Palästina: Zerrissenes 'Heiliges Land'

Daß etwas faul ist im Staate Israel, fällt allmählich jedem auf, der das Drama der ständig scheiternden Friedensbemühungen mitverfolgt. Leider enthalten uns die Medien im Fall ‚Israel' immer wesentliche Fakten vor. Nur wenn man diese kennt, kann man jedoch die israelische Politik und die israelischen Ziele wirklich verstehen. Es geht um jene zwei Ideologien, die das Leben jedes israelischen Juden prägen, und die das Land auseinanderreißen: Den Judaismus und den Zionismus.

Simon Peres wirkte müde und resigniert. "Araber sind auch Menschen", sagte er in einem Interview mit dem Korrespondenten des Schweizer Fernsehens, Diego Yanez. "Ob Araber, Juden, Spanier - wir sind doch alle Menschen. Eine Mutter ist eine Mutter, ein Kind ist ein Kind. Was soll ich mehr dazu sagen?" Es war dies keine Äußerung, die irgend einen Fernsehzuschauer besonders beeindruckt hätte, sprach er doch das Natürlichste der Welt aus. Doch Peres bewies mit diesen Worten außerordentlichen Mut. Der jüdischen Zeitung ‚Ha-Schawuah' zufolge sollen ultraorthodoxe Juden geplant haben, einen Todesfluch über ihn zu verhängen. Und Peres' Aussage widerspricht fundamental dem, was jene stark Torah- und Talmud-gläubigen Juden als Gottes alleinige Wahrheit betrachten.

Der jüdische Professor Israel Schahak, seit über 40 Jahren in Israel wohnhaft und zuvor im Konzentrationslager Bergen-Belsen inhaftiert, klärt die Menschen des Westens in seinem 1994 in den USA und Großbritannien erschienenen Buch ‚Jewish History, Jewish Religion' über einige Grundsätze des Judaismus auf. Darin zeigt sich, daß das klassische Judentum einen immensen Unterschied macht zwischen einem Juden und einem ‚Goy' (Nichtjuden).

Kinderzeichnung

Zeichnung eines Palästinensischen Kindes aus den besetzten Gebieten. Das Unrecht an den Palästinensern ist gleichberechtigt mit jenem an den Schwarzen im Südafrika der Apartheid. (Jüdischer Dichter Erich Fried)

Darauf, wie diese Unterschiede aussehen, und welche Folgen sie für das Nebeneinanderleben von islamischen und christlichen Palästinensern sowie Juden haben, werden wir in diesem Artikel noch eingehen. Ein religiöser Jude darf beispielsweise keinen Wein trinken, an dessen Herstellung irgend ein Nichtjude in irgend einer Form beteiligt war. Eine offene Flasche Wein, die von einem Christen berührt wurde, muß weggeschüttet werden; wurde sie von einem Moslem angefaßt, kann sie noch verkauft oder weggegeben werden, doch darf ein Jude sie nicht mehr trinken. Es gibt auch Stellen im Talmud, wo das Wort ‚Seele' vorkommt. Prof. Israel Schahak: ",Seele' wird mit dem Wort ,Jude' gleichgesetzt, wobei ‚Nichtjuden und Hunde' explizit ausgeschlossen werden." Dies soll nur einen kleinen Hinweis darauf geben, wie das talmudische Judentum die Stellung der Nichtjuden einschätzt. Nun erscheinen Peres' Sätze auf einmal in ganz anderem Licht, und wir verstehen die Äußerungen des Rabbi Mosche Levinger, einem Prediger aus Hebron, der Araber gerne als ‚Hunde' bezeichnet ebenso wie die Bezeichnung Yassir Arafats als ‚Kreatur' (Ariel Scharon) oder der Palästinenser als ‚Kakerlaken' (Ex-Generalstabschef Rafael Eitan).

Der Vormarsch der Ultra-Orthodoxen

Die Macht der religiösen und der ultraorthodoxen Juden nimmt in Israel stetig zu. War Israel früher ein Land zionistisch-marxistischer Prägung (dies die Einschätzung von Jack Bernstein, einem amerikanischen Juden, der nach Israel auswanderte und es nach einigen Jahren vorzog, wieder in die USA zu emigrieren), konnte man in den letzten Jahren den Eindruck gewinnen, daß die orthodoxen Kräfte immer stärker die Vorgänge im Land bestimmen. "In Jerusalem sind heute schon fast 30 Prozent der Bevölkerung religiös bis ultraorthodox, und dank der höheren Geburtenraten werden sie in wenigen Jahrzehnten zur Durchsetzung ihrer Wünsche und Forderungen keine Demonstrationen mehr abhalten müssen. Der Gang zur Wahlurne reicht dann aus", schrieb Jacques Ungar, Israel-Korrespondent des St. Galler Tagblatts. Überhaupt scheint es notwendig, dem westlichen Leser näherzubringen, wie das Selbstverständnis des Staates Israel aussieht. Nur so lassen sich gewisse, scheinbar sinnlose oder brutale Handlungen verstehen.

Israel ist kein Land wie alle anderen. Seine Existenz ist fest an den jüdischen Glauben gebunden. Eine Partei, die am Prinzip des ‚jüdischen Staates' rütteln wollte, darf an den Parlamentswahlen nicht teilnehmen. Israel gehört den Menschen jüdischen Glaubens. Alle anderen haben, so Professor Schahak, offiziell einen tieferen Status inne. "Dies bedeutet", schreibt Schahak, "daß, wenn Mitglieder eines peruanischen Stammes zum Judaismus konvertieren sollten, sie dann automatisch ermächtigt würden, Bürger von Israel zu werden und von den schätzungsweise 70 Prozent des Westjordanlandes zu profitieren (und den 92 Prozent von ganz Israel), das offiziell nur zum Nutzen der Juden geschaffen wurde. Allen Nichtjuden ist es verboten, von diesem Land zu profitieren. (Das Verbot gilt selbst für Araber, die in der Armee dienten und hohe Ränge einnahmen). Der Fall der peruanischen Konvertiten hat sich tatsächlich vor einigen Jahren ereignet. Die neugeschaffenen Juden wurden in der Westbank, nahe Nablus, angesiedelt, auf einem Land, von welchem Nichtjuden (beispielsweise Palästinenser) offiziell ausgeschlossen sind." Schahak gibt dazu noch den Kommentar ab: "Ich vermute, die Juden der Vereinigten Staaten oder Großbritanniens würden es als antisemitisch betrachten, wem Christen propagieren würden, daß die USA oder Britannien Christliche Staaten' werden sollten welche nur Bürgern gehören, die offiziell als Christen definiert sind."

Man ersieht daraus den weltweit einzigartigen Sonderstatus des Staates Israel. Die Balfour-Deklaration hatte zwar noch eine andere Skizze für die künftige Heimstatt der Juden entworfen Hier der Wortlaut des Schreibens, das der britische Führer der Konservativen Partei am 2. November 1917 verfaßt hatte: "Lieber Lord Rothschild! Es ist mir ein großes Vergnügen, Ihnen namens Seiner Majestät Regierung die folgende Sympathieerklärung mit den jüdisch-zionistischen Bestrebungen zu übermitteln, die dem Kabinett unterbreitet und von ihm gebilligt worden ist.

Seiner Majestät Regierung betrachtet die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk mit Wohlwollen und wird die größten Anstrengungen machen, um die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei Klarheit darüber herrschen soll, daß nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und die politische Stellung der Juden in irgendeinem anderen Lande beeinträchtigen könnte. Ich bitte Sie, diese Erklärung zur Kenntnis der zionistischen Föderation zu bringen. Gezeichnet: Arthur James Balfour."

Auf dem 14. Zionistenkongreß (1925) in Wien wurde nochmals erklärt, das Ziel des Zionismus sei "Palästina als Zweinationalitätenstaat, in dem beide Völker ohne Vorherrschaft des einen und ohne Unterdrückung des anderen, in voller Gleichberechtigung zum Wohle des Landes arbeiten." (Jüdisches Lexikon, Stichwort ‚Araberfrage in Palästina'). Die Realität gestaltet sich so, daß Nichtjuden im heutigen Israel nicht dieselben Siedlungsrechte, nicht dasselbe Recht auf Arbeit und auch nicht das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz haben. Jedermann, der nicht jüdisch ist, schreibt Professor Schahak, hat in Israel kein Recht auf Wohnsitz, kein Recht auf die Eröffnung eines Geschäfts, oft auch kein Recht auf Arbeit. Der Amerikaner Jack Bernstein erlebte eine ähnliche Diskriminierung am eigenen Leib. Kurz nach seiner Einwanderung in Israel verliebte er, der aschkenasische Jude, sich in eine sephardische Jüdin (zur Unterscheidung siehe ZS 10). "Wenn ein aschkenasischer Jude eine sephardische Jüdin heiratet, wird er in Israel von den regierenden Aschkenasim scheel angesehen", schreibt er. Als das Paar eine Wohnung suchte, tat es dies drei Jahre lang vergeblich und mußte bei Verwandten leben. "Dies erfolgte wegen der kritischen Wohnungsnot in Israel und wegen des Rassismus", hält Bernstein fest. "Wohnungen werden wie folgt zugeteilt:

  • Aschkenasische Juden, die viele Jahre in Israel gelebt haben, erhalten die erste Wahl.
  • An zweiter Stelle kommen aschkenasische Juden aus Europa - besonders wenn sie verheiratet sind oder einen in Israel geborenen aschkenasischen Juden heiraten.
  • Die nächst Begünstigten sind aschkenasische Juden aus den USA - besonders, wenn sie einen in Israel geborenen Aschkenasi heiraten.
  • Sephardische Juden haben danach die Wahl an den noch verbliebenen Wohnungen.
  • Am Ende der Liste stehen Mohammedaner, Drusen und Christen."

