Die erste Begegnung mit einem Wal - das ist ein Augenblick, der oft das Leben eines Menschen verändert: man beginnt sich selbst in dieserWelt anders wahrzunehmen. Das vermag ein einziger Wal.
Paul Watson
Ihre Verwandtschaft mit dem Menschen auf der Ebene der neurologischen Entwicklung weckt Staunen und Ehrfurcht in uns.
Peter Morgane
Die Angst des Menschen vor dem Orcaist zweitausend Jahre alt. Mindestens. Das hat ihm die Namen 'Mörder-' und 'Killerwal' eingetragen. Kein Wunder, verspeist ein Orca doch einen weißen Hai wie Menschen eine Ölsardine. Erzählt man sich von ihm, daß er Riesenwale töten würde, nur um deren Zunge und Lippen zu fressen. Für Paul Spong sind Orcas die zärtlichsten, liebevollsten, sanftesten Freunde geworden. Sie behandeln ihn wie ihresgleichen -mit derselben Zartheit, Fürsorglichkeit und Vernunft. Spong: "Die Orcas haben gelernt, zusammenzuleben und ihre enorme physische Kraft zu kontrollieren. Sie haben gewaltfreie Methoden zur Lösung sozialer Konflikte entwickelt. Ihre Lebensprinzipien sind Kooperation, Koordination, Kommunikation, Vertrauen, gegenseitige Unterstützung und totale individuelle Freiheit. Sie haben keine Geheimnisse voreinander, gehen sich nicht auf die Nerven und teilen alles. Ihre sozialen Systeme funktionieren - im Gegensatz zu denen des Menschen. Was sie vorleben, würde bei uns Weisheit genannt."
Der 59jährige Psychologe, der an der Küste von British Columbia (Westkanada) lebt, beobachtet die Orcas schon seit über dreißig Jahren.
Er tut dies, indem er sich unter sie gesellt - mit seinem Kajak beispielsweise. Denn noch immer wissen wir Menschen erbärmlich wenig über die 'Erzengel der Meere' (D.H. Lawrence) und die Lebensweise jener Kreaturen, deren Gehirn gut viermal so groß wie das des Menschen ist - obwohl auch im Namen der Wissenschaft in den letzten Jahren zwei Millionen dieser herrlichen Geschöpfe dahingemetzelt wurden. Kein Wunder, urteilt Paul Spong, habe der Mensch eine deutlich geringere Zivilisationsstufe erreicht als der Wal.
Von seiner anfänglichen Scheu vor den 'Killerwalen', die gern einen Seehund schon zum Frühstück verspeisen, wurde Paul Spong von der Orcadame Skana geheilt. Er kannte ohnehin nur zwei Fälle, in denen Orcas tatsächlich Menschen angegriffen und getötet hatten. Einer hatte sich 1956 in British Columbia ereignet. Zwei Holzfäller ließen gefällte Baumstämme einen zum Meer hin abfallenden Hang hinuntergleiten. Als sie unter sich einen Trupp Orcas schwimmen sahen, ließ einer der Holzfäller einen Stamm absichtlich so hinuntergleiten, daß er einen der Wale am Rücken traf und ihn verletzte. Die Wale zogen ab. Als die beiden Holzfäller jedoch abends zu ihrem Lager zurück ruderten, tauchten die Wale wieder auf und brachten das Boot zum Kentern. Einer der Männer verschwand. Es war genau jener, der den Stamm absichtlich auf die Wale hinuntergestoßen hatte... Der andere blieb unverletzt und kam mit dem Leben davon, um von dieser Geschichte zu berichten.
