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Palästinensische Lotterie

Israels Besatzungstruppen lassen Palästinenser per Los Art der Mißhandlung wählen.

Es braucht nicht viel dafür: Einige israelische Soldaten, einige Palästinenser, ein paar Stückchen Papier - fertig ist die »palästinensische Lotterie«. Ein Tombola-Trend der besonderen Art hat in kürzester Zeit die Westbank erfaßt. Von der israelischen Armee aufgegriffene Palästinenser werden gezwungen, ein »Los« zu ziehen, auf dem das Körperteil vermerkt ist, das danach gebrochen wird. Die ersten Fälle wurden Ende vergangenen Jahres in Hebron bekannt. Die israelische Zeitung Yedioth Ahronot hatte am 22. Dezember erstmals über die zynische Mißhandlung berichtet. Die Washington Post brachte am 10. Januar den Fall des Ende Dezember zu Tode geprügelten jugendlichen Amran Abu Hamediye unter dem Titel »Brutal Routine« mit der »Lotterie« in Verbindung. Die US-Zeitung berichtete, der junge Palästinenser sei kurzzeitig festgenommen worden. Später sei seine Leiche auf einer Straße in Hebron voller Anzeichen schwerer Mißhandlungen gefunden worden. Laut Hussein Al Schuchi, einem Rechtsanwalt aus Hebron, begannen Mißhandlungen dieser Art im November - und sie dauern bis heute an. Er selbst habe mit mindestens 50 Palästinensern aus Hebron gesprochen, die geschlagen worden seien, nachdem sie ein »Los« gezogen hatten. Der palästinensische Jurist nennt den Fall von Wassim Radschaih: Der 14jährige sei »an einem ganz normalen Tag im Dezember« während der Ausgangssperre aus der Wohnung gegangen, da er gehofft habe, den Lebensmittelladen erreichen und etwas einkaufen zu können. Auf dem Weg habe neben ihm ein Jeep mit fünf israelischen Grenzpolizisten gehalten, die ihn gefragt hätten, wo er denn hin wolle. Dann hätten sie zu ihm gesagt, daß es verboten sei, auf die Straße zu gehen, und daß sie ihm eine Lektion erteilen würden. Die Soldaten haben Rechtsanwalt Al Schuchi zufolge Wassim Radschaih mehrere Zettel gezeigt, von denen er einen wählen sollte. Auf dem auseinandergefalteten Papier habe gestanden: »Wir werden dir deine Hand brechen.« Danach hätten die Polizisten seine Hand ergriffen und ihm einen Finger gebrochen. Ein weiterer Bericht handelt von Ibrahim Jabare. Er habe gerade mit seinem Cousin zusammengesessen, als ein Jeep vor dem Haus gehalten habe. Mehrere israelische Polizisten seien aus dem Fahrzeug gesprungen und hätten die beiden Palästinenser aufgefordert, herauszukommen. Erst seien sie geschlagen worden, aber dann hätten die Polizisten plötzlich gesagt: »Du mußt wählen, wie wir dich weiter verprügeln.« Er habe einen Zettel ziehen müssen, auf dem gestanden habe: »linkes Bein und linke Hand« Bewußtlos sei er später mit gebrochenem Bein und gebrochener Hand ins Krankenhaus eingeliefert worden. Auch aus anderen Städten der Westbank wurden solche Fälle bekannt. So berichtet »Palestine Monitor«, das Informationsorgan der palästinensischen Nichtregierungsorganisationen, daß am 12. Januar der 23jährige Firas Al Sarfandi ins Sheikh Zayed Krankenhaus in Ramallah eingeliefert worden sei, nachdem man ihn bewußtlos und blutüberströmt auf der Straße gefunden hatte. Augenzeugen berichteten, Firas sei gegen 17 Uhr von Soldaten aufgehalten worden, die ihm mehrere Zettel entgegengehalten hätten. Sie hätten ihn gezwungen, einen auszuwählen und ihn dann fast eine halbe Stunde lang verprügelt. Die israelische Menschenrechtsorganisation PCATI (Public Committee Against Torture in Israel) bestätigte, auch sie habe Informationen, wonach mehrere Soldaten und Grenzpolizisten Palästinenser gezwungen hätten, an der »Lotterie« teilzunehmen. PCATI hat inzwischen einen Beschwerdebrief im Fall des zu Tode geprügelten Palästinensers Amran Abu Hamediye an die zuständigen Behörden geschickt, mit der Aufforderung, eine Untersuchung einzuleiten. Julia Deeg Quelle: Junge Welt, vom 28.1. 2003