Sekten-Hysterie: Im Visier der neuen Inquisitoren

Wer da meint, die Verfolgung Andersdenkender oder Andersgläubiger habe in unserer aufgeklärten Zeit endlich ein Ende gefunden, irrt. Hier und heute werden Hundertausende aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu sogenannten "Sekten" angeprangert, ausgestossen und verfolgt. Eine unheimliche Allianz aus kirchlichen Sektenbeauftragten und linken Journalisten gebärden sich als die neue Inquisitoren.

"Glaubens-Dealer: Während die Europäer der Versuchung von neuen Kulten und Glaubensrichtungen verfallen, strecken die Regierungen die Waffen. Zu Recht?“ Titelbild des Time-Magazins vom 27. Januar 1997.

Zu Zeiten, als der Staat sich noch als der Vormund des Menschen gebärdete, war der höchste Feind im Land der Anarchist. In der Blütezeit der Industrialisierung, wo der Graben zwischen Arm und Reich zum gefräßigen Schlund sich weitete, war der Staatsfeind Nummer eins der Kommunist. Und heute? Ganz klar: Jetzt, da der Staat von der Mehrheit gelenkt wird und jeder nicht nur Butter, sondern auch Wurst auf dem Brot hat, ist der Staatsfeind Nummer eins jener, der sich nicht mit Butter und Wurst zufrieden gibt. Der den Hunger seiner Seele zu stillen sucht. Und weil die Kirchen in ihrer jahrhundertealten Form bis zur völligen Leblosigkeit erstarrt sind und ihr Brot spröd geworden ist, suchen immer mehr Menschen anderswo Nahrung für ihre Seele. Deshalb ist es nur logisch, daß die Worte "Sekte", "Sektenmitglied" oder auch "Sektierer" heute das sind, was früher der Anarchist und der Kommunist waren: das Schimpfwort, das einen Menschen aus der Gesellschaft ausgrenzt, ihn jeglicher guten Absicht beraubt, ja, zur eigentlichen Persona non grata macht. Denn der geistig Suchende ist es heutzutage, der mit seiner Lebensweise und Ausrichtung eine Bedrohung für die Mächtigen darstellt, geradeso wie es früher der Anarchist und der Kommunist waren.

Sie zweifeln daran? Nun, betrachten wir die Situation etwas genauer. Dem Menschen ist es heute auf vielfältige Weise gestattet, sich zugrunde zu richten. Er darf sich zu Tode trinken und rauchen oder Drogen konsumieren( die immer mehr legalisiert werden sollen), er darf seinen Willen und seine Moral (und, als Folge, seine Gesundheit) mit Pornos und abartigen Sexualpraktiken zugrunde richten, er darf sein Gemüt mit Gewaltdarstellungen paranoid machen oder, ganz harmlos, seine Gesundheit mit immer schlechterer, genmanipulierter, denaturierter Nahrung ruinieren. Er darf sein Geschlecht verändern, die Motive seines Transvestitendaseins im Fernsehen verständnisvollen Talkmastern erläutern und er darf seine Homosexualität offen zur Schau stellen und Beifall für seinen Mut einheimsen; er darf nur eines nicht: Sich auf kosmische Werte berufen, ethisch unanfechtbare Prinzipien haben oder gar unbeirrt einen geistigen Weg gehen, der ihn vielleicht auf Zeit oder für immer Mitglied einer geistigen Gemeinschaft werden läßt. Tut er dies, dann fällt er vom gesellschaftlichen Karren herunter, auf dem er als Alkoholiker, Drogenabhängiger oder Transvestit nicht nur mitreisen durfte, sondern auch noch von einer verständnisvollen Gesellschaft mit Samthandschuhen angefaßt wurde. Denn eine kranke Gesellschaft mag Gestrauchelte lieber als Aufrechte. Letztere könnten nämlich ein schlechtes Gewissen verursachen.

Und: Wirtschaft und Staat verdienen am Alkohol, an Zigaretten, an Industrienahrung und Pornos kräftig mit. Womit sich nicht so recht Geldmachen läßt, ist der Geist. Und da heute alle Macht dem Mammon gehört, ist klar, daß der Geist und jener Mensch, der den Geist sucht, der größte Feind der Gesellschaft sein muß.