Obwohl Bernstein ein aschkenasischer Jude aus den USA war, erhielt er eine tiefere Priorität, weil er eine sephardische Jüdin geheiratet hatte.

"Die Möglichkeiten für eine Beschäftigung folgen demselben Muster: Aschkenasische Juden erhalten die gesuchtesten Stellungen, danach kommen die sephardischen Juden, und Mohammedaner, Drusen und Christen füllen die niedrigen Arbeitsplätze aus, wobei eine große Anzahl unbeschäftigt bleibt", schreibt Bernstein.

Der Talmud sieht solche Behandlung auch ausdrücklich vor. Die Halakhah, das Gesetzessystem des klassischen Judaismus - welches praktisch von allen Juden vom 9. bis 18. Jahrhundert praktiziert wurde und bis heute vom orthodoxen Judentum aufrechterhalten wird - basiert vorwiegend auf dem Babylonischen Talmud. Gemäß dieser Halakhah dürfen Juden keinem Nichtjuden erlauben, irgend eine Position der Autorität - wie gering auch immer - über Juden zu erreichen. Diese Regel schließt auch die konvertierten Juden ein und ihre Nachkommen durch zehn Generationen, oder ‚so lange wie die Nachkommenschaft bekannt ist'.

So erklärt sich unter anderem auch der kategorische Widerstand, den viele religiöse Israelis der Vorstellung eines palästinensischen Staates entgegenbringen. Das Äußerste, was sie sich vorstellen können, ist eine gewisse Autonomie der Palästinenser unter israelischer Verwaltung und Herrschaft. 

Von ‚erlöstem' und ‚unerlöstem' Land

Es wäre auch ein Fehler, die Siedlungspolitik Israels nur von einem weltlichen Standpunkt aus zu betrachten. Es wohnt ihr eine immense religiöse Dimension inne, auch wenn diese die jeweils machthabenden Regierungen nicht in erster Linie bewogen haben mag, eine offensive Siedlungspolitik zu betreiben. Ultraorthodoxe Siedler im Westjordanland glauben, daß die im 1967er Sechs-Tage-Krieg eroberten Gebiete westlich des Jordans als Judäa und Samaria zum biblischen Israel gehören. Dieses Land aufzugeben, halten sie für eine Gotteslästerung, gegen die sie notfalls mit dem eigenen Blut Widerstand leisten müssen. Dazu müssen zwei grundsätzliche judaistische Auffassungen erklärt werden, soll ein christlicher Leser diese Haltung verstehen.

Erstens gilt den Juden nur jenes Land als ‚erlöst', das Juden gehört. "Schon israelischen Schulkindern wird der Begriff vom ‚erlösten' Land vertraut gemacht", schreibt Prof. Israel Schahak. "Erlöst ist ein Stück Land immer dann, wenn es vom Besitz von Nichtjuden in den Besitz von Juden übergegangen ist." Selbst wenn ein Jude sich schwärzester Verbrechen habe bedienen müssen, um ‚unerlöstes' Land zu kaufen, gelte dieses danach als erlöst. Erwerbe der tugendhafteste Nichtjude jedoch ‚erlöstes' Land, dann werde es durch seinen Besitz automatisch unerlöst. Der jüdische Professor fährt fort: "Die logische Schlußfolgerung dieser Idee ist, alle Nichtjuden von jenem Teil des Landes zu entfernen, welches ‚erlöst' werden muß. Das Utopia der jüdischen Ideologie, welche vom Staat Israel übernommen wurde, ist daher ein Land, welches völlig ‚erlöst' ist und wo nichts mehr einem Nichtjuden gehört oder von einem Nichtjuden bearbeitet wird." Schahak: "Ich frage mich, wie die Reaktion der US-Juden ausfiele, wenn in den Vereinigten Staaten ein Plan zur ‚Christianisierung' New Yorks oder sogar nur von Brooklyn ausgerufen würde." Nun verstehen wir auch, weshalb Nichtjuden kein Recht auf Landerwerb haben, und weshalb es Juden verboten ist, jüdisches Land an Araber auch nur unterzuvermieten - nicht einmal für kurze Zeit. Wer es trotzdem tut, wird mit hohen Bussen bestraft - selbst, wenn der betreffende Araber ein Bürger des Staates Israel ist.

Dazu muß noch etwas angemerkt werden. Obwohl wir im Westen gemeinhin von den ,Israelis' sprechen, anerkennt laut Schahak das Innenministerium diesen Begriff nicht (jedenfalls nicht bis zum Erscheinen seines Buches 1994. Ob sich die Lage inzwischen geändert hat, entzieht sich unserer Kenntnis). Es weigerte sich rundheraus, eine israelische Nationalität anzuerkennen. In den Identitätskarten, welche die Bürger Israels immer auf sich tragen müssen, wird niemand als ‚Israeli' bezeichnet. Es gibt dort nur ‚Juden', ‚Araber', ‚Drusen' etc. Diesen Ausweis (den ‚Teudat Zehut') einmal nicht bei sich zu tragen, kann nach Jack Bernsteins Erfahrung verheerende Folgen haben. Die israelische Polizei ist dann nämlich berechtigt, den Fehlbaren ohne Prozeß bis zu 16 Tage in ein Gefängnis einzusperren.

Zurück zu den Grenzen Davids und Salomons

Nun zum zweiten Grund für die expansive Siedlungspolitik: Sie liegt in der Idee, das ‚Israel in biblischen Grenzen' wieder zu verwirklichen. Prof. Israel Schahak schreibt, daß Ben Gurion am dritten Tag des 1956er Suez-Krieges in der Knesset den wahren Grund für jenen Krieg bekannt gab - man wolle nämlich dem Königreich Davids und Salomons wieder biblische Ausmaße verleihen. Seit damals (und bis zum Beginn des Friedensprozesses, für den Yizhak Rabin mit dem Leben bezahlte) soll laut Schahak kein zionistischer Politiker diesem Anspruch widersprochen haben. Ehud Sprinzak, Professor für Politische Wissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem, schrieb im St. Galler Tagblatt, "Als die israelische Armee 1967 in den eroberten Gebieten einmarschierte (nach dem Sechstagekrieg, die Red.), war dies für die Maximalisten nicht nur eine Eroberung, es war die Umsetzung von Gottes Willen: daß nun der Prozeß der jüdischen Erlösung beginnen sollte. Eine neue Ära der Religion, ein Wiederaufleben alter biblischer Tradition wurde eingeläutet: Zurück zu Josua, zu König David. Die Maximalisten verbreiteten die Überzeugung, daß Gott und das Volk Israel das eroberte Land niemals zurückgeben würden. Der deutlichste Ausdruck davon ist die Siedlerbewegung. Es ist falsch, sie nur als weltliches Phänomen zu betrachten. Sie ist Teil des messianischen Traums der Israelis." Und weiter: "Für die extremistischen unter den Siedlern ist die Idee eines territorialen Kompromisses aber nicht nur eine politische Konzession, nicht nur ein Sicherheitsproblem - es ist eine Rebellion gegen Gott."

Die Ideologie vom biblischen Israel ist laut Professor Schahak "mehr als jeder andere Faktor für die jüdische Politik verantwortlich." Die weitreichendste Version dieses künftigen jüdischen Gottesstaates schließt den ganzen Sinai und einen Teil Nordägyptens ein, im Osten ganz Jordanien und einen großen Brocken von Saudi Arabien, ganz Kuwait und einen Teil des Irak südlich des Euphrats; im Norden den ganzen Libanon und ganz Syrien sowie einen großen Teil der Türkei und im Westen die Insel Zypern.

"Über diese Sache gibt es in Israel einen enormen Forschungsaufwand und Diskussionen, und man findet dieses Thema in Atlanten, Büchern, Artikeln und modernen Propagandamitteln, die öfters vom Staat unterstützt werden." Schahak betont in seinem Buch auch, daß jenes Konzept vom Israel der ‚historischen' oder ‚biblischen' Grenzen weder von israelischen noch von Diaspora-Juden grundsätzlich angefochten werde, außer von der winzigen Minderheit, die gegen das Konzept eines jüdischen Staates opponiere. Noch im Mai 1993 schlug Ariel Scharon anlässlich des Likud-Parteitages vor, daß Israel das Konzept ‚biblischer Grenzen' als seine offizielle Politik annehmen solle. Es gab auf diesen Vorschlag nur wenig Einspruch, sowohl vom Likud wie von außerhalb, und wenn, dann basierte dieser auf pragmatischen Gründen. Niemand fragte Scharon, wo denn diese biblischen Grenzen seiner Ansicht nach lagen.

