Prostituierte in Talaren

Die ehemals unabhängige Wissenschaft verkauft sich immer öfers an die Industrie.

Ob bei Mobilfunk, Gentechnologie, chemischer Industrie oder Atomkraft, Wissenschaftler lassen sich immer öfters kaufen, um der Industrie nach dem Mund zu reden. Nur gerade fünf Prozent aller wissenschaftlichen Arbeiten würden heute einer praktischen Überprüfung standhalten, urteilt Otmar Wassermann, Professor am Kieler Uni-Institut für Toxikologie (Lehre von den Giften und Vergiftungen des Organismus).

Der Akademiker geht mit seinem Berufsstand hart ins Gericht und bezichtigt manchen seiner ehrwürdigen Talar-Kollegen der Bestechlichkeit. Uns Bürger fordert er auf, nicht alles zu glauben, was Wissenschaftler zugunsten der Industrie aussagen - selbst wenn es Hochschulprofessoren sind.

Professor Wassermanns Worte - gesprochen am Kongreß Wissenschaftler am Tropf der Wirtschaft? (Fachhochschule Frankfurt am Main, November 1999) - sind klar und deutlich. Sie wiegen um so mehr, weil sie ein Insider geäussert hat. Wassermann: "Der Einbruch von Wirtschaftsinteressen in die an Hochschulen ehedem unabhängige Wissenschaft hat einen sich ständig weiter verstärkenden Erdrutsch ausgelöst, der Eigenschaften wie Ethik und Verantwortung in der Wissenschaft weitgehend erstickt hat."

Der Professor spricht geradezu von einer Wissenschaftskriminalität, herbeigeführt durch Wirtschaftskriminalität. Dementsprechend gedeihen die Sumpfblüten wissenschaftlicher Fälschungen. André Blum schrieb in Die Zeit(10.6. 1998): "Große Skandale bilden nur die Spitze des Eisbergs. Unter der Oberfläche schlummern die noch unentdeckten Fälschungen, die kleinen Schwindel und die alltäglichen Fahrlässigkeiten."

Aus diesem Grund prägte der angesehene britische Wissenschaftler Sir Peter Medawar das Wort: "The scientific paper is a fraud"-"Die wissenschaftliche Publikation ist ein Schwindel."

Akademische Titel schützen vor Lügen nicht. Wenn also Wissenschaftler irgendwelche Studienresultate präsentieren, welche umstrittene oder gefährliche Technologien in ein harmloses Licht stellen, dann sollte dem wachen Bürger eine Warnlampe aufleuchten. Kriminell wird es dann, wenn Gefälligkeitsgutachter wider besseres Wissen vor Gericht zugunsten der Industrie aussagen und überforderte Richter nur zu gerne ihre Macht der Rechtsprechung an korrupte Wissenschaftler als 'Richter ohne Roben' abtreten.

So witzelte schon vor Jahren ein Mitarbeiter des deutschen Bundesumweltministeriums: "Wie sichert man am besten eine Sondermülldeponie gegen unten zum Erdreich hin ab? Antwort: Mit einem Gutachten von einer Viertelmillion Mark."

Und Thomas Kinzelmann, der Betriebsarzt des Atomkraftwerks Neckarwestheim, platzte an einer öffentlichen Veranstaltung gar mit dem Satz heraus: "Ich kriege immer den richtigen Wissenschaftler mit den 'richtigen' Ergebnissen, wenn ich dafür bezahle."

Toxikologe Wassermann kennt manche dieser Ergebnisse. Er spricht deshalb von manipulierten 'Fließband-Gutachten'(zum Beispiel zugunsten der Errichtung von Müllverbrennungsanlagen), die standardisiert im Computer gespeichert und in wenigen Minuten ausgedruckt sind -und dem'Gut'-Achter 30'000 bis 50'000Mark pro Stück einbringen.

Den vielleicht größten Wissenschaftsskandal zugunsten milliardenschwerer Einkünfte ortet Professor Wassermann in der "bis heute von den 'Erfindern' des 'Aidsvirus' fehlenden Veröffentlichung seiner 'Entdeckung' "(sieheZS 26). Abgesehen von 'Aids' gibt es genügend lukrative Wirtschaftsbranchen, bei denen die betroffene Bevölkerung über die Gefahren und den Verlust an Lebensqualität gründlich getäuscht werden muß. Weshalb man der Industrie genehme Gutachter 'vergoldet', denn sie sind das Geld in den Augen ihrer Auftraggeber allemal wert. Wassermann: "Wo gewinnträchtiger Umsatz lockt, betreiben gekaufte Gefälligkeitsgutachter in Medizin, Naturwissenschaften, Technik und anderswo ihr florierendes Gewerbe."

Manchmal stellt sich die Industrie gleich selber einen Persilschein aus. So geschehen in der britischen Atom-Wiederaufbereitungsanlage Sellafield (ehemals Windscale): Ende Februar 2000 mußte der Chef der staatlichen Betreibergesellschaft British Nuclear Fuels (BNFL) zurücktreten, nachdem bekannt worden war, daß Mitarbeiter jahrelang systematisch Sicherheitsgutachten gefälscht und Kontrollen mangelhaft ausgeführt hatten.

Die vorgeschriebenen Qualitätskontrollen an den MOX-Brennstäben wurden zum Teil unterlassen, weil es sich laut Untersuchungsbericht um langwierige und lästige Verrichtungen handelte. Statt dessen hatte man einfach Gutachten von älteren Überprüfungen kopiert. Weitere Berichte zur Sicherheit der Anlage wurden ebenfalls gefälscht.

In der Folge lieferte BNLF Brennelemente an Atomkraftwerke, deren Sicherheit nicht überprüft war. Damit hätte theoretisch ein Super- GAU ausgelöst werden können.

Mag bei den Verantwortlichen in Sellafield Bequemlichkeit und Fatalismus mit hineingespielt haben, so wurzelt die Motivation des Gefälligkeitsgutachters meist im schnöden Mammon. Und ob er es merkt oder nicht - er steckt in einem selbst verursachten Teufelskreis fest.

Wer einmal von der verbotenen Frucht der Gefälligkeitsgutachten gekostet hat, ist in den Fängen der Industrie gefangen. Man ist erpressbar geworden. Die einflußreichen Auftraggeber belassen es nicht beim kleinen Finger. Nach der Hand folgt bald der ganze Mensch.

Aber Korruption zerfrißt die Seele des Menschen, wie Fäulnis sich in einer Frucht ausbreitet. Deshalb müssen Gefälligkeitsgutachter wohl in den seltensten Fällen unter Druck gesetzt werden. Im Gegenteil: Sie dienern sich interessierten Kreisen geradezu an. Jede Verharmlosung, jedes Abwehren von Schadenersatz und Haftpflicht läßt den Wert solcher käuflichen Gutachter für die Verursacher steigen. Und je bekannter ein diesbezüglicher Ruf, desto mehr Gutachter- Aufträge und Geld fließen dem 'Experten' zu.

Professor Müller-Mohnsson: "Sie versuchen sich auf diese Weise bei Herstellern, Staatsbehörden oder Berufsgenossenschaften oder an- deren Versicherungsträgern als bewährte Kostenabwehrer einzuführen oder einen schon erworbenen derartigen Ruf zu erhalten."

Auf der anderen Seite können die investierten enormen Finanzmittel der Wirtschaft durch unabhängige, kritische Forschung gefährdet werden. Solche Experten schaffen sich mächtige Feinde. Dies bekam beispielsweise der vor einigen Jahren verstorbene staatliche Gewerbearzt von Rheinland- Pfalz am eigenen Leib zu spüren: