Es geht nicht an, dass Staat und Kirche dem Menschen vorschreibt, wie und was er glauben soll. Allerdings lauern auf dem "geistigen Weg" Gefahren, die ein Suchender kennen sollte. Denn "Seelenfallen" gibt es in der Tat. Wahre Liebe und völlige Selbstlosigkeit sind der einzige Kompass, der dem Suchenden im Dschungel der Esoterik den richtigen Weg zu weisen vermag - und das Wissen um gewisse geistige Gesetze.
Haben Sie das Jahr 2000 gut überstanden? Verkraftet, daß kein Ufo uns geholt hat und der Herr auch nicht auf einer Wolke herniederschwebte? Erstaunt, daß ein Jahr mit so außergewöhnlicher Zahl sich so sehr in den Bahnen des Normalen bewegte - mit, bedauerlicherweise, einigen Naturkatastrophen, Flugzeugabstürzen, politischen Klüngeleien - aber ohne Polsprung, Kataklysmus, Meteoriteneinschlag und was sonst noch dem Jahr der großen Zeitenwende angemessen gewesen wäre, da ja prophezeit worden war, daß ein neuer Himmel eine neue Erde überspannen werde?
Ganz abgesehen davon, daß das neue Jahrtausend erst am 1. Januar 2001 begonnen hat, ist es ein großer Trugschluß anzunehmen, die großen Erdbeben, von denen gesprochen und orakelt wurde, geschähen in der physischen Welt. Ja,der Mensch malträtiert die Erde in einer Weise, die sie nicht auf sich sitzen lassen kann - doch die großen Erschütterungen gehen im seelischen Bereich vor sich. Und, seien Sie mal ehrlich: Wie hätten Sie reagiert, wenn der Herr tatsächlich gut sichtbar auf einer weißen Wolke vor Ihnen im Gras oder auf der Autobahn gelandet wäre? Ist es in Wahrheit nicht so, daß die Juden die Wiederkunft ihres Messias erwarten, die Christen ebenso - aber keiner wirklich damit rechnet, daß es geschehen könnte während seiner Lebenszeit? Und, ganz im Gegenteil, von einer solchen Tatsache regelrecht aus der Bahn geworfen würde? Einmal abgesehen davon, daß Er natürlich nicht auf einer weißen Wolke wiederkommt!
Weshalb würden so viele von uns aus der Bahn geworfen, wenn all diese verheißenen, lang 'ersehnten' Dinge sich tatsächlich ereigneten? Weil wir gerne im Reich unserer Träume und Illusionen verharren, die Realität von uns aber Taten verlangen würde? Entscheidungen?
Weil es hübsch ist, ab und an darüber zu meditieren, daß wir in einer ach so besonderen Zeit leben und großes Licht auf die Erde scheint, wir aber um keinen Preis möchten, daß unser Leben aus dem angenehmen Alltagstrott hinauskatapultiert würde und wir uns plötzlich aufs Wesentliche zu konzentrieren hätten?
Denn, nicht wahr, wie unser 'Weg zur Erleuchtung' verläuft, das bestimmen wir doch gerne selber. Ob wir jetzt gerade Lust haben, diesen Kurs oder jene Meditation zu besuchen; ob wir auf unsere Skiferien verzichten mögen, nur weil zur gleichen Zeit ein Selbsterfahrungswochenende stattfindet. Schnee hat's nur noch bis März, aber die Selbsterfahrung kann noch das ganze Leben stattfinden.
In unserer Zeit wimmelt es von geistigen Schmetterlingen, die von einer verlockenden Blüte zur nächsten schaukeln, die es lieben, sich im Schein der Sonne zu wiegen und glücktrunken ihre schönen Flügel betrachten. Die zwar davon reden, daß sie sich auf dem 'geistigenPfad' befinden, aber gleichzeitig sagen, 'Der Weg ist das Ziel'-und daher ziellos im Kreis herumgehen. Ihr einziges Ziel ist ihr eigenes Wohlbefinden, weshalb sie allem Gestrüpp, jedem Stolperstein und jeder Steigung ausweichen und immer weiterwandern im Dschungel ihrer eigenen Vorstellungen und Träumereien, nicht merkend, daß ihr Weg zu immer stärkerer Nabelschau und Selbstsucht führt. Meist sind sie angenehme Zeitgenossen, vergnügt vor sich hin sprudelnd wie bester Champagner, der genauso explodiert, wenn auf ihn Druck ausgeübt wird, wie diese menschlichen Schaumweine. Druck ist nicht vorgesehen in ihrer weichgespülten New Age-Welt. Etwas aushalten müssen - nein, danke! Alles hat schön und friedlich zu sein; wofür hat man schließlich die Engellegionen, wenn nicht dafür, daß sie einem rechtzeitig alle Wege ebnen und alle Türen öffnen?
