Ungarn unter falschem Verdacht

Seit Viktor Orbán 2010 ungarischer Ministerpräsident wurde, schießen in- und ausländische Gegner wie auch die internationale Presse aus allen Rohren gegen ihn. Fakten spielen dabei keine Rolle. Die Angst ist offensichtlich groß, dass andere Länder dem Beispiel des politisch so gar nicht korrekten Ungarn folgen könnten.

Ungarn

Ungarns Staatswappen mit Stephanskrone: Eine Mehrheit des Volkes will nationale und christliche Werte hochhalten.

„Ungarn auf dem Weg in die Diktatur“; „Ungarn führt die Zensur ein“; „Ungarn – Judenhetze wieder salonfähig“: So und ähnlich lauteten in den vergangenen Jahren unzählige Schlagzeilen großer Medien. Ungarn und seine Regierung unter Viktor Orbán wurden als Gefahr für das eigene Land und für ganz Europa dargestellt, die mit allen Mitteln bekämpft werden müsse.

Die Erfahrung lehrt: Wenn Medien beinahe gleichgeschaltet Hetzkampagnen führen, ist meist etwas faul. So auch beim Thema Orbán und Ungarn: 2010 wählten die Ungarn wie alle vier Jahre ein neues Parlament. Es kam zu einem Erdrutsch: Die regierenden Sozialisten (MSZP) stürzten von 43,3 auf 19,3 Prozent ab, während sich Orbáns Fideszvon 42,2 auf 52,7 Prozent steigerte. Das Demokratische Forum (MDF) und die Liberalen (SZDSZ) flogen aus dem Parlament, stattdessen schafften die als rechtsnational oder rechtsextrem angesehene Jobbik mit 16,7 Prozent und die Grünen mit 7,4 Prozent erstmals den Einzug. Aufgrund des Wahlsystems erhielt Fidesz 263 der 386 Sitze im Parlament. Damit verfügte Orbáns Partei über eine Zweidrittelmehrheit, die sie seither unter anderem zur Änderung der Verfassung legitimiert.

Sozialistischer Vorgänger: „Wir haben ununterbrochen gelogen“

Was war der Wahl 2010 vorausgegangen? Warum vertrauten die Ungarn auf Orbán, der bereits 1998–2002 Ministerpräsident gewesen war, und wollten von den Sozialisten nichts mehr wissen? Auslöser war eine an die Öffentlichkeit gelangte Rede des sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány aus dem Jahr 2006. Kurz nach seiner Wiederwahl erklärte er in einer geschlossenen Sitzung seiner Fraktion: „In Europa hat kein Land so einen Unfug getrieben wie wir. Es mag dafür eine Erklärung geben. Wir haben offensichtlich in den vergangenen anderthalb bis zwei Jahren von Anfang bis Ende gelogen. […] Und im Übrigen haben wir vier Jahre lang überhaupt nichts getan. Gar nichts. Ich kann euch keine einzige Regierungsmaßnahme nennen, auf die wir stolz sein können, abgesehen davon, dass wir am Ende das Regieren aus der Scheiße wieder hochbringen konnten. [...] Ich bin fast daran verreckt, anderthalb Jahre lang so tun zu müssen, als ob wir regiert hätten. Stattdessen logen wir morgens, nachts und abends.“1

Monatelange heftige Unruhen und Demonstrationen waren die Folge. Doch Gyurcsány lehnte einen Rücktritt und Neuwahlen ab. Stattdessen ging er gewaltsam gegen die Demonstranten vor – auch um möglichst ungestört mit ausländischen Staatsgästen des fünfzigsten Jahrestags des blutig niedergeschlagenen Ungarnaufstands von 1956 gedenken zu können – welch eine Ironie der Geschichte! Während der gesamten Legislaturperiode ging es in derselben Tonart weiter: Korruption, eine stark wachsende Staatsverschuldung und eine katastrophale wirtschaftliche Entwicklung des Landes prägten die Politik der Sozialisten. Sie waren nach der Wende 1989 aus der bisherigen kommunistischen Einheitspartei hervorgegangen. Gyurcsány selbst war in seiner Jugend vor der Wende für den Kommunistischen Jugendbund (KISZ) aktiv gewesen, unter anderem auch als Sekretär des Zentralrates. Als 1989 der eiserne Vorhang fiel, wechselte er wendig in die Finanzwirtschaft, wo er mit der Altus AG eine der größten Investmentfirmen Ungarns führte.

