E-Zigaretten: Neue List, alte Lügen

Glauben wir der Propaganda der Tabakindustrie, dann ist Nikotinkonsum neuerdings kein stinkendes Laster mehr, sondern sauberer Genuss. Elektronisches Rauchen mittels E-Zigaretten und Geräten, die Tabak erhitzen statt verbrennen, soll 95 Prozent weniger schädlich sein als der Konsum herkömmlicher Tabakwaren – ein PR-Bluff!

Der Tabakkonzern Philip Morris startete im Januar 2018 eine überraschende Aktion. In britischen Zeitungen erschienen großformatige Anzeigen mit folgendem Inhalt: „Unser Vorsatz für das neue Jahr: Wir versuchen, mit den Zigaretten Schluss zu machen.“ Und „Jedes Jahr hören viele Menschen auf zu rauchen. Jetzt sind wir dran!“ Das Wirtschaftsnachrichten-Portal Business Insider zitiert dazu Philip-Morris-Direktor Peter Nixon: „Wir glauben fest daran, dass wir eine große Rolle dabei spielen können, Großbritannien rauchfrei zu machen.“ Der Konzern wisse, es sei am besten, gar nicht erst anzufangen mit der Raucherei. Und es gebe 7,6 Millionen erwachsene Raucher auf der Insel, die alle Schluss machen sollten mit der Qualmerei. „Es wäre das Beste für sie.“

Viele Geschmacksnoten (zum Beispiel von Früchten) sollen E-Zigaretten gerade bei jungen Menschen besonders populär machen.

Viele Geschmacksnoten (zum Beispiel von Früchten) sollen E-Zigaretten gerade bei jungen Menschen besonders populär machen.

Das sind ungewohnte Worte aus den Reihen einer Großindustrie, die mit dem Verkauf von Tabakprodukten Milliardengewinne erzielt. Einer Industrie notabene, die in der Vergangenheit die Gefahren des Rauchens lange leugnete. Noch im Jahr 1994 schworen sieben Zigarettenmanager bei einer Kongressanhörung in den USA, dass Nikotin nicht abhängig mache – und logen dabei wider besseres Wissen.

Fakt ist: Die Tabakfirmen haben heute ein Imageproblem. Inzwischen weiß jeder, dass ihr Produkt die Gesundheit schädigt, Krebserkrankungen fördert und das Leben verkürzt. Es steht auf jeder Zigarettenpackung, auf jedem Plakat. Wenn Tabakfirmen also weiterhin erfolgreich im Geschäft bleiben wollen, dann müssen sie den Tabak wieder cool und begehrenswert machen. Deshalb die PR-Offensive des Philip Morris-Konzerns. So schwärmt André Calantzopoulos, Vorstandsvorsitzender von Philip Morris, er selbst habe mit dem Rauchen aufgehört, weil er etwas Besseres, Gesünderes entdeckt habe – nämlich das Erhitzen, englisch „Heating“.

Beim sogenannten Heating wird der Tabak nicht verbrannt, sondern lediglich auf etwa 300 Grad erhitzt. Wie bei der Zigarette erhält der Raucher auch hier den Suchtstoff Nikotin, aber Heating soll ihn vor den krebserregenden Stoffen bewahren, die im Zigarettenrauch enthalten sind, heißt es.

Calantzopoulos hat das Produkt, auf das er umgestiegen ist, gleich selbst auf den Markt gebracht: IQOS (englisch für: „I quit ordinary smoking“ (deutsch: „Ich höre mit dem gewöhnlichen Rauchen auf“) – ein elektronischer Halter, in den ein Tabak-Stift – der „Marlboro HeatStick“ – eingesetzt wird. Das Gerät verspricht die Erfüllung eines alten Raucherwunschs und eines angeblichen Menschheitstraums: Tabakkonsum ohne Rauch, Gestank und Krankheit – also Genuss ohne Reue.

Mittlerweile forschen alle großen Tabakunternehmen an sogenannten Next-Generation- Produkten: Sie setzen entweder aufs Erhitzen mittels eines Heaters wie Philip Morris, aufs Verdampfen (englisch „Vaping“) mittels E-Zigaretten wie Imperial Brands oder gleich auf beides wie British American Tobacco. Und alle behaupten, dass diese Art des Nikotinkonsums im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten 95 Prozent weniger schädlich sei. Dazu präsentieren die Tabakriesen eine Studie, die das belegen soll. Doch wie vertrauenswürdig sind Studien zu Rauchprodukten, die von der Tabakindustrie finanziert werden?

Der amerikanische Professor und Arzt Stanton A. Glantz, ein führender Tabakkontrollaktivist, hat sich mit seinen Kollegen durch ein unglaublich großes Dossier hindurchgearbeitet, das der Marlboro-Konzern beim amerikanischen Staat einreichen musste, um eine Zulassung für sein IQOS-Produkt zu bekommen. Dabei fanden er und sein Team heraus, dass von 24 gemessenen Parametern 23 keine grundlegenden Unterschiede zu den herkömmlichen Zigaretten aufweisen. Für Glantz ist daher die Aussage, dass IQOS 95 Prozent weniger schädlich sein soll als herkömmliche Zigaretten, schlicht nicht wahr. Er kritisiert, Philip Morris habe im Antrag nur Daten zu Schadstoffen vorgelegt, die auch im Zigarettenrauch vorkommen. Beim Erhitzen des Tabaks würden aber auch viele andere Substanzen entstehen, die ebenfalls schädlich sind und sich bei einer Verbrennung wieder verflüchtigen.

Noch schädlicher als Zigaretten?

Für solche Substanzen, die im Zigarettenrauch bisher nicht enthalten waren, interessiert sich auch Ute Mons vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Dazu gehören beispielsweise Metalle, die entstehen, weil Teile im Gerät korrodieren, oder auch Plastikteile. „Das ist eben ein elektronisches Gerät, von dem Teile auf dreihundert Grad erhitzt werden. Also ist es durchaus denkbar, dass da völlig neue Schadstoffe entstehen, die im Aerosol enthalten sind.“

Auch Reto Auer, Professor für Hausarztmedizin der Universität Bern, untersuchte mit Kollegen der Universität Lausanne das Tabakerhitzungsgerät IQOS und überprüfte die Aussage des Tabakmultis, wonach diese E-Zigarette deshalb weit weniger schädlich sei, weil sie keinen Rauch erzeuge, in dem ja die meisten giftigen Stoffe enthalten seien. Doch Auer fand im angeblich rauchfreien Produkt etwas, was dem Tabakmulti gar nicht passte: „Man kann es nicht anders als Rauch nennen“, lautete der Titel der Studie, die Auer und sein Team in der renommierten Zeitschrift JAMA Internal Medicine1 veröffentlichten. Das Problematische bei einer Zigarette ist laut Auer nicht die Verbrennung, sondern „dass der Tabak in herkömmlichen Zigaretten nicht völlig verbrennt. Wenn aber nur eine Verschwelung – keine vollständige Verbrennung – stattfindet, was von Philip Morris nicht bestritten wird, macht das die Erhitzungsgeräte nicht weniger schädlich als Zigaretten, sondern möglicherweise sogar schädlicher.“

Quellenangaben

  • 1 JAMA Internal Medicine, Ausgabe vom Mai 2017