Tibet - das Land der Mysterien

Es war einmal ein Land hoch in den Bergen, wo die Menschen und die Götter einander ganz nah waren. Ein Land, das dem Heiligen mehr Tribut zollte als dem Weltlichen: Tibet. Im 20. Jahrhundert westlicher Zeitrechnung wurde dieses heilige Land entweiht von den Horden des Antichristen.

"Das alte Tibet wird es niemals mehr geben."

Lobsang P. Lhalungpa

Es war einmal ein Land hoch in den Bergen, wo die Menschen und die Götter einander ganz nah waren. Wo hunderte erleuchteter Lebensströme ein gewaltiges Kraftfeld des Mitgefühls und der Weisheit aufgebaut hatten. Ein Land, das dem Heiligen mehr Tribut zollte als dem Weltlichen: Tibet. Im 20. Jahrhundert westlicher Zeitrechnung wurde dieses heilige Land entweiht von den Horden des Antichristen. Gerade so, wie es der 13. Dalai Lama Anfang der dreißiger Jahre in sein Testament geschrieben hatte:

"In Zukunft wird dieses System (das kommunistische System, das bereits in Ulan Bator, Mongolei, errichtet worden war) sicherlich von innen oder von außen unserem Land, das ein geistlich-weltliches Regierungssystem gewöhnt ist, aufgezwungen werden. Wenn es uns dann nicht gelingt, unser Land zu verteidigen, werden die heiligen Lamas mit dem Siegreichen Vater und Sohn (der Dalai Lama und der Panchen Lama) ausgelöscht werden, ohne daß auch nur die Spur ihrer Namen übrigbleibt. Das Vermögen der Wiedergeborenen Lamas und der Klöster wird zusammen mit den Stiftungen für religiöse Einrichtungen vernichtet werden. Mehr noch, unser politisches System, das sich von den drei alten Königen herleitet, wird nur noch ein leerer Name sein. Meine Beamten werden ihres Wohlstandes und des ihnen Anvertrauten beraubt und vom Feind wie Sklaven unterdrückt werden, und mein Volk wird an Furcht und Elend ausgeliefert sein und Tage und Nächte schier nicht ertragen können. So eine Zeit wird wahrlich kommen!"

Fünfzig Jahre chinesischer Gewaltherrschaft haben Tod und Verwüstung über Tibet gebracht. Gehörte in den vierziger Jahren noch jeder vierte Tibeter einem religiösen Orden an, so ist es heute nicht einmal mehr jeder hundertste. Besaß das Land einst 6'260 stolze Klöster, gibt es heute noch deren sechs; der Rest von den Chinesen in Schutt und Asche gelegt. Zu Tausenden die Mönche und Nonnen, die einst eine auf dem Planeten einzigartige Klosterkultur bildeten, gefoltert und erschossen. 1,2 Millionen Tibeter - rund ein Sechstel der Gesamtbevölkerung - massakriert oder dem Hungertod überlassen.

Auch die Erde litt unter dem harten, erbarmungslosen Schritt der chinesischen Militärstiefel. Pestizide erstickten die Pflanzen. Mißernten folgten, Überschwemmungen, weil die Besatzer rigoros die Wälder fällten. Gab es einst paradiesische Gegenden, wo blaue Schafe, Gazellen, Bären, Wölfe und Hirsche zu hauf lebten, ist heute fast alles tot; manch eine Tiergattung ganz ausgerottet.

In Tibet entspringen auch sieben der großen Ströme Asiens. Der Jang-tse-Kiang, der Gelbe Fluß, der Brahmaputra, der Irrawady, der Ganges, der Sutlej und der Indus. Ist Tibets Wasser verseucht, leiden Millionen von Menschen an den Folgen. Die Chinesen scheint das wenig zu kümmern. Ihre Nuklearabfälle 'entsorgen' sie im See Koko-Nor, einem der größten Trinkwasserspeicher Asiens, ihre Atombomben testen sie skrupellos im Norden des Tibets.