Orbán hingegen hatte seine Partei Fidesz1988 noch unter der Herrschaft der Kommunisten mitgegründet und trug mit seinen Aktivitäten zum Fall der kommunistischen Herrschaft bei. Die Fidesz ist Mitglied der Europäischen Volkspartei, der u.a. CDU und ÖVP angehören. Die Ankündigung vor seinem Wahlsieg 2010, mit der kommunistischen Ära endgültig Schluss zu machen, stieß vielen „Linken“ sauer auf. So setzte bereits unmittelbar nach seiner Wahl ein Sturm der Entrüstung aus dem Ausland ein. Erschwerend kam für ihn hinzu, dass er einen überschuldeten Staat übernahm, dem sogar eine Katastrophe ähnlich jener Griechenlands drohte. Orbán weigerte sich jedoch, das Volk mit den von EU und Internationalem Währungsfonds IWF geforderten Sparmaßnahmen einseitig zu belasten und bat stattdessen über eine „Krisensteuer“ Banken sowie Energie-, Telekom- und Handelskonzerne zur Kasse – genau jene Sektoren, in denen ausländische Firmen dominierend sind.

Abschaffung der Pressefreiheit ist eine „glatte Lüge“

Besonders groß war die allgemeine Empörung beim neuen Mediengesetz, das Anfang 2011 in Kraft trat. Es löste das Pressegesetz aus dem Jahr 1986 ab, das die Kommunistische Partei unter János Kádár erlassen hatte. Die mit einer Auflage von lediglich rund 60’000 Exemplaren größte überregionale Tageszeitung Ungarns, Népszabadság, schrieb auf der Frontseite: „In Ungarn wurde die Pressefreiheit aufgehoben.“ Sonst gar nichts, dafür in allen Sprachen der EU. Vor der Wende war sie das Zentralorgan der kommunistischen Partei gewesen, seither steht sie Sozialisten und Liberalen nahe – und dementsprechend Orbán fern.

Seit 1994 ist der Deutsche Jan Maika als Journalist in Ungarn tätig. Er führt als Chefredakteur die deutschsprachige Wochenzeitschrift Budapester Nachrichten und die englischsprachige Budapest Times, die sich insbesondere an in Ungarn tätige Geschäftsleute wenden. Nachdem er das Gesetz gemeinsam mit seinen Kollegen genau unter die Lupe genommen hatte, kam er zu folgendem Schluss: „Ich konnte nichts finden, was meine bisherige (journalistische) Arbeit auch nur geringfügig einschränken würde.“ Die Behauptung der „Abschaffung der Pressefreiheit“ sei eine glatte Lüge: „Nichts wurde abgeschafft. Zumindest habe ich persönlich nicht bemerkt, dass etwas abgeschafft worden wäre. Das Perfide aber war, dass diese verlogene These von der abgeschafften Pressefreiheit eins zu eins von den westlichen Journalisten übernommen wurde und von ihnen seitdem pausenlos nachgebetet wird. Da hilft auch alle Konfrontation mit der Wirklichkeit nichts, da können linke Medien in Ungarn noch so heftig auf die Regierung einschlagen und damit ihre eigene These selbst widerlegen. Die in westlichen Medien herumgeisternde Lüge ist einfach nicht tot zu kriegen. Dieser völlig irrationale Vorgang hat mich sehr nachdenklich gemacht.“

Ein Hauptkritikpunkt des neuen Pressegesetzes ist die Einrichtung einer Medienbehörde, die über die „Ausgewogenheit in der Berichterstattung“ wacht. In den ersten gut zwei Jahren ihres Bestehens gab es Verhandlungen über 27 Beschwerden, von denen 13 stattgegeben wurden.