Rabin und die Vollstrecker der Torah

Der israelische Filmemacher Amos Gitaï stellte auf dem 1996er Filmfestival von Locarno sein Doku-Drama The Arena of Murder (Die Arena des Mordes) vor, in welchem er Israels Winter nach der Ermordung Rabins zeigt. Auch dessen Witwe, Lea Rabin, kommt vor. Sie fühle keinen Haß, sagt sie im Film, nur Kummer, "und wenn Zorn, dann nur auf die Gedankenwelt, in der diese Gewalt wuchs, und auf jenes politische System, das ihn (Rabin) einen Mörder und Verräter nannte, der das Land verkaufe. Denn da das Land wertvoller ist als das Leben eines Menschen, wurde damit der Mord zu einem Muß." Rabins Ziel war es, sagt seine Witwe, "daß Israel, auch auf verkleinertem Territorium, von Frieden umgeben sein werde." "Das Land aber, das der Filmemacher durchquert, ist von Zerstörung geprägt, von Krieg", schreibt die Basler Zeitung.

Der jüdische Traum

Der jüdische Traum vom erlösten Land brachte schon manchem Palästinenser den Tod. Und sogar Ministerpräsident Rabin mußte dafür sterben, denn das Land ist wertvoller als das Leben eines Menschen (Lea Rabin). - Palästinensische Kinderzeichnung

Daß Yizhak Rabin und Simon Peres es wagten, diese Träume von Groß-Israel mit ihrer Politik zu vereiteln, wurde ihr Verhängnis. Siedlerführer griffen sie verbal an, beschimpften sie als Verräter und verglichen sie mit Nazi-Schergen - die schlimmste Beleidigung, die man einem Juden zufügen kann. "Judäa und Samaria", lautete ihr Schwur, "werden niemals wieder judenrein." Dreißig Tage vor seinem Tod sprach Ministerpräsident Rabin in seiner letzten Knesset-Rede etwas aus, was bis dahin absolutes Tabu gewesen war: "'Wir kamen nicht in ein leeres Land!' waren seine Worte, die ein hundert Jahre altes Dogma zerbrachen", reportiert Uri Avnery im Spiegel. Es ist nämlich ein zionistischer Glaubensartikel, daß Palästina ein leeres Land war, als die moderne jüdische Einwanderung 1882 begann, und daß erst die Juden die Wüste zum Blühen brachten. Dabei hatte sogar Rabin in seinen Memoiren gestanden, daß er 1948 nach der Eroberung der arabischen Städte Lydda und Ramla 50'000 Bewohner mit der Waffe vertrieben habe - und er bestätigte auch, daß eine ethnische Säuberung stattgefunden habe.
Uri Avnery berichtet, Rabin habe als Verteidigungsminister in den ersten Tagen der Intifada die unheilvollen Worte ausgestoßen: "Brecht ihnen die Knochen!" Die Soldaten hätten das wörtlich genommen und Hunderten von Palästinensern, auch Alten und Kindern, Arme und Beine zerschmettert. "Rabin war kein Rabbiner, der auf dem Weg nach Damaskus plötzlich vom Saulus zum Paulus wurde", schreibt Avnery.

Dennoch versammelten sich anfangs Oktober 1995 vor dem Wohnhaus Rabins einige schwarzgekleidete Männer, um das Pulsa Denura zu beten, die biblische Verwünschung. Rabbi Awigdor Askin bat darum, den ‚Verfluchten' doch endlich sterben zu lassen - und er tat es vor dessen Türschwelle. Die fanatischen Frommen nahmen dabei gemäß dem orthodoxen Ritus in Kauf, daß auch einer von ihnen - gewissermaßen als ausgleichende Gerechtigkeit - sein Leben lassen müsse, sollte Gott ihr Gebet erhören. Kurz danach, am Morgen nach dem jüdischen Fest Jom Kippur am 4. Oktober 1995, tauchten in den Synagogen Flugblätter mit einem Gebet auf, in dem die Engel des Todes' aufgefordert wurden, Rabin von dannen zu nehmen, ,weil er das Gelobte Land seinen Feinden ausliefert'.

Wie die Ereignisse uns lehren, wurde der Fluch erhört. Der ‚Todesengel' trug den Namen Yigal Amir. Yigal heißt auf Deutsch soviel wie ,Er wird erlösen'!

Für den Friedensaktivisten und strenggläubigen Juden Avraham Burg war es denn ganz klar auch "kein politischer Mord - es war ein religiöser Mord." Daran ließ auch der Täter selbst keinen Zweifel. Amir erklärte nach dem Mord, "Alles, was ich tat, tat ich für Gott, für die Torah von Israel, das Volk von Israel und das Land Israels." Er habe aus göttlicher Gerechtigkeit gehandelt, da die Regierung Rabin im Westjordanland und im Gazastreifen , biblisches Land' an die Palästinenser abgetreten habe. In einem der Verhöre sagte er, er habe den Mord als klar denkender, ‚normaler Mensch' begangen. Im archaischen Regelwerk des jüdischen Rechts hatte Amir ein uraltes Gesetz gefunden, das Din Rodef'. Danach entspricht es Göttlichem Willen, einen Verräter zu töten, der anderen Juden den Tod bringt. Diesem Gesetz fühlte sich der Attentäter verpflichtet, und daß ihm die Tat gelingen konnte, empfand er erst recht als ‚Fingerzeig Gottes'. Psychologen, die den jugendlichen Mörder untersuchten, kamen zum Schluß, daß er keinerlei Anzeichen von Geistesgestörtheit aufweise und überdurchschnittlich intelligent sei.
Schon der große jüdische Rechtsgelehrte Maimonides hatte im 12. Jahrhundert geschrieben, daß ein Verräter in den eigenen Reihen getötet werden müsse. Der radikale Rabbi Avraham Hecht aus Brooklyn/New York hatte im Vorfeld des Mordes Rabin mit diesem jüdischen Gelehrten verbal gedroht: "Ich sage mit Maimonides: Wer ihn tötet, tut eine gute Tat."

Rabbi Scholomo Aviner, Haupt einer religiösen Schule in Jerusalem, stellte fest, daß der Rabin-Mörder mit seiner Ansicht keineswegs allein dagestanden sei. "Die Studenten stellten jeweils die Frage - so, wie sie zum Beispiel fragten, welches Essen man am Sabbat zu sich nehmen dürfe - ‚Ist es in Ordnung, unter Torah-Gesetz den Premierminister zu töten?' - Jeder sprach über Gewalt. Es gab Hunderte wie Amir."

Für die orthodoxen Juden gibt es nur ein Gesetz, das für den Staat Israel Gültigkeit haben kann, und das ist ‚Gottes Gesetz' - die Torah. Yehiel Leiter, Sprecher der 140'000 jüdischen Siedler im Westjordanland, äußerte nach dem Rabin-Mord: "Was wir ersehnen, ist kein säkularer zionistischer Staat, sondern unser biblisches Land, wo nach der Torah gelebt wird." Abraham Shapira, einer der Mitbegründer der Rabbinervereinigung für ‚Erez Israel' (Israel in biblischen Grenzen) war früher Oberrabbiner Israels. Er erklärte: "Gegen das Religionsgesetz verstoßende Beschlüsse einer weltlichen Regierung können keinen Juden verpflichten." Die talmudischen Auslegungen der Torah zum Thema ,Töten' weichen in einigem von dem ab, was westliche Rechtsstaaten als Recht und Unrecht empfinden. Man muß diese Gesetze in Betracht ziehen, um das Verhältnis jener ultraorthoxen Juden zum Töten verstehen zu können.

Mord ist nicht gleich Mord

Wir sehen wiederum beim Judaistik-Spezialisten Israel Schahak für Erläuterung nach. "Gemäß der jüdischen Religion ist der Mord an einem Juden ein Kapitalverbrechen und eine der drei schändlichsten Sünden (die anderen zwei sind Götzendienst und Ehebruch)."

Isrealische Wirtschaftssanktionen

Israelische Wirtschaftssanktionen: Diesem Bauern aus Ramallah hatte man die Olivenbäume abgesägt und dadurch die Existenz zerstört.

Dies widerspricht scheinbar der Auslegung der Tat Amirs. Doch hatte er eben in der Torah ein besonders altes Gesetz gefunden, das die Ermor düng eines verräterischen Juden trotzdem erlaubt. Wir verstehen nun aber um so besser, weshalb der ,Brudermord' - nämlich der Mord eines Juden an einem anderen Juden - Israel so tief erschütterte. Er ist ein absolutes Tabu. Rabbi Benni Elon: "Wenn ein Jude einen anderen Juden umbringt, ist das auch ein Bankrott der Torah, des göttlichen Gesetzes. Ich verstehe jedoch, auf welchem Hintergrund diese Tat passiert ist."