Aus dem 'Spiegel der Götter' wurde die Müllkippe Chinas.

Das reicht den Kommunisten Chinas aber noch nicht. Sie wollen ein Tibet ohne Tibeter. So benutzen sie all die grausamen Waffen der Unterdrückung, die wir von allen Gewaltherrschaften kennen: Verbot der Sprache, bis 1987. Drei Privatschulen in Lhasa, die weiterhin Tibetisch unterrichteten, werden gewaltsam geschlossen. Indoktrination der Bevölkerung, ihr Kultur sei völlig wertlos. So geht nun die tibetische Schrift, ein Erbe der Menschheit und eine der 30 Typen von Schriftarten der Welt, den Weg der Vergessenheit.

Statt daß der Ruf der Gebetshörner über das Land schallt, verbreiten Fernsehsender die Ideologie der glücklichen kommunistischen Befreiung. Wie wunderbar, daß die Freunde aus China 'den Dalai Lama und seine Clique vertrieben und die Tibeter aus der Sklaverei befreiten'! Daher ist es auch ganz unnötig, das Wort 'Dalai Lama' noch auszusprechen. Wer es trotzdem tut und gar seine Rückkehr fordert, darf zwanzig Jahre lang im Gefängnis über diesen Fehler nachdenken. Wer so dumm ist, für ein 'freies' Tibet zu demonstrieren, hat nichts Besseres verdient als das Ende aller Irrtümer mit einer Kugel im Kopf.

"Wir möchten weinen, doch statt dessen müssen wir frohlocken", klagt ein tibetischer Bauer. Die chinesischen Aufseher zwingen ihn, während der Arbeit auf dem Feld Propagandalieder über die Freuden der kommunistischen 'Befreiung' zu singen. China schaut immer nach dem Rechten, rund um die Uhr. Nach Anbruch der Dunkelheit dringt die Polizei in die Häuser ein, um zu sehen, ob alle recht brav sind. Denn siehe - der große Bruder wacht, Tag und Nacht.

Lhasa, einst die heiligste Stadt der Erde, lernt die Freuden der Prostitution kennen. Eintausend chinesische Dirnen säumen die Straßen, aus Karaoke- Lokalen plärren die letzten Hits. Die jungen Tibeter betrinken sich allnächtlich in den 300 Bars, die Flucht vor dem unerträglichen Alltag verheißen. Die Stadt wuchert, einem Krebsgeschwür gleich, übers Tal. Das alte, heilige Lhasa macht nur noch 3 Prozent der Stadtfläche aus; die gesichtslosen, kommunistischen Vor- städte sind der Sieg des Profanen über das Erhabene. Auf 40'000 Tibeter kommen 160'000 Chinesen. 97 Prozent aller Geschäfte gehören Chinesen. Wenn Eltern gerne möchten, daß ihre Kinder eine Schulbildung erhalten, müssen sie ihre unerschütterliche Unterstützung des kommunistischen Regimes zweifelsfrei unter Beweis stellen. Dafür dürfen sie höhere Steuern bezahlen als die Chinesen.

Fast zehntausend tibetische Kinder sind von ihren Eltern unter großen Gefahren über die 5'000 Meter hohen Pässe nach Indien gebracht worden, in eine der tibetischen Schulen, welche die Gemeinde um den Dalai Lama dort errichtet hat. Peking miß fällt dies. Jedes Jahr unternimmt das Regime neue Versuche, jene Schulen zu destabilisieren. Und vor wenigen Jahren beschloß China, daß Eltern, deren Kinder weiterhin tibetische Schulen in Indien besuchen, ihre Arbeitsstelle verlieren sollen und ihre Essensrationskarten, bis sie ihre Kinder zurück ins Land bringen. Von den Tausenden betroffenen Familien ließen sich nur knapp zehn erpressen. Die anderen leiden lieber für das Wohl ihres Nachwuchses - und für die Erhaltung ihrer einzigartigen Tradition.

