Sie sind im News-Archiv der ZeitenSchrift gelandet.
Aktuelle Beiträge finden Sie im Bereich Aktuell.

"Tabakfirmen sind Banditen"

Der amerikanische Zigarettenexperte Stanton Glantz über verrauchte Kneipen, Kinder als Zielgruppe und das rückständige Deutschland.

Von Christina Berndt

So also sieht der Erzfeind der Tabakindustrie aus. Er hat ein lustiges rundes Gesicht, einen grauen Haarkranz und über seinem runden Bauch spannt das weiße Hemd. Eigentlich sieht Stanton Glantz so aus, als würde er die Welt mit Humor nehmen. Doch der Professor lacht selten an diesem Frühlingstag in Heidelberg. Er hat keinen Spaß, wenn er im Deutschen Krebsforschungszentrum von seiner Arbeit erzählt: Glantz gräbt in internen Dokumenten der Tabakkonzerne nach unangenehmen Wahrheiten.

SZ: Hier müssten Sie sich doch wohlfühlen. Das Krebsforschungszentrum ist immerhin einer der wenigen Orte in Deutschland, wo Rauchen verboten ist.
Glantz: Ich habe wirklich den Eindruck, als hätte ich nicht in einem Flugzeug gesessen, sondern in einer Zeitmaschine. Deutschland ist so ein progressives Land, aber in der Tabakkontrolle hinkt es 20Jahre hinterher. Allein diese Nichtraucher-Zonen im Flughafen! Weil nebenan sowieso geraucht wird, ist die Luft so schmutzig wie in einem Industriegebiet. Und gestern Abend war ich in einem schönen Restaurant, wo das Essen großartig war - und die Luft toxisch. Seit mehr als zehn Jahren war ich nicht mehr gezwungen, so viel Rauch einzuatmen.

SZ: Sind Sie nicht ein wenig intolerant? Viele Deutsche können sich eine Kneipe ohne Rauch gar nicht vorstellen. Tabakrauch scheint ein Teil der berühmten deutschen Gemütlichkeit zu sein.
Glantz: Mir scheint es eher ein Teil der berühmten deutschen Zusammenarbeit mit der Tabakindustrie zu sein. Die Politik hier wird von den Interessen der Firmen dominiert. Wenn die Regierung in Berlin umgesetzt hätte, was die Mehrheit der Bevölkerung schon im Jahr 1993 gewünscht hat, gäbe es mehr rauchfreie Zonen als in irgendeinem anderen Land. Aber aus den Geheim-Dokumenten der Tabakindustrie wissen wir, dass die Firmen massiv Einfluss auf die deutsche Politik nehmen. Und so ist Deutschland das einzige zivilisierte Land der Welt, in dem man so rückständig ist.

SZ: Würden die Kneipen in einem Land mit einer so starken Raucher-Tradition nicht mit einem Schlag leer werden?
Glantz: Das behauptet die Tabakindustrie. Aber in Kalifornien sind die Kneipen so gut besucht wie nie. Es gehen nun auch Menschen dahin, die keine Lust auf blauen Dunst haben. Schließlich fliegen die Leute auch weiter Flugzeug, obwohl dort nicht mehr geraucht werden darf. Und deutsche Touristen kommen trotz der Rauchverbote nach New York - zumindest, solange Bush sie noch reinlässt.

SZ: Trotzdem sind die Rauchverbote in Kneipen heiß umkämpft.
Glantz: Auch in Amerika hat es einen Riesenkrach darum gegeben. Ich habe mich immer gefragt, warum sich die Tabakindustrie so aufregt. Inzwischen weiß ich es: Es sind die jungen Leute, die sie in den Kneipen erreicht. Wer jung anfängt, bleibt meist am Tabak hängen.

SZ: Das Bundesgesundheitsministerium hat immerhin eine Kampagne gestartet, um die Jugend vom Rauchen abzuhalten. Und die Tabakindustrie übernimmt sogar einen Großteil der Kosten.
Glantz: Das schreit ja gerade zum Himmel. Wir haben solche Jugendkampagnen der Industrie untersucht. Dort werden keine Anti-Rauch-Botschaften verbreitet, sondern Botschaften, die zum Rauchen verführen. Die Message ist: Wenn du erwachsen bist, ist Rauchen okay. Und warum rauchen Kids? Weil sie erwachsen aussehen wollen. In den Industrie-Archiven kann man lesen, dass die Kampagnen zweierlei erreichen sollen: Sie sollen den politischen Druck verringern, indem sich die Industrie verantwortungsbewusst präsentiert. Und sie sollen junge Leute zum Rauchen bringen.