Nichts als pure Heuchelei ist es daher, wenn selbsternannte Sektenjäger und Sektenbeobachtungsstellen behaupten, den Menschen nur vor sich selber schützen zu wollen. Denn wie gesagt, wenn es darum ginge, den Menschen vor sich selbst zu schützen, dann gäbe es zuerst viele andere Bereiche, in welchen sie aktiv werden müßten. Doch dies soll nicht unsere Stoßrichtung sein. Das Leben ist nun mal, um es mit dem lapidaren Wort auszudrücken, lebensgefährlich, und ohne Erfahrungen ist noch keiner klüger geworden. Doch was anderes als heuchlerisch ist eine Gesellschaft, die das ganz und gar nicht harmlose Haschisch legalisieren will (siehe ZS 23), also geistigen Flucht- und Degenerationsmitteln die Tür öffnet, jene aber verfolgt, die den Menschen wirklich geistig frei machen wollen und dem Leben Sinn verleihen?

Eines der Banner, das die Sektenjäger vor sich hertragen, heißt 'Freiheit'. Die sehen sie bedroht. Die möchten sie dem armen Sektenmitglied erhalten oder wiederverleihen. Nur: Welche Freiheit ist gemeint? Jene des Geistes, die allein wirklich frei zu machen vermag - nämlich (relative) Freiheit von Süchten, Trieben und wildernden Gedanken und Gefühlen - oder die sogenannte Freiheit der kapitalistischen Konsumgesellschaft? Die darin besteht, immer mehr Sex, Güter, Genußmittel und Macht zu erlangen? Die sich schließlich als perfide Falle entpuppt, da diese sogenannte Freiheit in Wirklichkeit nichts weiter ist als Triebabhängigkeit. Felix Flückiger, pensionierter Pfarrer der bernischen Landeskirche, sagt dazu in seinem Buch 'Sekten'-Jagd: "Und weil Triebe nicht steuerbar sind, sondern immer dasselbe Ziel anstreben, ist Triebabhängigkeit eine Form von Gleichschaltung. Die sexuelle Freiheit wurde proklamiert durch das Buch Die sexuelle Revolution des Freud-Schülers Wilhelm Reich. Und diese Revolution, das heißt die Freiheit, jedem sexuellen Triebverlangen nachzugeben, hat sich in weiten Kreisen durchgesetzt.(...) Sexuelle Lust, Begehren nach Konsum und Besitz und zunehmende Gewalt werden immer mehr eine Gesellschaft prägen, die ihr Leben selbstsüchtig, aus dem eigenen egoistischen Begehren und Wünschen bestimmen will. Es ist naheliegend, wenn auch nicht zu tolerieren, daß eine solche Gesellschaft den Menschen, die in ihrer Lebensorientierung an ethischen und religiösen Werten festhalten, mit Ablehnung und zunehmend sogar mit Haß begegnet."

Und so verwundert es nicht, daß die 'Sekten' heute die fundamentalste Gefahr für eine Gesellschaft darstellen, die Freiheit predigt und Versklavung betreibt; die den Individualismus verherrlicht, aber in ihrer Ausrichtung blindlings in die Gleichschaltung hineinläuft. Die wirklich Mächtigen von heute (die sich bekanntlich nicht gern dem Scheinwerferlicht der Publizität aussetzen)arbeiten daran, den Menschen so manipulierbar wie möglich zu machen. Dazu muß er aber sich selbst entfremdet und völlig von äußeren Stimulanzien abhängig sein. Da geistig Suchende gerade den entgegengesetzten Weg gehen - hin zur Selbst-Findung, zum verantwortungsvollen Leben, zu Quellen der Freude, die man nicht in der nächsten Boutique oder dem nächsten Hifi-Shop kaufen kann - sind sie ins Visier jener großen Marionettenspieler geraten. Und so reiht sich mittlerweile das Wort 'Sekte' ein in die Reihe der gesellschaftlichen Stigmata- Wörter wie 'Antisemit', 'Rassist' und 'Rechtsextremist'. Nicht, daß es diese nicht tatsächlich gäbe, bewahre, doch werden die Totschlagwörter als Mittel benutzt, Menschen oder auch Gruppierungen von einem Augenblick zum anderen als nicht mehr gesellschaftsfähig erscheinen zu lassen.

"Sektierer sind immer die anderen", schreibt der Religionswissenschaftler, Philosoph und Theologe Hubertus Mynarek in seinem Buch Die neue Inquisition - Sektenjagd in Deutschland. Stets waren es Minderheiten, die so bezeichnet wurden. Mynarek: "Auf einen ganz kurzen Nenner gebracht: "Wer die Mehrheit hat, hat recht; Sekte ist Minderheit. "Dabei, mahnt er an, "vergessen und verleugnen die Kirchen, daß auch sie einmal als Sekte, als Minderheit, in die Arena der Geschichte eintraten."

Es waren immer Minderheiten, die im Widerstreit mit der Meinung der Massen standen, welche die großen und notwendigen Veränderungen in Philosophie, Kultur, in Moral und Religion einführten - und meistens wurden sie dafür geköpft oder verbrannt, gefoltert oder wenigstens all ihren gesellschaftlichen Ansehens beraubt. "Insofern", hält Mynarek fest, "haben auch Humanismus, Aufklärung und Freidenkertum eine Wurzel im (jetzt: positiv verstandenen) Sektierertum."

"Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein", erkannte Albert Einstein sehr richtig. Und er fährt fort: "Große Geister haben stets heftige Gegnerschaft in den Mittelmäßigen gefunden. Diese letzteren nämlich können es nicht verstehen, wenn ein Mensch sich nicht gedankenlos den ererbten Vorurteilen unterwirft."

Lesen wir weiter beim Religionswissenschaftler Mynarek: "Es ist beschämend und bestürzend, zugleich ein Beweis dafür, wie ungebildet und beeinflußbar Journalisten und Medienvertreter sind, wenn sie in ihrer Mehrheit die von den Kirchen vollzogene Identifikation der kirchlichen Macht mit der Wahrheit nicht durchschauen und deren Kampagnen gegen die Minderheiten, die 'Sekten', mitmachen, ja, verstärken. Dabei könnte - bei gutem Willen - schon ein etwas tieferer Blick in die Geschichte ihrer Geschichtsvergessenheit Abhilfe tun. Denn, wie gesagt, immer wieder beweist die Geschichte, daß Reformen, daß Veränderungen zum Besseren stets von einzelnen und Minderheiten ausgingen."

"Als Amos den israelischen Oberen vorhielt, den Willen Gottes zu schänden statt zu verkörpern; als Sokrates Athens geheiligte Sitten und Gebräuche der Unheiligkeit überführte; als Jesus die jüdische Gesetzestreue durch die Forderung der Feindesliebe erbleichen ließ; als Marx die modernen Ideale der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als Masken der Unterdrückung und Ausbeutung bloßlegte: da stellten sich einzelne gegen ein Volk, eine Kultur, eine ganze Gesellschaft und ließen sie wissen: Das, worauf Eure Macht gründet, spricht gerade gegen sie. Sie ist grundlos, unberechtigt, unwahr", schreibt Türcke in Die Zeit. Alle waren sie zu ihrer Zeit 'Sektierer' und lebten ganz besonders lebensgefährlich. Auch der auf dem Scheiterhaufen verbrannte Mönch Savonarola, der nur die Unmoral der Kirche geißelte, nicht aber ihre Doktrin." Für all das ist das Gros der Journalisten blind", wettert Mynarek." Sie übernehmen stupid und bedenkenlos die doch erst sorgfältig zu prüfende Voraussetzung, daß die Wahrheit immer in der Kirche und bei den in ihr Gebliebenen, nie außerhalb bei religiösen und weltanschaulichen Minderheiten zu finden sei. So, 'als schrieben unsere Zeitungen Idioten', sagte dazu einmal ein berühmter Kirchenkritiker der Gegenwart (nämlich Karl Heinz Deschner). Und so können", fährt Mynarek fort, "die Sektenbeauftragten der Kirche und des Staates sowie ihre Helfershelfer in den verschiedensten Anti-Sekten-Initiativen ohne jede mediale Gegenwehr ihren Schmutz kübelweise über die 'bösen' Sekten ausschütten."

Die neuen Inquisitoren tragen Talar und Jeans

Die Sektenjäger lassen sich in zwei Lager teilen: Die großen, etablierten, aber ausblutenden Kirchen und die eher atheistischen, linken Alt- 68er.Interessanterweise benutzen beide einander und unterstützen sich im Kampf gegen die Sekten, obgleich man die Vertreter der Linken kaum am Sonntag im Gottesdienst antreffen dürfte, genauso wenig wie ein Pfarrer deren sozialistisch kommunistische Weltsicht teilen dürfte und die Kommunistische Lehre jede Form von Religion ja gar als 'Opium fürs Volk' diffamiert hat.

Die Linken werden von staatlichen Stellen unterstützt, treten rudelweise in den Massenmedien auf und nehmen für sich in Anspruch, ja nur die Freiheit der armen Sektenopfer verteidigen zu wollen. Sie übersehen dabei, daß der Duden das Wort Sekte als "'Befolgte (Lehre)', die: 1. kleinere, von einer christlichen Kirche oder einer anderen Hochreligion abgespaltene religiöse Gemeinschaft" definiert, aber auch 2. als eine "philosophisch oder politisch einseitig ausgerichteteGruppe."Demzufolge wäre jede Partei, die vor allem ihr Wohl verfolgt (und welche tut das nicht? Selbst mit illegalen Mitteln?) eine Sekte im Wortsinn, und jede philosophische Schule ebenso. Sozialismus und Kommunismus sind dann per Definition Sekten.