Eigentlich haben wir es alle ja schon längst geahnt: Das Zahnteufelchen ist ein Mythos! Und selbst wenn es einen Bruder oder eine garstige Tante haben sollte, sind unsere Zähne dennoch bestens in der Lage, sich selbst zu verteidigen – außer, wir stören sie dabei.
Einer, der es wagte, diese Theorien wissenschaftlich zu prüfen, war Dr. Ralph R. Steinman, Professor für Zahnheilkunde an der kalifornischen Loma Linda Universität. Wenn der gesamte menschliche Körper so mannigfaltige, höchst ausgeklügelte Möglichkeiten besitzt, sich gegen schädliche Einflüsse zu wehren, warum sollten nicht auch die Zähne einen „eingebauten“ Abwehrmechanismus haben?
Um dieser Frage nachzugehen, spritzte Dr. Steinman einen fluoreszierenden Farbstoff in die Bauchhöhle von Laborratten und beobachtete dann den Weg dieses Farbstoffs durch den Körper. Erstaunlicherweise war der Farbstoff bereits nach sechs Minuten in den Dentinkanälchen der Zähne nachweisbar, nach einer Stunde auch im Zahnschmelz. Dieses Experiment bewies, dass ein Flüssigkeitstransport aus dem Körperinnern durch die Pulpakammer (Zahnmark), weiter durch die Dentinkanälchen (Dentintubuli) und den Zahnschmelz in den Mund stattfindet.
Dazu muss man wissen, dass Zähne keineswegs eine feste Struktur haben. Stattdessen besteht der Zahn aus einer Ansammlung von Dentinkanälchen (Hohlräume im Dentin) und parallel angeordneten Zahnschmelz-Stäbchen plus dem Zahnmark (Pulpa), welches eng durchzogen ist von Blutgefäßen und Nervensträngen. So gesehen sind unsere Zähne richtiggehend porös, auch wenn sie ganz gesund und kariesfrei sind!
Wie Dr. Steinman also herausfand, werden die Zähne fortwährend durch das Dentinfluid, eine Gewebsflüssigkeit, die von innen (aus dem Körper) nach außen (in die Mundhöhle) fließt, gespült. Dieser Fluss hindert durch seine stete Fließbewegung einerseits Säuren und Keime daran, in den Zahn einzudringen, zum andern agiert der pH-Wert dieser Flüssigkeit, der 7,4 beträgt, wie ein Puffer, der bakterielle Säuren neutralisiert. Außerdem werden die Zähne durch diesen „Zahnspülungs-Mechanismus“ ständig mit wichtigen Nährstoffen versorgt. Diese gelangen im Blut bis in die Blutgefäße der Pulpakammer und von dort mit dem Dentinfluid in die Dentinkanälchen des Dentins (Zahnbein), das selber ja keine Blutgefäße und damit keinen Zugang zum Nährstoffkreislauf des Körpers besitzt, der in erster Linie über das Blut stattfindet.
Dieser Liquorfluss findet 24/7 statt, wie man so schön sagt, also rund um die Uhr. Und dies bedeutet nichts anderes, als dass die Zähne tatsächlich über einen sehr effektiven Selbstreinigungs-Mechanismus verfügen!
Leider ist es nicht so, dass wir nun, da wir wissen, dass unsere Zähne sich selber reinigen, ganz aufs Zähneputzen verzichten könnten. Die Überreste von Popcorn, Hähnchenbrust und Karamellbonbon, die so lästig zwischen den Zähnen hängen beziehungsweise an ihnen kleben bleiben, zersetzen sich ja doch irgendwann. Ein unschöner Prozess (man denke an die Atemluft…), dem der Einsatz der Zahnbürste entgegenwirkt.
Äußerliche Verschmutzung der Zähne hat demnach zwar einen gewissen Einfluss, aber die eigentlichen Probleme fangen dort an, wo der normale Zahn-Stoffwechsel gestört wird. Karies beginnt dann, wenn der selbstreinigende Durchfluss der Zähne stagniert respektive unterbrochen oder behindert wird oder sich sogar umkehrt. Dies bedeutet, dass gewisse Faktoren dazu führen können, dass die Dentinflüssigkeit nicht mehr von innen nach außen fließt, sondern von außen (aus der Mundhöhle) nach innen (ins Zahninnere und damit ins Körperinnere)!
Die Millionen Zahnröhrchen – jeder einzelne Zahn weist fünf Kilometer davon auf! – füllen sich dann mit Bakterien aus dem Mundraum. Das dabei entstehende Toxin wandert nun durch den Körper und belastet ihn. Jede Infektion macht den Organismus jedoch sauer und die weißen Blutkörperchen weniger wirksam.
