Diese einerseits logische und dennoch überraschende Erkenntnis verdanken wir einem chassidischen Rabbiner: Yonassan Gershom, der mit über 250 Menschen sprach, die in Träumen und Visionen immer wieder ihr schreckliches Ende als Opfer des Holocaust erlebten.
„Wir fahren zu einem Ort, wo es Züge hat. Wir werden ausgeladen, wir geben ihnen unsere Namen – Stefan und Heleen Horwitz –, und sie sagen: ‚Dort hinüber! Ihr alle, los, dorthin!‘ So steigen wir in diesen Eisenbahnwagen, in dem noch viele andere sind. Es riecht schrecklich. (...) Die Tür wird geschlossen, aber wir sind alle zusammen. Der Zug fährt los...
Es dauert schon einige Tage, und wir haben noch nichts zu Essen bekommen. Wir haben kalt und sind hungrig. Der Zug fährt immer weiter. Man verliert das Gefühl für Zeit und Distanz. Jetzt sind wir in einem anderen Land. Sie sagen, es sei ein Lager.
Jeder Waggon wird entladen, einer nach dem anderen, und die Leute werden gestoßen und geschoben und vorangetrieben. Wir werden auch ausgeladen und es tut gut, endlich wieder richtige Luft zu atmen. Nun gehen wir auf einen Posten zu, wo wir angehalten werden und unsere Namen angeben müssen. Sie sagen, die Kinder müßten auf diese Seite gehen, und Heleen sagt: ‚Nein! Ich will meine Kinder bei mir haben!‘ Und sie sagen: ‚Nein, die Kinder hier.‘ Großpapa ist immer noch hinter uns, aber er ist sehr schwach und alt...
Heleen und ich werden an einen Ort geschickt, wo man uns trennt. Ich gehe hinein... Ich muß mich ausziehen... Sie sagen, ich sei ein dreckiger Jude und solle mich setzen... Sie rasieren mein Haar – es fühlt sich schrecklich an, als es mir auf die Schultern fällt. Ich frage mich: Warum muß ich das tun? Dann geben sie mir Kleider. Es sind nicht meine Kleider... ‚Dies sind deine neuen Kleider...‘ Sie schicken mich in einen Raum mit vielen Schlafkojen. Dort hat es noch andere Leute. Ihre Köpfe sind rasiert. Sie sehen hungrig aus, aber sie strahlen noch Lebensgeist aus. Vertraue unserem Gott... Es ist kalt hier...
Heute liegt ein merkwürdiger Geruch in der Luft – er erinnert mich an den Geruch, den es gab, wenn Mama ein Huhn kochte. Es hilft, den Hunger in meinem Magen zu besänftigen. Ich frage: ‚Was ist das?‘ Und alle starren mich an. Einer sagt: ‚Weißt du das nicht? Das ist der Geruch der toten Leute. Sie sagen, man muß sie beseitigen, damit wir nicht alle auch krank werden und sterben.‘ Was herunterkommt, sieht wie Schnee aus, aber es ist mehr wie Staub. Ich strecke meine Hand aus, und sie wird staubig...
...Nun ist es Frühling (etwa sechs oder sieben Monate später). Eigentlich ist es warm, aber ich habe kalt. Sie nennen mich ‚Jude‘. Es hat mehrere von uns hier. Sie bringen Heleen herbei. Ich sehe Männer auf Pferden, ihre Lederstiefel und ihre hübschen Sättel. Es müssen etwa zwei Dutzend von uns sein. Wir müssen gehen und gehen. Wir werden durch ein Tor geführt, und die Pferde gehen an unserer Seite. Man spürt, wie die Leute uns anstarren und beobachten. Meine Kleider sind zu groß, ich muß sie immer heraufziehen. Ich darf Heleen nicht berühren. Sie treiben uns immer weiter. Aus den Augenwinkeln sehen wir hinter uns das Lager...
Wir kommen an einen Ort, wo es einen Graben hat, aber ich kann nicht hineinsehen. Leute stehen vor uns, sie werden erschossen und in den Graben gestoßen, und sie fallen... Ich weiß, was jetzt passiert... Ich sehe Leute, es hat so viele Leute im Graben. Einige bewegen sich noch. Dann spüre ich es plötzlich – wie ein heißes Messer, das durch mich hindurchfährt. Sie schießen mir in den Rücken, und ich falle. Ich bin noch nicht tot. Andere fallen... auf mich. Sie werden so schwer... Ich kann nicht mehr atmen."
Der Mann, der dies erzählt, ist
niederländischer Herkunft und Mitglied der Pfingstbewegung, nachdem er in seiner Kindheit der Vereinigten Kirche Kanadas angehörte. Er wurde in die Nachkriegs-Babyboom-Generation geboren und hatte in diesem Leben niemals mit Juden Kontakt. Doch plötzlich im Jahre 1991 begannen ihn eigenartige Träume zu quälen. Träume von einem Juden, der sich mit seiner Familie in einem Keller versteckte. Träume von Massengräbern, Baracken, Uniformierten in schwarzen Stiefeln. Bruce Whittier, so sein Name, konnte damals noch nicht wissen, daß es hunderte, ja vermutlich Tausende Menschen auf der Welt gibt, die von ähnlichen Träumen gepeinigt werden, von aufblitzenden Visionen und Tagträumen, oder geplagt von Ängsten, deren Grund sie nicht kennen – denn es gibt nichts in diesem Leben, was ihnen Uniformierte in schwarzen Stiefeln jemals angetan hätten – oder Stacheldraht oder gar Eisenbahnwaggons.
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