SZ: Steht das in den Dokumenten als erklärtes Ziel?
Glantz: Das steht da ganz unverfroren drin, ja. Und noch eins wird klar: Die Lobby kann damit junge Leute erreichen, die sie sonst nicht ansprechen darf. Mit den vermeintlichen Jugendschutzbotschaften kann Big Tobacco trotz des Tabakwerbeverbots direkt in Jugendsendungen inserieren. Welche Folgen das hat, zeigt eine Studie aus Minnesota: Dort stieg nach einer Anti-Tabak-Kampagne die Zahl der Jugendlichen, die sich vorstellen können zu rauchen, um fast zehn Prozentpunkte auf 53Prozent.

SZ: Warum lässt sich die deutsche Regierung trotzdem auf so etwas ein?
Glantz: Ich weiß es nicht. Die Industrie hat überall dasselbe versucht: Politiker zu bestechen, den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess zu hintertreiben und verlogene PR-Kampagnen zu starten. Aber hier war sie erfolgreicher als sonstwo in der entwickelten Welt.

SZ: Ist Ihre Verurteilung der Tabakfirmen nicht zu hart? Deren Produkte sind doch legal und ihre Interessen legitim. Glantz: Jedes Business will seine Interessen verteidigen, keine Frage. Aber die Tabakfirmen sind Banditen. Sie arbeiten mit heimtückischen Methoden. Vielleicht ist das auch kein Wunder. Andere Industriezweige können auf neue Erkenntnisse reagieren. Sie stellen umweltfreundliche Farbe her oder bauen Katalysatoren in ihre Autos ein. Aber es ist eben unmöglich, Zigaretten herzustellen, die nicht tödlich sind.

SZ: Ungesund sind ja viele Dinge, die man gerne tut. Und Menschen haben seit jeher Drogen genommen. Warum lassen Sie ihnen nicht ihren Lebensstil?
Glantz: Wenn heute so viel geraucht würde wie vor hundert Jahren, wäre alles okay. Aber wir haben inzwischen eine richtige Tabakepidemie. Zigaretten sind ein riesiges Public-Health-Problem.

SZ: Aber jeder weiß, dass Rauchen ungesund ist. Wenn er es trotzdem tut, ist das doch seine Sache.
Glantz: Das ist so nicht richtig. Die Entscheidung ist nicht frei. Immerhin würden 70Prozent der Raucher gerne aufhören und schaffen es nicht. Und zu den Gefahren: Vielleicht wissen die meisten Menschen, dass Rauchen nicht gesund ist. Aber wie gefährlich es ist, ist ihnen nicht klar. Deutsche wurden gefragt, wie groß das Risiko des Rauchens im Vergleich dazu ist, Aids zu bekommen, einen Verkehrsunfall zu erleiden oder ausgeraubt zu werden. Ihre Einschätzung war grotesk falsch. Viele Leute wissen nicht einmal, dass Rauchen zum Herzinfarkt führt. Sie denken nur an Krebs.

SZ: Woran liegt das?
Glantz: Am gigantischen Marketing der Lobby. Damit ist es ihr gelungen, stinkendes, tödliches Zeug mit dem Nimbus von Freiheit und Jugend zu verkaufen.

SZ: Und warum funktioniert das Anti-Marketing nicht?
Glantz: Es gibt Spots, die funktionieren. Aber bestimmt nicht, wenn sie von der Tabakindustrie gemacht sind. In guten Spots wird gezeigt, wie die Firmen wirklich über ihre Kunden denken. Da sitzen unsympathische Geschäftsmänner und sagen: "Die Tabakindustrie braucht jeden Tag 3000 frische Freiwillige. Schließlich hören jeden Tag 2000 Amerikaner mit dem Rauchen auf. Weitere 1100 hören auch auf, technisch gesehen. Genauer gesagt, sie sterben." Und dann lachen sie fies. Solche Spots wirken. Die Kids sagen, dass sie von solchen Leuten nichts kaufen wollen.

(SZ vom 28. Mai 2004)