Die Pumpe, die für den ständigen Flüssigkeitsstrom aus dem Zahn heraus sorgt, sind die sogenannten Odontoblasten. Das sind zylindrische, palisadenförmig angeordnete Zellen, die an der Grenze zwischen Dentin und Pulpa sitzen. Sie produzieren auch das Dentin. Wenn die Odontoblasten aufhören, Dentinfluid von innen nach außen zu pumpen, dann sinkt der Flüssigkeitsdruck im Zahn, genauer in der Pulpa, und der Fluss ändert die Richtung von außen nach innen. Bakterien und andere Keime werden dann mittels Kapillarkraft aus dem Mund (genauer gesagt aus dem Zahnfleisch) in die Dentinkanälchen gesogen. Dies führt zu Entzündungen des Zahnmarks und dann des Zahnbeins, verbunden mit einem graduellen Verlust von Mineralstoffen in den Zähnen. Der Zahnstoffwechsel ist nun geschädigt und die Erkrankung breitet sich schließlich bis in den Zahnschmelz aus, wo sie sich letztlich als Karies manifestiert. Dies bedeutet auch, dass die Zähne im Innern erkrankt sein können, lange bevor dies im Äußeren als Karies sichtbar wird!
Es sind also nicht die Bakterien oder Säuren, welche die hauptsächliche und primäre Ursache für Karies sind; dafür verantwortlich ist vielmehr der geschwächte Zustand der Zähne. Die Bakterien, die bis dahin relativ passiv in der Mundhöhle herumlungerten, nutzen dann einfach die Gunst der Stunde… Oder, um es frei nach dem französischen Chemiker und Mikrobiologen Louis Pasteur zu sagen: „Es ist das Terrain, nicht der Keim, welches die Krankheit auslöst.“
Das erklärt, weshalb Xylit so wichtig für unsere Zahngesundheit sein kann. Dieser spezielle Zucker greift die Zähne nämlich nicht an, sondern schützt sie im Gegenteil vor Karies und Parodontose, weil Xylitol die schädlichen Bakterien im Mundraum eliminiert.1Selbst wenn der Zahn Flüssigkeit aufsaugt statt abgibt, wird er dabei dank Xylit nicht mit Bakterien infiziert!
Der englische Zahnarzt Zac Cox gehört zu den ganz wenigen seiner Zunft, der sich intensiv mit Xylitol als Mundhygiene auseinandersetzt. Er rät dazu, täglich dreimal während jeweils drei Minuten die Zähne mit Xylit zu putzen/spülen, um Karies vorzubeugen und sogar zu stoppen. Weil dies alles auch mit Übersäuerung zu tun hat, gibt Cox einen einfachen Rat: Mit einem auf die Zunge gelegten pH-Teststreifen kann man leicht den pH-Wert des Speichels prüfen: Ein pH von 7,3 ist ideal. Wenn der Wert deutlich niedriger ist, also saurer, können bakterielle Säuren im Mundraum die Zähne angreifen. Dann sollte man nicht nur Xylit einsetzen, sondern auch die Ernährung anpassen. Zac Cox weiß: Kränkliche Kinder, die man mit hochwertigen Lebensmitteln ernährt, werden schnell wieder gesund – und der Zahnzerfall hört auf.
Die US-Armee weiß das ebenfalls. Da es schwierig ist, Soldaten im Einsatz ausgewogen zu ernähren, verteilt man im Irak und in Afghanistan wenigstens Xylit-Kaugummis an die Truppe. Dies ersetzt die Zahnreinigung, weil an diesen Orten Wasser knapp ist.
Zurück zum zahneigenen „Pumpsystem“. Dr. Steinman wollte nun aber auch wissen, was hinter dem normalen oder eben abnormalen Funktionieren dieser „Odontoblasten-Pumpe“ steckt und holte sich diesbezüglich Hilfe bei einem Universitätskollegen, John Leonora, Professor für Endokrinologie. Dieser vermutete einen hormonellen Mechanismus.
Und in der Tat förderten die diesbezüglichen Studien (1971) die Existenz einer hormonellen Achse zwischen Hypothalamus2 und Ohrspeicheldrüse3 (auch: Parotis) zutage. Die Forscher wählten dafür den Begriff „hypothalamic-parotid gland endocrine axis“. Wenn wir essen, wird der Hypothalamus zur Ausscheidung eines Stoffes angeregt, der wiederum zu einer Hormonausscheidung durch die Ohrspeicheldrüse führt. Dieses Hormon stimuliert dann den Liquorfluss in den Zähnen, indem es die Odontoblasten dazu veranlasst, als Pumpe für das Dentinfluid zu agieren.
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