Ist das Opfer aber ein Nichtjude (also zum Beispiel ein Palästinenser), sieht es anders aus. Ein Jude, der einen Nichtjuden umbringt, hat sich nach jüdisch-religiösem Recht nur einer Sünde gegen die Gesetze des Himmels schuldig gemacht, und diese ist nicht durch ein Gericht zu bestrafen. Indirekt den Tod eines Nichtjuden zu verursachen, ist überhaupt keine Sünde.

Wenn ein Nichtjude, der unter jüdischer Jurisdiktion steht (also die Palästinenser solange, bis sie allenfalls einen eigenen Staat hätten), einen Mord begeht, dann muß er hingerichtet werden, egal, ob das Opfer Jude war oder nicht. Wenn jedoch das Opfer Nichtjude war und der Mörder zum Judentum konvertiert, wird er nicht bestraft. "All dies hat einen direkten und praktischen Bezug zu den Realitäten des Staates Israel", bemerkt Professor Schahak. "Auch wenn die staatlichen Kriminalgesetze keine Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden machen, dann wird sie ganz bestimmt von orthodoxen Rabbis gemacht, welche ihre Herde gemäß der Halakhah anführen."

Jüdische Gewalttäter brauchen sich denn auch kaum vor der Justiz zu fürchten. Der, Spiegel' berichtet von Rabbi Mosche Levinger, der einen Palästinenser niederschoß, vom israelischen Gericht aber nur zu fünf Monaten Haft verurteilt wurde - und nach zehn Wochen das Gefängnis unter großem Jubel seiner Gesinnungsgenossen wieder verlassen durfte.

Professor Schahak: "Da es nur ein minimales Verbot gegen den Mord an einem Nichtjuden gibt, welches sich nur auf Nichtjuden bezieht, mit denen wir (die Juden) uns nicht im Krieg befinden', schlossen mehrere rabbinische Kommentatoren, daß in Kriegszeiten alle Nichtjuden, die der gegnerischen Seite angehören, getötet werden dürfen oder sogar sollten. Seit 1973 wird diese Doktrin öffentlich propagiert, zur Anleitung religiöser israelischer Soldaten. Die erste solche offizielle Ermahnung fand sich in einem Büchlein, das der Central Region Command der israelischen Armee herausgegeben hatte, welches Gebiet die West Bank mit einschließt. In diesem Büchlein schreibt der Command's Chief Chaplain: "Wenn unsere Kräfte während eines Krieges oder einer Verfolgungsjagd oder bei einem Angriff/Überfall gegen Zivilisten kommen, sollten jene Zivilisten, solange keine Sicherheit besteht, daß sie unseren Kräften nichts antun können, gemäß der Halakhah getötet werden... Unter keinen Umständen sollte man einem Araber trauen, selbst wenn er einen zivilisierten Eindruck macht... Im Krieg, wenn unsere Kräfte gegen den Feind stürmen, wird ihnen von der Halakhah erlaubt und sogar befohlen, selbst jeden guten Zivilisten zu töten, das heißt, Zivilisten, welche scheinbar gut sind." - Professor Israel Schahak fügt an: "Tatsächlich haben in allen Fällen, wo Juden in einem militärischen oder paramilitärischen Kontext arabische Nichtkämpfer ermordeten - Fälle von Massenmord wie jenem in Kafr Qasim 1956 eingeschlossen - diese, wenn man sie nicht gänzlich entwischen ließ, extrem leichte Strafen erhalten, oder weitreichenden Straferlaß, welcher ihre Bestrafung auf beinahe nichts reduzierte." Der radikale Rabbiner Kahane predigte noch vor wenigen Jahren, daß Gewalt von Juden gegenüber Nichtjuden heilig sei.

Alles geborene Lügner?

Die Aussage, ‚unter keinen Umständen sollte man einem Araber trauen', muß noch etwas näher erläutert werden. Der klassische Judaismus geht davon aus, daß alle Nichtjuden geborene Lügner sind. Sie dürfen daher auch vor keinem rabbinischen Gericht aussagen. Schahak: "In dieser Beziehung ist die Stellung der Nichtjuden theoretisch dieselbe wie die jüdischer Frauen, Sklaven und Minderer; doch in der Praxis ist sie noch schlimmer. Eine jüdische Frau wird heutzutage als Zeugin bei gewissen Sachlagen zugelassen, wenn der rabbinische Gerichtshof ihr Glauben schenkt - einem Nichtjuden glaubt er niemals."

Genausowenig, wie rabbinische Gerichte Nichtjuden als Zeugen akzeptieren, brauchen orthodoxe Juden nichtjüdische Gerichte oder die Eide, die sie dort schwören, ernst zu nehmen. So sagte der Jude J. Burg einmal vor einem weltlichen (also nichtjüdischen) Gericht aus, ein jüdischer Zeuge fühle sich nur einem Schwur verpflichtet, den er nach jüdischem Ritus leiste, bei dem er sein Käppchen trage, und bei dem ein Rabbiner oder ein anderer gläubiger Jude anwesend sei. Professor Schahak bemerkt zum Thema ,Schwur': "Was wird gemeinhin als den heiligsten und feierlichsten Augenblick des jüdischen liturgischen Jahres angesehen, der selbst von Juden besucht wird, die sonst nie in die Synagoge gehen? Es ist das Kol Nidrey-Gebet am Vorabend von Yom Kippur: Es ist dies das Singen eines ganz besonderen Dispenses, durch welchen alle privat zu Gott gemachten Schwüre im kommenden Jahr zum Voraus als Null und Nichtig erklärt werden."

Nun mag der Eindruck entstehen, wir würden hier aus dem Talmud Dinge zitieren, derer sich das gesamte Judentum längst völlig entledigt habe. Professor Israel Schahak weist mit Vehemenz darauf hin, daß dem nicht so ist; daß im Gegenteil der Talmud in Israel ständig an Wichtigkeit gewinne - und zwar in seiner ursprünglichen Form und nicht in den gemäßigten Ausgaben, die in den letzten Jahrhunderten in Europa erschienen, um allfällige Feindseligkeiten von Nichtjuden zu vermeiden.

Schahak: "Alle ,europäischen 'Talmud-Ausgaben ab dem 16. Jahrhundert wurden entschärft, wenn es um Nichtjuden ging. Die Ausdrücke ,Gentile', ,Nichtjude' und ,Fremder' (goy, eino yehudi, nokhri) wurden durch Wörter wie ,Götzenverehrer', ,Heide' oder sogar ,Kanaaniter' oder ,Samariter' ersetzt.

Jüdische Leser erkannten dahinter aber sehr wohl noch die viel allgemeiner auf Nichtjuden bezogene ursprüngliche Wortwahl. Sobald jedoch der Staat Israel Wirklichkeit geworden war, wurden die alten feindlichen Ausdrücke wieder in alle neueren Ausgaben des Talmud eingesetzt. So kann heute jeder frei Passagen lesen - und jüdischen Kindern wird dies tatsächlich beigebracht - wie jene, welche jedem Juden befiehlt, wann immer er an einem jüdischen Friedhof vorbeikommt, eine Segnung zu sprechen, doch die Mütter der Toten zu verfluchen, wenn der Friedhof nichtjüdisch ist."

