Mobilfunk: "Mir war stundenlang schlecht"

„Keine kurzfristigen Auswirkungen auf das Wohlbefinden“, kommt die neue Schweizer UMTS-Studie zum Schluß. Versuchsteilnehmer erlebten das Gegenteil.

In der holländischen TNO-Studie aus dem Jahr 2003 löste UMTS-Strahlung von 45 Minuten Dauer signifikante Beschwerden sowohl bei elektrosensiblen wie nicht-sensiblen Personen aus. Diese wirtschaftsunabhängig finanzierte Studie war ein schwerer Schlag für die Mobilfunk-Industrie, welche die neue UMTS-Handy-Generation gewinnträchtig vermarkten will. Und so folgten in vielen Gemeinden Moratorien gegen den Bau weiterer UMTS-Mobilfunktürme.

Nun führte die Universität Zürich eine sogenannte Replikationsstudie durch, welche die Ergebnisse der holländischen TNO-Studie nachprüfen sollte. Mit sechsmonatiger Verspätung (warum wohl?!) wurden die Ergebnisse am 6. 6. 2006 in Zürich vorgestellt. Fazit der zu 40 Prozent von der Mobilfunkindustrie finanzierten Studie: Kurzfristig könne man keine Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Probanden feststellen, die „zudem nicht in der Lage waren, die UMTS-Strahlung wahrzunehmen“ – eine wahrlich kühne Behauptung, denn die Hälfte der Versuchspersonen hatte sehr wohl und eindeutig bemerkt, wann sie mit UMTS-Signalen bestrahlt wurden und wann nicht! Doch das sei reiner Zufall, behaupten die von der Mobilfunkindustrie finanzierten Forscher…

bestrahltes Ei

Nach 65 Minuten Bestrahlung durch zwei Handys ist das Eiweiß eines rohen Eies hartgekocht. – Was wohl mit dem Protein in unserem Hirn geschieht?

Frisierter Vergleich

Die Zürcher Wissenschaftler unternahmen so einiges, um die aufrüttelnden Resultate der holländischen Studie zu umgehen – bis zu dem Punkt, daß man ihre „Replikationsstudie“ gar nicht mehr als Wiederholung der ursprünglichen TNO-Studie betrachten kann: Alle Versuche der holländischen Studie wurden beispielsweise an einem Tag durchgeführt. Die Zürcher warteten jeweils eine Woche (wohl mit der Absicht, dem Körper eine Regenerationsphase zu ermöglichen, welche für die Mobilfunkindustrie günstigere Resultate bringt). Außerdem setzten die Holländer ihre Probanden einem Mischsignal aus, wie es in etwa der Realität jenes „Wellensalats“ entspricht, von dem wir täglich ununterbrochen bombardiert werden. In den vom Elektrosmog vollkommen abgeschirmten Zürcher Labors wurden die Probanden hingegen ausschließlich mit einem reinen UMTS-Steuersignal bestrahlt (einem bloßen „Stand by“-Signal), wie die Mobilfunktürme es in den frühen Morgenstunden aussenden mögen, falls denn kein einziger Mensch mit seinem Handy kommuniziert! – Eine Versuchsanordnung also, die weit neben der Realität steht.

Hatten an der holländischen Studie Sensible und Nicht-Sensible zu gleichen Teilen an den Versuchen teilgenommen, so stellten die Zürcher Forscher ihren 84 nicht-sensiblen Probanden nur 33 elektrosensible gegenüber, die zudem durchschnittlich zwanzig Jahre jünger waren als die holländischen sensiblen Versuchspersonen. Es ist allgemein bekannt, daß die Elektrosensibilität mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt. Auch Kinder und Jugendliche (das lukrativste Kundensegment der Mobilfunkanbieter) reagieren viel empfindlicher auf elektromagnetische Strahlung als gesunde männliche Erwachsene in ihren Zwanzigern und Dreißigern – die daher bevorzugt als Probanden für Mobilfunkstudien verpflichtet werden.