1969 arbeitete der damals 30jährige Paul Spong im Public Aquarium in Vancouver. Mit dem jungen Orca-Weibchen Skana hatte er sich schon ein ganzes Jahr lang beschäftigt, aber erst jetzt lernten sie sich etwas besser kennen. Skana mochte es, wenn er ihr mit den Händen oder den nackten Füßen Kopf und Körper rieb. Sie gestattete Spong, auf ihrem Rücken und Kopf entlangzugehen. Manchmal ließ sie sich leicht absinken und ermunterte ihn so, mit ihm im Wasser zu spielen. "Eines frühen Morgens saß ich auf einer Trainingsplattform am Rand von Skanas Becken", berichtet Paul Spong, "und ließ die Füße ins Wasser baumeln. Skana kam, wie sie es immer machte, langsam näher, bis sie nur noch ein paar Zentimeter von meinen Füßen entfernt war. Da sperrte sie plötzlich ohne Vorwarnung den Mund auf und fuhr mir damit über die Füße, so daß ich spürte, wie ihre Zähne an Sohlen und Fußoberseite entlangschleiften. Natürlich zog ich meine Füße sofort aus dem Wasser. Nach dem ich eine Weile nachgedacht und mich von dem Schreck erholt hatte, tauchte ich meine Füße wieder ins Wasser. Wieder kam Skana und fuhr mir mit geöffnetem Mund über die Füße. Wie vorhin zog ich sie zurück, streckte sie aber kurze Zeit später erneut ins Wasser, und der gleiche Vorgang wiederholte sich noch einmal. So ging es zehn- oder elfmal, bis ich schließlich dasitzen konnte, die Füße im Wasser, und den Impuls zurückzuweichen, wenn sie mir mit den Zähnen über die Füße fuhr, unter Kontrolle hatte. An diesem Punkt hörte sie auf. Bemerkenswerterweise spürte ich keinerlei Angst mehr. Wirkungsvoll und schnell hatte sie mir die Angst vor ihr abgewöhnt!"
Paul Spong erkannte, daß die Angst des Menschen das Haupthindernis zwischen Wal und Mensch bildete. Gerade Orcas sind vermutlich angstfreie Geschöpfe, denn sie haben im Meer keinen natürlichen Feind und kennen auch keine Nahrungsnot, da sie theoretisch alles fressen können, was im Meer sich bewegt. Und mit ihrem einzigen 'überlegenen', blutrünstigen Feind zeigen die Orcas eine Liebe und Langmut, die uns beschämt.
"Je mehr ich mich auf diese Geschöpfe geistig einließ, desto größer wurde mein Respekt vor ihnen", erzählt Spong. "Und schließlich kam meine Achtung vor ihnen der Ehrfurcht nahe! Ich erkannte, daß Orcinus orca ein unglaublich kraftvolles und begabtes Wesen ist, das sich durch große Selbstkontrolle und ein sehr genaues Bewußtsein für das, was um es herumgeschieht, auszeichnet, ein Wesen voller Lebensfreude mit einem gesunden Humor und darüber hinaus mit einer bemerkenswerten Zuneigung und einem regen Interesse für die Menschen."
Zuerst hatte Spong versucht, mit einem Bombardement an Musikstücken, kurzen und langen Tonfolgen und Schallwellen jeder erdenklichen Form vom Ufer aus die Aufmerksamkeit der dort rege schwimmenden Orcas zu fesseln. Die Reaktion der Wale war praktisch null. Als jedoch eine Live- Band an Bord eines Schiffes für die Wale aufspielte, schwammen mehr als ein Dutzend junger Orcas mehr als anderthalb Kilometer weit in einer Linie auf gleicher Höhe, wobei sie sich etwa dreißig Meter hinter dem Schiff ständig an der Oberfläche bewegten. "Wir hatten jedenfalls den bestimmten Eindruck, daß die Wale an Live-Musik tatsächlich interessiert waren, während sie sich für Musikkonserven nicht besonders interessierten. Woher dieser Unterschied? Vielleicht spielte die höhere Tonqualität der Live-Musik ebenso eine Rolle wie die Präsenz der Musiker", mutmaßt Spong.
Die Gesellschaftsstruktur der 'Killerwale' ist im Tierreich einzigartig. Alle Kinder verbleiben ihr ganzes Leben beider Mutter, dem sozialen Herzen der Familie. Fortpflanzung innerhalb der Familie ist tabu. Daher werden die Babies bei großen, partyähnlichen Treffs gezeugt. Die Begattung von Orcas ist noch niemals beobachtet worden, doch sind Kämpfe um das Weibchen den Schwertwalen ebenso fremd wie Dominanzgehabe oder Auseinandersetzungen um Revier oder Nahrung.
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