Vom Kreuz mit der christlichen Kirche

1962 erschien in Jerusalem das Buch des Wissens aus den Schriften des jüdischen Weisen Maimonides. Es war in Hebräisch und Englisch abgefaßt. Die hebräische Version enthielt die alten, feindseligen Ausdrücke, während sie im Englischen stark abgeschwächt wiedergegeben wurden. So heißt es dazu, wie ungläubige Juden behandelt werden müßten, im hebräischen Teil: "Es ist eine Pflicht, sie mit eigenen Händen auszurotten." Auf Englisch steht daneben: "Es ist eine Pflicht, aktive Maßnahmen zu ergreifen, um sie zu vernichten." Dann fährt der hebräische Text weiter, was man unter, Ungläubigen' zu verstehen habe: "Solche wie Jesus von Nazareth und seine Schüler, Zadok und Baitos und ihre Schüler, möge der Name der Bösen verfaulen." Professor Schahak, der dies schreibt, fährt weiter: "Nicht ein Wort davon erscheint im englischen Text auf der gegenüberliegenden Seite." Dies ist beileibe kein Einzelfall, doch fehlt uns hier der Platz, noch mehr Beispiele zu publizieren, und möchten wir mit diesem Artikel auch keinen Rassismus oder Judenhaß schüren. Wenn jedoch beim geringsten Wort, das man als antijüdisch auslegen kann, jüdische Kreise und mit ihnen die Medien augenblicklich ‚Antisemit' rufen, dann soll man wissen dürfen, daß der orthodoxe Judaismus Andersgläubige keineswegs mit besonderer Wertschätzung betrachtet. Rabbi Adin Steinsaltz, einer der bedeutendsten jüdisch-orthodoxen Gelehrten Israels, der gar als Modernist gilt, äußerte 1994 in einem Interview mit dem Spiegel': "Ich gebe aber zu, nicht nur die (christliche) Kirche hat ein Problem mit uns, auch wir haben eins mit der Kirche." Er sagte auch, "Die christliche Mission war den Juden ein häßliches Unternehmen", und äußerte Geringschätzung über christliche Glaubenswerte: "Wir Juden fühlen uns nun mal nicht dazu berufen, die zweite Wange hinzuhalten, wenn man uns auf die erste schlägt. (...) Mehr noch, wir betrachten es nicht als moralisch höherstehend zu sagen, man solle die zweite Wange hinhalten. (...) In der Regel erwidern die Menschen nun mal Haß nicht mit Liebe." Seit Kaiser Konstantin war das Kreuz zum Symbol der christlichen Kirche geworden, sagte Steinsaltz, und fügte an: "So wurde noch zu meiner Zeit in der Schule das Additionszeichen + nur mit dem oberen Teil geschrieben, so daß kein Kreuz entstand. Der Widerwillen gegen das Kreuz als Form war so groß, daß die Architekten Tel Avivs es tunlichst vermieden, Straßen im Zentrum sich rechtwinklig kreuzen zu lassen. Deshalb, unter anderem, ist der Verkehr in Tel Aviv heute so chaotisch."

Vertreibung der Palästinenser

Die Vertreibung der Palästinenser (Kinderzeichnung):"Es ist ein zionistischer Glaubensartikel, daß Palästina ein leeres Land war, als die moderne jüdische Einwanderung begann. Darauf gründete sich der Anspruch auf absolutes Recht - Golda Melks Diktum, es gebe keine Palästinenser, ebenso wie das ideologische Fundament der Siedlungen in den besetzten Gebieten" (Uri Avnery im ,Spiegel').

Für einen gläubigen Juden gehört es laut Professor Schahak zu seinem Glauben, Nichtgläubige mit Verwünschungen zu versehen. So gibt es im wichtigsten Teil der Wochentag-Gebete - den ,achtzehn Segnungen' - eine spezielle Verwünschung, die ursprünglich gegen alle Christen, zum Christentum konvertierten Juden und alle anderen jüdischen Häretiker gerichtet war. Sie lautete: "Und mögen die Abtrünnigen keine Hoffnung haben und alle Christen unverzüglich zugrunde gehen." Vom 14. Jahrhundert an wurde sie abgeschwächt zu "Und mögen die Abtrünnigen keine Hoffnung haben, und alle die Häretiker unverzüglich zugrunde gehen." Schahak: "Diese Version wird im heutigen Israel von vielen Gruppierungen verwendet; wobei gewisse Orthodoxe wieder zum ersten Wortlaut übergegangen sind, wo es heißt, , alle Christen unverzüglich zugrunde gehen.' (...)  Ein gläubiger Jude muß, wenn er eine größere Gruppe von Juden zusammenstehen sieht, Gott loben; wenn er eine größere Gruppe Nichtjuden versammelt sieht, einen Fluch auf sie ausstoßen.  (...) Es wurde zur Gewohnheit, gewöhnlich dreimal zu spucken, wenn ein Jude eine Kirche oder ein Kruzifix sah."

Interessant ist auch, daß das strenge Judentum, wie es bis Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschte, jeden Humor verbot. Es gab nur eine erlaubte Ausnahme: Witze, die andere Religionen verunglimpften. Der ‚typisch jüdische Humor' hat sich gemäß Professor Israel Schahak erst entwickelt, nachdem die Macht der Rabbinate aufgrund stärkerer bürgerlicher Rechte der Juden abgenommen hatte.

Zur Haltung, die der Judaismus gegenüber dem Christentum hegt, läßt Schahak keinen Zweifel offen - der Judaismus ist erfüllt mit einer sehr tiefen Abscheu gegenüber dem Christentum, verbunden mit Unwissenheit darüber. Diese Haltung wurde durch die christlichen Judenverfolgungen noch verschlimmert, ist aber weitgehend unabhängig von ihnen. Sie geht auf die Zeit zurück, in der das Christentum immer noch schwach und verfolgt war (nicht zuletzt durch die Juden), und sie wurde geteilt von Juden, welche niemals von Christen verfolgt worden waren und welchen sogar von Christen geholfen wurde." Klassische jüdische Quellen seien, so Schahak, denn auch "ziemlich glücklich, für die Hinrichtung Jesu die Verantwortung zu übemehmen; in der talmudischen Darlegung werden die Römer nicht einmal erwähnt." Populäre Berichte wie der Toldot Yeshu - welche dennoch ernst genommen würden - klagen Jesus nicht nur des Götzendienstes (für sie eines der schändlichsten Verbrechen), der Mißachtung der rabbinischen Autorität, sondern auch noch der Hexerei an. Die Juden betrachteten im übrigen das Christentum als Götzendienst, weil es von der Heiligen Dreifaltigkeit ausgehe - für sie eine Vielgötterei. Rabbi Steinsaltz im Spiegel': "Seit über tausend Jahren diskutieren wir über die Frage, ob die Kirche heidnisch ist: wegen ihrer Heiligenverehrung, vor allein aber wegen der Dreifaltigkeit. Damit stellt sich für uns die Frage: Sind die Christen Monotheisten, und damit Brüder im Glauben, oder nicht?"

Keine Geschenke, keine zinslosen Darlehen

Jack Bernstein, der als amerikanischer Aschkenasim einige Jahre in Israel lebte: "Versuchen Sie einmal einem ansässigen Juden eine Bibel zu geben, und sie werden sehen, wieviel Religion und religiöse Freiheit es in Israel gibt. Falls Sie von der Polizei gesehen werden, werden Sie verhaftet." Die Gesetze seien streng in Israel, schreibt Bernstein. "Einem Christen ist es erlaubt, das Evangelium in einem Kirchengebäude zu predigen, aber für den Geistlichen oder jeden, der gar außerhalb des Kirchengebäudes jemandem etwas über die Lehren der Bibel erzählt, wird dies eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren einbringen. Einem Christen, der einem Juden eine Bibel oder einen anderen religiösen Artikel gibt, wird dies ebenso eine Strafe von fünf Jahren einbringen. Sogar eine Gefälligkeitshandlung eines Christen gegenüber einem Juden, wie das Überreichen einer Gabe Nahrungsmittel, kann als Versuch ausgelegt werden, den Juden zum Christentum zu bekehren, und kann ihm eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren einbringen."

Der jüdische Professor Schahak schreibt ebenfalls, der Talmud verbiete es dem Juden, einem Nichtjuden Geschenke zu machen. Er dürfe aber einer nichtjüdischen Bekanntschaft ein Geschenk machen, wenn dieses nicht als wirkliche Gabe, sondern als eine Art Investition betrachtet werde, für welche man eine gewisse Gegenleistung erwarte. Geschenke an nichtfamiliäre Nichtjuden bleiben verboten. Es sei laut Talmud auch verboten, einem Nichtjuden ein zinsloses Darlehen zu geben. Rabbinische Autoritäten - Maimonides eingeschlossen - betrachteten es als zwingend, soviel Wucher wie möglich auf einer Leihgabe zu erheben. Finde ein Jude etwas, das vermutlich ein anderer Jude verloren habe, sei es seine Pflicht, seinen Fund öffentlich bekannt zu machen, um ihn so möglichst dem Eigentümer zurückgeben zu können. Finde ein Jude jedoch Eigentum eines Nichtjuden, dann verbiete es ihm der Talmud, dieses seinem Eigentümer zurückzugeben.

Es gelte, zitiert Schahak den Talmud, als schwere Sünde, im Geschäftsleben einen anderen Juden zu täuschen. Gegenüber einem Nichtjuden sei es lediglich verboten, direkte Täuschung zu begehen. Indirekte Irreführung sei gestattet, solange aus ihr keine Feindseligkeit entstehe. Ein Beispiel dafür: Ein Nichtjude zählt die Posten einer Rechnung falsch zusammen. Der Jude soll ihn nicht darauf hinweisen, wenn sich der Rechnungsfehler zu seinen Gunsten auswirkt, sondern - um späterer Feindseligkeit vorzubeugen - sagen: ‚Ich verlasse mich auf Ihre Rechnung'.

