Christlicher Zionismus: Beten für Armageddon

Überall auf der Welt beten ein paar Hundert Millionen Christen sehnlichst die Apokalypse herbei. Sie manipulieren auch die Politik der USA, auf dass die große „Endschlacht“ in Israel möglichst bald Wirklichkeit werde. Nach diesem „Weltuntergang“ hoffen sie, tausend Jahre mit dem Messias zu herrschen – so wie die religiösen Juden auch.

Jerry Boykin gefällt sich in der Rolle eines Drei-Sterne-Generals, der sich vor seine Truppen stellt und ihnen zuruft, dass Jesus am Letzten Tag (der uns gemäß ihm bald bevorsteht) mit einem US-amerikanischen Sturmgewehr in der Hand vom Himmel steigen werde, um die Welt – Ratatatatatata-Bumm! – im Kugelhagel zu richten.

Da hält sich der Prediger und Altrocker Gary Burd mehr an die biblische Vorlage, wenn er zärtlich über ein Dutzend Schwerter streicht, wie sie wohl schon die Kreuzfahrer getragen haben. In seiner nietenbestückten Lederkluft schlägt er seine Mitstreiter zu „Rittern des Heiligen Geistes“. Sie reiten nicht zu Pferd, sondern auf schweren Harleys, die weit bedrohlicher donnern als Hufgetrappel, wenn die kleine Kavalkade als missionarische Stoßtruppe des Herrn über den Teer ins Feld zieht. Ziel ist nicht das ferne Jerusalem – noch nicht, schließlich ist der Tag des Herrn noch nicht gekommen, „der große und furchtbare“ (Joel 2,31) –, sondern erst mal die amerikanische Provinz, wo es noch viele verlorene Schafe zu bekehren gilt.

Es ist ein aufrechtes Häuflein Gestrandeter und vom Leben Gebrochener, diese Mission M 25 von Burds Freikirche The Linked Church. Zwar wurden sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt, doch keine Macht der Welt wird sie von der Teilnahme an der Schlacht von Armageddon fernhalten können. Letzten Endes sind sie über eine direkte Leitung mit dem Erlöser verbunden, „Linked-In“, sozusagen. Denn versprach nicht Jesus selbst, dass die Letzten die Ersten sein würden? „Ich will mit meinem Bike ganz vorne dabei sein und möchte sehen, wie Jesus das Schwert zieht und den Feind abschlachtet“, sagt Gary Burd in ruhiger Versonnenheit, die genau deswegen umso beängstigender wirkt. Und schiebt nach: „Ich glaube fest daran, dass das Blut bis an die Zäume der Pferde schäumen wird.“

Indoktrinierte Soldaten

Nein, Altrocker Burd und Soldat Boykin sitzen nicht in irgendeinem Irrenhaus und trinken Tee mit den Napoleons und Kleopatras dieser Welt. Im medizinischen Sinn sind sie keineswegs psychisch krank. Sie haben bloß einen vergifteten Geist, der verblendet wurde durch eine brandgefährliche Indoktrination, die sich vor einem guten Jahrhundert zu verbreiten begann.

Im Fall des Generalleutnants William G. Boykin, einst stellvertretender Unterstaatssekretär für Nachrichtendienstwesen im US-Verteidigungsministerium, gibt das besonders zu denken. Er ist zwar seit einigen Jahren in Pension, doch Gedankengut wie das seine hat sich mittlerweile bis in die hohen Ränge des US-Militärs durchgeätzt. „Drei Dutzend parakirchliche Organisationen wollen das amerikanische Militär weltweit in ein waffenfähiges Christentum verwandeln.“ Das sagt Mikey Weinstein von der Military Religious Freedom Foundation, der sich seit über zwanzig Jahren mit dem Einfluss religiöser Fundamentalisten auf die mächtigste Armee der Welt befasst. Die Auswirkungen sind enorm: Allein schon fast 76'000 Angehörige des Marinekorps der Vereinigten Staaten (die „USMarines“) suchten über die Jahre bei Weinsteins Organisation Hilfe, weil sie Angst vor Repressalien und Rache ihrer Waffenbrüder haben. Bei einer Stärke von gut 180'000 Mann ist das für diese Elite- Streitkraft ein bemerkenswert hoher Anteil. 95 Prozent aller Hilfesuchenden sind Christen, werden aber von den evangelikalen Fundamentalisten drangsaliert und ausgegrenzt, weil sie ihnen nicht christlich genug sind.

Das Problem wird verschärft, weil immer mehr amerikanische Militärgeistliche fundamentalistischen Sekten angehören. Sie schnappen sich die jungen Soldaten und Soldatinnen, wenn sie am labilsten sind: während der Grundausbildung, wo sie wochenlang geschunden, gedemütigt und bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht werden. Fast eine halbe Million Rekruten durchlaufen jedes Jahr den Drill des USMilitärs, etwa die Hälfte davon wird von evangelikalen Predigern indoktriniert.