Der wahre Sucher auf dem Pfad weiß, daß solche Nabelsucher nur sich selbst betrügen. Niemand kann sich auf einen Weg begeben, der nicht anerkennt, daß es ein Ziel gibt, und der nicht bereit ist, dieses Ziel anzusteuern über alle Hindernisse hinweg. Wer sich nur mit beschränkter Haftung an das Ziel hingibt, hat keine Chance, es zu erreichen. Andrew Cohen, prominenter Kritiker 'spiritueller Korruption', sagte in einem Interview: "Die moderne spirituelle Welt ist in einem Zustand der Krise, auch wenn das anscheinend nur wenige merken. Ich glaube, der Grund, warum sie es nicht merken, ist ihr eigener geringer Anspruch." So viele wollen heute, so Cohen, "nur ihrem Leben einige spirituelle Gefühle hinzufügen."
Wer nun annimmt, nur immer zielbewußt seine eigene Erleuchtung anzustreben sei bereits der richtige Weg, befindet sich in Wirklichkeit schon wieder in einer Sackgasse. Cohen sagt es so:"Es läuft alles auf den zentralen Punkt hinaus, nichts für sich selbst zu wollen. Wenn ein Lehrer etwas für sich selber will, ist sein Interesse, anderen zu helfen, korrumpiert. Wenn ein Suchender etwas für sich selber will, ist seine Suche nach spiritueller Erleuchtung und Einsicht durch dieses Bedürfnis ebenso korrumpiert. Ein ernsthafter und leidenschaftlicher spiritueller Lehrer wird von einem Sucher verlangen, alles zu geben, um frei zu werden und um die Wahrheit zu erfahren."
Alles oder nichts. Ganz oder gar nicht: Solche Forderungen klingen manch einem gefährlich in den Ohren. Funktionieren nicht gerade 'totalitäre Sekten' mit 'machtgierigen Gurus' nach dieser Formel? Sich mit Haut und Haar verkaufen zu müssen, mit Geld und Geist zu versklaven?
In der Tat lauert diese Falle auf dem geistigen Weg. Denn, wie es das alte Buch der Goldenen Lebensregeln beschreibt, gibt es drei Hallen, die der Suchende durchschreiten muß. Aus der ersten Halle des Unwissens, in der die große Masse der Menschheit träge lebt, bricht dann und wann ein Mensch auf, getrieben vom Ruf seiner Seele und dem Wunsch, daß es doch noch mehr im Leben geben muß. Mehr Tiefe, mehr Wahrheit, mehr 'Dinge hinter den Dingen'. Er kommt als erstes auf seinem Weg in die zweite Halle - die Halle des Lernens. Sie ist voll trügerischer Schönheit, voll verheißungsvoller, aber falscher Blüten. Sie berauscht die Sinne, umgarnt den Sucher mit Sirenengesang, will ihn in diese und jene Falle locken - und wehe dir, wenn du dich in ihr verirrst! Die zweite Halle ist da, um den Suchenden auf die Probe zu stellen. "Hüte dich, Geliebter, daß nicht deine Seele, geblendet von der täuschenden Strahlung, verweilt und gefangen wird im trügerischen Licht." Denn, "dieses Licht leuchtet hervor aus dem Edelstein des 'Großen Umgarners' (Mara). Es verhext die Sinne, verblendet das Denken und läßt den Unvorsichtigen zurück als ein verlassenes Wrack.. (...)Willst du befreit sein von den Ketten des Karma, so halte nicht Ausschau nach deinem Guru in diesen Gefilden der Maya" (Maya ist das Sanskritwort für die Illusion, die durch unsere Sinneswahrnehmung und unser menschliches Denken hinsichtlich unserer' Sicht der Welt' entsteht), warnt das Buch der Goldenen Lebensregeln.
Millionen von Suchenden lassen sich blenden und bleiben, blind für die wahre Realität, in dieser Welt des schönen spirituellen Scheins hängen. Offen gestanden gibt es wohl kaum einen Suchenden, der nicht da und dort in die Falle tritt, länger als nötig bei dieser oder jener Blüte verweilt. Dies ist keine Schande. Doch hier zeigt sich, wie gut sein innerer Kompaß ist. Und dieser ist nur richtig eingestellt, wenn seine Motivation vollkommen rein ist. Sprich, wenn sie selbstlos ist. Will er etwas für sich erlangen, will er seine eigene Bedeutung, sein Glück, seinen Reichtum, sein Wohlleben steigern durch seinen (angeblichen) 'spirituellen Weg', oder will er auch einfach nur seinen Schmerzen, Sorgen, Ängsten und Schwierigkeiten im Leben entfliehen, dann wird seine Kompaßnadel im Kreise drehen und er sich mit ihr. Und er wird den Weg aus dieser Halle des trügerischen Lichts (des falschen Lichts) nicht mehr herausfinden.
Doch wenn er erkennt, daß etwas an dem, was er tut, nicht richtig sein kann, dann soll er sich für seine vergangenen Fehler nicht schuldig fühlen, sondern sich einfach sagen: "Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens, und dies will ich auf die richtige Weise leben, in der realen Welt wahren Lichts und Lernens" - und sein Bündel packen und sich aufmachen dahin, wo sein Herz ihn trägt, denn wenn seine Motivation selbstlos und rein ist und er sein Unterscheidungsvermögen benutzt, um die Blüten am Wegrand vorurteils- und schonungslos zu betrachten, dann wird er eines Tages finden. Schließlich muß aus jedem Sucher irgendwann ein Finder werden - ansonsten seine Suche nur Selbstzweck ist.
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