Gewaltloser Diebstahl sei absolut verboten, wie es im Schulchan Aruch heiße, ‚selbst wenn es einen Nichtjuden betrifft'. Raub mit Gewaltanwendung sei strikte verboten, wenn es um Juden gehe. Raub an einem Nichtjuden durch einen Juden sei nicht geradewegs verboten, sondern nur unter bestimmten Umständen, wie ,wenn der Nichtjude nicht unter unserer Herrschaft steht', doch sei Raub erlaubt, wenn sich der Nichtjude unter jüdischer Herrschaft befinde. Dies möge erklären, erläutert der jüdische Professor, weshalb so wenige Rabbiner gegen den Raub palästinensischen Eigentums in Israel protestieren.
Nach Berichten der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem sind die Gebiete, die rings um Jerusalem 1967 im Sechstagekrieg von Israel erobert und annektiert wurden, großteils arabischer Privatbesitz, auf dem bis zu 38'500 Wohnungen für die israelische Bevölkerung gebaut wurden und keine einzige für Palästinenser.

Wachturm in Jabalja

Israelischer Wachturm in Jaballa. Ein vielfältiges Überwachungssystem zielt auf die Einschüchterung und Demoralisierung der Palästinenser.

Es ist den gläubigen Juden durch den Talmud nicht nur verboten, einem Nichtjuden Geschenke zu machen, nein, er soll einen Nichtjuden auch keinesfalls loben. Das Book of Education, von einem Rabbi im frühen 14. Jahrhundert in Spanien verfaßt, erklärt 613 religiöse Verpflichtungen (initzvot) des Judaismus. Schahak zitiert daraus einige, für die hier kein Platz ist. Es sei hier von den vielen nur ein Paragraph genannt, § 262. Dieser besagt laut Prof. Israel Schahak, daß Juden sich nicht nur von Nichtjuden ‚entfernen' sollen, sondern auch ,schlecht über ihr Benehmen sprechen, selbst über ihre Kleidung.' Schahak: "Es muß betont werden, daß all diese Erläuterungen genau die Lehren der Halakhah wiedergeben. Die Rabbis und, schlimmer noch, die entschuldigenden ‚Schüler des Judaismus' wissen dies sehr gut und versuchen daher nicht, solche Sichtweisen innerhalb der jüdischen Gemeinde zu bestreiten. Statt dessen verleumden sie jeden Juden, der über diese Tatsachen in Hörweite eines Nichtjuden spricht, und sie äußern irreführende Dementi dazu, in welchen die Kunst der Mehrdeutigkeit ihren Gipfel erreicht. Zum Beispiel weisen sie, meist in allgemeinen Begriffen, auf die Wichtigkeit hin, welche Barmherzigkeit im Judaismus innehat, doch worauf hinzuweisen sie vergessen, ist, daß gemäß der Halakhah ‚Barmherzigkeit' nur ‚Barmherzigkeit gegenüber Juden' bedeutet."

Schahak fährt fort: "Jedermann, der in Israel lebt, weiß, wie tief und weitverbreitet diese Attitüde des Haßes und der Grausamkeit gegenüber allen Nichtjuden unter der Mehrheit der israelischen Juden ist. (...) In den vergangenen Jahren sind die unmenschlichen Grundsätze, nach denen Knechtschaft das ‚natürliche' Los der Nichtjuden ist, öffentlich in Israel zitiert worden; sogar im Fernsehen, und zwar von jüdischen Bauern, die arabische Arbeit, und speziell Kinderarbeit, ausnutzen. Gush-Emunim-Führer haben religiöse Grundsätze zitiert, welche Juden befehlen, Nichtjuden zu unterdrücken. Sie nahmen diese Grundsätze als eine Rechtfertigung für die versuchte Ermordung palästinensischer Bürgermeister, und als göttliche Vollmacht für ihren eigenen Plan, alle Araber aus Palästina auszuweisen."

Professor Schahak bringt ein Beispiel dafür, daß dieses Verbot des Lobens eines Nichtjudens in den Köpfen israelischer Juden durchaus präsent ist: Als der jüdische Schriftsteller Agnon den Nobelpreis erhalten hatte, wurde er vom israelischen Rundfunk interviewt. Im Verlaufe dessen lobte er das Nobelpreiskomitee - und fügte rasch an: "Ich vergesse nicht, daß es verboten ist, Nichtjuden zu loben, doch es gibt hier einen speziellen Grund für mein Lob" - die Tatsache nämlich, daß das Nobelpreiskomitee einen Juden geehrt hatte. Lob eines Nichtjuden ist nämlich ausnahmsweise erlaubt, wenn dieses Lob noch größeres Lob eines Juden mit einschließt.

Als Time-Korrespondentin Lisa Beyer Israels Premier Benjamin Netanyahu im Oktober 1996 interviewte, meinte sie zu ihm: "Arafat kann sehr charmant sein." Netanyahu: "Sicher. Doch ich würde nicht zu viel aus dem Persönlichen zwischen uns machen." Time: "Ich hätte sie gern dazu gebracht, zu sagen, daß Arafat ein netter Typ ist." Netanyahus Anwort darauf: "Wenn sie erst ihn dazu bringen, das über mich zu sagen, werde ich es auch über ihn sagen." Ob Netanyahus Weigerung, Arafat zu loben, auch etwas mit jenem Talmud-Paragraphen zu tun hat?

Rassismus und Apartheid im ‚Heiligen Land'

Jack Bernstein hat Israel in eigener Erfahrung als ‚rassistisches Land' erlebt: "Eines Tages betrat ich ein Café in Tel Aviv. Die Stätte war übervoll, und ich setzte mich auf dem einzigen zur Verfügung stehenden Stuhl nieder. An diesem Tisch saßen auch gerade fünf sephardische Juden aus Marokko. Sie erfuhren, daß ich im Begriff war, die hebräische Sprache zu lernen, also halfen sie mir bei meinem Studium, als ein blauäugiger Nazityp von israelischem Polizeioffizier in das Café hereinkam. Er befahl mir: "Gehen Sie von jenen Kooshim weg!" Kooshim bedeutet auf hebräisch ‚Neger'. Ich antwortete: "Wenn ich mit Essen fertig bin." Der Offizier zog seinen Dienstrevolver und sagte: "Sie brechen jetzt auf!" - "Sie tun besser daran, auf ihn zu hören", riet mir der Cafébesitzer. Also stand ich auf. Während er nahe bei mir stand, zeigte der Offizier mit seiner Waffe direkt auf mein Gesicht und befahl: "Werfen Sie ihren Kaffee und das Gebäck auf den Fußboden!"

Mit einer Schußwaffe auf mich gerichtet, diskutierte ich nicht; ich warf den Kaffee und das Gebäck auf den Fußboden. Dann sagte er: "Gehen Sie hier hinaus und kommen Sie nicht zurück!" Später erfuhr ich, daß ich Glück hatte. Er hätte mich einsperren können", schreibt Bernstein, "und er hätte sogar aufgrund der unklaren israelischen Gesetze auf mich schießen können."

Diese Handlung spielte sich, wohlverstanden, unter Juden ab. Was indes die Nichtjuden, sprich die moslemischen und christlichen Palästinenser in Palästina erleben, vergleichen sie offen mit der ehemaligen Apartheid Südafrikas. "In diesem Land gibt es nur Checkpoints, Waffen und Helikopter", kommentiert der 32jährige Soziologe Chaled Abu Diab. Am Toten Meer gibt es einen einzigen Strand, an den die Palästinenser des Westjordanlands kommen dürfen. Im Gegensatz zu den Badeorten für Israelis und Touristen gibt es dort nicht eine einzige Dusche. Chaled: "Das nenne ich Apartheid." Er fühlt sich wie in einem Gefängnis. "Stellen Sie sich vor, ich wohne in Jerusalem und darf meine Familie in Nablus nicht besuchen; oder Dorfbewohner am Rand von Jerusalem dürfen nicht in das 15 Kilometer entfernte Ramallah ohne eine spezielle Erlaubnis, die in der Regel verweigert wird."

Sumayat Farhat-Naser, eine christliche Palästinenserin, die 1989 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Münster geehrt wurde, berichtet in ihrem Buch Thymian und Steine: "Militärverordnungen kontrollieren jeden Aspekt des täglichen Lebens. Mittlerweile - Ende 1994 sind sie auf die stattliche Anzahl von 1'414 für das Westjordanland und 1'100 für Gasa angewachsen. (...) Die Verordnungen verbieten u.a. den Bau von Landwirtschaftswegen, die uns leichteren Zugang zu unseren Feldern ermöglicht hätten, mit der Begründung, es gebe keine umfassenden Erschließungspläne der Region. Gleichzeitig bauen die Israelis aber ein Straßennetz zu ihren Siedlungen durch unser Gebiet. Sie verbieten uns die Ausfuhr von Oliven und erlauben die Einfuhr von Olivenöl aus dem Ausland. Damit trafen sie den Lebensnerv unserer Landwirtschaft und haben viele Bauern in den Ruin getrieben. Sie verbieten die Installation von Straßenampeln, den Aufenthalt in Jerusalem und Israel bei Nacht.