Danach glauben viele von ihnen ebenfalls an die gerechte Sache eines Weltkriegs im Namen Jesu Christi. Fanatische Moslems nennen ihren „heiligen Krieg“ den Dschihad. Ihre christlichen Pendants schwärmen derweil von modernen Kreuzzügen. Und gewisse jüdische Zionisten wie beispielsweise der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu versuchen seit Jahrzehnten, die kriegslüsternen Fanatiker auf beiden Seiten zum eigenen Nutzen gegeneinander auszuspielen. Nur wenige wissen beispielsweise, dass Netanjahu schon seit 1979 vor allem in den USA unermüdlich den bevorstehenden globalen Kampf zwischen dem freien – christlichen – Westen und dem fundamentalistischen Islam heraufbeschwört.1

Zionistische Ränkespiele

Es waren auch Netanjahu und seine zionistischen Gesinnungsgenossen in der israelischen Führung, welche den gemäßigten politischen Flügel der Palästinenser, die Fatah, in den letzten Jahrzehnten immer wieder gedemütigt und kleingehalten haben. Damit stärkten sie automatisch deren gewaltbereites und radikales Gegenstück, die Hamas. Wenn man den Menschen jegliche Hoffnung auf eine friedliche und politische Lösung des Palästina-Problems nimmt, ist doch klar, dass viele Palästinenser in ihrer Verzweiflung gewaltbereite Terroristen unterstützen. Worin dies gipfelt, haben der Hamas-Angriff auf Israel und dessen Vergeltungskrieg in Gaza (wieder einmal) gezeigt.

Der Hass ist auf beiden Seiten groß. So schockierte der rechtsextreme israelische Finanzminister Bezalel Smotrich Anfang August 2024 mit dem Satz, dass es wohl richtig und moralisch sei, zwei Millionen Menschen in Gaza zu Tode hungern zu lassen, um die israelischen Geiseln zu befreien, aber die Welt „wird uns das nicht machen lassen“. Der israelische Premier verlor kein Wort über die verbale Entgleisung seines Ministers.

Dass Netanjahu Ende Juli 2024 mit dem Hamas-Führer Ismail Haniyeh in Teheran ausgerechnet jenen Politiker liquidieren ließ, der innerhalb der Hamas kompromissbereit war und offenbar sogar zur Anerkennung des Staates Israel bereit, haben viele Kommentatoren nicht verstanden. Wolfgang Koydl bemerkte dazu trocken in der Weltwoche: „Bessere, und zynischere, Beobachter des Nahostkonflikts nickten bei der Nachricht über seinen Tod. Er machte Sinn. Denn so konnte Israels Premierminister Netanjahu recht behalten mit seinem Mantra, dass die Hamas ja nicht verhandeln wolle. Einer, der dazu bereit war, wurde ausgeschaltet.“

Insider aus israelischen Geheimdienstkreisen gehen noch weiter und behaupten, man habe die Hamas über viele Jahre bewusst aufgebaut, um die Palästinenser erstens durch Spaltung politisch zu schwächen und zweitens aufgrund der Terrorbedrohung stets eine Rechtfertigung für militärische Interventionen zu haben. Wie dem auch sei: Fakt ist, dass hohe israelische Offiziere aus Militär und Geheimdienst Netanjahu mehr oder weniger offen vorgeworfen haben, mitverantwortlich für die Radikalisierung der Hamas zu sein. Und damit in letzter Konsequenz auch für die schrecklichen Massaker vom 7. Oktober 2023.

Ob islamistische Terroristen oder jüdische und christliche Zionisten – sie alle treiben ein Spiel mit Feuer und Tod.

„Jesus-Gewehre“ lautete der Spitzname, den die afghanische und irakische Bevölkerung den Sturmgewehren amerikanischer Soldaten gab, als US-Truppen diese Länder im angeblichen „Krieg gegen den Terror“ zu befrieden hatten. Die daraus abgefeuerten Kugeln sollten ihre Ziele besser treffen, weil sie mit „biblischem Segen“ gelenkt wurden: Jene Rüstungsfirma, welche die Zielfernrohre fürs US-Militär fertigte, gravierte nämlich auf jedes Stück Bibelzitate aus dem Neuen Testament ein.

Wie passend also, dass Präsident Bush Jr. offen vom Beginn eines „neuen Kreuzzuges“ sprach, als er nach dem 11. September 2001 den von Netanjahu schon so lange beschworenen Krieg gegen den Terror ankündigte. „Crusaders“, also Kreuzritter, nennen sich auch die mit Atomwaffen bestückten US-Bombergeschwader, deren Flugzeuge nicht von vollbusigen Pin-up-Girls geziert werden, sondern von Schild und Schwert, Ritterhelm und Kreuz der mittelalterlichen Kreuzritter. Muslimische Terroristen wie der IS und Fundamentalisten wie die Taliban nennen aus diesen Gründen alle US-Soldaten bloß „Crusaders“. – Man könnte meinen, dass die vor Jahrhunderten um Jerusalem geführten Religionskriege wieder neu aufflammen sollen – diesmal aber mit einer globalen Auswirkung.

Verblendete Gläubige

„Noch nie in der Weltgeschichte standen alle Akteure gemeinsam unter Waffen auf der Weltbühne: China, Iran, Russland, Europa und Amerika. Alles ist perfekt“, frohlockt John Hagee, einer der einflussreichsten Fernsehprediger Amerikas und Königsmacher von US-Präsidenten. „Die letzte Schlacht um die globale Vorherrschaft wird die Mutter aller Kriege sein!“