Nikotin im Nebel: Die dunkle Seite des Vape-Booms
Verdampfer haben einen vermeintlich guten Ruf, gelten sie doch als harmlos und gesündere Alternative zu den herkömmlichen Zigaretten. Doch das stimmt nicht, wie ein Facharzt für Lungenkrankheiten warnt. Die trendigen E-Zigaretten können vor allem bei Jugendlichen Lunge und Gehirnentwicklung schädigen.

Dampfen ist das neue Rauchen – aber die gesündere Alternative. So zumindest die trügerische Hoffnung vieler Raucher, die von herkömmlichen Glimmstängeln auf die trendigen E-Zigaretten umsteigen. Doch die Verdampfer ermöglichen keinen harmlosen Nikotinkonsum, wie Daten mittlerweile belegen. Und trotzdem bewirbt die Tabakindustrie sie als rauchfreie Alternative und sieht in ihnen die Lösung für eine „rauchfreie Zukunft“. Doch in den Augen von Wolfram Windisch, Professor für Pneumologie an der Universität Witten/Herdecke, ist dies ziemlich unglaubwürdig. Denn eine Industrie, die vom Verkauf von Zigaretten lebt, kann sich nicht einfach selbst den Ast absägen, auf dem sie sitzt. Und die Zahlen belegen: E-Zigaretten sind kein Ersatzprodukt, sondern die meisten Nutzer rauchen diese zusätzlich. Dieser sogenannte „Dual Use“ ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel: Mehr als die Hälfte der erwachsenen E-Zigarettenraucher in Deutschland (53 Prozent) praktizierte 2021 diesen Doppelkonsum. Und der hat es in sich: Die damit verbundenen Risiken sind durchweg höher als die des alleinigen Rauchens – Experten sprechen von 20 bis 40 Prozent! So zeigt zum Beispiel eine Studie, dass Vaper ein mehr als doppelt so hohes Risiko für erektile Dysfunktion haben: Männer im Alter von 20 bis 65 Jahren ohne bekannte Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die täglich E-Zigaretten mit nikotinhaltigen Liquids konsumieren, sind fast 2,5-mal häufiger von Erektionsproblemen betroffen als jene, die darauf verzichten – unabhängig davon, ob sie früher jemals geraucht haben oder nicht.
Ein Argument, mit welchem Verdampfer oft als weniger schädlich propagiert werden, ist, dass diese 90 Prozent weniger Schadstoffe enthalten als normale Zigaretten. Dies mag in der Theorie zwar stimmen, aber bedeutet gemäß Windisch noch lange nicht, dass dadurch auch 90 Prozent weniger Schaden entsteht. Und er doppelt nach: „Wenn Sie aus dem zehnten statt aus dem hundertsten Stock springen, ist das auch nicht weniger tödlich. Die Behauptung, dass E-Zigaretten besser sind, können wir wissenschaftlich nicht stehen lassen.“ Denn aktuell fehlen einfach noch die Langzeitstudien. Die vorhandenen Daten zeigen aber bereits ein düsteres Bild. Denn in ihrer Gänze könnten E-Zigaretten gar schlimmer als konventionelle Zigaretten sein.
Laut neuen Studien sind E-Zigaretten deutlich schädlicher als lange vermutet. Sie enthalten Nikotin, das abhängig macht (das Suchtpotenzial von Nikotin ist bei E-Zigaretten genau gleich wie bei normalen Zigaretten) und bei Jugendlichen die Gehirnentwicklung beeinträchtigen kann. Durch das Erhitzen der Liquids entstehen zudem neue chemische Verbindungen, von denen einige potenziell krebserregend oder entzündungsfördernd sind. Ein zusätzlicher Risikofaktor sind die Aromastoffe: Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass es etwa 16'000 verschiedene Aromen in E-Zigaretten gibt – bei den meisten ist ihre gesundheitliche Wirkung noch völlig unklar. Während manche E-Zigaretten möglicherweise weniger schädlich sind als herkömmliche Zigaretten, könnten andere sogar gefährlicher sein. Für Professor Windisch sind wir mitten in einem unkontrollierten Experiment, bei dem Kinder und Jugendliche Substanzen inhalieren, deren langfristige Folgen unbekannt sind – für den Experten eine ethisch höchst bedenkliche Situation.