Es gibt Verordnungen, die festlegen, wann und wie auf Menschen geschossen werden darf; so wurden während der Besatzung insgesamt 254 Menschen erschossen, weil sie die palästinensische Fahne trugen. Für jede Gartenpflanzung von mehr als zehn Pflanzen muß eine Genehmigung eingeholt werden. Besonders unsinnig ist die Verordnung, die den Thymian betrifft: Die Behörden stellen den Thymian unter Naturschutz und belegen ihn mit einem Pflückverbot. Dabei ist diese Pflanze in den Hügeln des Westjordanlandes weit verbreitet und keineswegs vom Aussterben bedroht. (...) Zu den Militärverordnungen gehören auch Zensurmaßnahmen. Es gibt eine Liste mit mehreren hundert verbotenen Büchern und Zeitschriften, die laufend ergänzt wird. Sie nicht zu beachten, kann bei einer der üblichen Hausdurchsuchungen üble Folgen haben. Viele Studierende und Dozenten wurden verhaftet, nachdem bei ihnen verbotene Literatur gefunden worden war. (...) Selbstverständlich sind die bei uns verbotenen Bücher und Zeitschriften in Israel erlaubt und liegen möglicherweise zum Kauf aus. Mit den tausend Schikanen (...) verfolgen die israelischen Behörden unausgesprochen zwei Ziele: Sie wollten die wirtschaftliche Entwicklung behindern und die Menschen, insbesondere die Intellektuellen, derart zermürben, daß sie auswandern."

Der radikale Rabbiner Benni Elon tritt dafür ein, daß alle Araber freiwillig ihr Heimatland, das Westjordanland verlassen sollten. "... wenn ich Regierungschef wäre, würde ich die Araber davon zu überzeugen versuchen, daß die Gründung eines PLO-Staates nur zu einem Desaster führen kann. Ich würde ihnen vorschlagen, auf die andere Seite des Jordans zu wechseln." Das so frei werdende Land, sagt Elon im Spiegel-Interview, "müssen wir mit Millionen Juden besiedeln, die noch aus der Diaspora nach Israel einwandern müssen."

Der Traum vom ‚Eisernen Vorhang'

Elon plädiert für "eine vollständige Trennung beider Völker" als "einzige Möglichkeit". Anfang 1995 sprach sich Israels Ministerpräsident Rabin für einen ‚Eisernen Vorhang' aus, der Juden und Palästinenser voreinander sichern sollte. Der elektronisch gesicherte Zaun hätte durch Täler und über Berggipfel verlaufen sollen, mit Videoüberwachung an unübersichtlichen Stellen. Bei Tageslicht hätten Helikopter häufig Patrouille fliegen, in der Dunkelheit Hundestaffeln und Soldaten mit Nachtsichtgeräten das Gelände durchkämmen sollen. Da gebrauchte auch der Spiegel das Wort ‚Apartheid'.

Apartheid im Gaza-Streifen

Identitätskontrolle im Gaza-Streifen. "Die Israelis reden ständig von ihren Sicherheitsinteressen. Ließen sie uns jedoch unsere Würde, gäbe es keine Gefahr für ihre Sicherheit." Palästinenser sehen Juden fast nur in Waffen, was für sie eine Provokation ist. Mit einem Gewehr zwischen ihnen können sich Menschen nicht wirklich näher kommen.

Uns Mitteleuropäer erinnern solche Visionen an den Eisernen Vorhang, der einst die kommunistischen von den kapitalistischen Ländern trennte. Aussperrung nach kommunistischer Machart hat indes in Israel Tradition. Bassam Abu Scharif, der einem jahrhundertealten Jerusalemer Patriziergeschlecht entstammt, erzählt, wie er Israels Sieg im Sechstagekrieg 1967 erlebte: "Damals studierte ich an der AmericanUniversity in Beirut und wollte nach Hause in meine Vaterstadt Jerusalem. Israelische Truppen hielten mich davon ab, ich durfte nicht zu meiner Familie zurück." Im Flüchtlingslager Rafah im Gazastreifen verläuft die Grenze mitten durch das Lager. Stacheldrahtbarrikaden haben ganze Familien auseinandergerissen.

Aussperrung intellektueller Art erfahren die Studierenden an palästinensischen Universitäten wie Bir-Zeit, Gasa und Nablus. Oft werden die Lehranstalten von der israelischen Besatzungsmacht wochen- oder monatelang geschlossen. "Öffnet die Universitäten, schließt die Gefängnisse", lauten die Aufschriften auf Protestbändern bei Demonstrationen der Ausgesperrten.

In ZeitenSchrift Nr. 10 publizierten wir schon jene Aussage des zionistischen Rabbis Stephen Wise, wonach es zwischen Judaismus und Kommunismus keinen Unterschied gebe. Jack Bernstein schreibt, es seine Irreführung der Medien, die die Welt glauben mache, Israel sei ein Bollwerk gegen den Kommunismus. Wahr sei vielmehr, daß Israel das einzige Land im Nahen Osten sei, welches kommunistische Parteien erlaube; es gibt mehrere davon. Gerade die arabischen Länder verböten hingegen kommunistischen Parteien, politisch tätig zu sein (mit Ausnahme von Nordjemen). Etwa ein Drittel der Knesset, also des israelischen Parlaments, gehöre zu einer von Israels kommunistischen, sozialistischen oder anderen marxistisch orientierten Parteien.

Die Verbindungen Israel-Rußland sind nur schon durch die Einwanderung eng geknüpft. Bernstein und Schahak schreiben beide, daß die überwiegende Mehrheit aller in Israel ansässigen Juden aus Polens Ostgebieten, Weißrußland, der Ukraine und anderen russischen Teilstaaten eingewandert ist. Selbst als die Sowjetunion noch kommunistische Diktatur war, erlaubten ihre Führer Hunderttausenden von Juden (manche sprechen gar von einer Million), nach Israel auszureisen, während keine andere Bevölkerungsgruppe dieses Recht genoß. Auch jetzt, nach dem Zusammenbruch des altenSowjetregimes, stellen die Russen das größte Kontingent an Einwanderern. Sie sind so stark, daß ihr Anführer Natan Scharanski eine Partei gründen konnte, die Israel B'Alija, die sich als reine Sachwalterin der neu zugewanderten Russen sieht und die auf Anhieb sieben Sitze in der Knesset gewann. Scharanski prophezeit denn auch, "Wir werden diesen Staat russifizieren." Dennoch ist das Leben für die neuen Russen in Israel kein Zuckerlecken. Sie gehören zu den Unterprivilegierten. "Die Menschen hier sind ungesellig und unfreundlich zu Fremden", beklagt sich Lena Gontscharowa aus Gomel, die sich mit ihrem Freund Eduard in Tel Aviv einen Friseursalon aufgebaut hat. Der Spiegel bemerkt dazu, "in Rußland wurden sie als Juden, in Israel werden sie als Russen beschimpft."

Die neu zuziehenden russischen Juden sind materialistisch und überhaupt nicht fromm. Viele von ihnen scheren sich keinen Deut um den Sabbat, und ihre Metzger verkaufen zum Teil auch Schweinefleisch. "Israel ist ihr gelobtes Land, nicht weil es das Land ihrer Väter ist, sondern weil man dort gut leben kann", kommentiert der Spiegel.

Anzufügen bleibt natürlich, daß Israel auf keinen Fall im Wortsinne das Land der, Väter' jener Aschkenasim-Juden sein kann. Wie wir schon in ZeitenSchrift Nr. 10 darlegten, stammen die aschkenasischen Juden von den Chasaren ab, deren Geschichte Jack Bernstein (selbst ein aschkenasischer Jude) so erzählt: "Die aschkenasischen Juden, die gegenwärtig 90 Prozent der Juden auf der Welt umfassen, hatten einen ziemlich seltsamen Ursprung. Den Geschichtsschreibern zufolge, darunter viele jüdische, traten die aschkenasischen Juden vor etwa 1'200 Jahren in Erscheinung. Es geschah hierdurch: An der östlichen Ecke Europas lebte ein Volksstamm, bekannt als die Chasaren. Um das Jahr 740 n.Chr. beschlossen der Chasarenkönig und sein Hof, sie sollten für ihr Volk eine Religion annehmen. So wurden Vertreter der drei Hauptreligionen - des Christentums, des Islams und des Judentums - eingeladen, um ihre religiösen Grundsätze vorzustellen. Die Chasaren wählten das Judentum, aber dies geschah nicht aus religiösen Gründen. Falls die Chasaren den Islam gewählt hätten, würden sie die starke christliche Welt erzürnt haben. Wenn sie das Christentum gewählt hätten, würden sie die starke islamische Welt erzürnt haben.

So handelten sie sicher - sie wählten das Judentum. Es war nicht aus religiösen Gründen, daß die Chasaren das Judentum wählten; es war aus politischen Gründen.

Die Chasaren wurden während des 13. Jahrhunderts zuweilen von ihrem Land vertrieben, und sie wanderten westwärts aus, wobei sich die meisten von ihnen in Polen und Rußland ansiedelten. Diese Chasaren sind nun bekannt als aschkenasische Juden. Weil diese chasarischen, bzw. aschkenasischen Juden lediglich das Judentum wählten, sind sie" - so Jack Bernstein "keine wirklichen Juden - zum mindesten keine blutsmäßigen Juden."