Die Zürcher Laborversuche dauerten 45 Minuten, wobei die Versuchspersonen am Bildschirm Denksportaufgaben lösten mußten (Die Bevölkerung ist hingegen täglich 24 Stunden viel stärkeren Mischsignalen ausgesetzt!). Dennoch klagte ein Proband: „Mir wurde schwindlig. Ich wäre fast vom Stuhl gefallen. Aber ich habe durchgehalten und die Aufgaben am Computer zu Ende gelöst.“ Nach dem Test hätte er nicht mehr Auto fahren können. „Ich fühlte mich wie betrunken. Am nächsten Tag hatte ich Migräne und Zahnschmerzen.“ Ein anderer Mann klagte über stundenlange Übelkeit.

So reagieren Menschen bereits auf kurzfristige UMTS-Bestrahlung. Selbst die Zürcher Forscher geben indes zu, daß ihre Studie keinerlei Aussagen zu Langzeitwirkungen macht. Erinnern wir uns deshalb an das Gesetz von Petkau, der über technische Strahlung folgendes herausfand: Eine niedrige Dosis über lange Zeit ist schädlicher als eine hohe Dosis über kurze Zeit.

Doch das kümmert Sicta, den Branchenverband der Schweizer Mobilfunkindustrie, herzlich wenig: „Studie findet keine Hinweise auf Störungen des Wohlbefindens durch UMTS-Signale“, verkündet dieser lautstark und fordert, jetzt müßten alle blockierten Antennenbewilligungsverfahren sofort wieder aufgenommen werden.

Irreführung der Bevölkerung

Mit dieser neuen Zürcher Studie suggerieren Interessenvertreter den Gemeindebehörden und der Bevölkerung, UMTS-Sendeanlagen seien gesundheitlich unbedenklich – eine krasse Meinungsmanipulation. Die Organisation Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz stellt denn auch klar: „Wir fordern weiterhin ein Moratorium im Weiterausbau der Mobilfunk-Infrastruktur.“ Dies unterstützen viele weitere Gruppen, darunter auch die Bürgerwelle Schweiz, welche zudem verlangt: „Die bestehenden Mobilfunknetze sind betrieblich zu einem einzigen Netz zu vereinen. Dieses kann dann wesentlich gestrafft und optimiert werden, und zur Schlafenszeit können zwei Drittel der Basisstationen ganz abgestellt werden. Zugleich sind die Sendeleistungen allgemein drastisch zu reduzieren.“ In einer Stellungnahme wird es auf den Punkt gebracht: „Wir rufen alle Kantone und Gemeinden auf, keine weiteren Mobilfunkantennen zu bewilligen, bis eine alternative Technologie entwickelt wurde, die weder Mensch noch Natur schädigt.“

Denn die Schädlichkeit der gepulsten Mobilfunkstrahlung ist sogar wissenschaftlich längst belegt. Lothar Geppert von der Umwelt-Organisation Diagnose-Funk kennt die entsprechende wissenschaftliche Literatur sehr genau: „Jeden Monat erscheinen weltweit drei bis sieben Studien über hochfrequente Strahlung. 75 Prozent dieser Studien finden Einflüsse auf die Gesundheit wie Erbgutschäden, Schlafstörungen und Absenkung des Melatoninspiegels.“

In diesem Jahr verglich H.C. Lai 308 Studien über elektromagnetische Auswirkungen, die seit 1994 publiziert wurden: Gut zwei Drittel (68 %) der unabhängig finanzierten Studien fanden eindeutige Auswirkungen auf den Organismus heraus. Bei den von der Industrie finanzierten Studien waren es aber nur ein knappes Drittel (29 %).

Die Hand, die einen füttert, beißt man eben nicht. So schrieb denn auch die wirtschaftsfreundliche NIRMED (ein Zusammenschluß von im universitären Wissenschaftsbetrieb integrierten Ärzten) zur Schweizer UMTS-Studie: „Diese Studienergebnisse sollten vor allem dazu beitragen, die Befürchtungen und Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber der UMTS-Technologie zu vermindern.“
– Und wenn das nicht gelingt, kann man elektrosensible Menschen immer noch in die Psychiatrie abdrängen. Diesen Eindruck erweckt zumindest die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrem Fact Sheet No. 296 vom Dezember 2005, worin die sogenannte Elektro-Hypersensitivität als psychisches Problem dargestellt wird. Da paßt es, daß die Schweizer NIRMED-Ärzte den Zürcher UMTS-Forschern empfohlen hatten, von jedem Probanden ein „Psychoprofil“ anzufertigen.