ich entschied mich zu einer verbalen Standpauke, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Ich gab dem Federvieh zu verstehen, daß ich diesen tollen, jungen Italiener nicht in die Schweiz geholt hätte, damit ihm von ein paar intoleranten Hühnern das Leben schwer gemacht würde. Mit diesen Angriffen auf Rossini sei jetzt Schluß, sonst würde ich einige Uneinsichtige vorzeitig ins Jenseits befördern – was ich mit einer unmißverständlichen Handbewegung unterstrich. Das hatte gesessen!
Von diesem Tag an hatte Rossini nie wieder blutige Beine und kann sich nun frei in der Herde bewegen. Er hat zwar noch nicht seinen rechtmäßigen Platz auf der obersten Sitzstange erobert, doch er macht seinem Amt als 'Hahn im Korb' alle Ehre und wird inzwischen von allen Hühnern heiß geliebt – von fast allen.
Gottfried Halter und seine Frau Edith bewirtschaften Ihren Hof in der Innerschweiz nach biologischen Richtlinien. Sie bauen Gemüse, Beeren, Obst an, welche sie im eigenen Hofladen anbieten. Daneben betreiben sie eine extensive Weidemast mit Rindern und Ochsen. Gottfried Halter hält Vorträge und veranstaltet Führungen auf seinem Hof.
Kontaktadresse:
Edith & Gottfried Halter
Chripfelihof
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