Wenn der orthodox-religiöse Rabbi Benni Elon fordert, die Palästinenser müßten freiwillig auf das Land verzichten, auf dem sie seit Jahrhunderten lebten, und der Spiegel' ihn dann kritisch fragt, wie er darauf komme, daß sie ihre angestammte Heimat einfach verlassen sollten, antwortet Elon:

"Die entscheidende Frage ist doch: Wer hat die tieferen Wurzeln in diesem Land, die Araber oder wir?" Eingedenk dessen, daß 80 bis 90 Prozent der israelischen Juden Aschkenasim sind, deren Vorfahren niemals im Lande Palästina lebten und das Judentum, wie Bernstein sagt, erst viele Jahrhunderte nach biblischer Zeit aus politischen Erwägungen annahmen - dann erstaunt eigentlich, daß er, der gelehrte Rabbi, sagen kann, "Ich kenne die Antwort auf diese Frage (nach den älteren Wurzeln im Lande Palästina) auch nicht."

Zurück zu Jack Bernstein. "Diese polnischen und russischen aschkenasischen Juden praktizierten ihre Geschichte hindurch den Kommunismus/Sozialismus", schreibt er. In den letzten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts habe man daher eine bemerkenswerte Anzahl jener kommunistischen/sozialistischen Juden in Deutschland, auf dem Balkan und schließlich in ganz Europa gefunden. "Wegen ihrer Einmischung in die sozialen und staatlichen Angelegenheiten von Rußland wurden sie die Zielscheibe der Verfolgung durch die Zaren. Deswegen begann die Auswanderung dieser kommunistisch/sozialistisch ausgerichteten Juden. Einige gingen nach Palästina; einige nach Zentral- und Südamerika, und eine große Anzahl von ihnen kam in die USA."

Eine von Israels bekanntesten Institutionen, das Kibbuz, entstammt denn auch marxistischem Gedankengut. Ein Kibbuz ist ein landwirtschaftliches, manchmal auch ein industrielles Unternehmen. Jedes der israelischen Kibbuzim, schreibt Bernstein, sei mit einer von Israels marxistischen Parteien verbunden. Gemäß kommunistischem Ideal teilen sich die Mitglieder des Kibbuz alle Dinge gleichmäßig; und erhalten Kleidung, Nahrungsmittel und ein kleines Taschengeld als einzige persönliche Habe. Alle Gewinne des Unternehmens gehen für zukünftige Verwendung auf das Kibbuz-Konto.

Das heutige Israel wird gemäß Professor Schahak von den beiden Nachfolgern des historischen Judaismus gleichermaßen beherrscht, wie auch auseinandergerissen: dem Zionismus und der jüdischen Orthodoxie. "Beide sind verschworene Feinde einer offenen Gesellschaft", merkt Schahak an. "Die israelisch-jüdische Gesellschaft steht vor der Wahl zwischen zwei Alternativen. Sie kann zu einem völlig geschlossenen und kriegsähnlichen Ghetto, einem jüdischen Sparta werden, das durch die Arbeit arabischer Heloten (Bezeichnung für die Sklaven Spartas, die Red.) unterstützt und aufrechterhalten wird durch seinen Einfluß im politischen Establishment der USA sowie durch Drohungen, seine Atomwaffen zu gebrauchen - oder es kann zu einer offenen Gesellschaft werden", schreibt Schahak in seinem 1994 erschienenen Buch. "Die zweite Wahl ist verknüpft mit einer aufrichtigen Untersuchung seiner jüdischen Vergangenheit unter dem Zugeständnis, daß jüdischer Chauvinismus und Exklusivismus existiert - und einer ehrlichen Untersuchung der Haltung des Judaismus gegenüber Nichtjuden."

Die ,Glorifizierung der Unmenschlichkeit'

Schahak wird von großer Sorge um sein Heimatland getrieben. "Es ist die Glorifizierung der Unmenschlichkeit, die nicht nur von den Rabbis ausgerufen wird, sondern auch von jenen, welche als die größten und sicherlich einflußreichsten Gelehrten des Judaismus angesehen werden, die wir bekämpfen müssen", fordert er. Es könne kein Zweifel daran bestehen, daß die schrecklichsten Akte der Unterdrückung auf der West-Bank durch jüdischen Religionsfanatismus motiviert würden. "Anders als Stalins gezähmte Gelehrte, sehen sich die Rabbiner - und vielmehr noch die hier angegriffenen Gelehrten, und mit ihnen der ganze Mob gleichwohl schweigender geistiger Normalverbraucher wie Schriftsteller, Journalisten, öffentliche Figuren, welche mehr als jene lügen und irreführen - nicht mit Todesgefahr oder Konzentrationslager konfrontiert, sondern nur mit gesellschaftlichem Druck; sie lügen aus Patriotismus, weil sie glauben, es sei ihre Pflicht, für das zu lügen, was sie als jüdische Interessen ansehen. Sie sind patriotische Lügner, und es ist derselbe Patriotismus, welcher sie zum Schweigen bringt, wenn sie mit der Diskriminierung und Unterdrückung der Palästinenser konfrontiert werden. - Im gegenwärtigen Fall", so Schahak, "sind wir auch mit einer anderen Gruppenloyalität konfrontiert - doch mit einer, die von außerhalb der Gruppe stammt, und welche manchmal noch schädlicher ist. Viele Nichtjuden (einschließlich Kirchenmänner und religiöse Laien, ebenso wie einige Marxisten aller marxistischen Gruppierungen) halten an der seltsamen Meinung fest, daß eine Weise, die Verfolgung der Juden zu sühnen, darin bestehe, nicht gegen das von Juden begangene Übel aufzumucken, sondern bei ihren Notlügen mitzumachen.

Die primitive Anklage des ‚Antisemitismus' (oder im Falle von Juden des ,Selbsthasses') gegen jeden, der über die Diskriminierung der Palästinenser protestiert, oder auf irgend eine Tatsache über die jüdische Religion oder die jüdische Vergangenheit hinweist, welche der ,offiziellen Version' widerspricht, kommt mit größerer Feindseligkeit von den nichtjüdischen ,Freunden der Juden' als von Juden selbst. Die Existenz und der große Einfluß dieser Gruppe in allen westlichen Ländern, und speziell der USA, erlaubt es den Rabbinern und Gelehrten des Judaismus, ihre Lügen nicht nur oppositionslos, sondern noch mit beträchtlicher Hilfe zu verbreiten."

Schahak hat sein aufrüttelndes Buch mit einer Motivation geschrieben, die wir mit ihm teilen: "Jede Form von Rassismus, Diskriminierung und Fremdenhaß wird mächtiger und politisch einflußreicher, wenn sie von der Gesellschaft, die sich ihr hingibt, für selbstverständlich genommen wird. Dies ist besonders dann so, wenn die Diskussion darüber verboten ist, sei es nun offiziell oder durch stillschweigende Übereinstimmung. Wenn Rassismus, Diskriminierung und Fremdenhaß unter Juden vorherrschen, und - gespiesen durch religiöse Motive - auf Nichtjuden angewandt wird, ist es wie mit dem gegenteiligen Fall von Antisemitismus und dessen religiösen Motiven. Während man heute über letzteres diskutiert, wird nur schon die Existenz des Ersteren allgemein ignoriert, und zwar stärker außerhalb von Israel als im Lande selbst." Es ist daher für das Wohl Israels und aller rechtschaffenen Juden immens wichtig, daß die Welt - ähnlich wie es mit Südafrika geschah - erstens weiß, was aus welchen Motivationen geschieht, und zweitens allen in Palästina lebenden Menschen zu einem menschenwürdigen, achtungsvollen neben- oder besser noch miteinander Leben verhilft.

Wir geben das Schlußwort Noa Ben Artzi-Pelossof, der Enkelin des ermordeten Yizhak Rabin: "In meinen Augen ist Israel wie ein gespaltener Körper, die eine Hälfte ist gesund, die andere krebszerfressen. Und dieser Krebs ist die extreme Rechte. Es war der Krebs, der Großvater tötete. Es ist der Krebs, der noch immer versucht, Israel zu töten. Wie können wir uns von dieser Krankheit befreien?"

Quellenangaben

  • Anmerkung: Alle hier gemachten Äußerungen und Tatsachen stammen aus folgenden Zeitungen und Zeitschriften: Neue Zürcher Zeitung, St. Galler Tagblatt, Basler Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Spiegel, Fokus, Stern, Time Magazine, Facts, sowie aus den Büchern von Professor Israel Schahak, Jack Bernstein und Noa Ben Artzi-Pelossof (der Enkelin Rabins), Sumaya Farhat-Naser, sowie aus dem Jüdischen Lexikon. Um die Lesbarkeit des Artikels zu erleichtern, verzichten wir darauf, jedes Mal anzugeben, woher ein Zitat stammt. Es wäre uns aber ein Leichtes, die Quelle jederzeit nachzuweisen.