Tabakkonzerne behaupten, ihre rauchfreien Produkte richteten sich ausschließlich an erwachsene Raucher, die es nicht schaffen, mit dem Rauchen aufzuhören. Doch diese Aussage ist nicht glaubwürdig. Einweg-E-Zigaretten in bunten Farben und mit Geschmacksrichtungen wie Schoko-Kaugummi sind ganz offensichtlich auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet. Die Aromastoffe erleichtern das Inhalieren, indem sie den bitteren Geschmack und den Hustenreiz unterdrücken – ein Effekt, der das natürliche Warnsignal des Körpers ausschaltet. Während eine klassische Zigarette beim ersten Zug oft als unangenehm empfunden wird, vermitteln aromatisierte Vapes das Gefühl, harmlose Süßigkeiten zu konsumieren. Laut der DAK-Krankenkasse sind die elektronischen Zigaretten bei der Abgabe von Nikotin jedoch wirksamer als andere Produkte. „Für Kinder und Jugendliche ist die E-Zigarette mittlerweile die wichtigste Einstiegsdroge in die Nikotinsucht“, sagte DAK-Vorstandschef Andreas Storm.
Die Auswirkungen sind alarmierend: Eine Studie der Universität Kiel ergab, dass im Jahr 2023 bereits sieben Prozent der Schulkinder mindestens einmal im Monat zur E-Zigarette griffen. Zu Beginn der Umfragereihe 2016 waren es nur 3,9 Prozent. 2023 war auch das Jahr, in dem erstmals mehr Schüler regelmäßig zur E-Zigaretten als zur Shisha oder konventionellen Zigaretten griffen. Selbst wenn nur ein kleiner Teil der Zehnjährigen regelmäßig Nikotin konsumiert, stellt das ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem dar. E-Zigaretten sind zur häufigsten Einstiegsdroge für Nikotinkonsum bei Jugendlichen geworden – und wer mit Vapes beginnt, greift später mit höherer Wahrscheinlichkeit auch zu herkömmlichen Zigaretten. In vielen Fällen konsumieren Menschen dann beides, was wie bereits erwähnt gesundheitlich noch riskanter ist als das Rauchen allein, da sich die Schadstoffquellen gegenseitig verstärken. Besonders gefährlich wird es, wenn Geräte oder Liquids auf der Straße gekauft und verändert werden – ein Problem, das laut dem American College of Cardiology mit einer erhöhten Rate an Lungenschäden in Verbindung steht. Da E-Zigaretten erst seit rund einem Jahrzehnt verbreitet sind, sind die Langzeitfolgen noch unklar. Doch bereits jetzt wurden sie in über 30 US-Bundesstaaten mit schweren Lungenerkrankungen, gesundheitlichen Schäden und sogar Todesfällen in Zusammenhang gebracht.
Eine im April 2024 veröffentlichte Studie1 zeigt eine deutliche Verbindung zwischen dem Konsum von E-Zigaretten und einem erhöhten Risiko für Herzinsuffizienz (Herzmuskelschwäche). Untersucht wurden mehr als 175'000 Menschen mit einem Durchschnittsalter von 52 Jahren, darunter 60,5 Prozent Frauen. Über einen Zeitraum von durchschnittlich 45 Monaten entwickelten 3'242 Teilnehmer eine Herzschwäche. Die Analyse ergab, dass Personen, die E-Zigaretten nutzten, ein um 19 Prozent höheres Risiko für diese Erkrankung hatten als diejenigen, die nie dampften – unabhängig von Alter, Geschlecht oder vorherigem Tabakkonsum.
Um dem entgegenzuwirken, braucht es dringend ein Verbot von Aromastoffen und Einweg-E-Zigaretten. Das wäre nicht nur aus Umweltschutzgründen sinnvoll, sondern auch, weil diese Produkte für Kinder besonders attraktiv sind. Zudem müssen bestehende Gesetze konsequent durchgesetzt werden.