Ungarns neue Verfassung: Eine Absage an den Zeitgeist

Gänzlich zum Paria, also Unberührbaren, wurde die Regierung Orbán mit der Einführung des Grundgesetzes, sprich einer neuen Verfassung am 1. Januar 2012. Ohne Unterlass wetterten die westlichen Medien gegen eine angeblich anbrechende Diktatur. Auch hier ist bemerkenswert, dass die bis dahin geltende ungarische Verfassung – wenngleich nach der Wende 1989 stark verändert – aus dem Jahre 1949 stammte – also aus einer Zeit, als das wirklich diktatorische kommunistische Regime bereits an der Macht war.

Nachdem die Proteste gegen die neue Verfassung schon im Vorfeld groß waren, übergab sie die ungarische Regierung Monate vor ihrem Inkrafttreten einer Kommission des Europarates zur Beurteilung. Diese kritisierte zwar zahlreiche Punkte, hob aber hervor, dass grundlegende demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien in der Verfassung eingehalten seien und fundamentale Rechte geschützt würden. Bei Durchsicht des Textes wird schnell klar, warum dieser trotzdem so bekämpft wurde und wird: Er entspricht nicht dem Zeitgeist und dem „Diktat des politisch Korrekten“, weil er auf traditionellen christlichen Werten aufbaut: Gleich im ersten Satz heißt es: „Gott, segne die Ungarn!“ Unmissverständlich legt die neue Verfassung fest, dass der wichtigste Rahmen des Zusammenlebens „Familie und Nation“ sind, „die grundlegenden Werte unserer Zusammengehörigkeit Treue, Glaube und Liebe“. Es wird der Stolz auf die tausendjährige Geschichte des ungarischen Staates, das christliche Fundament, auf die Vorfahren, die geistigen Schöpfungen ungarischer Menschen, auf das in der Geschichte wehrhafte ungarische Volk ausgedrückt. Die Rolle des Christentums bei der Erhaltung der Nation anerkennt die neue Verfassung ebenso. Für ungültig erklärt wird hingegen die kommunistische Verfassung, „die die Grundlage einer Willkürherrschaft bildete“.

Weitere Steine des Anstoßes für die globalen Eliten sind die folgenden Punkte im neuen Grundgesetz: Als offizielles Zahlungsmittel wird der Forint fortgeschrieben, weshalb der Euro nur mit einer Zweidrittelmehrheit eingeführt werden kann. Ein besonderes Augenmerk legt die Verfassung auf die Ehe „zwischen Mann und Frau“. Die derzeit europa- und weltweit immer stärker propagierte Homosexuellenehe ist demnach nicht möglich. „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und auf Menschenwürde, dem Leben der Leibesfrucht gebührt von der Empfängnis an Schutz“, heißt es ebenfalls. Ein Recht auf Abtreibung besteht somit auch nicht. Volljährige Kinder sind „verpflichtet, für ihre bedürftigen Eltern zu sorgen“. Auch die Gentechniklobby schaut durch die Finger: Zur Durchsetzung des Rechts auf körperliche und seelische Gesundheit sorgt demnach unter anderem „eine von genmanipulierten Lebewesen freie Landwirtschaft“. Der Staat soll nicht nur bestrebt sein, für Vollbeschäftigung zu sorgen, sondern es besteht auch eine Arbeitspflicht zum Wohle der Gemeinschaft. Heftige Proteste rief außerdem ein zusätzliches Gesetz hervor, das die ungarische Zentralbank an die kurze Leine hätte nehmen sollen. Es musste jedoch auf Druck vom Internationalen Währungsfond und der EU in weiten Teilen entschärft werden.

Nach den „zur moralischen Erschütterung führenden Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts“ sei eine „seelische und geistige Erneuerung unbedingt notwendig“, heißt es. Dass es Orbán und seiner Fidesz nicht um Hass und Streit geht, zeigt der letzte Satz der Verfassung: „Es herrsche Frieden, Freiheit und Einvernehmen.“

Quellenangaben

  • 1 Rede abgedruckt u.a. in der taz am 25.9.2006