Zur Auslöschungspolitik der Chinesen gehört es, die Tibeter zu einer Minderheit im eigenen Land zu machen. 1995 strömten jeden Tag zwischen tausend und dreitausend chinesische Neuansiedler nach Xizang (der chinesische Name für Tibet, welcher 'das Haus der westlichen Schätze' bedeutet). In der Kong Po-Region kommen auf einen Tibeter 25 Chinesen; 6 Millionen Tibetern stehen jetzt schon um die 8 bis 9 Millionen Chinesen gegenüber-und die Flut aus China nimmt kein Ende.

Nach dem Mao-Tse-Tung befunden hatte, daß Religion "Opium für das Volk" sei, und nach dem der Dalai Lama 1959 ins indische Exil geflohen war, begann die systematische Zerstörung des intensiven, jahrhundertealten geistigen Lebens Tibets. Wohl erhebt sich der majestätische Potalapalast, den der 5. Dalai Lama von 1645 bis 1694 erbauen ließ, noch immer über dem nunmehr kraken gleichen Häusergewirr Lhasas, sein Innenleben jedoch wurde genauso ausgehöhlt wie die restlichen Traditionen. Die tausend Zimmer mit zehntausend Altären und 200'000 Statuen, die vor mindestens 1'200 Jahren geschaffen wurden, werden nur noch von wenigen Mönchen bewohnt, die keinerlei religiöse Unterweisung mehr erhalten oder praktizieren dürfen. Die Besatzer sind allgegenwärtig, die Mönche nicht viel mehr als pittoreske Marionetten, eine touristische Attraktion, denn die 80'000 Touristen, die jährlich nach Tibet reisen, wollen ja noch ein bißchen was sehen vom Zauber des alten, geheimnisvollen Tibet. Ansonsten werden auch sie sorgsam am Kontakt mit der tibetischen Bevölkerung gehindert. Marlies H., die vor zwölf Jahren noch als Rucksacktouristin mit öffentlichen tibetischen Bussen über Sikkim nach Tibet einreisen konnte, erinnert sich, daß sie auf dem Hinweg in kleinen tibetischen Hotels übernachtete und die Gastfreundschaft der außerordentlich freundlichen tibetischen Inhaber sehr genoß. Auf dem Rückweg waren die tibetischen durch chinesische Busse ersetzt, und statt in tibetischen Hotels zu übernachten, wurden die Touristen gegen ihren Willen gezwungen, mehrmals in chinesischen Militärcamps zu übernachten.

Während man im Kosovo einen Krieg anzettelt, weil man dort angeblich Unrecht vermutet, halten alle großen, mächtigen Industrienationen still, was das Schicksal Tibets angeht.

Hat es damit zu tun, daß Tibet die Antithese zum westlichen Materialismus darstellt? Der Rinchen Lhamo formulierte es einst so: "Einer der großen Unterschiede zwischen unserer und eurer Kultur ist, daß ihr den Mann bewundert, der in der Welt erfolgreich ist, der sich in jeder Beziehung seinen Weg nach oben erkämpft. Wir dagegen bewundern den Mann, der der Welt entsagt; ihr den Erfolgreichen, wir den Heiligen. Die Tibeter kämpfen nicht um weltlichen Erfolg. Es wäre auch sinnlos, denn sie könnten nirgendwohin gelangen. Die Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie bildet der vom Himmel gegebene Rang der wiedergeborenen Gottheit. Keine noch so große Fähigkeit kann dich in diesen Zustand bringen. Du wirst als Lebender Buddha geboren oder nicht. Darunter gibt es die Zelle des Eremiten, die jedem offen steht. Dann die hohe Würde des Abtes. Du kannst sie, wenn überhaupt, mit Zurückhaltung erreichen, einer Eigenschaft, an der wir einen guten Menschen, Priester oder Laie, erkennen. Dem durchschnittlichen Tibeter fällt es nicht ein, sich nach vorn zu drängen."